Zusammenfassung
„Unser Leben währet siebenzig Jahr, und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahr” — das ist eine bedenkliche Mahnung für Jemand, der sich dem Mittel dieser Grenzwerthe nähert und noch viel zu thun hat! Man kann sich zwar im Allgemeinen damit trösten, daß Andere das thun werden, was man selbst nicht mehr fertig bringt, daß es also der Welt nicht dauernd verloren geht; doch giebt es auch Aufgaben, bei denen dieser Trost nicht gilt, und für deren Lösung kein Anderer eintreten kann. Hierher gehört die Aufzeichnung der eigenen Lebenserinnerungen, die ich meiner Familie und meinen Freunden versprochen habe. Ich gestehe, daß mir der Entschluß zur Ausführung dieser Arbeit recht schwer geworden ist, da ich mich weder historisch noch schriftstellerisch begabt fühle und stets mehr Jnteresse für Gegenwart und Zukunft als für die Vergangenheit hatte. Dazu kommt, daß ich kein gutes Gedächtniß für Namen und Zahlen habe, und daß mir auch viele Ereignisse meines ziemlich wechselvollen Lebens im Laufe der Jahre entschwunden sind. Andrerseits wünsche ich aber, meine Bestrebungen und Handlungen durch eigene Schilderung festzustellen, um zu verhindern, daß sie später verkannt und falsch gedeutet werden, und glaube auch, daß es für junge Leute lehrreich und anspornend sein wird, aus ihr zu ersehen, daß ein junger Mann auch ohne ererbte Mittel und einflußreiche Gönner, ja sogar ohne richtige Vorbildung, allein durch seine eigene Arbeit sich emporschwingen und Nützliches lcisten kann, Ich werde nicht viel Mühe auf die Form der Darstellung verwenden, sondern meine Erinnerungen niederschreiben, wie sie mir in den Sinn kommen, ohne andere Rücksichten dabei zu nehmen als die, daß sie mein Leben klar und wahr schildern und meine Gefühle und Anschauungen getreulich wiedergeben. Ich werde aber versuchen, zugleich auch die inneren und äußeren Kräfte aufzudecken, die mich auf meiner Lebensbahn durch Freud und Leid den erstrebten Zielen zuführten und meinen Lebensabend zu einem sorgenfreien und sonnigen gestaltet haben.
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von Siemens, W. (1912). Lebenserinnerungen. In: Lebenserinnerungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-36518-2_1
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