Zusammenfassung
In den Funktionen des Zentralnervensystems vom Menschen spielt das Kleinhirn anscheinend keine besonders wichtige Rolle; der eindringlichste Beweis dafür ist wohl der, daß gelegentlich das Kleinhirn durch einen Erkrankungsprozeß allmählich gänzlich konsumiert wurde, ohne daß die Einbuße sich durch besonders schwere oder auch nur auffallende Störungen bemerkbar gemacht hätte. Die relativ untergeordnete Rolle kann man einigermaßen auch aus der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiergehirne ablesen; denn diese belehrt darüber (s. Abb. 159, S. 413), daß das Kleinhirn zwar verhältnismäßig massig bei den Fischen und Vögeln entwickelt ist, dagegen bei Amphibien und Reptilien meist nur eine kümmerliche Ausbildung erfahren hat und bei den Säugetieren wohl an sich recht voluminös ist, immerhin gegenüber dem mächtigen Gebilde des Großhirns stark in den Hintergrund gedrängt ist. Diese anatomischen Verhältnisse spiegeln sich auch in den Ergebnissen des physiologischen Experiments. Denn nach diesen ist das Kleinhirn als ein die Koordination der Körperbewegungen regulierender Apparat aufzufassen, und ein solches Organ wird im Leben der Fische und Vögel eine größere Rolle spielen als bei den Amphibien und Reptilien und auch bei den Säugetieren; die Schwimm- und Flugbewegungen verlangen, namentlich wenn sie flink und elegant ausgeführt werden sollen, sicherlich eine feinere Koordination der Muskeln als die Bewegungen auf dem festen Boden, zumal die langsamen und kriechenden Bewegungen bei Amphibien und Reptilien. Tatsächlich sind unter den Fischen und Vögeln die guten Schwimmer und Flieger durch ein besonders stark entwickeltes Kleinhirn ausgezeichnet. Bei alledem haben uns aber die bisherigen experimentellen Studien nur außerordentlich unvollkommen darüber unterrichtet, wie das Kleinhirn eigentlich eingreift.
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Höber, R. (1928). Das Kleinhirn. In: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-36482-6_26
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