Zusammenfassung
Wir haben so ausführlich die letzte erotische Vereinigung herangezogen, weil sie ja die Grundlage jeder Ehe bildet und dabei immer symptomatisch ist für das jeweilige Zusammenleben zwischen Mann und Frau. Ein halbwegs geübter Beobachter kann der Art, wie beide den Alltag miteinander verbringen, ziemlich genau anmerken, wie ihr sexuelles Verhältnis aussieht und umgekehrt kann man nach Schilderungen dieses (wenn sie der Wahrheit entsprechen) voraussagen, wie das tägliche Leben sich dort abspielt. Damit sind wir beim viel verlästerten Alltag angelangt, dessen abstumpfender nivellierender Wirkung so oft die Schuld beigemessen wird daran, daß es, wie ein französischer Essayist sagt, »wohl gute Ehen gebe, aber keine glücklichen«, womit die allgemeine Vorstellung ausgedrückt wird, daÜ höchste Geschlechtsbeglückung nicht innerhalb einer dauernden Gemeinschaft zu finden wäre, so daß man nur allzuoft geradezu einer Gegenüberstellung von Ehe contra Erotik, als zweier einander ausschließender Begriffe begegnet. So wird als Ausdruck dieser Meinung in der alten wie in der neuen Literatur der Ehemann vorgeführt, der den Körper seiner Frau nicht erkennt1). Diese falsche Einstellung ist sehr gefährlich. Da doch nur eine kontinuierliche Gemeinschaft die Möglichkeit zu einem vollen Einanderverstehen, auch in sexuellen Fragen schafft, da also kurzfristige Versuche früher oder später miß-lingen müssen, bekommen Menschen, die immer nur das kurzbefristete Experiment wagen und nicht den Mut zur Dauer aufbringen, begreiflicherweise die Vorstellung, daß es nichts anderes geben könne als verfehlte erotische Beziehungen. Dafür wird dann der böse Alltag verantwortlich gemacht.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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Lazarsfeld, S. (1927). Der Alltag und die Familie. In: Die Ehe von heute und morgen. Individuum und Gemeinschaft, vol 8. J.F. Bergmann-Verlag, Munich. https://doi.org/10.1007/978-3-662-34429-3_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-34429-3_6
Publisher Name: J.F. Bergmann-Verlag, Munich
Print ISBN: 978-3-662-34159-9
Online ISBN: 978-3-662-34429-3
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