Zusammenfassung
Es war ein gewaltiger Schritt vorwärts, als sich in der Lehre von den nervösen Erkrankungen die einheitliche Anschauung Bahn brach, die nervösen Störungen seien durch seelische Alterationen hervorgerufen und müßten durch Einwirkungen auf die Psyche behandelt werden. Eine endgültige Entscheidung brachte das Eingreifen berufener Forscher, wie Charcot, Janet, Dubois, Dejerine, Breuer, Freud u. a. Dazu kamen von Frankreich die Erfahrungen des hypnotischen Experimentes und der hypnotischen Behandlung, welche die Wandelbarkeit nervöser Symptome und ihre Beeinflußbarkeit auf den Wegen der Psyche erwiesen. Die Heilerfolge blieben trotz dieses Fortschrittes unsicher, so daß auch namhafte Autoren, unbeeinflußt durch ihre theoretischen Erwägungen, Neurasthenie, Hysterie, Zwangs- und Angstneurosen mit den althergebrachten Arzneien, mittels Elektrizität und Hydrotherapie zu heilen versuchten. Die ganze Frucht der erweiterten Kenntnisse war auf Jahre hinaus eine Anhäufung von Schlagworten, die den Sinn und das Wesen der komplizierten neurotischen Mechanismen erschöpfen und erschließen sollten. Für die einen lag der Schlüssel zum Verständnis in der „reizbaren Schwäche“, sinkenden Spannung“,„ für die anderen in der „Suggestibilität“. „Erschütterbarkeit“, „hereditäre Belastung“, „Degeneration“, „krankhafte Reaktion“, „Labilität des psychischen Gleichgewichts“ und andere ähnliche Begriffe sollten das Geheimnis der nervösen Erkrankungen ausmachen. Zugunsten des Patienten ergab sich daraus im wesentlichen bloß eine etwas dürre Suggestivtherapie, meist fruchtlose Versuche, die Krankheit „auszureden“, „eingeklemmte Affekte abzureagieren“ und der nicht weniger fruchtlose Versuch psychische Schädigungen dauernd fernzuhalten. Immerhin entwickelte sich dieses therapeutische Verfahren zu einem öfters nützlichen „traitement moral“, wenn der Patient unter der Leitung weltkundiger, mit Intuition begabter Ärzte stand.
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Literatur
Siehe Adler, Studie über Minderwertigkeit der Organe. Urban und Schwarzenberg, Wien, Berlin 1907 — und als Fortsetzung: Adler, Über neurotische Disposition, in „Heilen u. Bilden“ l. c.
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Adler, A. (1924). Psychischer Hermaphroditismus und männlicher Protest — ein Kernproblem der nervösen Erkrankungen. In: Praxis und Theorie der Individualpsychologie. J.F. Bergmann-Verlag, Munich. https://doi.org/10.1007/978-3-662-34418-7_2
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Publisher Name: J.F. Bergmann-Verlag, Munich
Print ISBN: 978-3-662-34148-3
Online ISBN: 978-3-662-34418-7
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