Funktion des Bogengangs- und Otolithenapparats bei Säugern

Zusammenfassung

Im Jahre 1824 eröffneten die berühmten Untersuchungen von Flourens am Bogengangsapparat der Tauben der experimentellen Forschung plötzlich ein neues Arbeitsfeld. Das vom N. octavus innervierte Endorgan, bis jetzt immer als reines Gehörorgan betrachtet, erwies sich durch diese Untersuchungen als ein Organ mit doppelter Funktion. Der N. octavus muß, wie Flourens ¹) sich ausdrückt, geteilt werden in zwei Nerven, von denen einer (le vrai nerf auditif) die Cochlea innerviert, während der andere (le nerf des canaux semicirculairs) für die Innervation der Bogengänge sorgt. Es ist nicht zu verwundern, daß diese Entdeckung Flourens’ eine große Anzahl von Forschern inspirierte und sie dazu veranlaßte, die Versuche zu wiederholen und auszubreiten mit dem Bestreben, neues Licht in die rätselhafte Funktion der Bogengänge zu bringen. Ebensowenig ist es jedoch zu verwundern, daß das Interesse sich vorläufig ganz auf die Bogengänge beschränkte und das Studium der Funktion der ebenso wichtigen Otolithenapparate, wiewohl ihr Bestehen anatomisch bekannt war, ganz vernachlässigt wurde. So sehen wir, daß die berühmte klinische Beobachtung von Ménière ²) im Jahre 1861 sich nur auf den Symptomenkomplex bezieht, welcher durch Blutungen in die Bogengänge verursacht wird. Auch Goltz ¹) spricht in seiner 1870 erschienenen Mitteilung, welche die Grundlage der ganzen modernen vestibulären Physiologie bildet, nur von den Bogengängen: „Ob die Bogengänge Gehörorgane sind, bleibt dahingestellt. Außerdem bilden sie eine Vorrichtung, welche der Erhaltung des Gleichgewichts dient.“