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Zusammenfassung

Mit der Einführung exakter Explorationsmethoden hat die objektive Untersuchung des Kranken gegenüber seinen subjektiven Klagen an Wert gewonnen. Doch hat das Anhören der Hilfesuchenden trotz aller Verbesserung der Untersuchungstechnik heute nicht nur nicht an Wichtigkeit eingebüßt, sondern ist unentbehrlicher als früher geworden. Bei der Frau unserer heutigen Kulturverhältnisse steigert sich die erschöpfende Benützung der Vorgeschichte ihrer Person und ihres Leidens mehr denn je zu einer psychologischen Leistung, welche sich anzueignen für den Arzt unter Umständen viel schwieriger, aber manchmal nützlicher ist, als die objektiven Untersuchungsmethoden. Das Erlernen „individuellen Auffassens“ seiner Klienten ist um so schwieriger, als vom Lehrer kaum mehr gegeben werden kann als ein Hinweis auf bewährte Unterhaltungsgrundsätze gegenüber hilfesuchenden Frauen, sowie ein gutes Beispiel eigener Betätigung. Alles weitere bleibt dem Takte, dem Verständnisse, der Menschenkenntnis, dem Bildungsgrade, Gefühl, Geschmack, dem Interesse, der Anpassungsfähigkeit des in die Praxis tretenden Arztes überlassen. Wieviel solche Eigenschaften für unseren Beruf bedeuten, sieht man daran, daß, wenigstens bei der ersten Begegnung mit dem Publikum — ceteris paribus —, die Ärzte mit diesen Qualitäten besser reüssieren als diejenigen ohne solche. Es zeugt von Mangel an Kenntnissen und Erfahrung, wenn der wegen eines Frauenleidens konsultierte Arzt sich ausschließlich mit denjenigen Unterleibsorganen und Gebilden beschäftigt, welche dtirch Zeugung oder durch Krankheit in Form, Ausdehnung, Größe usw. verändert werden. Er muß die Schwangerschaft stets als eine Funktion und die Erkrankung der Generationsorgane stets als eine Funktionsstörung im engsten Zusammenhange mit dem Betrieb des ganzen weiblichen Organismus, im Zusammenhange mit Leib und Seele betrachten. Funktion und Funktionsstörung der weiblichen Geschlechtsorgane sind in gewissen allgemeinen Beziehungen dem ganzen Organismus untergeordnet, wie dieser wiederum durch die Funktion jener Organe in besonderer Weise beeinflußt wird. Wer als Arzt der hilfesuchenden Frau in ihrer somatischen und psychischen Störung die der Individualität ihres organischen Betriebes adäquate Hilfe angedeihen lassen will, kann sich nicht emsig genug in die Vorgeschichte vertiefen. Denn die körperliche Untersuchung verschafft uns nur ein anatomisches Bild der greifbaren Veränderung. Den Reflex vom Individuellen, einer Patientin, ihre spezielle Reaktion auf eine Betriebsstörung, jeden darauf bezüglichen Hinweis, welcher sich noch nicht zu greifbaren anatomischen Veränderungen verdichtet hat, ersehen wir nur aus der Unterhaltung mit unseren Patienten. Zu einem ganzen Arzt muß noch das feine Verständnis für die Psyche der Frau kommen, wenn dieser Zweig der Diagnostik mancherlei Früchte tragen soll. Nur bei einiger Anteilnahme an dem Geschick des Kranken wird man als Arzt das äeste zu leisten vermögen. Freilich gehört zur Bewältigung dieser Aufgabe eine Dosis philosophischer und psychologischer Fähigkeiten, um außer einer schablonenmäßigen Fixierung der Krankheitsklasse noch in jedem Patienten das belebende, eigenartige und wechselvolle Spiel seiner Natur verfolgen zu können.

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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.

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Sellheim, H. (1923). Unterhaltung mit den hilfesuchenden Frauen. In: Die geburtshilflich-gynäkologische Untersuchung. J.F. Bergmann-Verlag, Munich. https://doi.org/10.1007/978-3-662-30009-1_5

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  • Publisher Name: J.F. Bergmann-Verlag, Munich

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