Zusammenfassung
Die Entwicklung der Psychiatrie als klinisches Fach ging einen andern Weg als die der übrigen Sonderdisziplinen. Sie ist nicht wie Augen-, Ohrenheilkunde und Orthopädie durch allmähliche Spezialisierung von der Chirurgie oder wie die Kinderheilkunde von der inneren Medizin abgespalten worden. Ihr Weg war umgekehrt, sie mußte erst mühsam von außen in den Rahmen der medizinischen Disziplinen hereingebracht werden. Der Gesichtspunkt, unter dem sich Öffentlichkeit und Staat zunächst für die ihr zugehörigen Individuen interessierte, war nicht ein sanitärer, sondern der der Sicherung gegen Asozialität und Störung der öffentlichen Ordnung. Daher war es fast allerwärts zunächst die Regel, die Geisteskranken mit Verbrechern und Vagabunden zusammenzusperren, mit Kranken nur, soweit es sich um diffamierende und wegen der Ansteckung oder des widerlichen Anblicks gefürchtete Erkrankungen handelte. Wie sehr dieser lediglich eine soziale Seite unserer Disziplin berücksichtigende Entwicklungsgang die natürliche wissenschaftliche Entwicklung des Gesamtgebiets gehemmt hat, braucht nicht im einzelnen ausgeführt zu werden, denn die ganze Entwicklung der Psychiatrie in der Charité im letzten Jahrhundert ist, wie sich zeigen wird, eine Illustration zu dem Problem, die Psychiatrie aus der Enge dieser Auffassung herauszubringen. Es darf aber gesagt werden, daß sich in der Berliner Verwaltung verhältnismäßig frühzeitig Verständnis dafür gezeigt hat, daß es sich hier um Erscheinungen handelt, die in das Bereich der ärztlichen Beobachtung und Fürsorge gehören, so daß wir schon fast ein Jahrhundert, ehe die psychiatrische Abteilung der Charité gegründet wurde, Geisteskranke in Krankenhauspflege antreffen.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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Bonhoeffer, K. (1940). Die Geschichte der Psychiatrie in der Charité im 19. Jahrhundert. In: Die Geschichte der Psychiatrie in der Charité im 19. Jahrhundert. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-29027-9_1
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