Zusammenfassung
Wir haben bereits oben (§ 12 [3]) darauf hingewiesen, aus welchen allgemeinen Gründen die Völker zuweilen Streitigkeiten einem internationalen Gerichte zur Entscheidung vorlegen. Dies ist insbesonders dann der Fall, wenn es sich um verhältnismäßig geringfügige Streitsachen handelt, die nach der Meinung der beiden Staaten eine gewaltsame Lösung durch Krieg nicht rechtfertigen würden, oder auch, wenn ein mächtiger Staat, der von seinem Rechte überzeugt ist, seinen Gegner zur Annahme eines Gerichtes zwingt.
Lammasch: Die Rechtskraft internationaler Schiedssprüche 1913. Derselbe: Die Lehre von der Schiedsgerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfange 1914. Lauterpacht: Function. Ascher: Wesen und Grenzen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit 1929. Morgenthau: Die internationale Rechtspflege, ihr Wesen und ihre Grenzen 1929.
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Literatur
Über das einschlägige Benehmen der Staaten siehe Lauterpacht: Function S. 139 ff. Auf S. 160 ff. gibt L. Beispiele dafür, daß Staaten es ausdrücklich abgelehnt haben, ihnen lebenswichtig erscheinende Fragen gerichtlich entscheiden zu lassen.
Lauterpacht: Function S. 203 ff.
_7ber den Satz: De…m.aximis non curat praetor siehe Lauterpacht
Das, was hier über die Gerichtsbarkeit gesagt wurde, gilt auch für das Vergleichsverfahren. Theoretisch scheint dieses Verfahren das ideale zu sein, da es den Vergleichskommissionen das Recht gibt, neben den strengen Regeln des positiven Rechtes auch Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit zu berücksichtigen. Es hat nur den Nachteil, daß es von den Staaten so angesehen wird, als wäre es ein Gerichtsverfahren, vermehrt noch um den weiteren Nachteil, daß der Lösungsvorschlag der Kommission nicht wie im Gerichtsverfahren für die Parteien bindend ist. Auch scheuen sich die Staaten, die glauben, zu 100010 im Rechte zu sein — und in dieser Lage sind die meisten Staaten —, ein Verfahren eröffnen zu lassen, das ihrer Ansicht nach nur damit enden kann, daß sie im „Vergleichswege“ etwas von ihrem Anspruche aufgeben müssen. Ob diese Ansichten der Staaten berechtigt sind, läßt sich nicht sagen, da keine dieser Vergleichskommissionen bisher die Gelegenheit hatte, ihr Amt auszuüben.
An dieser Stelle soll nur ganz kurz darauf hingewiesen werden, daß die geringe Inanspruchnahme der internationalen Gerichtsbarkeit auch eine gewisse nachteilige Rückwirkung auf das materielle Völkerrecht selbst hat. Jede abstrakte Rechtsregel gewinnt ihren wahren Inhalt nämlich erst durch ihre Anwendung. Man denke nur z. B. an die Regeln des Code Napoléon, die in Frankreich zum Teil wesentlich anders ausgelegt und angewendet werden, wie es die gleichen Regeln in den Rheinlanden bis 1900 wurden. Dieser Tatsache hat auch der St. I. G. in seinem Urteile A 20 über die serbischen Anleihen Rechnung getragen, indem er (S. 46) erklärte, daß das Gericht, wenn es den Sinn und die Tragweite eines nationalen Gesetzes feststellen soll, die Rechtsprechung im betreffenden Lande berücksichtigen muß. Infolge seiner so seltenen Verwendung entbehrt das Völkerrecht häufig der frischen Farben, die nur das bewegte Leben gibt. Viele völkerrechtliche Regeln leiden an Blutarmut.
Siehe auch B I ii h d o r n, III/§ 2 und Dunn: The protection of nationals. A study in the application of international law 1932. In letzterem Werke unterstreicht der Verfasser auf Grund seiner praktischen Erfahrungen die Wichtigkeit der nichtrechtlichen Gründe für die Entscheidungen internationaler Gerichte. L a u t e r p a c h t: Function, S. 215, weist auf die „unbewußten Faktoren“ hin, die die Urteilsbildung durch den Richter beeinflussen, insbesondere auch auf ihre grundsätzliche „Einstellung zum Gesetze”.
Aus diesem Grunde wurde seitens des Komitees, das zur Revision der Statuten des St. I. G. im Jahre 1929 eingesetzt worden war, der Wunsch ausgesprochen, daß die Richter des St. I. G. „eine notorische praktische Erfahrung des Völkerrechtes“ haben sollen. Als Folge dieses Wunsches ist die Wahl der Kronjuristen Hurst und Fr o m a g e o t zu Richtern anzusehen. R a y (S. 439) behauptet — wohl zu Unrecht —, daß dieser Wunsch von dem Bestreben diktiert war, die Entscheidungen des Gerichtes zu politisieren.
In der Praxis macht es auch einen gewaltigen Unterschied, ob das Gericht einseitig oder zweiseitig ist. Die Gemischten Schiedsgerichte der Verträge von Versailles und St. Germain waren im wesentlichen einseitige Gerichte, d. h. nur die Angehörigen der alliierten Mächte konnten wegen außerordentlicher Kriegsmaßnahmen Deutschland und Österreich klagen. Dadurch wurden beide Streitparteien dazu getrieben, die Vertragsbestimmungen höchst einseitig zu ihren Gunsten auszulegen, und die Gerichte hatten bei ihren Entscheidungen kein Gegengewicht. Dagegen war z. B. die amerikanisch-mexikanische Kommission nach dem Vertrage vom B. September 1923 zweiseitig; es konnten Klagen zugunsten beider Staatsangehörigen eingebracht werden. Beide Parteien mußten daher für eine gerechte Anwendung der Vertragsbestimmungen eintreten, da die von der Kommission anzuwendenden Grundsätze eben für und gegen beide Parteien wirkten.
Blühdorn, III/§ 2.
Die Frage, ob es einen „internationalen“ Menschen geben kann, wurde im Völkerrechte im Zusammenhange mit der Frage der geistigen Einstellung der Beamten des Völkerrechtes besprochen. R a y, I. Suppl., S. 47.
Oder glaubt jemand ernstlich, daß z. B. England oder Frankreich sich der obligatorischen Gerichtsbarkeit des St. I. G. nach Art. 36 der Statuten unterworfen hätten, wenn dieses Gericht anders zusammengesetzt wäre als es tatsächlich ist?
Je größer die Zahl der Richter ist, einen desto geringeren Einfluß haben natürlich die beiden nationalen Richter auf die endgültige Entscheidung. Bei einem geringsten Quorum von neun Richtern, wie es z. B. der St. I. G. aufweist, könnte selbst ein bewußt gegen seine Rechtsüberzeugung für die Ansicht seines Heimatstaates stimmender Richter nichts gegen die Stimmen aller übrigen Richter ausrichten.
Über die Persönlichkeit Parkers siehe P r o s s i n a g g: Edwin B. Parker t, Friedensrecht VIII, S. 37.
Siehe z. B. die offenherzige Kritik der Haltung der Vereinigten Staaten durch Whitton: La doctrine de Monroë in R.G.1933, S.40 und 296.
Opinions of Commission Washington 1927, S. 35.
In meinem Cours XII und XIII habe ich einige von Gemischten Schiedsgerichten gefällte Entscheidungen unter Berücksichtigung allfälliger nichtrechtlicher Einflüsse zu analysieren versucht.
Es sei gestattet, zwei praktische Winke zu geben, wie man sich in völlig erlaubter Weise des für den Ausgang eines jeden Prozesses so wichtigen favor judicis (siehe § 7) eines internationalen Gerichtes versichern kann. Man bringe vor allem nur solche Streitsachen vor Gericht, in denen der geltend gemachte Anspruch nicht nur rechtlich begründet ist, sondern seine Stattgebung auch der „Billigkeit“ entspricht. Ein zweites Mittel zur captatio benevolentiae der Richter besteht darin, dem Gerichte zu zeigen,daß man bereit ist, die Streitfrage durch einen gerechten Vergleich zu regeln. Die Erfahrung lehrt nämlich, daß Gerichte gern derjenigen Partei Unrecht geben, die der Sach- und Rechtsklage nach vernünftig erscheinende Vergleichsvorschläge der Gegenpartei schroff abgewiesen hat. (Siehe B l ü hdorn, IX.)
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Blühdorn, R. (1934). Die internationale Gerichtsbarkeit. In: Einführung in das Angewandte Völkerrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-28832-0_32
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