Retikulosen

Zusammenfassung

Der Begriff „Retikulose“ ist seit seiner Prägung im Jahre 1924 differenten Krankheitszuständen des reticuloendothelialen Systems (RES) zugeordnet worden. Letterer beschrieb damals einen an eine akute Leukämie erinnernden, aber aleukämisch verlaufenden Krankheitszustand bei einem Säugling, für den er die Bezeichnung Retikulose im Sinne einer proliferativen Erkrankung des reticuloendothelialen Apparates wählte. Ewald hat 1 Jahr davor eine „leukämische Reticuloendotheliose“ beschrieben. Degos bezeichnet auch heute noch die Letterer-Siwesche Krankheit als den reinen und kompletten Typ der akuten diffusen Retikulose des Säuglingsalters. In der pädiatrischen Literatur scheint diese Auffassung noch allgemein gültig zu sein (s. hierzu auch Althoff, 1967). Die Meinungen des Schrifttums der Pathologie und der Dermatologie gehen überwiegend dahin, die Letterer-Siwesche Krankheit als einen akuten entzündlichgranulomatösen Prozeß zu sehen, der trotz seiner infausten Prognose von den geschwulstartigen Krankheiten abgegrenzt werden soll (Gottron, Hornstein, Lennert, Feyrter). Die weitere Entwicklung der Retikuloseforschung ging jedoch nicht den Weg, der zur Abgrenzung klinisch gut darstellbarer Krankheitseinheiten führte, sondern dehnte sich fast bis ins Uferlose aus und versuchte um eine Zeit alles zu umfassen, was sich in irgendeiner Form im RES abspielt: Speicherungskrankheiten, Morbus Besnier-Boeck-Schaumann, granulomatöse Prozesse wie die Mycosis fungoides, die Lymphogranulomatose, das Retothelsarkom, ja sogar Krankheiten mit sicher bekannter Ätiologie wie die Tuberkulose wurden in den Begriff der Retikulosen eingegliedert. Es besteht kein Zweifel, daß es sich bei den erwähnten Prozessen um krankhafte Veränderungen handelt, die sich im RES abspielen. Es ist nicht zu verstehen, wie eine solche weitgehende Zusammenfassung heterogenen Geschehens zur ätiopathogenetischen Klärung der einzelnen Krankheitszustände beitragen könnte.