Zusammenfassung
Ebenso wie die experimentelle Physik beschäftigt sich die experimentelle Biologie ausgiebig mit den Eigenschaftsbeziehungen von Gebilden, die in einer genetischen Beziehung zueinander stehen. Wenn die Wachstumsvorgänge von Wurzel und Sproß oder die Bildung eines Organs verfolgt wird, wenn dem Reifungsprozesse eines Eies, den Furchungsvorgängen, überhaupt der Embryonalentwicklung nachgegangen wird, aber auch wenn die Vererbbarkeit von Eigenschaften auf Grund von Bastardierungen untersucht oder „reine Linien“ erzeugt werden, in allen diesen Fällen handelt es sich vor allem darum, die Eigenschaftsbeziehungen solcher Gebilde zu untersuchen, die in der Beziehung des existentiellen Auseinanderhervorgehens zueinander stehen. Der Darwinismus hat mit der Betonung des Abstammungsbegriffs, durch den er die Gleichheits- und Ähnlichkeitsbeziehungen begründet, zugleich die Existentialbezie-hung gegenüber diesen reflexiven Beziehungen in den Vordergrund geschoben. Die Embryologie, die Entwicklungsmechanik, kurz die gesamte Biologie, sofern sie sich mit phylogenetischen oder onto-genetischen Entwicklungsvorgängen morphologischer oder physiologischer Natur beschäftigt, geht vor allem auf Untersuchung biologischer Gebilde, die existentiell auseinander hervorgehen.
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Referenzen
Es handelt sich hier also nicht um die Gegenüberstellung von Substanz- und Funktionsbegriffen. Allerdings läßt sich auch eine fortschreitende Betonung der Funktionsbegriffe in der Biologie verfolgen. Auf sie braucht jedoch hier nicht näher eingegangen zu werden (vgl. A IV).
Da Mißverständnisse nicht zu befürchten sind, spreche ich in dieser Arbeit der Kürze halber von „genetischen“ Definitionen, wo es sich um Definitionen handelt, die den Begriff der Genese benutzen.
Nur wenn man unter „erklären“ das Hineinstellen in „hypothetische“ Zusammenhänge meint, könnte allenfalls von einer Rückkehr zur „Beschreibung“ im Sinne des Betonens beobachtbarer Bestimmungen die Rede sein.
Rickert, 1913, S. 401. Daß dabei der Auffassung, der Betrachtung der Geschehnisse eine wesentliche Rolle zugeschrieben wird, ändert nichts an diesem Sachverhalt, sind es doch eben reflexive Kategorien, auf die die Betrachtung sich richtet.
Allenfalls spielen funktionelle Abhängigkeitsbeziehungen eine Rolle, so bei der „metaphysisch-teleologischen Entwicklung“ S. 414.
Dieser Satz Drieschs (1911, S. 13) ist nur ein besonders deutliches Beispiel derartiger Begriffsbildung.
Vgl. auch den Begriff der „reinen Linie“ aïs der Nachkommenschaft eines wohlisolierten und selbstbefruchteten Individuums (Johannsen).
Z. B. in Harrisons Versuch über die Entwicklung der Seitenlinie bei Rana silvatica und palustris.
Z. B. bei Periklinalchimären und deren Stecklingen.
Z.B. von Schaxel (1915, S.2ff.). Die Methode ist zur direkten Feststellung von wirklichen Genidentitätßbeziehungen sinnlos. Sie stände in dieser Hinsicht entschieden hinter der Methode der Paläontologie, eine bestimmte stammesgeschichtliche Genidentität festzustellen, zurück. Denn die zeitliche Verschiedenheit gibt dort wenigstens Anhaltspunkte für mögliche Beziehungen des Auseinanderhervorgegangenseins.
Mit dieser Forderung, daß der gesuchte Begriff der zugrunde liegende Begriff der biologischen Genidentität sei, ist noch nicht gefordert, daß von dieser Relation auch in der Biologie der Satz 2 oder Satz 4a, S. 50 gelten muß.
Daß die Unterscheidung anorganischer von organischen Substanzen, d. h. von Kohlenstoffverbindungen, hieran nichts ändert, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Selbst wenn es gelingen sollte, rein physikalisch definierbare Eigentümlichkeiten festzustellen, die allen lebenden, aber keinem toten Gebilde zukommen, so wäre eine solche Erkenntnis doch immer nur durch eine physikalische vergleichende Untersuchung von Gebilden zu gewinnen, die von der Biologie bereits eindeutig als lebend oder tot bezeichnet wurden.
„Ganze wichtige Zellformen des Pflanzenkörpers üben ihre spezifische Funktion erst dann aus, wenn sie tot sind.“ (Küster, 1921, S. 36.)
Übrigens übersieht der Streit um den Charakter des Organismus als „Maschine“, daß die Anwendung des Begriffs der Maschine eine unphysikalische Auffassung toter Gebilde enthält.
Ich spreche hier vom jüngsten Schnitt und nicht vom jüngsten Glied, weil dieser Sachverhalt auch gilt, wenn eine Mehrzahl von Gliedern als jüngster Schnitt angesetzt wird.
Daß hier eigentlich nicht „zeitlich letzter“, sondern, wie bisher auch durchgeführt, generations jüngster Schnitt zu sagen wäre, wird noch betont werden.
Ganzgliedrigkeit und Fremdgliedrigkeit sowohl, wie Nichtganzgliedrig-keit und Gliedgemeinschaft der generationsjüngeren Schnitteile würde in diesen Fällen immer parallel laufen. Ich erwähne daher nur die Ganzgliedrigkeit.
Derselbe Sachverhalt in anderem Zusammenhang war uns bereits in der Notwendigkeit begegnet, unter gewissen Bedingungen Ergänzungen vorzunehmen, wenn man von einem 0-Schnitt in der Richtung auf generationsjüngere Schritte fortzuschreiten versucht. (Vgl. S. 80 f.)
Mathematische Untersuchungen von in so geringem Grade geordneten Mengen, die sich zur Bezeichnung der hier vorliegenden Unterschiede ohne weiteres benutzen ließen, gibt es, soviel ich sehe, noch nicht. Denn der Begriff der ‚teilweise geordneten Menge‘ (Hausdorf, 1914, S. 139) ist hier nicht treffend und gibt vor allem nicht den Unterschied zwischen der physikalischen und der Avalgenidentität überhaupt wieder.
Eine Einschränkung dieses Satzes, die aber das hier wesentliche Moment der Undichtigkeit nicht berührt, wird noch zu erwähnen sein (S. 139).
Daß hier die Beziehung „generationsälter“ und nicht „generationsjünger“ gewählt ist, liegt an dem Vorhandensein eines reihenjüngsten Schnittes.
Die Bezeichnung ‚benachbart‘ wird hier ganz im Sinne der Mengenlehre gebraucht, wo benachbarte Elemente dadurch definiert sind, daß zwischen ihnen kein weiteres Element der Menge liegt (vgl. Hausdorf, 1914, S. 83).
Eine diskrete Menge besteht also aus lauter „isolierten“ (Hausdorf, 1914, S. 221) Elementen; zu jedem ihrer Elemente gibt es ein „benachbartes“. Diskret oder „überall undicht“ ist nicht gleichbedeutend mit „nirgends dicht“ (Hausdorf, 1914, S. 251) und auch nicht identisch mit einer „zerstreuten“ Menge (Hausdorf, 1914, S. 85), da letztere im Gegensatz zu den diskreten Mengen auch Häufungspunkte besitzen kann.
Nicht also die Schnittglieder, sondern die Schnittabstände sind es, die nicht durch eine Querteilung zerlegbar sind.
Unter Individualentwicklung wird hier nicht nur die Embryonalentwicklung verstanden.
Dieser Sachverhalt ist für die Klärung der Schwierigkeiten wesentlich, die in der Stellung des Begriffs der Vererbung zum Begriff des zeitlichen Prozesses liegen (vgl. Schaxel, 1919, S. 59).
Die Generationen werden von den jüngeren zu den älteren Generationen (also im ganzen zeitlich rückwärts fortschreitend) gezählt.
Hier bewährt sich der Ansatz von (Math) als symmetrischer Relation (vgl. S. 78).
Das Beispiel in Abb. 17 widersprach zwar nicht der früher gegebenen Definition, wohl aber anderen angeführten Sätzen, so z. B. dem Satze, daß die Anzahl der Reihenglieder mit wachsendem Generationsalter nicht abnehmen kann.
Es ist gleichgültig, ob weiter zurück geschlechtliche oder ungeschlechtliche Fortpflanzung angenommen wird, da dann jedenfalls irgendwelche Zweige in verschiedenem Generationsabstand abbrechen müssen.
Dabei bleibt der Fortpflanzungsmodus vollkommen offen. Das Beispiel der Sprossung war lediglich der Einfachheit halber gewählt.
Statt dessen kann auch gesagt werden: das Bezugspunkt einer Avalbeziehung ist.
Die Gruppierung der folgenden Sätze hält sich nicht an ihre Reihenfolge im Text, sondern lehnt sich an die Zusammenstellung der Sätze über die physikalische „restlose Genidentität“ an. Die eingeklammerte Zahl am Ende jeden Satzes gibt seine Nummer im Text an.
Auf Einzelheiten dieses Problems wird noch einzugehen sein.
Für die verwandte Frage der Zugehörigkeit von Sperma und unbefruchtetem Ei zu derselben Individualentwicklung, der das befruchtete Ei angehört, vgl. S. 140 f.
Ob eine solche Pflanze als ein organismisches Individuum anzusehen ist. braucht hier nicht erörtert zu werden. Vgl. hierzu Fritsch 1920, S. 616.
Entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch verwende ich die Bezeichnungen „älter“ und „jünger“ bei der Individualentwicklung zeitlich umgekehrt wie bei den Generationen der Avalreihen.
Daß auch die Physik den nicht-summenhaften Ganzheitsbegriff verwendet, betont Köhler, 1920.
Man könnte hier an Stelle des Alters zunächst auch die Zeit als Ordnungsprinzip benutzen.
Um Umständlichkeiten zu vermeiden, verwende ich hier eine nicht ganz exakte Formel.
a ⋅ b bezeichnet in der Mengenlehre den „Durchschnitt“ (gemeinsamen Teil) der Mengen a und b.
Vgl. zum Begriff des Todes und zur Beziehung von Organismus und Lebensbegriff auch Schneider, 1912; Doflein, 1919, und Slotopolsky, 1920.
Die „Relativität“ der Abgrenzung bedeutet jedoch keineswegs, daß es sich hier um eine willkürliche, nicht rein sachlich (z. B. durch den Grad der funktionellen Abhängigkeit) bestimmte Einheitlichheit handelt.
Für die Beziehung, die die z. B. in der Uran-Radiumreihe herrschende Verwandtschaftsrelation zum Begriff der Genidentität hat, vgl. Lewin, 1920, wo auch die anderen Begriffe dieses Kapitels ausführlicher erörtert werden.
Naef (1919, S. 35) spricht hier von „Formverwandtschaft“, Tschulok (1910, S. 188) von „systematischer Verwandtschaft“.
Johannsen, 1913, S. 210, sagt: „Verwandtschaft, äußere Ähnlichkeit und innere fundamentale Konstitution sind jedenfalls teilweise voneinander so unabhängig-, daß es ganz unsicher ist, von einer dieser Sachen auf die andere zu schießen.“
Vgl. O. Hertwig 1916, S. 74; Poll 1920, S. 430 und Lewin 1920, S. 11 u. 18f.
Auch Poll, der diesen Schluß als vorläufigen noch anwendet und daher z. B. dimitotische Steironothie mit Deutophylie gleichsetzt (1910, S. 424), betont diesen Sachverhalt ausdrücklich, wenn er ausführt (1920, S. 432): „Denn wir kennen vorläufig (bei P. gesperrt) keinen anderen Weg, gemeinsame Erbradikale zu erwerben, als den gemeinsamer genealogischer Beziehungen“.
Vgl. Poll 1920, S. 426.
Es sind noch andere Darstellungsweisen denkbar, die aber ebenfalls auf Ungereimtheiten stoßen.
Ich spreche hier von „Zeit“ schnitten, obgleich es nicht ganz deutlich ist, ob es sich wirklich um Zeitschnitte handelt. Wesentlich für den Typus dieser Genidentitätsreihen ist jedenfalls ihre Kontinuität.
Dies war für O. Hertwig die Veranlassung zur Aufstellung des genealogischen Netzwerkes.
Man spricht von „Isophylie“ (Poll, 1920, S. 439).
Die roten Längsstriche in dieser und in den folgenden Abbildungen stellen stammzugehörige (unter einander blutsverwandte) Individuen dar.
In den Abbildungen 39–42 stellen die dicken schwarzen Längsstriche die Stammureltern, die dünnen schwarzen Längsstriche die übrige Elternschaft dar.
Die „Stammindividuen“ sind durch schwarze wagerechte Linien verbunden, die Glieder der Stammindividuen rot wiedergegeben.
Daraus folgt dank der Kontinuität der Stammreihen sogleich, daß es eine unendliche Menge derartiger Schnitte gibt, nämlich die Schnitte einer mit dem Kreuzungspunkt zusammenhängenden, wenn auch beliebig kurzen Reihenstrecke.
Dieser Ausdruck meint hier nur das „Historische“, nicht das spezifisch „ Kulturbistorische“.
Von Kreuzungen allerdings läßt sich hier wohl nur im Falle des Verschmelzens von Zellen im Organismus sprechen. Im übrigen treten nur Spaltungen auf.
Vgl. weitere Beispiele bei Küsten, 1921, S. 24.
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Lewin, K. (1922). Die genetischen Reihen in der Biologie. In: Der Begriff der Genese in Physik, Biologie und Entwicklungsgeschichte. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-26457-7_3
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