Zusammenfassung
Eine solche Korrektur des Vorsatzbildes ist de lege ferenda ohne weiteres zulässig. Die kriminalpolitische Untersuchung kann und soll mit Selbstverständlichkeit vom neuesten Stand der psychologischen Forschung ausgehen und die Vorsatzgrenze so ziehen, wie es danach am sinnvollsten und zweckmäßigsten erscheint. Die spezifisch normative Aufgabe besteht hier lediglich in der Erarbeitung einer richtigen, vernünftigen Zielsetzung. Ist man sich darüber im klaren, welche realen Vorgänge man unter dem Titel des Vorsatzes erfassen will, so ist es nur noch eine technische Frage, wie man den Vorsatzbegriff im einzelnen zu gestalten hat, um ihm gerade wieder die als besonders strafwürdig erkannten Fälle subsumieren zu können. Ihre Lösung erfordert nur noch die genaue Kenntnis der psychischen Struktur jener Verhaltensweisen und das entsprechende psychologische Vokabular, das eine präzise Definition ermöglicht 1 Ergibt die Formel vom „Bedenken und Beschließen sämtlicher Tatumstände“ keine wertgerechte Grenze, so wird sie eben gemäß dem neuen psychologischen Menschenbild zu modifizieren sein.
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Der normative Charakter einer solchen Begriffsbildung ist mit der wertenden Grundentscheidung gegeben. Gewiß kann die Tauglichkeit des Vorsatzbegriffs zur Erreichung eines bestimmten kriminalpolitischen Erfolgs in eine Beziehung von Ursache und Wirkung aufgelöst und damit kausalwissenschaftlich überprüft werden; vgl. Albert, ZStW. 112, S. 426. Es wird dabei aber doch vorausgesetzt, daß ein solcher Erfolg erzielt werden soll, und das impliziert zwangsläufig ein Werturteil. S. Kelsen, What is Justice? S. 389. Hierbei wird es von dem erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt abhängen, ob man für dieses Werturteil das Attribut echter wissenschaftlicher Erkenntnis beanspruchen will oder nicht. Vgl. dazu Grünhut, Frank-Festgabe I, S. 2 ff., und neuerdings Albert, aaO. S. 410 ff.
Vgl. Klug, Juristische Logik, 1. Aufl. S. 91, 93, 95, und in Festschrift Emge, S. 38 ff. Die dogmatischen Aussagen sind daher im Gegensatz zu den kriminalpolitischen auch nach subjektiver Wertlehre prinzipiell wahrheitsfähig und intersubjektiv überprüfbar, weil sie gemessen am Gesetz entweder richtig oder unrichtig sein müssen. Dabei sind freilich oft die hinter dem Gesetz stehenden Kulturnormen mit heranzuziehen. Vgl. Nowakowski, Grundzüge, S. 34, und SchwZStr. 1950, S. 310 ff., Rittler, Lehrbuch I, 2. Aufl., S. 93, 118, und ZStrW. 49, S. 462, 465, Anm. 40, Schwinge, Der Methodenstreit S. 22 f.; kritisch dazu Heinttz, ASJ-Mitteilungen, 2. Jg., Heft 1, S. 9. Zur erkenntnistheoretischen Struktur solcher Werturteile ausführlich Kraft, Die Grundlagen einer wissen-schaftl. Wertlehre, 2. Aufl., S. 258 f., 262 f.
Vgl. § 6 ABGB; Nowakowski, Grundzüge, S. 31, Enneccerus-Nipperdey, Allgem. Teil des bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., S. 331 ff.; Wolff, in Klang, Kommentar I, 2. Aufl., S. 90 f.
Vgl. dazu Sax, Das strafrechtliche „Analogieverbot“, S. 99 f.
Lehrbuch I, 2. Aufl., S. 190; vgl. auch ÖZStr. 8, S. 332.
Vgl. Schmidhäuser, GA. 7958, S. 167, Anm. 10.
Zur formallogischen Struktur des Analogieschlusses Sax, aaO. S. 97 ff., und Pisko, in Klang, Kommentar I, 1. Aufl., S. 124.
Germann, Methodische Grundfragen, S. 67, 120 f., SchwZStr. 61, S. 175, Kommentar I, S. 63 f.; Waiblinger, in Rechtsquellenprobleme, S. 254 f.; Schönke, Kommentar, 6. Aufl., S. 45; vgl. auch Sax, aaO. S. 94 ff., und Hafter, SchwZStr. 1947, S. 138.
Dazu Sax, aaO. S. 15 ff., 92; Waiblingen aaO. S. 236 ff., 256 ff.; Germann, Kommentar I, S. 63 ff.
Schönke, aaO. S. 45, und Graven, SchwZStr. 1951, S. 396 ff., der danach die „interprétation analogique“ von der „création analogique“ unterscheidet. Vgl. auch Altmann, in Altmann-Jacob, Kommentar I, S. 18, und Mannheim, Criminal Justice, S. 210.
Nach Sax, aaO. S. 140 ff. und in Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte III/2, S. 1002, Anm. 292, ist Analogie nur im Rahmen der teleologischen Auslegung überhaupt möglich. Er gelangt zu dieser Auffassung, weil er das Maßprinzip für den Rechtsähnlichkeitsvergleich von vornherein nur dem teleologisch ermittelten Gesetzessinn des Rechtssatzes entnehmen will, dessen Erstreckung auf den nicht ausdrücklich geregelten Fall erwogen wird. Dagegen Waiblinger, aaO. S. 254 f., der mit Recht darauf hinweist, daß Analogie im Sinne der Formallogik immer vorliege, sobald ein formallogisches Schlußverfahren auf irgendeiner Ähnlichkeitsrelation aufbaut — was freilich nicht hindere, daß die Grenzen der im Strafrecht zulässigen Analogie doch teleologisch bestimmt sein könnten.
Wolff, aaO. S. 102, Pisko, aaO. S. 128, Enneccerus-Nipperdey, aaO. S. 340, Rittler, Lehrbuch I, 2. Aufl., S. 33, der freilich betont, daß die Grenzen zwischen Auslegung und Analogie oft verfließen, Lohsing-Serini, Strafprozeß-recht, 4. Aufl., S. 33 und 35; vgl. auch Malaniuk, aaO. S. 36 ff., 40.
Vgl. Pisko, aaO. S. 127, Wolff, aaO. S. 102, Rittler, aaO. S. 33, Nowakowski, Grundzüge S. 32.
Wolff, aaO. S. 102, Pisko, aaO. S. 127, Enneccerus-Nipperdey, aaO. S. 335.
So Wolff, aaO. S. 102; ähnlich auch schon Pisko, aaO. S. 106.
So Rittler, aaO. S. 33, und SchwZStr. 46, S. 44; vgl. Schröder, Kommentar, 11. Aufl., S. 53 ff. aber auch S. 62. Aus dem älteren Schrifttum z. B. Finger, Strafrecht I, 3. Aufl., S. 260, Janka-Kallina, Das österr. Strafrecht. 4. Aufl., S. 40 f., Stooss, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 64, der auch schon jede extensive Interpretation ablehnt.
Zum Umfang des Analogieverbotes näher Nowakowski, Grundzüge S. 33; zu Art. 103 Abs. 2 BGG. im besonderen Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, 5. 31 ff. Wohl zu weitgehend Maurach, aaO. S. 87.
Pisko, aaO. S. 106, Nowakowski, aaO. S. 31, 33, Rittler, Lehrbuch I, 2. Aufl. S. 32.
So Enneccerus-Nipperdey, aaO. S. 335. Vgl. auch Pisko, aaO. S. 106. Nach Rittler, aaO. S. 33, ist Analogie und nicht mehr Auslegung anzunehmen, wenn eine Entscheidung im Wortlaut des Gesetzes „gar keine Stütze mehr“ findet.
Vgl. oben S. 15 ff.
Zur Notwendigkeit einer solchen Auslegung „aus dem Zusammenhang“ Rittler, aaO. S. 31 f., Nowakowski, Grundzüge S. 31 ff., Wolff, aaO. S. 91 ff., Pisko, aaO. S. 112, Enneccerus-Nipperdey, aaO. S. 334.
Mezger, LK. I, 8. Aufl., S. 370; vgl. Welzel, aaO. S. 132 f.
Rittler, aaO. S. 181; vgl. schon Jenull, aaO. S. 95, der die Zurechnungs-fähigkeit verneint, wenn durch den Affekt „alle Wirksamkeit des Erkenntnisvermögens ausgeschlossen und daher eine (vorübergehende) Geistesverwirrung erzeuget ist“; auch S. 255.
Mezger, aaO. S. 364.
Sperrungen vom Verf. — Mit KH. 4282 zum Teil wörtlich übereinstimmend ÖR. 720. Ähnlich will auch die italienische Strafrechtswissenschaft in Anbetracht der Regelung des Art. 90 cod. pen. den Ausschluß der Zurechnungsfälligkeit nur bei krankhaft bedingten stati emotivi о passionali annehmen. Vgl. Bettiol, aaO. S. 334.
Vgl. auch KH. 3305, 2768.
Dem entspricht es, wenn RZ. 1957, S. 22, erklärt, durch Alkoholeinwirkung hervorgerufene völlige Enthemmung sei noch keine Volltrunkenheit.
Vgl. auch JBl. 1956, S. 104, EvBl. 1949, Nr. 685, RZ. 1937, S. 157.
Vgl. Hadamik, MonKrim. 1953, S. 11; z. T. abweichend Mikorey, Mon-KrimBiol. 1938, S. 444.
Vgl. BGHSt. 7, 235.
Z. B. BGHSt. 3, S. 194, und OGHSt. 3, S. 80 und 82.
Keller, Psychologie und Philosophie des Wollens, S. 189 f., Stumpfl, Motiv und Schuld, S. 48 ff. — Die Grenzform des Wollens hat schon Gessler, Begriff und Arten des dolus, S. 110 f., erkannt und herausgestellt, wenn er vom dolus repentinus sagt, hier beruhe „schon das Wollen der bestimmten äußeren Wirksamkeit auf einem Sichhinreißenlassen von der augenblicklichen Empfindung des Affekts, welcher, weil er ein Sich-Lassen ist, die Zurechnung zum Vorsatz nicht ausschließt, zugleich aber als ein Sich-Hingeben an ein äußerlich an das Subjekt Herzutretendes einen weniger bloß durch sich selbst bestimmten Willen bekundet“.
Vgl. Undeutsch, Zurechnungsfähigkeit bei Bewußtseinsstörung, S. 134 ff., Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 43. Für die Moraltheologie, bei der ähnliche Probleme wiederkehren, treffend Roberti, Dizionario, S. 980 f.
Nach Witter, Kriminalbiol. Gegenwartsfragen V, S. 91, ist die Frage empirisch und wissenschaftlich nicht zu lösen, sondern bleibt ein Problem der richterlichen Wertung.
Vgl. schon Jenull, aaO. S. 81, der bereits 1837 ausdrücklich betonte, daß es zur „Wesenheit“ des bösen Vorsatzes genüge, wenn er „bey der Unternehmung oder Unterlassung, wenn auch in leidenschaftlicher Hitze, gefaßt worden sey“. S. auch Maurach, aaO. S. 208, Welzel, aaO. S. 156, und § 88 des Deutschen Entwurfs 1962.
Vgl. oben S. 31 ff.
So KH. 4282; oben S. 45 f.
Die Problematik der wissenschaftlichen Verifizierung der Werturteile, die bei der teleologischen Begriffsbildung erforderlich werden, ist gerade jüngst wiederholt herausgestellt worden. Wie Kraft, aaO. S. 263 f., gezeigt hat, lassen sich auch „objektive“ Werturteile, die also auch nach subjektivistischer Auffassung das Prädikat wissenschaftlicher Erkenntnis beanspruchen können, häufig nur auf Grund einer wertenden Stellungnahme des Urteilenden selbst verifizieren. Vgl. dazu auch Rittler, aaO. S. 93, und ZStrW. 49, S. 465, Anm. 40, Sax, Das sogenannte Analogieverbot, S. 43, 63 ff. (Auslegung nie gegen Eigenwertung völlig gefeit), Heinitz, aaO. S. 7 ff. (Jurist vielfach auf den Anruf des Gewissens angewiesen), auch Wieacker, JZ. 1961, S. 345, und Burckhardt, Methode und System des Rechts, S. 97. A. A. offenbar Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S. 63 ff., der sich dazu auf das „volitiv-emotionale Denken“ beruft.
Zur Entstehungsgeschichte des § 1 StG. ausführlich Hoegel, Geschichte des österreichischen Strafrechts, S. 136 ff.
Nach Jenull, aaO. S. 1 (1837), ist „Mangel an Einsicht“ neben dem Mangel an „rechtsgemäßem Willen“ die wichtigste Quelle des Verbrechens überhaupt.
Psychoanalyse und Persönlichkeit, S. 138.
Vgl. Hoegel, aaO. S. 138.
Nowakowski, Verhandlungen des 1. österr. Juristentages II/6, S. 79, weist darauf hin, daß sogar noch der Gesetzgeber des Jahres 1873 den Menschen vor Augen hatte, „der nur von seinem Verstand und von seinem sittlichen Pflicht-bewußtsein gesteuert wird“. So gewinnt, isoliert gesehen, wohl auch § 59 StGB, bei historischer Auslegung denselben Sinn wie § 1 StG. bei wörtlicher Interpretation, denn es besteht kein Grund zur Annahme, daß sich der deutsche Gesetzgeber des Jahres 1871 über die damals noch herrschende rationalistische Anschauung des Menschen erhoben hätte.
Vgl. Antolisei, Diritto penale I, S. 548: „Ormai sono pochi coloro che ritengono vincolative per l’interprete le concezioni dottrinarie dei compilatori delia legge“. Was für die rechtsdogmatischen Auffassungen gilt, muß umso mehr auf die übrigen zeitgebundenen Anschauungen zutreffen.
Vgl. Würtenberger, aaO. S. 31.
Droit international pénal I, Motto.
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Platzgummer, W. (1964). Das gesetzliche Vorsatzkriterium als Objekt der Auslegung. In: Die Bewußtseinsform des Vorsatzes. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-26331-0_4
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