Zusammenfassung
Bekanntlich haben die Vertreter des klassischen Neopositivismus zu zeigen gesucht, daß die Fragen der traditionellen Metaphysik nur Scheinprobleme, ihre Behauptungen nur sinnlose Wortfolgen“ darstellen. Der „Wiener Kreis“ war sich auch darüber im klaren, daß die metaphysischen Lehren ihren unbestreitbaren geschichtlichen Erfolg nicht ihrer Wahrheit oder wissenschaftlichen Fruchtbarkeit zu verdanken haben, sondern außertheoretischen Motiven, nämlich ihrer emotionalen Wirkung und ihrer Brauchbarkeit als Mittel praktischer Menschenführung. Aus Gründen, die vor allem in der fachlichen Vorbildung und der Interessenrichtung der meisten Angehörigen jener Gruppe von Denkern liegen, ist es jedoch damals zu keiner eingehenderen Untersuchung dieser Motive gekommen. So bedurfte und bedarf die vor allem vom wissenschaftslogischen Standpunkt ausgehende Kritik an den mythischen und metaphysischen Weltdeutungen und Selbstinterpretationen einer Ergänzung durch deren historisch-soziologische und psychologische Analyse1 — eine Analyse freilich, die immer auch die systematische, wissenschaftstheoretische Problemlage im Auge behält und weiter zu klären sucht.
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Literatur
Versuche einer solchen Analyse sind u. a. meine Arbeiten: Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien 1958; Seelenglaube und Selbstinterpretation, in: Arch. Phil. 9, 1959, S. 1 ff.; Die platonisch-aristotelischen Seelenlehren in weltanschauungskritischer Beleuchtung. Sitzungsberichte der Österr. Akademie der Wissenschaften, Philos.-Histor. Klasse 233/4, 1959.
Die detaillierten Unterlagen für die folgende Skizze habe ich in den in Anm. 1 genannten Arbeiten gegeben.
Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien 1958.
Vgl. hiezu besonders: Seelenglaube und Selbstinterpretation, a. a. O., S. 14 ff., 22 ff.
Vgl. H. Kelsen: Platon und die Naturrechtslehre. Österr. Z. öff. Recht 8, 1957, S. 3.
G. W. Leibniz in einem Brief an Conring (Die philosophischen Schriften, hrsg. von C. J. Gerhardt, I. Bd., Berlin 1875, S. 196/97). Diese Vorstellung hat noch lange Zeit stark nachgewirkt. Vgl. A. Ellegard: Darwin’s Theory and Nineteenth Century Philosophies of Science, im Sammelband „Roots of Scientific Thought“ ed. by Ph. P. Wiener und A. Noland, New York 1957, S. 564: „Many writers... insisted that the law itself had to be seen as an expression of God’s will.“
Vgl. O. W. Haseloff und H. Stachowiak: Physik im sozialkulturellen Spannungsfeld, im Sammelband „Grundfragen und Fortschritte der Physik“, hrsg. von den Genannten, Berlin 1958, S. 16, Anm. 2.
Diese Problematik zeichnet sich bereits in dem Briefwechsel zwischen Leibniz und Clarke ab. Vgl. A. Koyré: From the Closed World to the Infinite Universe, Baltimore 1957, S. 235 ff.
C. Guastella: Filosofia della metafisica (Saggi sulla teoria della conoscenza II 1,2), Palermo 1905, Bd. I, S. 131. Vgl. E. Rignano: The Psychology of Reasoning, London 1923, S. 231.
Diesen Prozeß umschreibt C. Guastella (a. a. O., Bd. I, S. 135) sehr treffend: „Tale è effettivamente il processo per cui la teologia trascendentale giunge al suo concetto della divinità: la stoffa per quest’idea è presa in noi stessi (antropomorfismo) ; il lavoro della teologia trascendentale consiste a sopprimere certe qualità della natura umana, che è servita da tipo primitivo, — conservando quelle che è più vantaggioso di avere che di non avere, ed esten-dendo ciascuna di queste per mezzo dell’idea dell’infinito, cioè facendo della potenza la potenza infinita (onnipotenza), della conoscenza la conoscenza infinita (onniscienza), della saggezza la saggezza infinita, o, corne si dice più ordinaria-mente, assoluta, ecc. Tra i misteri della teologia quelli che passano per dottrine filosofiche... sono dovuti in gran parte a questo processo.“
H. A. Wolfson: Philo, Bd. II, Harvard UP 1948, S. 94 ff., bes. 126 ff.
E. Rignano, a. a. O., S. 231.
Th. Ribot: La logique des sentiments, Paris 1905, S. 129 (abstraits émotionnels).
Dies gilt aber auch für das Attribut der Weisheit, vgl. J. St. Mill: Über Religion. Drei nachgelassene Essays, dt v. E. Lehmann, Berlin 1875, S. 148: „Weisheit und verständige Veranstaltung zeigen sich in der Überwindung von Schwierigkeiten und bei einem Wesen, für welches es keine Schwierigkeiten gibt, ist kein Raum dafür.“ In welchem Maße die Paradiesesvorstellungen nur als Gegenbegriffe gegen reale Versagungen möglich sind, betont W. E. Mühlmann: Chiliasmus, Nativismus, Nationalismus, im Sammelband: „Soziologie und moderne Gesellschaft“, Verhandlungen des Vierzehnten Deutschen Soziologentages, Stuttgart 1959, S. 241: „Erschütternd ist die geistige Armut der Vorstellungen von einem irdischen Paradiese, weil alle daselbst ersehnten Werte: —ewige Jugend, Freisein von Krankheit und Leid, keine Mühe und Arbeit mehr, Freuden im Überfluß — ja Knappheitsbegriffe sind, d. h.: Werte nur durch ihren gelebten Kontrast zum überwiegenden Gegenteil, ohne den sie selbstwidersprüchlich werden, sich selbst aufheben.“
Daß durch eine solche Vernebelung die aus dem Mythos übernommenen Widersprüche verschleiert werden, betont auch E. Rignano, a. a. O., S. 233: „But the almost complete unintelligibility of these entirely dematerialized attributes, and the great elasticity which they consequently possess, always allow the metaphysical dialectician to try to present them as not incompatible with each other.“ — Vgl. C. K. Ogden und I. A. Richards: The Meaning of Meaning, 10. ed., London 1956, S. 40 ff.
Zur sprachlogischen Kritik dieses Ausdruckes vgl. W. Stegmüller, oben, S. 171 f.
S. Weinberg: Erkenntnistheorie, Berlin 1930, S. 83.
E. Poznanski und A. Wundheiler: Pojecie prawdy na terenie fizyki (Der Wahrheitsbegriff in der Physik), in der Festschrift für T. Kotarbinski, Warschau 1934, S. 138/39. Daß die Frage nach der „absoluten“ Wahrheit in der konkreten Forschungsarbeit keine Rolle spielt und — wenn man sie ernst nähme — sogar alle Erkenntnistätigkeit lähmen würde, betont mit Recht Ch. Perelman: Self-Evidence and Proof. Philosophy 33, 1958, S. 9: „But the life of the mind does not, in actual fact, oscillate thus between an absolute certainty and an absolute doubt. We should tend to think, on the contrary, that the very fact of being faced with such a choice would itself destroy the very possibility of our having any intellectual life. For this life requires the assumption that there are reasons which can be found for undertaking to believe something without these reasons being so dazzlingly self-evident that the propositions believed in stamp themselves as truths on the mind of any rational being who attentively studies them.“ Im übrigen wäre zu bemerken, daß die „Absolutheit“ in der Regel gerade nicht für die bestgesicherten Erkenntnisse in Anspruch genommen wird, sondern für oft höchst problematische Behauptungen, zumal wenn diese emotional bedeutsam oder mit praktischen Interessen verknüpft sind.
Vgl. E. Topitsch: Seelenglaube und Selbstinterpretation, a. a. O., S. 24 ff.
H.-J. Schoeps: Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis, Tübingen 1956, S. 37 ff.
S. Hutin: Les gnostiques, Paris 1959, S. 25, Anm. 1.
Zur Bedeutung des Begriffes der „Entfremdung“ für die spätantike Gnosis und die von ihr ausgehenden Traditionen vgl. J. Taubes: Abendländische Eschatologie, Bern 1947, S. 26 ff.
Wertvolle Beobachtungen darüber bei J. Taubes, a. a. O., S. 85 ff., und H. Leisegang: Denkformen, 2. Aufl., Berlin 1951, S. 158 f., 172 ff.
Des gnostischen Hintergrundes der deutschen spekulativen Philosophie war man sich in Tübingen noch nach dem Tode Hegels genau bewußt, vgl. das wichtige Werk von F. Chr. Baur: Die christliche Gnosis oder die christliche Religions-Philosophie in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Tübingen 1835. — Später ist dieser Sachverhalt so gut wie völlig in Vergessenheit geraten, und es ist wohl kein Zufall, daß es gerade ein Russe war, der aus der Kenntnis der neuplatonisch-gnostischen Traditionen seines Landes auf jene Tatsachen wieder hingewiesen hat, nämlich D. Cizevski: Hegel bei den Slaven, Reichenberg 1934, S. 146 f.; eine gründliche Untersuchung der erwähnten Überlieferungen bietet R. Schneider: Schellings und Hegels schwäbische Geistesahnen, Würzburg 1938.
E. Benz: Johann Albrecht Bengel und die Philosophie des deutschen Idealismus. Deutsche Vierteljahresschrift f. Literatur und Geistesgeschichte 27, 1953, S. 528 ff.
E. Benz: Die christliche Kabbala, Zürich 1958. — Die Zusammenhänge mit jenen Strömungen sind bei Schelling besonders offenkundig; vgl. E. Benz: Schellings theologische Geistesahnen. Abhandlungen d. Akademie d. Wissenschaften u. d. Literatur in Mainz, Geistes- u. sozialwiss. Kl., Abh. 3, 1955, und W. A. Schulze: Schelling und die Kabbala. Judaica 13, 1957, S. 65–99, 143–170, 210–232.
R. Schneider, a. a. O., S. 86.
R. Schneider, a.a.O., S. 71, 120, 129.
H. Nohl: Hegels theologische Jugendschriften, Tübingen 1907, S. 345 ff. Th. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk, Bd. I., Leipzig-Berlin 1929, S. 536 ff., bes. S. 562 ff. — Vgl. auch P. Rossi: La dialettica hegeliana, in dem Sammelband: „Studi sulla dialettica“, Torino 1958, bes. S. 181 ff.
Vgl. F. Chr. Baur, a.a.O., S. 668 ff., bes. S. 675 ff., S. 680: „Was Hegel von dem Verhältnis des endlichen Geistes zur Natur sagt, daß es kein festes sei, der endliche Geist dieses Verhältnis zur Natur aufheben, den Prozeß an ihm selbst durchmachen oder manifestieren müsse, daß er göttlichen Geistes ist (Phil, der Rel., Th. II, S. 252), gilt in demselben Sinne von der Natur und Bestimmung der Pneumatischen der gnostischen Systeme, und wenn der endliche, im Widerspruch mit sich selbst begriffene Geist sich nur dadurch vom Nichtigen befreien, und zu sich selbst, zu sich in seiner Wahrhaftigkeit, erheben kann, daß er in seinen Grund zurückgeht, so ist dieses Zurückgehen in den Grund in den gnostischen Systemen klar darin ausgesprochen, daß in demselben Verhältnis, in welchem das Pneumatische, der von der Sophia auf verborgene Weise mitgeteilte Lichtsame, von seiner Gebundenheit sich befreit, und sich zur Selbständigkeit erhebt, das Psychische als das Unwahre erscheint, das zuletzt in seiner Nichtigkeit und Negativität völlig verschwindet... Die Erhebung des Geistes zu sich ist das Hervorgehen der Religion, und je mehr die Religion von der Vernunft... in sich aufgenommen wird, desto gewisser ist sich der Geist seiner Versöhnung, seiner Freiheit, seiner Rückkehr zum absoluten Geist... (S. 681).... Die Verwandtschaft der Hegeischen Religions-Philosophie mit der alten Gnosis, wie sie hier klar vor Augen liegt, besteht demnach vor allem hauptsächlich darin, daß es hier wie dort derselbe Prozeß ist, durch welchen der absolute Geist sich mit sich selbst vermittelt, der Prozeß des Sich-Unterscheidens, Dirimierens und In-sich-Zurückgehens, in den drei Momenten des An-sich, Für-sich- und Bei-sich-seins.“ Die Zusammenhänge zwischen der gnostischen Auffassung des Weltprozesses als eines Dramas von Fall und Erlösung und der Dialektik Hegels sind hier vollkommen einsichtig gemacht.
G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, passim. — Zur Bedeutung des Begriffes der „Entäußerung“ für die Phänomenologie des Geistes vgl. G. Lükacs: Der junge Hegel, Berlin 1954, S. 611 ff.
P. Bernays: Zum Begriff der Dialektik. Dialectica 2, 1947, S. 172,
spricht mit Recht von einem „Gefühl der Unbefriedigung darüber, daß trotz der mannigfachen Ausführungen, welche sich an den Terminus ‚Dialektik‘ knüpfen, dennoch über die beabsichtigte Anwendung dieses Terminus und über das Verhältnis dieser Anwendung zu den historisch vorliegenden Verwendungen des Wortes keine hinlängliche Deutlichkeit erreicht wird.“ — Vgl. H. Leisegang, a.a.O., S. 185, Anm. 1: „Die (sc. dialektische) Methode selbst eindeutig zu schildern, ist weder Hegel selbst noch einem anderen gelungen.“ Sinngemäß gilt dies auch für Karl Marx und die marxistische Dialektik. — Auch die neueste Darstellung, R. Heiss : Wesen und Formen der Dialektik, Köln-Berlin 1959, bringt nicht viel Klarheit und nimmt mit Recht daran Anstoß, daß die Dialektik in ihrer bisherigen Gestalt kein Instrument kontrollierbarer Wahrheitsfindung darstellt: „Das letzte Wort über das dialektische Denken ist noch
nicht gesprochen. Noch bewegt es sich im Rahmen eines konstruktiven und universalen Denkens, welches es mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt. Aber welchen Begriff der Wahrheit man auch zugrunde legen mag, so gibt es doch kein wissenschaftliches Denken, das nicht ständig bemüht ist, diesen Begriff zu kontrollieren. Diesem Anspruch wird sich auch die Dialektik nicht entziehen, sofern sie sich als Instrument des Wissens bewähren und weiterentwickeln will“ (S. 183).
J. Taubes, a. a. O., S. 35, hat das klar ausgesprochen: „Die dialektische Logik.... bestimmt sich von der Frage nach der Macht des Negativen, wie sie in der Apokalyptik und Gnosis gestellt ist. In der Apokalyptik und Gnosis liegt der Grund zu der vielbesprochenen, aber selten verstandenen Logik Hegels. Der Zusammenhang zwischen apokalyptisch-gnostischer Ontologie und Hegelscher Logik ist nicht künstlich und nachträglich hergestellt.“ Die oben in den Anm. 23–25 angeführte Literatur bestätigt diese Auffassung.
V. Kraft: Mathematik, Logik und Erfahrung, Wien 1947, S. 113 f.
K. R. Popper: What is Dialectic? Mind 49, New Series, 1940, S. 403 ff., S. 410: „From two contradictory premises, we can logically deduce anything, and its negation as well. We therefore convey with such a contradictory theory — nothing. A theory which involves a contradiction is entirely useless, because it does not convey any sort of information.“ We therefore convey with such a contradictory theory — nothing.(Kursiv im Original.)
G. A. Wetter: Der dialektische Materialismus, 4. Aufl., Wien 1958, S. 607 f., 623.
K. R. Popper, a. a. O., S. 404 f. — Hegel und Marx, aber auch manche neuere Forscher haben mitunter die Dialektik zur Gewinnung belangvoller Einsichten fruchtbar gemacht; sie sind aber von ihr auch oft genug irregeführt worden.
L. Gumplowicz: Der Rassenkampf, Innsbruck 1883, S. 10 f. — Im anschließenden Abschnitt bringt der Verfasser verschiedene Beispiele.
Zum Begriff und der wissenschaftstheoretischen Tragweite der Falsifizierbarkeit vgl. K. R. Popper: Logik der Forschung, Wien 1935.
G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Vorrede, I, 1.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Dialektik näher zu präzisieren. Zumal die sowjetische Staatsscholastik (zum Begriff der Staatsscholastik vgl. P. Honigsheim: Über die sozialhlstorische Standortgebundenheit von Erziehungszielen, in dem Sammelband: „Schule und Erziehung“, hrsg. von O. W. Haseloff und H. Stachowiak, Berlin 1960, S. 41 ff.) mußte sich bemühen, aus den in den Schriften der marxistischen Klassiker verstreuten Bemerkungen eine faßliche und für Lehrbücher geeignete Formulierung dessen zu fabrizieren, was unter Dialektik zu verstehen sei. So hat J. W. Stalin in seiner Schrift „Über dialektischen und historischen Materialimus“ vier „Grundzüge der marxistischen dialektischen Methode“ aufgestellt: 1. Der allgemeine Zusammen-hang-zwischen den Erscheinungen in Natur und Gesellschaft; 2. Bewegung und Entwicklung in Nater und Gesellschaft; 3. Entwicklung als Übergang quantitativer Veränderungen in qualitative (im dialektischen „Sprung“); 4. Entwicklung als Kampf von Gegensätzen. Doch selbst diese höchst vagen Formulierungen wurden — im Sinne der Rechtfertigungsfunktion der Staatsscholastik — dahingehend eingeschränkt, daß der „Sprung“ in der sozialistischen Gesellschaft nicht mehr in Form einer „gewaltsamen Umwälzung“ vor sich gehe. — Übrigens scheint im „dialektischen Materialismus“ auch der Begriff_der Materie in einer Weise gefaßt zu sein, daß er vom Standpunkt der Naturwissenschaften leer ist, d. h., daß er an jede mögliche naturwissenschaftliche Erkenntnis angepaßt werden kann, vgl. G. A. Wetter, a. a. O., S. 336 ff. — Die Frage, wie weit der „Diamat“ überhaupt ein Aggregat von Leerformeln darstellt, müßte zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung gemacht werden. Treffende Beobachtungen dazu bei E. Boettcher: Die sowjetische Wirtschaftspolitik am Scheidewege, Tübingen 1959, S. 111 ff., 210 ff., sowie bei A. Malewski: Der empirische Gehalt der Theorie des Historischen Materialismus. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 11, 1959, S. 281 ff.
T. D. Weldon: The Vocabulary of Politics, London 1953 (Pelican Book A 278), S. 107: „It is indeed noticeable that dialectical explanations have never had much popularity in the advanced sciences. Except at a very elementary and popular level their defects are so manifest in physics and in chemistry that they lack even initial plausibility.“ — Vgl. E. J. Walter: Die Dialektik in den Naturwissenschaften nach dem „Antidühring“. Dialectica 2, 1948, S. 229 ff., S. 238: „Wir fassen zusammen: Friedrich Engels ist es im ‚Antidühring‘ nicht gelungen, eine realwissenschaftliche Bedeutung der sogenannten dialektischen Grundgesetze für das Gebiet der Naturwissenschaften nachzuweisen. Auch die wissenschaftliche Forschung hat auf die praktische Anwendung dieser angeblich so wichtigen methodischen Hilfsmittel mühelos verzichten können. Im Bereiche der gesamten Naturwissenschaften sind die großen Fortschritte der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzehnte durch empirische Verifikation wissenschaftlicher Theorien ohne Benützung dialektischer Gesetze erzielt worden.“
T. D. Weldon, a. a, O., S. 111.
Dies wurde schon mehrfach kritisch bemerkt; so durch H. Tingsten: Idékritik, Stockholm 1941, S. 170 f. — F. Croner: Die Angestellten in der modernen Gesellschaft, Frankfurt-Wien 1954, S. 172 ff. — Vgl. auch S. Ossowski: Struktura klasowa w spolecznej swiadomosci (Die Klassenstruktur im sozialen Bewußtsein), Lodz 1957, S. 66 ff.
Darüber führe ich Näheres in einer Abhandlung „Marxismus und Gnosis“ aus, welche in der Zeitschrift „Studium generale“ erscheinen wird.
K. R. Popper, a.a.O., S. 424. Popper setzt in der Anmerkung hinzu: „In my book, ‚Logik der Forschung‘ I have tried to show that the more a theory conveys, and the greater its scientific content is, the more it risks being refuted by forthcoming experiences; thus dialectic is unscientific“ (Kursiv im Original). — E. Rignano, a.a.O., S. 243, nennt Hegels Dialektik eine „associative connection of ideas by means of contrasts (which he wrongly calls logical)“ und fügt hinzu: „Now it is evident that this classification or ‚framing‘ of successive phenomena of reality in thesis, antithesis, and synthesis, is always possible, owing precisely to the great vagueness of these concepts. So that, even if the evolution of the world had followed another course, the same classification would still have adapted itself without any difficulty.“ — Manche Vertreter der Dialektik fühlen die Leerheit der Formel von Thesis, Antithesis und Synthesis und suchen sie durch bessere Fassungen der Dialektik zu ersetzen. So spricht S. Marck: Das dialektische Denken in der Philosophie der Gegenwart. Logos 15, 1926, S. 22, von der Dialektik als einer „Methode, deren Erkenntnisresultat nur als ein durch den Weg über den Widerspruch gewonnenes Ganze mit diesem Wege zugleich zu verstehen ist“. Abgesehen davon, daß diese Formulierung kaum weniger anpassungsfähig und manipulierbar ist als das Triadenschema, zeigt sie noch deutlich die Herkunft aus der gnostischen Theosophie, nach welcher das göttliche Prinzip sich auf dem Wege über die Selbstentzweiung mit sich dialectic is unscientific“ selbst versöhnt, und dieser ganze Prozeß göttlich ist.
K. R. Popper, a. a. O., S. 417, besonders die Bemerkungen über den „reinforced dogmatism“.
T. D. Weldon, a. a. O., S. 130 f.
H. Kelsen: The Political Theory of Bolshevism, California UP, 3. Aufl., 1955, S. 19: „Any historical situation may be interpreted to represent the thesis, or the antithesis, or the synthesis, according to its political evaluation by the interpreter. Thus, the dialectic method may be satisfactory to any political creed......The fact that the dialectical method may be used for any political purpose explains its extraordinary attractiveness, its world-wide spread, comparable only to the success of the natural-law doctrine in the eighteenth century.“
K. Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 1. Aufl., Berlin 19.31, vertritt die Ansicht, „daß nur die dialektische Methode in der Philosophie des Geistes und damit auch des Rechts und Staates weiterführt“ (S. 108), und kommt dabei zu dem Schluß: „Über den letzten Sinn des Rechtes und des Staates und damit auch über die letzte Begründung aller Rechtsund Staatsphilosophie entscheidet nicht diese selbst, sondern die Metaphysik oder die Religion. Idealismus und Christentum sind die tiefsten Antworten, die der deutsche Geist auf die letzten Fragen gefunden hat“ (S. 107). Dagegen hat sich der Autor in der zweiten Auflage seines Werkes (Berlin 1935) zu der Überzeugung durchgerungen, daß alle dialektisch-konkreten Begriffe „verlangen, Wesen und Erscheinung, jenes als den einheitlichen schöpferischen Grund und diese als die Mannigfaltigkeit der empirischen und geschichtlichen Ausformungen, als eins zu denken. Wenn diese Forderung dialektisch-konkreten Denkens irgendwo eine ganz besondere Dringlichkeit beansprucht, dann hier bei dem rechten Verständnis des Volksgeistbegriffs (S. 163)... Die recht verstandene Volksgeistlehre führt nun auch für das Rechtsgebiet zu eben den Vorstellungsformen und Begriffen hin, die von der nationalsozialistischen deut-schen Rechtswissenschaft herausgestellt werden, und schaff ihnen so ihre philo-sophische Grundlage“ (S. 165). — Kursiv von mir. E. T.
W. Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955, S. 257 ff., 514.
W. Schmidt: Hegel und die Idee der Volksordnung, Leipzig 1944, S. 158. — Vgl. auch die auf S. 159 in der Anmerkung erwähnte Literatur. — Kursiv von mir. E. T.
G. Lukacs: Die Zerstörung der Vernunft, Berlin 1955, S. 599. — An anderer Stelle (Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin 1923, S. 55) spricht Lukacs von der „methodisch — durch die dialektische Methode — garantierten“ Gewißheit des Sieges der proletarischen Revolution.
G. Lukacs: Die Zerstörung der Vernunft, S. 581.
H. Kelsen, a.a.O., S. 19: „Nothing can show more clearly the futility of the dialectic method than the fact that it enables Hegel to praise the state as a god, and Marx to curse it as a devil; that in applying this method the one affirms that the progressive realization of reason, by means of war, necessarily leads to the world domination of the German nation, whereas the other predicts, as the inevitable result of the historic evolution, the establishment, by means of revolution, of the free society of world communism.“ — T. D. Weldon, a.a.O., S. 110: „It is enough to point out here that Hegel’s supposed foundation of politics is completely useless. It is not false but it is vacuous... It follows from the way in which the law of dialectical development is formulated that anybody except an ultra-philosophical radical can accept Hegel as his authority either for maintaining or for changing the status quo of any association to which he happens to belong, and almost any practical political policy can be given an Hegelian endorsement.“
Die Einsicht in diesen Sachverhalt beginnt sich nun auch im deutschen Sprachgebiet geltend zu machen, vgl. R. Heiss, a.a.O., S. 155: „Wie die dialektische Formel als solche nichtssagend und leer ist, so sind es nicht minder die Grundgesetze der formalen Logik“ — aber die formale Logik (und besonders die Logistik) als Gefüge von Ordnungsbeziehungen auf Grund von Festsetzungen prätendiert nicht, Aussagen über die empirische Realität, geschweige denn über ontologische, metaphysische oder moralisch-politische Sachverhalte zu machen, und ist überdies eindeutig und präzis.
G. Lukacs: Die Zerstörung der Vernunft, S. 432. — Vgl. B. Kedrow: Das Gesetz „Negation der Negation“, im Sammelband: „Philosophie und Gesellschaft“, hrsg. von W. Pfoh und H. Schulze, Berlin 1958, S. 117 ff., S. 119: „Marx und Engels haben die Hegelsche Dialektik völlig umgearbeitet und eine von ihr qualitativ verschiedene, materialistische Dialektik geschaffen...“
Wenn R. Heiss (a.a.O., S. 182 f.) von der Möglichkeit spricht, „es ließe sich eine kritische Form der Dialektik denken, die das allzu konstruktive und oft grobschlächtige Verfahren vermeidet und dann aus dem dialektischen Denken ein Instrument macht, in dem der konstruktiv-dogmatische Charakter zugunsten eines deskriptiv-kritischen Verfahrens zurücktritt“, so ist eine solche Uminterpretation an sich durchaus möglich (vgl. oben, Anm. 36). Aber eine solche Dialektik wäre dann von gnostischer Erlösungslehre und politischer Scholastik ebenso weit entfernt wie die „Naturgesetze“ der modernen Physik von der Auffassung des Kosmos als einer staatlichen Gesetzesordnung oder den Naturrechtsspekulationen, und vor allem müßte sie derart präzisiert werden, daß sie nicht mehr frei manipulierbar wäre. Damit würde sie aber ihre weltanschaulich-politische Anziehungskraft einbüßen. — Zum Problem der Kontrollierbarkeit der Dialektik vgl. auch N. Hartmann: Die Philosophie des deutschen Idealismus, Bd. II, Berlin 1929, S. 185 f.
G. Jellinek: Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Berlin 1905, S. 151.
Doch wurde schon zur Zeit der Romantik die „organische“ Staats- und Gesellschaftslehre nicht nur in strikt „reaktionärem“ Sinne gebraucht, sondern der Begriff der „organischen Entwicklung“ ließ auch dem Wunsche nach weiterbildender Veränderung der sozialen Zustände einen gewissen Spielraum. Darüber E. Rothacker: Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, im „Handbuch der Philosophie“, hrsg. von A. Bäumler und M. Schröter, Abt. II, München und Berlin 1927, S. 83 ff.
K. Marx: Das Kapital, Bd. I, Wien-Berlin 1932, S. 791.
G. Sorel: Réflexions sur la violence, 10. ed., Paris 1946, S. 443.
M. Schlick: Über den Begriff der Ganzheit. „Gesammelte Aufsätze 1926–1936“, Wien 1938, S. 258.
N. B. Bikkenin: Zum Problem der Wechselbeziehung zwischen allgemeinen und spezifischen Entwicklungsgesetzen, im Sammelband „Philosophie und Gesellschaft“ (vgl. Anm. 56), S. 1995/96.
M. Schlick, a.a.O., S. 265.
E. Rignano, a. a. O., S. 256/57.
V. Pareto: Trattato di sociologia generale, Firenze 1916, § 1686.
Pareto fügt in der Anmerkung hinzu: „Narrasi, sia poi storia o favola, che un giorno Paccademico Népomucène Lemercier rispose a una bottegaia che l’ingiuriava: ‚Tais-toi, vieille catachrèse!‘ Nell‘ udire si tremendo vocabolo, la megera rimase intontita, e per lo suo meglio si tacque.“
V. Pareto: I sistemi socialisti, Torino 1954, S. 211. Über Pareto als Ideologiekritiker vgl. N. Bobbio: Pareto e la critica delle ideologie. Rivista di Filosofia 48, 1957, S. 355 ff.
Vgl. H. Plessner: Deutsches Philosophieren in der Epoche der Weltkriege, in der Aufsatzsammlung „Zwischen Philosophie und Gesellschaft“, Bern 1953, S. 9 ff. — Ders.: Die verspätete Nation, Stuttgart 1959, passim, z. B. S. 92: „Nüchternheit im französischen oder angelsächsischen Sinne ist ihm (dem deutschen Bewußtsein) antipathisch und verdächtig.“
Ph. Frank: Wahrheit — relativ oder absolut? Zürich 1952, S. 65 ff.
Zum Problem der Leerformeln vgl. auch H. Kelsen: Was ist Gerechtigkeit? Wien 1953, S. 23 ff.
A. Ross: On Law and Justice, London 1958, S. 261.
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Topitsch, E. (1960). Über Leerformeln. In: Topitsch, E. (eds) Probleme der Wissenschaftstheorie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-25138-6_9
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