Zusammenfassung
Bisher haben wir von den Auslesemechanismen des Strafrechts im allgemeinen gesprochen. Dabei ließ sich nicht umgehen, daß wir gewisse Typen des Kriminellen andeuteten, da die Behandlungsmodi die Persönlichkeit des Rechtsbrechers zum Ausgangspunkt hatten. Wenn wir jetzt die lebenden Objekte der Auslese näher betrachten, so bezieht sich diese Untersuchung nicht so sehr auf die großen grundlegenden Einteilungsformen des verbrecherischen Menschen, die wir für die praktischen Zwecke des Strafrechts ganz natürlicherweise nach dem Maßstab der möglichen Einwirkungen zu bilden suchen, sondern auf Unterscheidungen, die nach ganz anderen Gesichtspunkten getroffen werden. So sehr es Ideal eines Strafrechts wäre, rein die Persönlichkeit des Verbrechers seinem Urteil und seinen Maßregeln zugrunde zu legen und damit jenen gewaltigen dunkeln Teil des unangezeigten, nichtüberführten und vor allem unentdeckten Verbrechertums seinen Behandlungsmethoden zu unterstellen, so ist doch aus Gründen der Rechtssicherheit die Existenz von objektiven Tatbeständen oder deren Andeutungen unumgänglich1).
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Referenzen
Auf den gleichen Fall scheint sich trotz der leichten Zahlendifferenzen die Mitteilung eines katholischen Zuchthausgeistlichen zu beziehen, alle Gestorbenen seien nach guter Vorbereitung aus dem Leben geschieden, nur ein 86 jähriger Greis, der schon 50 Jahre im Zuchthaus gesessen hatte, habe den Empfang der Sterbesakramente abgelehnt, weil er angeblich unschuldig bestraft war. Preuß. Gef.-Stat. 1913, CXV.
Preuß. Gef.-Stat. 1918, XCV.
Kräpelin und seine Schüler sind in erfolgreicher Weise bemüht gewesen, die Krankheitsbilder der Geistesstörungen nach ätiologischen Gesichtspunkten zu ordnen. Die gleiche Aufgabe harrt des Strafrechts. Sie ist beim Kriminellen durch die Buntheit und die ungemein verschiedenen Stärkegrade der exogenen Momente kompliziert, aber sicherlich möglich, ja notwendig, wenn wir mit Prognose und Therapie des Kriminellen nicht ganz im Dunkeln umherfahren wollen.
Nicht mit Unrecht weist der DVE.-Begr. 198, 199 bei der Frage der Schuld auf die Wichtigkeit der gesetzlichen Regelung dieser Probleme hin: „Es handle sich um die wichtigsten und allgemeinsten Fragen des Strafrechts überhaupt, welche dessen gerechte Anwendung auf den einzelnen Fall vornehmlich bestimmen und daher für die Wirkung des Strafrechts von viel größerer und allgemeinerer Bedeutung sind als die Formulierung der einzelnen Tatbestände“. Man kann noch weiter gehen; diese Fragen bestimmen hauptsächlich nicht nur die gerechte Anwendung auf den einzelnen Fall, sondern die Anwendbarkeit der einzelnen Tatbestände überhaupt
In Deutschland hauptsächlich Ziehen.
Über die Farblosigkeit des Wortes Vorsatz beklagt sich bitter Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts. Allg. Teil. Leipzig 1913, 120.
So kann die unerwünschte Erzeugung eines unehelichen Kindes für den Arzt einen Fall des dolus eventualis darstellen, für den Gebildeten Fahrlässigkeit, für den einfachen Mann Zufall sein.
Die Carolina sagt in Art. 134 „aus unfleiß oder unkunst und doch unfürsetzlich“.
Wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung, fahrlässigen Falscheides, Gefährdung eines Eisenbahntransportes und fahrlässiger Brandstiftung wurden im Jahre 1910 in Deutschland 9333 Personen verurteilt; der Personenkreis ist also nicht unerheblich.
DVE. Begr. 217.
Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Leipzig 1872, 246.
Schwarze 246.
v. Hentig, Der strafrechtliche Schutz des literarischen Eigentums. Berlin 1912, S. 77.
Schon im kanonischen Recht wurde die aus Rechtsirrtum begangene Handlung milder bestraft.
OeVE. Erl. Bern. 31.
DVE. will erhöhte Strafe wegen eines bestimmten Erfolges nur da zulassen, wo der Erfolg von dem Täter wenigstens in gewisser Weise verschuldet worden ist. DVE. Begr. 221.
§ 80 StGB., § 153 Gew.-Ord., StGB. §§ 81, 82, 105, 114, 122 Abs. 1, 159, 357. Sprengstoffges. § 9, Sklavenraubgesetz § 1.
Thonissen 73.
Mommsen 95.
v. Möller 110.
v. Möller 111.
Wilda 599. 2) Wilda 600.
Wilda 607.
Wilda 606.
Katz 24.
Auch bei Belohnungen schätzen wir den Versuch gering ein. Es hat noch nie ein Mensch die Rettungsmedaille bekommen, der trotz größter Lebensgefahr einen Mitmenschen zu retten versuchte, infolge eines unglücklichen Zufalls aber nur die Leiche bergen konnte.
Das Unsinnige des glücklichen Zufalls trat durch folgenden Fall in helles Licht: Im November 1913 wurde gemeldet, daß der vom Schwurgericht Frankfurt a. M. zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilte B. R. in der Preußischen Klassenlotterie 30000 M. gewonnen habe.
Wie unglaublich formell selbst unsere höchsten Gerichte vorgehen, zeigt folgender Fall: Ein junger Mann hatte einem kleinen Mädchen unter die Röcke gefaßt, war aber wider Erwarten nicht auf den nackten Körper gestoßen, sondern nur auf eine Turnhose, die das Kind zufällig anhatte. Als er sich anschickte auch diese aufzuknöpfen, sagte das Kind ängstlich: „Was machen Sie mit mir?“ worauf er von dem Mädchen abließ. Die Vorinstanz hatte nur versuchte Nötigung zur Unzucht angenommen, weil der Täter durch Berührung des nackten Körpers sich eine sinnliche Befriedigung habe verschaffen wollen, er dazu aber nicht gekommen sei. Das Reichsgericht hielt „diese Betrachtungsweise an sich rechtlich für möglich“. Während aber die Strafkammer straflosen Rücktritt aus § 46,1 StGB, ausgeschlossen hatte, erklärte das Reichsgericht die Anwendung von § 46, 1 unter Umständen für zulässig (RGStr. 47, 77).
DVE. Begr. 287. So oft das Schuldprinzip den deutschen Vorentwurf im Stiche läßt, wie hier oder bei der Frage des Rechtsirrtums oder der Erfolghaftung, so wird er inkonsequent und meint frischweg „aber damit würde man einem praktischen Bedürfnisse nicht gerecht werden“ (Begr. 222), „in diesem Falle sei eine Fiktion der Schuld ein Gebot der staatlichen Selbsterhaltung“ (Begr. 216), eine dem Schuldprinzip entsprechende Regelung würde „weder dem Volksempfinden noch den Forderungen der Generalprävention entsprechen“. Man sieht, daß der Vorentwurf zwar die strenge Anknüpfung an das historisch Gewordene, von der er (Einleitung, IX) spricht, nicht vermissen läßt, daß er aber dabei, um nicht absurd zu werden, theoretisch ganz und gar in die Brüche geht.
RGStr. 33, 321.
„Die Strafe des Versuchs wird nicht ausgeschlossen, wenn dieser miß-lungen ist, weil aus Irrtum oder Verwechslung anstatt der beabsichtigten tauglichen Mittel ein untaugliches Mittel oder weil das taugliche in unzureichender oder unzweckmäßiger Art angewandt worden ist. Wenn aber der Versuch wegen völliger Untauglichkeit der aus Einfalt für tauglich erachteten angewendeten Mittel mißlingen mußte, so ist derselbe bloß korrektionell zu bestrafen.“
DVE. § 83.
Art. 22 Abs. 2. Strafmilderung naoh freiem richterlichen Ermessen.
Das geltende österreichische Recht droht die Todesstrafe (StGB. § 58) gegen die Urheber, Anstifter, Rädelsführer und alle, die mitgewirkt haben, etwas zu unternehmen, wodurch die Person des Kaisers an Körper, Gesundheit oder Freiheit verletzt oder gefährdet werden soll.
Schon im alten Inkareich würdigte das Gesetz diese Gesichtspunkte. Rücktritt vom Versuch bei Landesverrat machte straffrei. Brehm 204.
Motive zum norwegischen Gesetzbuch Berlin 1907. Übers, von Bittl 166.
S. OeVE. Erl. Bern. 38. Das kanonische Recht kannte zwar generell gleiche Strafe für Täter und Teilnehmer. Einzelne Ausnahmen finden ihre Begründung in der Natur des konkreten Falles. Bisweilen werden Mittäter und Gehilfen härter, bisweilen milder bestraft. Katz 21. Mir ist folgender Fall bekannt: In einer kleinen Stadt nördlich von München kommt ein Bauer zu einem früheren Gendarm, der sich als Rechtskonsulent niedergelassen hatte und bittet, eine Beschwerdeschrift an den Landgerichtspräsidenten für ihn zu verfassen. Ein Amtsrichter habe ihn bei einer Zivilverhandlung heftig angefahren. Er fürchte, wenn er selbst schreibe, einen Verstoß zu begehen. Der Konsulent erklärte sich bereit. — Nach kurzer Zeit erhielt der Bauer Mitteilung, daß gegen ihn Anklage wegen Beamtenbeleidigung erhoben sei. Das Schriftstück, das er, ohne es weiter anzusehen, unterschrieben hatte, war voll der gröbsten Beschimpfungen des Amtsrichters gewesen. Er wurde zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt. Der Konsulent aber stellte sich als paranoischer Querulant heraus und wurde auf Grund des § 51 freigesprochen.
Thonissen 74. 2) Thonissen 184.
Thonissen 328.
Mommsen 101.
Mommsen 541.
Mommsen 101; Dig. 29, 5, 3, 12.
Wilda 611–612. 8) Wilda 635.
v. Möller 115.
Nach angelsächsischem Recht gehörte zu diesen Anstiftungsunfähigen die Ehefrau. Wilda 633. Der scholastische Sinn des Mittelalters verstieg sich zu den äußersten Konsequenzen. Konnten deshalb die Teilnehmer an einem Morde nachweisen, daß der Täter gestorben war, so war eine Verurteilung nicht möglich. Pike I, 309.
Motive. Übersetzung von Bittl 183.
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von Hentig, H. (1914). Die Objekte der Auslese. In: Strafrecht und Auslese. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-25010-5_3
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