Zusammenfassung
Die Rekonstruktion der „Normalform des Ablaufs“ von Supervisionssitzungen, in denen Fallarbeit gemacht wird, war das erste Ergebnis des Kassler Projekts zur Erforschung von Supervisions- und Balint-Gruppen.1 Den Begriff Normalform möchte ich etwas erläutern, weil er oft Anlaß zu Mißverständnissen gegeben hat. Wir gehen davon aus, daß es einen idealen Ablauf der Gruppenarbeit gibt, der sich in verschiedene Phasen und Sequenzen unterteilen läßt, deren Abfolge nicht beliebig umkehrbar ist. In diesen Phasen und Sequenzen werden Aufgaben, die zur Erreichung des Ziels der Fallarbeit nötig sind, wie z. B. die Auswahl eines Falleinbringers, gelöst. Die Normalform des Ablaufs, die wir aus der Untersuchung von Gruppen verschiedener Leiter rekonstruiert haben, ist nicht als strikte Anweisung für die optimale Durchführung der Fallarbeit gedacht, sondern als Orientierungsgrundlage, als ideales Muster, auf dessen Hintergrund man die Abläufe betrachten kann. Es gibt keine Sitzung, die nach diesem idealen Muster verläuft, in jeder werden sich mehr oder weniger Abweichungen von der Normalform finden lassen. Diese Abweichungen sollen nun nicht etwa beseitigt werden, sondern als Informationen verstanden werden. Jede Fallbearbeitung wird in für den Fall charakteristischer Weise vom idealen Ablauf abweichen, die Art der Abweichung kann dem Leiter einen Hinweis daraufgeben, welches die Probleme des Falls sind. Um aber von Abweichungen sprechen zu können, muß man ein Ideal haben, von dem sich Abweichungen abheben lassen.
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Referenzen
Zu den Zielen und den Vorgehensweisen des Projekts vgl. Eicke 1983 und Giesecke 1979. Zur Normalform vgl. Giesecke u. Rappe 1982 und Giesecke 1983b.
Wir konnten nachweisen, daß sich die Leiter nach diesem Muster richten, sonst hätten wir es ja nicht rekonstruieren können — ohne es sprachlich begrifflich beschreiben zu können. Meist hört man, daß jede Sitzung anders verliefe und es keine Regelhaftigkeiten gäbe. Wir haben versucht, diese an Fallstudien und Triangulation nachzuweisen (vgl. Müller 1983; Bielke 1979).
Vgl. dazu auch die Ausführungen zu den verwendeten Daten und Methoden im Kap. 7.
Daß es in diesem und auch in den folgenden Ablaufschemata eine Nullphase gibt, liegt daran, daß die Abläufe aus Transkriptionen von Supervisions- und Balint-Gruppen rekonstruiert wurden, die nicht mit mehreren Programmen arbeiteten, sondern entweder Fallarbeit oder Institutionsanalyse betrieben. Durch die Integration der Programme in einem Supervisionsmodell entstand die Notwendigkeit, eine Vorphase vor diese Abläufe zu setzen, in der der Anschluß bzw. die Abgrenzung zu den anderen Programmen geregelt wird. Hätte ich jetzt die Numerierung geändert, wäre die Vergleichbarkeit mit den bisherigen hier zitierten Untersuchungen nicht mehr gegeben gewesen.
Bei der Diagnose von Problemen „kleiner Subsysteme, die einfach und verhältnismäßig homogen sind“ verwenden French u. Bell folgende Fragen: Die Fragen über Kultur, Klima, Einstellungen und Gefühle sind hier von Bedeutung plus: Worin bestehen die Hauptprobleme des Teams? Wie kann die Wirksamkeit des Teams verbessert werden? Welches Verhalten bringt die Mitglieder einander in die Quere? Lassen die Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Mitgliedern zu wünschen übrig? Weiß der einzelne, wie seine Aufgabe mit den Zielen der Gruppe und Organisation zusammenhängt? Sind die Arbeitsvorgänge in der Gruppe wirksam, werden die Dinge rationell erledigt? Wird von den Fähigkeiten der Gruppen und der einzelnen Gebrauch gemacht (French u. Bell 1982, S. 52)?
Zur Dynamik von Erzählungen vgl. Flader u. Giesecke 1980 und Giesecke u. Rappe 1981.
Vgl. dazu Stierlin et al. 1977: Familienregeln, Familienmythen und Familiengeheimnissen, S. 49 ff.
Vgl. dazu auch Neilessen (o.J.) Schritte bei der Aufgabenbewältigung, den Aufsatz „Kooperation“, S.55.
Zur Erzähltheorie vgl. auch Flader u. Giesecke 1980, S. 219ff.
Eine eingehende Darstellung dieser Theorie und deren Exemplifizierung in einer Fallstudie findet sich in Rappe-Giesecke 1983 a.
Ich habe diese fakultativen Beiträge in Tabelle 5 in eckige Klammern gesetzt.
Vgl. Rappe-Giesecke 1983b, S. 79f. Die Sitzungen, aus denen diese Leiteräußerungen stammen, sind nach einem bestimmten Verfahren transkribiert worden, das in Giesecke 1983c erläutert wird. Für diese Zwecke ist es hier nicht erforderlich, es im einzelnen zu erläutern. Die Zeichen in Klammern charakterisieren die Stimmführung, kursiv gedruckte Wörter sind besonders betont.
Beispiele für alle Typen von Leiterbeiträgen finden sich in Giesecke u. Rappe 1982, S. 233 und 272, und in Rappe-Giesecke 1983 b. Eine ausführliche Analyse der Falleinbringung eines Erzählers ist in Giesecke u. Rappe 1981 und Rappe-Giesecke 1983 a. Eine Analyse des gesamten Ablaufs einer Sitzung, in der Fallarbeit gemacht wird, hat Müller (1983) vorgelegt. In diesen Arbeiten finden sich auch Hinweise auf den Umgang mit Abweichungen von dieser Normalform (vgl. dazu auch Abschn. 6.1 und 6.3.
Vgl. die Vorläufer dieser Tabelle in Giesecke u. Rappe 1982, S. 224f. und Giesecke 1983a, S. 32f.
Bei der Darstellung der Aktivitäten des Leiters in Abschn. 3.3.2 habe ich bereits daraufhingewiesen, daß es zu den wesentlichen Aufgaben des Leiters gehört, diese Spiegelungen zu erkennen und zu deuten (vgl. S. 61).
Vgl. Kutter et al. 1977, S. 36f. und Kutter 1981, S. 107.
Leiterinterventionen zur Regulation von Abweichungen vgl. in Rappe-Giesecke 1983 b, S.75 und 79–82.
An einer Balint-Gruppensitzung habe ich untersucht, wie sich neben der klassischen Spiegelung auch die Spiegelung der sozialen Strukturen unbeachtet entwickelte. Man kann dort sehr schön sehen, wie viel eine Arbeit mit der zweiten Spiegelung zum Verstehen des Falls genutzt hätte (vgl. Rappe-Giesecke 1988 b).
Mein Datenmaterial bestand aus mehreren Sitzungen der Balint-Gruppe Daume mit Lehrsuperviso-ren (vgl. Preprint 1 und 2 des Forschungsprojekts in Kassel), aus mehreren Sitzungen einer Fallsupervision mit dem therapeutischen Team einer Klinik für Suchterkrankungen (vgl. Preprint 3 und 11) und einer Supervision mit in Ausbildung befindlichen Supervisoren (Preprint 4), mehreren Supervisionssitzungen einer Gruppe für Berater nach dem Konzept von Argelander (Preprint 10) und verschiedenen Gruppen mit Psychiatern. Diese Sitzungen wurden transkribiert, aber nicht veröffentlicht.
Zu den Bedingungen des Umschaltens von der Institutionsanalyse zur Selbstthematisierung vgl. ebenfalls Abschn. 6.2 dieser Arbeit.
Dieses Ablaufschema habe ich in vorläufiger Form in Rappe-Giesecke 1986 beschrieben. Ich nannte es damals noch „Gruppendynamikschema“, eine Begriffswahl, die zu Mißverständnissen Anlaß gab und die ich verändert habe. Das Schema enthielt damals nur fünf Phasen. Durch den Einbau in dieses Supervisionsmodell sind Phasen hinzugekommen, in denen der Anschluß an die anderen Elemente des Systems geregelt wird. Außerdem hat die Selbstthematisierung hier nicht nur eine Funktion für die Fallarbeit, sondern auch für die Institutionsanalyse.
Zum Begriff des „kollektiven Phantasmas“ vgl. S. 113.
Ich greife hier auf die in Abschn. 2.2.3 dargestellten Auffassungen zurück, daß Gruppen eine Arbeitsteilung auch im psychischen Sinne haben. Sie sind als ein psychisches System zu betrachten, das eine interne Differenzierung hat. Ein Element allein kann nie Ursache fur Störungen im System sein. Zur gruppenanalytischen Sichtweise dieses Problems vgl. Foulkes 1974, S. 31. Er benutzt in diesem Zusammenhang die Begriffe „Polarisierung“ und „Gruppenmatrix“.
Zur Unterscheidung zwischen Erzählungen und Beschreibungen vgl. Kalimeyer u. Schütze 1977 sowie Giesecke 1979, S. 167ff.
Zur Normalform von Erzählungen vgl. Giesecke u. Rappe 1981 sowie Rappe-Giesecke 1983a und Abschn. 5.2.1, S.llOf.
Ich denke, daß man sowohl zwei Erzählungen aneinanderreihen kann, daß die beiden Repräsentanten aber auch gemeinsam erzählen können. Bei einer gemeinsamen Erzählung ist allerdings die Gefahr gegeben, daß sich Argumentationen zwischen den beiden Materialproduzenten entwickeln statt einer Erzählung. Zur Problematik von gemeinsamen Erzählungen vgl. Quasthoff 1980.
Vgl. die Fallstudie in Rappe-Giesecke 1986, S. 32ff. In dieser Balint-Gruppe hatten sich die Gruppenmitglieder über weite Strecken der Selbstthematisierung ihres Problems geweigert, das Angebot des Leiters, seine Rolle zu thematisieren, aufzugreifen. Erst am Ende des Ablaufs wird sein Anteil am Gruppengeschehen rekonstruiert.
Um sich ein besseres Bild vom Ablauf der Selbstthematisiemng machen zu können, kann man die Analyse einer Balint-Gruppensitzung nach diesem Ablaufmuster in Rappe-Giesecke 1986 nachlesen.
Dieses Problem behandele ich auch im Kap. 7, S. 192. Die Normalformrekonstruktion tritt an dieser Stelle in den Dienst der Etablierung eines neuen Supervisionsmodells. Das ist die Ursache für diese methodische Abweichung.
Zum Begriff der Selbstbeschreibung vgl. Abschn. 2.1, S. 9f.
Dieser Unterscheidung liegt die aus der Wisssenssoziologie stammende Auffassung zugrunde, daß man nicht die Wirklichkeit an sich, sondern nur „Konstruktionen“ derselben untersuchen kann (vgl. dazu Berger u. Luckmann 1966).
Zum idealen Ablauf von Inszenierungen vgl. Abschn. 5.2.2.
Sehr eindrücklich kann man mit Hilfe des Spiels „Die Kohlengesellschaft“ z. B. zeigen, wie wenig die Ressourcen und Informationen aller Gruppenmitglieder genutzt werden, wenn die Kooperation durch Probleme mit der Führung in der Gruppe und der Aufgabenverteilung eingeschränkt wird (vgl. dazu Antons 1976, S. 121 ff.).
Weiterhin stütze ich mich hier auf Seminarunterlagen, die von Doppler u. Neilessen (o.J.) für gruppendynamische Trainings erarbeitet wurden, aber nicht in der Form veröffentlicht worden sind.
Dayal u. Thomas (1968) Operation KPE: Developing a new organization. J Appl Behav Sei 4:473–505 (zit. nach French u. Bell 1982, S. 149).
Antons (1976, S. 205–208) nennt mehrere Fragestellungen, unter denen man ein Soziogramm erheben kann. Eine schnell zu praktizierende Form ist das sog. Schuhsoziogramm, das ohne Vorbereitung durchgeführt werden kann.
Am Ende dieser Phase hat die Gruppe noch die Aufgabe, die Bearbeitung zu ratifizieren und damit den Übergang zur nächsten Phase zu schaffen. Wird der Abschluß der Problembearbeitung nicht ratifiziert, muß man die entsprechenden Probleme noch einmal ansehen.
Vgl. hierzu auch Edding: „... so ist es auch wichtig, daß bei der Untersuchung der Teambeziehungen nicht ein quasi-familiäres Zusammenleben als geheimes Modell gesetzt wird, sondern daß zum einen die Beziehungen in ihrer vielfaltigen Geprägtheit durch Arbeitsteilung, Berufsrollen und institutionelle Einflüsse verstanden werden und daß sie zum anderen stets untersucht werden in ihrer Bedeutung für die Erfüllung der Aufgabe. In der Teamsupervision besteht oft die zentrale Aufgabe darin, überhaupt erst einmal eine gemeinsame Aufgabenorientierung zu entwickeln: ‚Statt der Persönlichkeit einzelner Mitglieder stelle ich die Aufgabe und die Rolle in den Vordergrund’...“ (Edding 1985, S. 14).
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Rappe-Giesecke, K. (1990). Der Ablauf der Gruppenarbeit. In: Theorie und Praxis der Gruppen- und Teamsupervision. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-10139-1_5
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