Zusammenfassung
Wir haben gesehen, daß Strafe als mißbilligende Reaktion auf einen Verhal tensnormbruch zweck- und wertrational nur zu legitimieren ist, wenn ein solcher Normbruch als personale Fehlleistung tatsächlich vorliegt.1 Bei den Überlegungen zur Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens hatten wir deshalb konsequenterweise solche Verhaltensweisen als nicht tatbestandsmäßig ausgeschieden, die mit Blick auf das speziell in Frage stehende Rechtsgut schon im Grundsätzlichen rechtlich nicht zu beanstanden sind oder bei denen bereits mit Blick auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG keine rechtliche Verhaltensmißbilligung angezeigt ist. Kann über ein Verhalten ein grundsätzliches tatbestandliches Mißbilligungsurteil gefällt werden, dann ist damit über das für eine Bestrafung erforderliche personale Verhaltensunrecht noch nicht abschließend entschieden. Denn das grundsätzliche Mißbilligungsurteil z. B. über ein tatbestandmäßiges Tötungs-, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungsverhalten steht unter Vorbehalt: Das Verhalten kann gerechtfertigt sein. Für diesen Fall ist die Rechtsfolge der Bestrafung verfehlt. Außerdem ist zu beachten, daß ein tatbestandsmäßig-rechtswidriges Verhalten in seinem Gewicht zu gering sein kann, um die gravierende Rechtsfolge der Bestrafung zu tragen.Das vorhandene personale Verhaltensunrecht muß dafür hinreichend gewichtig sein.2
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Literatur
Näher dazu oben § 1 Rn 5 ff., § 2 Rn 8 ff.
Näher zu diesem weiteren Vorbehalt unten § 4.
So aber z. B. Haft, AT7, S. 70; Jescheck/Weigend, AT 5, § 31 I 3 (S. 324) m. w. N.; mit Recht kritisch zur Indiz-Formel Otto, AT 5,§ 8 Rn 3.
CCC — auch bekannt unter dem Namen: Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.
Zum nicht abschließenden Charakter der gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründe s. Tröndle 48, vor § 32 Rn 2 ff.; Jescheck/Weigend,AT5, § 31 III (S. 327). — Für die Schuldausschließungs-und Entschuldigungsgründe s. Lenckner,in: Schönke/Schröder25, vor § 32 Rn 115 ff.
RGSt 61, 242 ff. (Schwangerschaftsabbruch wegen Selbstmordgefahr).
In diesem Sinne auch Otto, ATS, § 8 Rn B. - Zum überwiegenden Interesse als Rechtfertigungsprinzip s. a. Rudolphi, GS Armin Kaufmann, S. 371 ff., 396; Langer, Sonderverbrechen, S. 316 ff.
Weitere Beispiele bei Roxin, AT I3, § 13 Rn 2.
Dessen Behandlung ist allerdings umstritten; vgl. dazu etwa Eser, in: Schönke/Schröder25, § 223 Rn 27 ff. m. w. N.
I. S. eines Tatbestandsauschlusses in solchen Fällen mit Recht etwa Lackner/Kühl 22, § 266 Rn 20; vgl. a. Wessels, BT 220, Rn 707 ff., jew. m. w. N.
S. dazu oben in Fn zu Rn 6.
In der Sache ähnlich Roxin, AT I3, § 13 Rn 12 ff., der über Art. 2 GG argumentiert und davon ausgeht, die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Handlungsfreiheit mache eine Tatbestandserfüllung unmöglich und eine Unterscheidung zwischen Einwilligung und Einverständnis sei nicht sachgerecht (Rn 22). Für eine Trennung von Einwilligung und Einverständnis mit Blick auf die angenommene Relevanz für Irrtumsfälle freilich etwa Jescheck/Weigend,AT 5, § 34 I 2 b (S. 375); i. S. einer Unterscheidung ferner Haft, AT’, S. 104 f. — Vgl. dazu auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, 1997.
Deshalb findet sich auch der Begriff der „Bestimmungsnorm“, der dieselbe Bedeutung besitzt wie der Begriff der Verhaltensnorm.
Zur Maßgeblichkeit der Betroffenenperspektive s. oben § 2 Rn 23 ff.
Das Konstrukt der Maßstabsperson ist vor allem bei der Fahrlässigkeitstat geläufig; näher dazu unten § 5 Rn 15, 21 ff.
Die Frage ist sehr umstritten; i. S. eines knappen Überblicks s. die Nachw. bei Lenckner, in: Schönke/Schröder25, vor § 32 Rn 9. Näher dazu Freund, GA 1991, 387, 406 ff., sowie sogleich im Text.
In diesem Sinne aber eine verbreitete Auffassung zu § 127 I StPO; vgl. etwa Lenckner, in: Schönke/Schröder25, vor § 32 Rn 82; Jescheck/Weigend, AT 5, 5 35 IV 2 (S. 398), jew. m. w. N.
Das Zugeständnis fehlender „Schuld“ ist für den auf Rechtstreue Bedachten ein zu schwacher Trost!
Sachlich jedenfalls im Ansatz richtig die Konzeption zu § 127 I StPO, die auf die Beurteilung der Sachlage im Verhaltenszeitpunkt (= Festnahmezeitpunkt) abstellt; vgl. etwa Lackner 22, vor § 32 Rn 23; Tröndle 48, vor § 32 Rn 7. Wie diese Beurteilung praktisch aussieht, zeigt - unter Offenlassung des Streits - anschaulich OLG Düsseldorf NJW 1991, 2716, 2717 (am Beispiel eines Taxifahrgastes, der nicht zahlen konnte).
Vgl. etwa die Auflistung bei Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht, AT8, S. 60.
Sachlich i. S. einer solchen Perspektivenbetrachtung bei der Bestimmung der tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtfertigung mit Recht etwa auch Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 422 f., 424 ff., 431 ff.; Rudolphi,GS Armin Kaufmann, S. 371, 378, 381 ff.; Suarez Montes, FS Welzel, S. 379, 387 f.; Zielinski,Unrechtsbegriff, S. 247 f. (vgl. a. S. 271 ff., 293 ff.); s. ferner Lenckner, FS Hellmuth Mayer, S. 165, 181 ff. (der mit Recht darauf hinweist, daß bei Wahrung der erforderlichen Sorgfalt die Beanstandung des Verhaltens als rechtswidrig in einen Wertungswiderspruch führte); s. ergänzend Freund, GA 1991, 387, 406 ff. m. w. N.
I. d. S. (für vergleichbare Fälle) mit Recht bereits Frisch,Vorsatz und Risiko, S. 456 f.; ausführlich zu den Problemen des sogenannten subjektiven Rechtfertigungselements ders., FS Lackner, S. 113 ff.
I. S. einer solchen Vollendungslösung in der Tat etwa Köhler,AT, S. 323 f.; Hirsch, in: LK“, vor § 32 Rn 59 ff. (der meint, wer einen Menschen töte, versuche dies nicht nur und sei deshalb auch nicht nur wegen Versuchs zu bestrafen); vgl. a. Haft, AT 7, S. 78; Schmidhäuser,Studienbuch AT2, 6/24.
Für eine direkte Versuchslösung: Roxin, AT I3, § 14 Rn 101 (der die Versuchsstrafbarkeit damit begründet, daß der Unrechtserfolg objektiv nicht eingetreten ist und der Handlungsunwert nur einen Versuch begründen kann); Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, vor § 32 Rn 42; instruktiv dazu auch Frisch,FS Lackner, S. 113 ff., 137 ff. Für eine analoge Anwendung der Versuchsregeln: Je-scheck/Weigend, AT 5, § 31 IV 2 (S. 330); Wessels, AT 7, Rn 279 (nach dem der Erfolgsunwert durch die objektive Rechtfertigungslage kompensiert wird); s. a. Lenckner, in: Schönke/Schröder25, vor § 32 Rn 15 m. w. N. In dem Beispiel des Textes bezieht sich der Versuch dann selbstverständlich auf den vermeintlich wahrgenommenen Ehemann und nicht auf den Einbrecher, so daß es sich um einen Versuch am untauglichen Objekt handelt. Näher zum Versuch unten § B.
Näher zur Bedeutung des „Vorhabens“ bei sogenannten „zweiaktigen Rechtfertigungsgründen” (z. B. dem Festnahmerecht nach § 127 I StPO) Frisch, FS Lackner, S. 113, 145 ff.; vgl. auch noch unten § 7 Rn 54 ff., 61 ff.
Zur Irrelevanz böser Hintergedanken für die Verhaltensmißbilligung schon oben §2Rn13.
Näher zu den spezifischen Erfordernissen der Bestrafung wegen Vorsatztat unten 57 Rn 7, 35 ff.
I. d. S. etwa auch Roxin, AT I3, § 14 Rn 1.
Sachlich übereinstimmend etwa Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 424 f., 445.
So mit Recht Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, Rn 9 vor § 32. Zur Gegenauffassung s. etwa Hirsch, in: LK11, vor § 32 Rn 8; dens., Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, 1960; fescheck/Weigend, AT S, §31 I 2 (S. 324).
Sogar für das Recht der Maßregeln der Besserung und Sicherung (vgl. dazu oben § 1 Rn 24 f.) ergibt die Differenzierung keinen Sinn. Denn bei gerechtfertigter Tat ist eine Maßregel allemal genauso ausgeschlossen wie bei fehlender Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens.
S. dazu unten § 4 Rn 40 f. das Beispiel des auf ein Kind gehetzten Nachbarshundes, der sodann unter den Voraussetzungen der gerechtfertigten Defensivnotstandshilfe erschossen wird. S. dort auch zur actio illicita in causa.
Zur Legitimation von Verhaltensnormen näher oben §1 Rn 12 ff., § 2 Rn 10 ff.
S. dazu oben (§ 3) Rn 10 ff.
Näher dazu Freund, GA 1991, 387, 409 m. w. N. Zur Rechtswidrigkeit als relativem (funktionsbestimmtem) Rechtsbegriff s. a. Günther,FS Spendel, S. 189 ff.; gegen eine Duldungspflicht-Automatik bereits zutreffend Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 424 f.
I. d. S. aber etwa Wessels, AT27, Rn 126, 284; s. a. Haft, AT 7, S. 76 f.; Roxin,AT I3, § 14 Rn 105 ff (immerhin mit Ausnahmen etwa bei §§ 34, 193; vorsichtiger und mit Recht differenzierend z. 37 Vgl. dazu bereits oben (5 3) Rn 29; ferner unten (§ 3) Rn 40, § 10 Rn 59, 79.
Ein weiteres Problem der Teilnahmestrafbarkeit liegt freilich im Erfordernis der Vorsätzlichkeit der Haupttat. Indessen kann dieses Problem hier nicht näher behandelt werden. Nur soviel sei gesagt: Insoweit gibt es Grenzen des Wortlauts der Strafnorm, und der fragmentarische Charakter des Strafrechts schlägt durch. S. dazu — auch zur relativierenden Bestimmung der Rechtswidrigkeit — ergänzend unten § 4 Rn 30, § lO Rn 14 ff.
Näher zu solchen Fällen unten 54 Rn 50 f.
Zur Strafbarkeitsfigur der mittelbaren Täterschaft noch näher unten 510 Rn 1 ff., 52 ff., 77 ff.
Instruktiv zur Bedeutung des § 160 Hruschka, JZ 1967, 210 ff.; zur Reform der Strafrahmen vgl. Rudolphi, in: SK StGB, 33. Lfg. Sept. 1994, § 160 Rn 2; Freund, ZStW 109 (1997), 455, 486 f.
Die gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründe sind nach allem Bisherigen nicht als abschließende Regelung zu verstehen; sie sind ergänzungsfähig und -bedürftig. Wegen ihrer Bedeutung für die Verhaltensbewertung (und nicht erst die Sanktionierung!) sind einzelne Rechtfertigungsgründe über die gesamte
I. S. einer sachgerechten Differenzierung treffend Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 87 ff. — Für Binding, GS 76 (1910), 1, 32, war die Annahme, ein Schuldunfähiger begehe eine Straftat, ein „abscheuliches Gedankenmonstrum“.
Mit Recht i. S. einer funktionalen und differenzierenden Bestimmung der Begriffe Frisch,Vorsatz und Risiko, S. 424 ff. et passim.
Zum Tierangriff vgl. noch im Kontext des Notstands unten (§ 3) Rn 54, 67, 78, 80; ferner im Kontext der Notwehr unten (§ 3) Rn 97.
Näher dazu die gleichnamige Schrift von Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935; vgl. auch dens., Einführung in das juristische Denkeng, S. 160 ff.; Kirchhof Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, 1978; Roxin,AT I3, § 14 Rn 30 ff. m. w. N.
Eine nicht unerhebliche Rolle spielt vor allem die Entnahme einer Blutprobe nach § 81a StPO.
S. dazu näher unten § 6 Rn 96 ff. — I. S. erst einer Rechtfertigung tatbestandsmäßigen Verhaltens aber etwa Roxin, AT I3, § 16 Rn 101 ff. (der einem selbständigen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund annimmt) m. w. N. Sogar eine Rechtfertigung in solchen Fällen ablehnend Jescheck/Weigend, AT 5, § 33 V (S. 365 ff.).
Vgl. dazu bereits oben § 2 Rn 14.
S. dazu bereits oben § 2 Rn 6.
Vgl. dazu bereits oben § 2 Rn 13 und unten § 5 Rn 16 i. V. m. Rn 20.
S. dazu - z. T. auch zur sog. Staatsnotstandshilfe - etwa Kühl, AT 2, § 8 Rn 26 ff.; Roxin, AT I3, 516 Rn 10; Wessels, AT 27, Rn 303.
Mit Recht vorsichtig in dieser Hinsicht etwa Wessels,AT27, Rn 323 (Bedeutung des „Grundgedankens des § 34“); s. freilich auch Lackner/Kühl 22,vor § 211, Rn 7; vgl. a. Merkel,JZ 1996, 1145, 1148.
Auf die Möglichkeit des Eingreifens einer mutmaßlichen Einwilligung macht etwa Roxin, AT I3, § 16 Rn 87, aufmerksam; s. a. Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, § 34 Rn 13.
In der Sache wie hier mit Recht etwa Wessels, BT 121, Rn 26; Frisch, in: Osaka-Symposion, S. 103, 107 ff. - BGHSt 42, 301, 304 f. läßt bei der sog. „indirekten Sterbehilfe“ offen, ob ein solches Verhalten schon nicht tatbestandsmäßig ist, und nimmt jedenfalls eine Rechtfertigung nach der Notstandsregelung des § 34 an (vgl. zu dieser Entscheidung etwa Schöch, NStZ 1997, 409 ff.); s. auch Herzberg,NJW 1996, 3043 ff.; Schöch,NStZ 1995, 153 ff.; Verrel, JZ 1996, 224 ff.
Vgl. etwa Tröndle 48, § 34 Rn 3; Wessels, AT27, Rn 304.
Vgl. etwa Tröndle 48, § 34 Rn 4; Wessels, AT27, Rn 307.
BGH NJW 1979, 2053 f.; vgl. dazu etwa Hirsch, JR 1980, 115 ff.; Hruschka, NJW 1980, 21 ff.; Schroeder, JuS 1980, 336 ff.
Freilich sollte gesehen werden, daß damit die Gegenwärtigkeit der Gefahr — durchaus sachgerecht — zu einer Funktion der Erforderlichkeit der Abwehrhandlung wird (Notstandslage und Notstandshandlung sind also nicht isoliert zu betrachten!). S. dazu etwa Kühl, AT 2, § 8 Rn 69 in. w. N.
Geht die Gefahr von einem Menschen aus, ist an das Eingreifen des Notwehrrechts nach § 32 als speziellerer Regelung des Interessenkollisionsproblems zu denken (vgl. dazu unten [§ 3] Rn 82 ff.). Das Nichteingreifen des § 32 schließt aber rechtfertigenden Notstand nicht aus (zur Frage der Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen vgl. unten [§ 3] Rn 74 f.).
Allgemein anerkannt ist das freilich wohl noch nicht; zur Problematik der Bestimmung der Gefahr beim Notstand näher Lackner ze, § 34 Rn 2 m. w. N.; s. dazu auch Frisch,Vorsatz und Risiko, S. 424 ff., 432 f.; zur generell angemessenen Perspektivenbetrachtung der Rechtfertigunggründe s. bereits oben (§3) Rn 9 ff.
Zur Erlaubnis-bzw. Erlaubnistatbestandsirrtumsproblematik vgl. noch unten § 7 Rn 98 ff.
S. etwa Wessels, AT27, Rn 308.
Vgl. dazu etwa Roxin, AT I3, § 16 Rn 25 ff.; Jescheck/Weigend, AT 5, § 33 IV 2 c (S. 362).
Vgl. dazu etwa Samson, in: SK StGB5, 19. Lfg. Dez. 1992, § 34 Rn 39 ff. m. w. N.
S. dazu etwa Hruschka, NJW 1980, 21 f.; Roxin,AT I3, § 16 Rn 63: Aggressivnotstand als „Normalfall“ (zu den Ausnahmefällen des Defensivnotstands s. dens., AT I3 Rn 64 ff.).
Nur scheinbar anders etwa Roxin, AT I3, § 16 Rn 77 ff., der die Wesentlichkeitsklausel als Hinweis auf das Erfordernis einer zweifelsfreien und eindeutigen, aber einfachen Interessenübergewichtigkeit verstehen will, dabei jedoch die Beachtunf des von ihm sogenannten „Autonomieprinzips“ voraussetzt (s. dazu dens, AT I, § 16 Rn 41 ff.); vgl. dazu auch Jescheck/Weigend, AT 5, § 33 IV 2 c (S. 362). Eine „erheblich positive“ Interessenbilanz verlangt aus den im Text genannten Gründen mit Recht Jakobs, AT2, 13/33, der (in Fn 71a) zutreffend darauf hinweist, daß sich die zu stellenden Anforderungen danach richten, welche Momente bereits in die vorgenommene Güter-und Interessenabwägung eingestellt werden.
Im zivilrechtlichen Bereich ist diese Wertung etwa an der alten Rechtsregel des „casum sentit dominus“67 ablesbar. Dahinter steht jedoch eine allgemeinere Wertung. Die Sachlage ändert sich erst, „wenn das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt”: Droht dem Nachbarn nur ein (ersatzfähiger) Schaden am Lattenzaun, darf man eine Latte abreißen, um sich damit des angreifenden tollwutverdächtigen Fuchses zu erwehren.68 Ein anderes Beispiel: Der Nachbar wird zur Seite gestoßen, weil nur so das eigene Haus gelöscht werden kann.69
Ein die Güter-und Interessenabwägung nachhaltig beeinflussender Faktor liegt vor, wenn es nicht darum geht, eine bestimmte Gefahr durch einen Eingriff in irgendeine (zufällig involvierte) Interessensphäre abzuwehren, sondern wenn genau in die Sphäre eingegriffen werden soll, aus der die Gefahr stammt. Die mehr oder weniger große Verantwortlichkeit für die abzuwendende Gefahr ist ein Aspekt, der es in diesen Fällen des sogenannten Defensivnotstands rechtfertigt, eine Notstandshandlung unter erleichterten Voraussetzungen als angemessene Auflösung des Konflikts und als Wahrung des wesentlich überwiegenden Interesses aufzufassen.70
In § 228 S. 1 BGB findet sich ein Spezialfall des defensiven Notstands ausdrücklich in der Form geregelt, daß die Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, nicht widerrechtlich ist, wenn die Beschädigung oder Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Selbst bei Verschuldung der Gefahr durch den Handelnden tritt Rechtfertigung ein und wird nur eine Schadenersatzpflicht angeordnet (§ 228 S. 2 BGB).
„Den (Unglücks-)Fall spürt der Herr.“ Gemeint ist ein schon im römischen Recht vorhandenes Grundprinzip des Schadensrechts, wonach der Eigentümer einer Sache grundsätzlich ihren Verlust selbst zu tragen hat und den Schaden nur (ausnahmsweise) bei Vorliegen von Schadensüberwälzungsnormen von einem anderen ersetzt verlangen kann.
Beispiel nach Wessels, AT27, Rn 269, 295 f. (zugleich ein Spezialfall des rechtferti- genden Aggressivnotstands nach § 904 BGB; vgl. dazu noch unten [§ 3] Rn 78 f.).
Beispiel nach: Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, § 34 Rn 42.
I. d. S. mit Recht etwa Lenckner, in: Schönke/Schröder25, 534 Rn 30.
S. dazu etwa Wessels,AT 27, Rn 313 m. w. N.
Näher dazu unten § 6 Rn 96 ff.
Gegen eine eigenständige Bedeutung der Angemessenheitsklausel etwa Haft, AT 7, S. 101; s. a. Lenckner, in: Schönke/Schröder25, § 34 Rn 46; krit. auch Roxin, AT I3, § 16 Rn 80 ff., der freilich in der Angemessenheitsklausel immerhin einen selbständig bedeutsamen Hinweis auf das Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde erblickt (Rn 84 ff.). Nach Wessels, AT27, Rn 321, ist die Angemessenheitsklausel ein Regulativ zwischen freier Selbstbestimmung und dem Solidaritätsprinzip.
S. zu diesem Beispiel etwa Wessels, AT27, Rn 317 m. w. N.
Beispiel nach Gallas, FS Mezger, S. 311, 325 f.; näher dazu Wessels, AT27, Rn 318 ff.; s. dazu auch Lenckner, in: Schönke/Schröder25, § 34 Rn 41e (der insoweit nicht auf die Angemessenheitsklausel Bezug nimmt, aber dennoch zur Ablehnung einer Rechtfertigung gelangt); a. A. zum Fall der erzwungenen Blutspende aber etwa Roxin, AT I3, § 16 Rn 44.
Vgl. zu diesem Beispiel etwa Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, § 34 Rn 52; instruktiv dazu auch Jakobs,AT2, 13/36 ff. m. w. N.
Vgl. dazu auch das Beispiel des getöteten Fuchses bei Wessels, AT27, Rn 268; in derartigen Fällen ist nicht selten auch an eine rechtfertigende mutmaßliche Einwilligung zu denken.
§ 227 BGB ist etwas weiter, denn diese Regelung erfaßt jede Handlung, die durch Notwehr geboten ist (nicht nur „Taten“ i. S. des Strafrechts; vgl. § 11 I Nr. 5).
I. S. einer dualistischen Notwehrkonzeption etwa BGHSt 24, 356, 359; s. a. Kühl, ATZ, § 7 Rn 6 ff.; Roxin,AT I3, § 15 Rn 1 ff.; Jescheck/Weigend, AT 5,§ 32 I 2 (S. 337); Haft,AT 7, S. 84 f.; Otto, AT 5, § 8 Rn 17; z. T. krit. aber etwa Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, § 32 Rn 3 ff., 11; eingehende Kritik der dualistischen Konzeption bei Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 76 ff. — Zu den monistischen Notwehrkonzeptionen s. sogleich im Text.
I. S. einer monistisch-überindividuellen Notwehrkonzeption etwa Schmidhäuser, Studienbuch ATZ, 6/51; ders., GA 1991, 97 ff.
I. S. einer monistisch-individualrechtlichen Notwehrkonzeption etwa Wagner, Individualistische oder überindividualistische Notwehrbegründung, S. 29 ff.; Mitsch, JA 1989, 79, 84; Frister, GA 1988, 291, 301 ff.; vgl. a. Hruschka,AT2, S. 137.
Vgl. etwa die Einwände bei Kühl, AT 2,§ 7 Rn 16 ff.
In diesem Sinne etwa auch Mitsch, JA 1989, 79, 84; Frister,GA 1988, 291, 302.
Vgl. etwa Lenckner, in: Schönke/Schröder25, § 32 Rn 3; Wessels, AT27, Rn 325.
Näher zu diesem umstrittenen Fragenkreis etwa Samson,in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, § 32 Rn 18. — Vgl. hierzu auch das spezielle Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG; s. dazu etwa Hirsch, in: LK11, vor § 32 Rn 83.
Etwas anderes gilt, wenn das Tier von einem Menschen gehetzt wird und gleichsam als dessen verlängerter Arm fungiert. Dann greift der das Tier als Angriffsmittel einsetzende Mensch an. — Weitergehend freilich Spendel,in: LK11, § 32 Rn 38 ff.
Im Ergebnis wie hier etwa auch Roxin, AT I3, § 15 Rn 6 und 8 (der allerdings mit dem fehlenden Rechtsbewährungsinteresse argumentiert).
Im Ergebnis wie hier z. B. Otto, ATS, 5 8 Rn 20 f. (der allerdings mit der fehlenden Infragestellung der Rechtsordnung argumentiert); s. a. Frister, GA 1988, 291, 305 ff.; Hruschka, AT 2, S 140 ff.; Renzikowski,Notstand und Notwehr, S. 283 ff.; Schmidhäuser, GA 1991, 97, 127 ff. — Anders etwa Roxin, AT 13, § 15 Rn 10 (der über den Wortlaut argumentiert und meint, § 32 setzte nur einen rechtswidrigen und keinen schuldhaften Angriff voraus); Jescheck/Weigend, AT 5,§ 32 II 2 a (S. 338) und Wessels, AT27, Rn 325, 327 fordern lediglich Handlungsqualität; s. a. Spendel, in:
Vgl. dazu noch unten (5 3) Rn 110 ff.
S. etwa Wessels,ATZ’, Rn 328; Kühl, AT Z, 5 7 Rn 40 f., jew. m. w. N.
In diesem Sinne etwa auch Bottke, JR 1986, 292, 293; Ludwig, Notwehr-und Notstandsrecht, S. 84; Roxin, GS Zong Uk Tjong, S. 137, 141.
In diesem Sinne etwa auch Ludwig, Notwehr-und Notstandsrecht, S. 88.
In der Sache ähnlich wie hier z. B. Samson, in: SK StGB, 19. Lfg. Dez. 1992, § 32 Rn 34 f.; s. freilich auch z. B. Jescheck/Weigend, AT5, § 32 II 1 c (S. 341); näher zu dieser Streitfrage Roxin, AT 13, § 15 Rn 14 ff. m. w. N.
So etwa Jescheck/Weigend, AT5, § 32 II 1 c (S. 341) m. w. N.; Notwehr soll danach sogar gegen Personen zugelassen sein, die sich nicht sorgfaltswidrig verhalten (das Notwehrrecht wird lediglich in seiner Ausübung sozialethisch einschränkt).
Vgl. dazu nur Jescheck/Weigend, AT 5, § 32 II 1 c (S. 341); zu den Notwehreinschränkungen mit Beispielen noch näher unten (§ 3) Rn 110 ff.
S. dazu im grundsätzlichen Zusammenhang oben § 2 Rn 23 ff. und (§ 3) Rn 9 ff.
S. dazu statt vieler Roxin, AT I3, § 15 Rn 43 f.; Jescheck/Weigend, AT S, § 32 II 2 (S. 343 f.); Wessels, AT27, Rn 335; vgl. a. BGH GA 1956, 49 f.
Zur Verneinung einer Ausweichpflicht s. etwa Roxin,AT I3, § 15 Rn 49 (der mit den Wortlaut argumentiert, wonach Weglaufen keine Abwehr sei; außerdem sei eine Ausweichpflicht mit dem Gedanken der Rechtsbewährung nicht vereinbar); s. dazu ergänzend Lenckner, in: Schönke/Schröder25, § 32 Rn 40 m. w. N.
Im Ergebnis ebenso etwa Roxin, AT I3, § 15 Rn 50.
Zum Fall eines scharf abgerichteten Wachhundes, der einen harmlosen Passanten verletzt, weil Unbefugte eine Entweichungsmöglichkeit geschaffen haben, s. OLG Düsseldorf JR 1994, 372 f. m. krit. Anm. Brammsen.
I. d. S. etwa auch Roxin, AT I3, § 15 Rn 51. — In der hier interessierenden Hinsicht bedeutsam ist auch der Fall der als „Echter Hiekes Bayerwaldbärwurz“ getarnten und für Einbrecher bestimmten Giftflasche. In der Entscheidung des BGH (NJW 1997, 3453 f.) wird die Rechtfertigungsfrage allerdings vollkommen übergangen. Die fehlende Rechtfertigung wird vielmehr als selbstverständlich vorausgesetzt. Lediglich das Problem des Uberschreitens der Versuchsschwelle zum Tötungsdelikt wird thematisiert (s. dazu noch unten § 8 Rn 39 ff.).
Sachlich übereinstimmend etwa Wessels, AT27, Rn 335; s. a. Warda, GA 1996, 405 ff.; krit. freilich A lwart, JuS 1996, 953 ff.
Notwehreinschränkungen insgesamt — unter anderem mit Hinweis auf Art. 103 II GG — ablehnend Spendel, in: LK11, § 32 Rn 307 ff.
Vergleiche etwa Roxin, AT I3, § 15 Rn 57; Jescheck/Weigend, AT 5, § 32 III 3 a (S. 345), Wessels, AT27, Rn 342 Gew. mit Argumentation über das fehlende Interesse an der Bewährung der Rechtsordnung).
Im Ergebnis so etwa auch Roxin, AT 13, § 15 Rn 58: Hinnahme des Risikos leichterer Beeinträchtigungen (etwa einiger Schläge).
Im Ergebnis wie hier (wenngleich mit Argumentation über den nicht hinreichenden Angriff auf die empirische Geltung der Rechtsordnung) Schmidhäuser, Studienbuch ATZ, 6/65.
Sachlich übereinstimmend etwa Roxin, AT I3, § 15 Rn 61 und 67; BGHSt 27, 336: „Ein sozialethisch nicht zu mißbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen kann auch nicht zu einer Einschränkung seiner Notwehrbefugnisse führen.“ - Zur Problematik des (rechtlich) zu mißbilligenden Vorverhaltens vgl. etwa BGHSt 42, 97, 101 m. krit. Anm. Krack, JR 1996, 468 ff.
Auf den Rechtsmißbrauchsgedanken wird etwa abgestellt von Wessels, AT27, Rn 342, 346.
Vgl. dazu etwa Wessels, AT27, Rn 342 m. w. N. Zur Vereinbarkeit einer solchen Einschränkung mit dem nullum crimen-Satz s. das unten (§ 3) Rn 126 f. zur rechtstechnischen Einordnung Gesagte.
S. etwa Wessels, AT27, Rn 342; Roxin, AT I3, § 15 Rn 53.
S. dazu etwa Roxin, AT I3, § 15 Rn 83: geringeres Rechtsbewährungsinteresse; Wessels, AT27, Rn 348 (der auf das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverteidigungsrecht und Garantenstellung hinweist); Schmidhäuser,Studienbuch AT2, 6/66: „Man schlägt sich und verträgt sich auch wieder“. — Aus der Rechtsprechung vgl. dazu BGH NJW 1975, 62 f.; freilich auch BGH NJW 1984, 986 f.; NStZ 1994, 581 f.
Anders etwa Spendel, in: LK11, § 32 Rn 255 f., der meint, „geboten“ sei identisch mit „erforderlich” und nur aus sprachlichen Gründen verwendet. Weiterführend zu dieser Problematik Kühl,AT2, § 7 Rn 162 ff. m. w. N.
Vgl. dazu oben (§ 3) Rn 80 f.
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Freund, G. (1998). Fehlende Rechtfertigung tatbestandsmäßigen Verhaltens. In: Strafrecht Allgemeiner Teil. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-10076-9_3
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