Zusammenfassung
Da der Besitz kein Recht ist 1), ist er nicht allgemein geschützt wie etwa das Eigentum (vgl. §§ 985, 1004). Verliert der Besitzer z. B. den Besitz, so kann er aus dem verlorenen Besitz keine Rechte herleiten, er hat allenfalls Ansprüche aus einem Recht an der Sache (§§ 985, 1007). Der Besitz ist geschützt nur gegen verbotene Eigenmacht; nur wenn der Besitzer in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird, entstehen ihm Rechte aus seinem Besitz. Der Besitzschutz ist also nicht erklärbar aus der Verletzung eines Rechts an der Sache, sonst müßte der Besitz auch über die verbotene Eigenmacht hinaus geschützt sein, selbst wenn es sich um ein provisorisches oder schwächeres Recht handelte. Der Besitzschutz soll nicht ein Recht an der Sache schützen, sondern verbotene Eigenmacht unterdrücken. Verbotene Eigenmacht aber ist jede Besitzstörung ohne den Willen des Besitzers, vgl. § 858 I. Entscheidendes Merkmal der verbotenen Eigenmacht ist also die Verletzung eines fremden Willens. Nicht in jeder Störungslage greift der Besitzschutz ein, sondern nur wenn der Besitzer durch ein menschliches Verhalten unter Verletzung seines Willens im Besitz gestört wird. Verbotene Eigenmacht ist Willensverletzung, Persönlichkeitsverletzung; Besitzschutz ist Persönlichkeitsschutz2). Würde Besitzschutz gemäß der hM. Friedensschutz bezwecken, so müßte § 858 I jede Besitzstörung verbieten, welche die öffentliche Ordnung stört. § 858 I ist jedoch kein Polizeigesetz. Es wäre auch sinnlos, an ein solches Gesetz statt einer öffentlich-rechtlichen Sanktion die Folge „Rechtswidrigkeit“ zu knüpfen, wie es § 858 I tut. Die Rechtswidrigkeit der verbotenen Eigenmacht ergibt sich allein aus der Verletzung einer fremden Persönlichkeit. Es ist auch ein Fehlschluß, den Besitz für ein Recht zu halten, weil er in § 858 I geschützt ist; der Besitz ist nicht als solcher geschützt, sondern nur, wenn die Persönlichkeit des Besitzers durch verbotene Eigenmacht beeinträchtigt wird.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Aravantinos, Die Anfechtbarkeit der Besitzübertragung im deutschen bürgerlichen Recht, JherJahrb 48 (1904), 101 ff.
Bekker, Der Besitz beweglicher Sachen, JherJahrb 34 (1895), 1 ff.
Bruns, Carl Georg, Die Besitzklagen des römischen und heutigen Rechts, 1874
Bunsen, Besitzschutz im Bürgerlichen Gesetzbuch, ArchBR 23 (1904), 69ff.
Eccius, Kurze Erörterungen, GruchBeitr 53 (1909), 1 ff.
Hagen, Besitzschutz und petitorische Widerklage, JuS 72, 124ff.
Josef, Erläuterungen zu den Besitzklagen des Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem preußischen Recht und der Preußischen Rechtsprechung, ArchBR 15 (1899), 265 ff.
Lopau, Der Rechtsschutz des Besitzes, JuS 80, 501 ff.
Medicus, Besitzschutz durch Ansprüche auf Schadensersatz, AcP 165 (1965), 115ff.
Miescher, Die Besitzinterdicte unter Mitbesitzern, AcP 59 (1876), 149ff.
Pflüger, Heinrich, Die sogenannten Besitzklagen des römischen Rechts, 1890; Raape, Gebrauchs-und Besitzüberlassung, JherJahrb 71 (1922), 97ff.
Schneider, Fragen des Besitzschutzes, JR 61, 367 ff.
Strohal, Der Sachbesitz nach dem BGB, JherJahrb 38 (1898), 1 ff.
Wendt, Der mittelbare Besitz des bürgerlichen Gesetzbuchs, AcP 87 (1897), 40ff.
Wieling, Grund und Umfang des Besitzschutzes, De iustitia et iure, Festgabe für vLübtow (1980), 565 ff
Wieser, Der Schadensersatzanspruch des Besitzers aus § 823 BGB, JuS 70, 557 ff.
Wolff, Der Mitbesitz nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, JherJahrb 44 (1902), 143 ff.
Zitelmann, Übereignungsgeschäft und Eigentumserwerb an Bestandteilen, JherJahrb 70 (1921), 1 ff.
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 1990 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
About this chapter
Cite this chapter
Wieling, H.J. (1990). Der Schutz des unmittelbaren Besitzes. In: Sachenrecht. Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-09794-6_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-09794-6_5
Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-662-09795-3
Online ISBN: 978-3-662-09794-6
eBook Packages: Springer Book Archive