Zusammenfassung
Damit eine Schadensmeldung chronischen Charakter annimmt, muss nach anfänglicher Reizung peripherer Nozizeptoren der Haut, wo etwa 90% der über 3 Mio. Nozizeptoren sitzen, eine Erregung eine bestimmte Intensität erreicht haben, um über unspezifische sog. multimodale Nervenfasern (Wide-dynamic-range-Rezeptoren), die neben Schmerz auch taktile Empfindungen wie Druck, Dehnung und Hitze aufnehmen, zum Rückenmark weitergeleitet zu werden. Hier an der ersten Schaltstelle werden neben hemmenden Stoffen, den Endorphinen, auch sog. pronozizeptive Transmitter wie Substanz P, Glycin, Glutamat, Neurokinin A und B freigesetzt. Wie in anderen Hirnregionen werden auch hier die synaptischen Potentiale über verschiedene Subtypen des Glutamatrezeptors (NMDA-Rezeptor, AMPA-Rezeptor) vermittelt, wobei sich, als Folge wiederholter synaptischer Reizungen, ein Lernvorgang an der Nervenzelle manifestiert. Weil in der Folge immer wieder Schmerzreize an der Nervenzelle ankommen, wird diese die Zahl ihrer spontanen Entladungen erhöhen und anschließend, auch ohne erhöhten Reiz, eine gesteigerte Entladungsrate hochfrequenter Aktionspotenziale aufweisen (Wind-up-Phänomen oder Phase der Bahnung). Die durch den Reiz ausgelöste Reaktionsbereitschaft bleibt der Nervenzelle erhalten. Es wirken jetzt vermehrt die freigesetzten nozizeptiven Transmitter auf die folgenden Nervenzellen mit einer verhängnisvollen Kaskade: In der Zellmembran öffnen sich Ca2+-Ionenkanäle, die im Inneren der Nervenzelle Botenstoffe, sog. „second messenger“, aktivieren. In der Folge werden diese Transkriptionsfaktoren spezifische Eiweißstoffe, „immediate-early-genes“, nach Bindung an Ziel-Gene zur Umsetzung der genetischen Information in eine Strukturinformation veranlassen. Die Zelle wird zur Synthese von spezifischen Proteinen angeregt, wobei mit Steigerung der Transkriptionsrate eine Neubildung und Synthese von zusätzlichen Rezeptoren und lonenkanälen ausgelöst wird. Die Zelle wird in eine permanente „Hab-Acht-Stellung“ versetzt (Phase der Sensibilisierung und der Hyperreaktivität), in der auch spontan Neurotransmitter und Neurohormone verstärkt ausgeschüttet werden können (Phase der Allodynie). Im Endstadium hat die Nervenzelle die Schmerzinformation nicht mehr vergessen, eine chronische Übererregbarkeit ist die Folge, es ist ein Schmerzgedächtnis entstanden, das, auch wenn der ursprüngliche Auslöser für die Schmerzafferenz nicht mehr existent ist, dauerhaft an den schmerzhaften Eingriff erinnert und fortan auch solche Reize an das Bewusstsein weiterleitet die normalerweise als harmlose Kälte- oder Druckreize empfunden worden wären (Phase der chronischen Übererregbarkeit, Abb. 4–1).
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Freye, E. (2002). Neurophysiologische Grundlagen chronischer Schmerzen. In: Opioide in der Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-09098-5_4
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