Zusammenfassung
Mit dem Recht befassen sich heute eine Reihe verschiedener Wissenschaften: die Rechtsphilosophie, die Rechtstheorie, die Rechtssoziologie, die Rechtsgeschichte und die Jurisprudenz („Rechtsdogmatik“), um nur die wichtigsten zu nennen. Sie sehen das Recht jeweils unter einem anderen Aspekt, daher auf verschiedene Weise. Das wäre nicht möglich, wenn nicht das Recht ein überaus komplexes Phänomen wäre, das sich auf verschiedenen Ebenen des Seins, in jeweils verschiedenen Zusammenhängen zeigt. Wie die Sprache, die Literatur, die Kunst, aber auch der Staat oder die technische Zivilisation gehört es dem weiten Bereich menschlicher Hervorbringungen an; es ist ein Bestandteil der Welt, die gerade dem Menschen und nur ihm zugehörig ist; in diesem Sinne gehört es nicht zur „Natur“. Es hat ferner einen nahen Bezug zum sozialen Dasein des Menschen: es ist, nach allgemeiner Meinung, ein Inbegriff von Regeln, nach denen die Menschen ihr Verhalten untereinander einrichten, und an denen sie es messen lassen. Es ist eine Bedingung für alle höher entwickelten Gesellschaftsformen, indem es ermöglicht, Konflikten vorzubeugen oder sie in friedlicher Weise beizulegen. Dem dienen vor allem das Gerichtswesen und Vollstreckungsmöglichkeiten. Diese haben ihrerseits bereits eine bestimmte Verfassung der Gesellschaft, ihre Organisation als einer Rechtsgemeinschaft, zur Voraussetzung. Rechtsverfassung und Gesellschaftsverfassung bedingen sich wechselseitig. Das Recht tritt als ein soziales Phänomen in den Blick, wenn wir nach seiner Rolle im Ablauf sozialer Prozesse, den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Entstehung und Durchsetzung, seiner Effizienz, nach der „Macht“ oder der „Ohnmacht“ des Rechts fragen. In dieser Blickrichtung ist es Gegenstand der Rechtssoziologie.
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Literatur
Hart, The Concept of Law, 1961 (deutsch: „Der Begriff des Rechts“, 1973) S. 86 ff. spricht von dem „internal” und „external aspect of rules“. Gegen die Vertauschung der Begriffe zutreffend R. Lautmann, Wert und Norm, 2. Aufl. 1971, S. 59 f.
Gerhart Husserl, Recht und Zeit, S. 22. Zur Geschichtlichkeit des Rechts vgl. ferner A. Kaufmann, Rechtstheorie S. 81 ff.
Darauf weist Schelsky in JbRSozRTh Bd. 3, S. 604 — unter Zurückweisung eines Ausschließlichkeitsanspruchs der Rechtssoziologie — hin.
Dazu Wieacker, Notizen zur rechtshistorischen Hermeneutik, in Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-historische Klasse,1963, S. 3 ff.
Hierzu Naucke, Ober die juristische Relevanz der Sozialwissenschaften, 1972.
G. Jahr U. W. Maih0fer (Herausgeber), Rechtstheorie, S. 311.
Rechtstheorie, herausgeg. von A. Kaufmann, 1971, S. 3.
Hassemer, in demselben Band, S. 27.
In demselben Band, S. 19 ff., 23.
Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion, 1967.
In JbRSozRTh Bd. 2, S. 51 ff.
Ebenda, S. 75 (These 6).
Das behauptet indessen Pauls in A. Kaufmann, Rechtstheorie, S. 64 f.
Zutreffend bemerkt Schild (in Geschichte und System, Festschr. f. Erich Heintel, S. 165), der Rechtswissenschaftler müsse zunächst voraussetzen, daß der Gesetzgeber „Vernünftiges“ („Gerechtes”) will, dann aber „diese Voraussetzungen einholen“, d. h. er müsse „diese gerechte Ordnung in den gegebenen Gesetzen selbst darlegen”, was man als „nachvollziehendes Wertverständnis“ bezeichnen könne. Es versteht sich, daß er dabei auch auf Diskrepanzen stößt, die ihn zur Kritik und auch zu Verbesserungsvorschlägen veranlassen. Vgl. dazu auch Ryffel, Grundprobleme der Rechts-und Staatsphilosophie, S. 48.
Beispiele: Die Änderungen des Abzahlungsgesetzes und der Vorschriften über die Zulässigkeit der Gerichtsstandvereinbarungen.
Zur Einführung in diese Problematik: G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, 1925; meine Schrift „Das Problem der Rechtsgeltung“, 1929, Neudruck mit Nachwort 1967; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1977, S. 543 ff.; Festschr. f. Marcic, 1974, S. 63; Welzel, Die Frage nach der Rechtsgeltung, 1966; Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, S. 56 ff.
In seinen Abhandlungen über „Funktion und Kausalität“ und „Funktionale Methode und Systemtheorie” in dem Band „Soziologische Aufklärung“, Bd. 1, 3. Aufl. 1972, S. 9 ff. und 31 ff.
Zutreffend sagt Podlech (ArchöffR 95, 195), daß „über den Bereich des Sollens im weiten Sinn nicht in einer rein deskriptiven Sprache gesprochen werden kann“. Den Grund dafür gibt Hare (Die Sprache der Moral, S. 123) an. „Wertwörter”, sagt er, „haben eine bestimmte Funktion in der Sprache, nämlich die des Empfehlens; und so können sie einfach nicht mittels anderer Wörter definiert werden, die diese Funktion nicht haben.“ Den gleichen Gedanken führt Frankena (Analytische Ethik, S. 117 ff.) weiter aus. Werturteile unterschieden sich von Tatsachenbehauptungen dadurch, daß sie eine Stellungnahme für oder wider, eine Empfehlung oder Anleitung zum Ausdruck brächten. Könnte man einen normativ gemeinten Begriff lediglich durch deskriptive Merkmale definieren, so müßte man aus ihm mittels weiterer Tatsachenbehauptungen Werturteile ableiten können. Aus Prämissen, die lediglich Aussagen über Tatsachen enthalten, könnten aber nur Tatsachenbehauptungen gefolgert werden. Der spezifische Sinn eines Werturteils müßte so verloren gehen. Frankena bezweifelt daher mit Recht, daß wir im Bereiche der wertenden Urteile „ohne ein spezifisches Vokabular dafür auskommen, wozu uns unsere ethischen Begriffe bis jetzt gedient haben — nämlich (zumindest auch) dazu, positiv oder negativ zu etwas Stellung zu nehmen, etwas zu empfehlen, vorzuschreiben, zu bewerten usw.” In seiner vorwiegend auf Sprachanalyse gestützten Verdeutlichung der Ausdrücke „Wert“ und „Norm” betont R. Lautmann (Wert und Norm, 2. Aufl. 1971, S. 104), das ihnen eigene normative Element sei „durch ein Wort der normativen Sprache zu bezeichnen.“ Als passende Bezeichnungen (für
Es ist mir natürlich klar, daß Wittgenstein mit dem Ausdruck noch mehr verbindet. Vgl. hierzu auch Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, 1974, S. 211 f.
Philosophische Untersuchungen Teil I, Nr. 30. H a.a.O. Nr. 182.
G. Husserl, Erfahrung des Rechts, in: Recht und Zeit, S. 68, 73 ff.
Gadamer, Wahrheit u. Methode, S. 360.
Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 29 ff., 52 ff.
Anders Hruschka, a.a.O.: für ihn ist das positive Recht als „geltendes“ nicht die „Sache Recht”, sondern bereits eine (sprachliche) Auslegung dieser „Sache Recht“, die als solche sprach-jenseitig, extra-positiv ist, dem „positiven Recht” als Bedingung seiner Möglichkeit (im hermeneutischen Sinne) zugrundeliegt.
Vgl. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 14, 21, 41, 210.
Die „Sache Recht“ als hermeneutisches a priori, d. h. als die Bedingung der Möglichkeit des Verstehens von Rechtstexten herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst der Arbeit von Hruschka - auch wenn ich seiner näheren Bestimmung dieser „Sache”, insbesondere seiner Lehre von dem „Rechtsphänomen“, nicht zu folgen vermag.
Anders wohl Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 291. Für ihn ist Verstehen „immer Auslegung“.
Hruschka (a.a.O., S. 6) meint, Auslegung sei kein Erkenntnisvorgang, sondern ein sprachlicher Akt, als solcher die „Außenseite“ eines Erkenntnisvorgangs, seine Artikulation und Objektivation. Gewiß artikuliert sich das Verständnis in einer Aussage, doch sehe ich nicht ein, warum nicht der ihr zugrunde-liegende Erkenntnisvorgang selbst als „Auslegung” sollte bezeichnet werden können.
a] Der „Vorbegriff“ im Sinne Pannenbergs (Wissenschaftstheorie und Theologie, S. 195, 201).
Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 107, vergleicht den Verstehensprozeß daher nicht mit einem Kreis, sondern mit einer Spirale. Vgl. auch A. Kaufmann, in: Festschr. f. Gallas, 1973, S. 20.
Dazu RurP in Njw 73, 1769 und meine Abhandlung über „Die Bindung des Richters als hermeneutisches Problem“ in der Festschr. f. Ernst Rudolf Huber, 1973, S. 291.
Vgl. dazu die Ausführungen von P. Badura über „Grenzen und Möglichkeiten des Richterrechts“ in der Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes, Bd. X, 1973. Die Bindung des Richters an das Gesetz bedeute, sagt Badura, „die verfassungsrechtlich vorgesehene Funktion des Gesetzes mit den Mitteln der juristischen Argumentation und Begründung bei der Findung einer gerechten Entscheidung zur Geltung zu bringen”. Das ist mehr, als nur eine nachträgliche Kontrolle der auf anderem Wege schon gefundenen Entscheidung auf ihre bloße Vereinbarkeit mit dem Gesetz hin, jedenfalls dann, wenn dabei die schon gefundene Entscheidung die jeweilige Methodenwahl bestimmt.
Esser versteht den Begriff eindeutig im Sinne der Hermeneutik. Dazu vgl. den Bericht von KÖTZ in AcP 172, S. 175.
Trefflich hierzu Ryffel, Redussoziologie, 1974, S. 350 ff.
Grundlegend zum Typus und seiner Verwendung in der Rechtswissenschaft Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 2. Aufl., S. 237 ff.; 308 f.; Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; vgl. auch das Nachwort unter Nr. 5.
Das tritt deutlich zutage, wenn etwa Zeuner (bei Soergel-Zeuner, 16 zu S 831 Bgb) schreibt: „Verrichtungsgehilfen sind typischerweise — wiewohl keineswegs ausschließlich — namentlich die Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern.“
Vgl. Engisch, Die Idee der Konkretisierung, S. 242; Festschr. f. Karl Larenz, S. 129 f. (Anm. 17); Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, S. 310 ff.; Harm Peter Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 103; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971, S. 34 ff.
Anders wohl Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968, S. 109 ff.
E. Topitsch, Logik der Sozialwissenschaften, 8. Aufl. 1972, S. 28.
Engisch in der Festschr. f. Karl Larenz, 1973, S. 152.
Meyer-Cording, Kann der Jurist heute noch Dogmatiker sein? 1973.
In der Schrift: Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974.
Vgl. meine Abhandlung über „Die Bindung des Richters an das Gesetz als hermeneutisches Problem“ in der Festschr. für E. R. Huber, 1973, S. 291 ff.
Diesen Unterschied verkennt Ballweg, wenn er (JbRSozRTh Bd. 2, S. 45) die Denkweise der Jurisprudenz schlechthin als durch den Entscheidungszwang geprägt bezeichnet.
Die Frage war Gegenstand der Beratungen des 47. Deutschen Juristentages, 1968, sowie des „Karlsruher Forums” 1963. Obersicht über den Diskussionsstand und über das Schrifttum in meinem Lehrb. des Schuldrechts, 11. Aufl., Bd. 2, § 41a, S. 68 ff.
Als Beispiel für eine rechtspolitische Untersuchung, in der Rechtsprobleme als solche deutlich gemacht, Alternativen und Gesichtspunkte zu deren Beurteilung aufgezeigt werden, kann die von Walter Löwe über den Schutz des Verbrauchers
Zutreffend bemerkt A. Kaufmann (Festschrift für K. Larenz, 1973, S. 371, ein Rechtsprechungscomputer, der „nur ein einziges Mal per saecula saeculorum programmiert wird, würde „auch den unerschütterlichsten Positivisten das Gruseln lehren“.
Philipp Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung und andere Schriften, Studien u. Texte zur Theorie und Methodologie des Rechts, Bd. 2, S. 146 f.
So O. Ballweg in JbRSozRTh Bd. 2, S. 45 f
Weber sei, meint Loos (Zur Wert-und Rechtslehre Max Webers, S. 49), offenbar so fest davon überzeugt gewesen, „daß der Wertbereich der ratio entzogen ist, daß er über die Beweisbedürftigkeit dieser Auffassung „nicht einmal reflektierte“.
Wahrheit und Methode, 3. Aufl., S. 522. Ähnlich auch Ryffel, Rechtssoziologie, S. 195.
Perelmann, Über die Gerechtigkeit, S. 134 f.
Vgl. Victor Kraft, Die Grundformen der wissenschaftlichen Methoden, 2. Aufl., Wien 1973, S. 11: „Die wissenschaftlichen Methoden… dienen nicht zur Entdeckung, sondern zur Begründung als Erkenntnis. Sie haben die Aufgabe, zu gewährleisten, daß eine Aussage eine Erkenntnis enthält.“
Kitagawa, Rezeption und Fortbildung des europäischen Zivilrechts in Japan, 1970, S. 176 ff.
Ansätze dazu bei David-Grassmann, Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart, 1966, S. 97 ff., 316 ff., 404 ff.
Das gilt wohl für die Methodologie einer jeden Wissenschaft. R. Lautmann, Wert und Norm, 2. Aufl., S. 112, Anm. 6, weist darauf hin, daß „in methodologischen Erörterungen häufig das Wort,soll’ einschließlich seiner Äquivalenzen“ auftauche. Methodologische Normen schrieben „den Gang der wissenschaftlichen Forschung” vor. (Ich würde freilich vorziehen, zu sagen, daß sie lediglich Empfehlungen, keine strikt zu befolgenden Vorschriften darstellen.) Sie könnten zwar, „wie alle Normen“, nicht „begründet” (das soll wohl heißen: durch logische Schlüsse abgeleitet oder empirisch bestätigt) werden; „wohl aber kann man zeigen, daß die jeweilige Norm durch (in der Regel: wissenschaftsethische) Werte gerechtfertigt wird und auf welche Weise sie diesen Zweck erfüllt“. Zu zeigen, daß und warum etwas — in der Methodologie: eine bestimmte Weise des gedanklichen Verfahrens — „gerechtfertigt” ist, ist in der Tat die Aufgabe der normativen Wissenschaften, und „gerechtfertigt“ ein Schlüsselwort der normativen Sprache.
Vgl. auch Albert in: TopItsch, Logik der Sozialwissenschaften, B. Aufl. 1972, S. 187.
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Larenz, K. (1979). Einführung. In: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. Abteilung Rechtswissenschaft. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-08715-2_8
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