Zusammenfassung
Die Gesetzesanwendung, so hatten wir früher (Kap. 4, 1) gesehen, ist ein gegenläufiger Prozeß, in dessen Verlauf aus dem „Rohsachverhalt“ im Hinblick auf die möglicherweise anwendbaren Rechtssätze der endgültige Sachverhalt als Aussage gebildet und der Inhalt der anzuwendenden Normen so weit präzisiert wird,ir gesagt (Kap. 2 unter 3 a), ist „ein vermittelndes Tun, durch das sich der Auslegende den Sinn eines Tex als das wiederum im Hinblick auf den Sachverhalt notwendig ist. „Auslegen“, so hatten wtes, der ihm problematisch geworden ist, zum Verständnis bringt“. Problematisch wird dem Anwender der Normtext im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Norm gerade auf einen derartigen Sachverhalt. Daß die genaue Bedeutung eines Gesetzestextes immer wieder problematisch wird, liegt in erster Linie daran, daß die Umgangssprache, deren sich das Gesetz weithin bedient, anders als eine mathematisierte Logik und Wissenschaftssprache keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe verwendet, sondern mehr oder minder flexible Ausdrücke, deren mögliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwankt und je nach den Umständen, der Sachbezogenheit und dem Zusammenhang der Rede, der Satzstellung und Betonung eines Wortes unterschiedlich sein kann. Selbst wo es sich um einigermaßen festbestimmte Begriffe handelt, enthalten diese häufig Merkmale, die ihrerseits einer scharfen Begrenzung entbehren. Erinnert sei an das Merkmal der „zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen“ (§ 94 Abs. 2 BGB) und der „Neuheit“ einer Sache (§ 950 Abs. 1 BGB)1.
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Referenzen
Oben Kap. 1, 4 a und Kap. 3, 3 c.
NJW 57, 1963.
Vgl. dazu Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, S. 46 ff.; Bydlinski, Jur. Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 463 f.
Vgl. Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 5 ff.
Vgl. dazu mein Lehrb. des Allgemeinen Teils des BGB, 7. Aufl., § 15, 1 b.
System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 206 f., 211.
Vgl. die Angaben S. 32 ff. der vollständigen Ausgabe; ferner Engisch, Einführung S. 88 ff.; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 11 ff.
Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., § 54.
Vgl. Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 550 ff.
Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, S. 617.
Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 130.
Nach diesem „methodologischen Modell“ verfährt nach der Meinung von Zygmunt Ziembinsky (RTh Beiheft 1, 1979, S. 215 ff.) die Rechtswissenschaft durchweg.
Treffend sagt Gerhart Husserl (Recht und Zeit, S. 26): „Wenn eine Rechtsnorm heute anders ausgelegt wird als im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vor 30 Jahren, so ist das durch ihre geschichtliche Zeitstruktur gerechtfertigt. Normen des Rechts entfalten die ihrem Sinne gemäße Wirkung, indem und insoweit sie mit der Zeit mitgehen“.
Insoweit stimme ich mit Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl., S. 249 (Anm. 104 b) überein.
Man kann diese Auffassung mit Koch/Rüssmann, a. a. O., S. 178, als „Vereinigungstheorie“ bezeichnen.
Das betont auch Betti, der die juristische Auslegung als „Auslegung mit normativer Aufgabe“ einordnet (Allgemeine Auslegungslehre, S. 600 ff.). Dennoch sei es unbestreitbar, sagt er (a. a. O., S. 632), „daß die juristische Auslegung nicht darauf verzichten kann, den Prozeß der Entstehung des Gesetzes in Betracht zu ziehen, d. h. die Art und Weise, wie die Normierung ursprünglich gedacht war und wie die im Spiel stehenden Interessen gewertet und abgewogen wurden. Daran ist festzuhalten trotz des paradoxen Widerspruchs gewisser Formulierungen, die das Gegenteil zu behaupten scheinen. Die Erkenntnis der ursprünglichen Wertung, die den Buchstaben des Gesetzes latent innewohnt und den Rechtsgrund (ratio iuris) der Norm bildet, ist unentbehrlich um festzustellen, in welchem Maße mit dem Aufkommen von Wandlungen in der sozialen Umwelt oder neuer Richtungen innerhalb der Rechtsordnung Sinnänderungen eingetreten sind. Denn nur durch die Vermittlung der ursprünglichen Wertung, und nicht etwa unmittelbar, ist es zulässig und gerechtfertigt, zu einer Anpassung und Umstellung des Gesetzestextes auf die lebendige Gegenwart überzugehen. Dabei tut es not, das statische Interesse an der Beständigkeit, Bewahrung und Sicherheit der Rechtsnormierung mit der dynamischen Forderung nach Anpassung und Umgestaltung in der Richtung der Sozialentwicklung gerecht, doch unter Wahrung der Kontinuität abzuwägen“. Diese Ausführungen verdienen Zustimmung. Sie machen deutlich, daß eine auf die Ermittlung des (heutigen) normativen Sinnes des Gesetzes gerichtete Auslegung an der Intention des historischen Gesetzgebers nicht vorbeigehen kann, und vermeiden so zutreffend die Einseitigkeit sowohl der subjektiven wie der objektiven Auslegungstheorie.
Zur Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und zur Feststellung der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch üblichen Bedeutung vgl. Koch/Rüssmann, a. a. O., S. 126 ff., 188 ff. Auf-schlußreich ist die von ihnen auf S. 128 f. besprochene Entsch. des BGH zur Bedeutung des Ausdrucks „Fenster“.
Vgl. hierzu Gerhart Husserl, Recht und Zeit, S. 72 ff.
Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, S. 42. Ihm folgen die meisten; so Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 423; Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, S. 294 f.; Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung, S. 29; Zippelius, Einführung in die Methodenlehre, 4. Aufl., S. 43; auch Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 153 ff.
a Gegen die Feststellbarkeit des allgemeinen Sprachgebrauchs spricht nicht, daß dieser immer nur, wie Christensen („Was heißt Gesetzesbindung?“, 1989, S. 79) meint, durch eine „offene Aufzählung von Beispielen“, nicht durch eine exakte Definition, angegeben werden kann. Daß eine bestimmte Bedeutung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht mit diesem Ausdruck verbunden werden kann, ist für jeden Sprachkundigen ohne weiteres einsehbar, ohne daß es dafür einer exakten Begriffsbestimmung bedürfte. Damit kann von Fall zu Fall festgestellt werden, ob eine bestimmte Deutung die Grenze der möglichen Wortbedeutung überschreitet oder nicht.
Dagegen meint Schiffauer (in seiner Schrift: Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 36 ff.), die Grenze sei „in der Praxis nicht intersubjektiv bestimmbar“. Er verneint deshalb die Brauchbarkeit des möglichen Wortsinns als Grenze zwischen Auslegung (im engeren Sinn) und Rechtsfortbildung. Ähnlich auch Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 23 ff.
Über Analogieverbote vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 183 ff.
So von Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 57 III, besonders Anm. 4; Dahm, Deutsches Recht, 2. Aufl., S. 66; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl., S. 82 und 249 (Anm. 106 b); Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Straf recht, 1977, S. 127 ff., 146 ff.; Bydlinski, Jur. Methodenlehre u. Rechtsbegriff, S. 467 ff.
BGHZ 46, 74, 76.
BGHZ 52, 259, 262.
BGHSt 1, 3.
In NJW 51, 683.
Einführung, S. 153.
BGHZ 57, 304.
Vgl. dazu Herschel in BB 1966, S. 791.
Zu diesen vgl. Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl., §§ 2, II, 6; 49, III, 1–3; 65, II, 2.
Zutreffend sagt Westermann (Sachenrecht, § 16, 4), die Abgrenzung zwischen freiwilliger Besitzaufgabe und Abhandenkommen habe vor allem für § 935 BGB Bedeutung und müsse daher von der für § 935 maßgebenden Interessenlage aus erfolgen. Aus dieser, d. h. aus ihrer gesetzlichen Wertung durch eine Kombination des „Rechtsscheinprinzips“ und des „Veranlassungsprinzips“, bestimmt er sodann (in § 49, 1) das Abhandenkommen als unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes.
Friedrich Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl., S. 212.
So Engisch, Einführung, S. 95.
Vgl. BVerfGE 54, 298.
Trotz mancher gegenteilig klingender Sätze hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die Entstehungsgeschichte immer wieder dann maßgeblich herangezogen, wenn aus ihr Wesentliches für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift zu entnehmen war; so BGHZ 46, 80.
BGHZ 28, 144, 149 f.
Vgl. mein Lehrb. des Allgemeinen Teils, 7. Aufl. 1989, S. 107 ff.
So die h. L.; anders Stürner (AcP 173, 402), der vorschlägt, nur solche rechtliche Nachteile anzurechnen, die typischerweise für das Vermögen des Minderjährigen eine Gefährdung darstellen.
So v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. II, 1, S. 341, Anm. 49; Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 151, Anm. 7; Flume, Allgemeiner Teil, § 13, 7 b; sowie die meisten Kommentare. Dem steht nicht entgegen, daß der unberechtigt verfügende Minderjährige Bereicherungsansprüchen aus § 816 BGB und möglicherweise Deliktsansprüchen ausgesetzt ist. Diese ihm nachteiligen Folgen ergeben sich nicht aus dem Inhalt des von ihm vorgenommenen Rechtsgeschäfts selbst, sondern aus anderen Gesetzesbestimmungen aufgrund der begleitenden Umstände.
Steindorff in der Festschr. f. Karl Larenz, 1973, S. 217.
Daß auch solche Kriterien wenigstens dann zu berücksichtigen sind, wenn die anderen versagen oder zu einem offenkundig unsinnigen Ergebnis führen, betont ebenfalls Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 453 ff. Dabei geht es um Kriterien der „Sachgerechtigkeit“ (Fikentscher, Friedrich Müller), wie Kriterien rechtsethischer Richtigkeit (Coing, Kriele, Pawlowski). Auf die — unterschiedliche — Terminologie kommt es dabei nicht so sehr an. Koch/Rüssmann, S. 169 f., 222 ff., lehnen eine „objektiv-teleologische“ Auslegung zwar ab, verstehen darunter aber offenbar etwas anderes, als der obige Text.
Friedrich Müller, Normstruktur und Normativität, 1966; Juristische Methodik, 3. Aufl. S. 141 ff.
BVerfGE 30, 173. Vgl. zu diesem Urteil unten Kap. 5, 3.
Hagen (Festschr. f. K. Larenz, 1973, S. 868) spricht von einer „Auslegungsregel im Sinne einer Vermutung für die Konformität der rechtlichen Wertungen für die dogmatische Lösung einander entsprechender Sachprobleme“.
Zutreffend weist Engisch (Die Einheit der Rechtsordnung, S. 63) darauf hin, daß Wertungswidersprüche durch die Auslegung nicht immer beseitigt werden können und daß sie auch nicht wie die „Normwidersprüche“ notwendig beseitigt werden müssen. In der Tat lassen sich Wertungswidersprüche zwischen gesetzlichen Regelungen, die verschiedene, weit auseinander liegende Materien betreffen oder zu verschiedenen Zeiten entstanden sind, wohl nie ganz vermeiden. Vergl. auch Engisch, Einführung, S. 163 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 113 ff. und unten Kap. 6, 3 c.
So die heute herrschende Lehre: Wolff-Raiser, Sachenrecht, § 85, II, 6; Westermann, Sachenrecht, § 31, III, 1; Münch Komm/Medicus, Rdn. 1 u. 7 zu § 893 BGB; vergl. auch den BGH, LM Nr. 15 zu § 812 BGB. Zu beachten ist noch folgendes: Außer der Leistungskondiktion wegen der grundlosen Hingabe der Muttersache, die sich nach § 818 Abs. 1 auf die gezogenen Nutzungen mit erstreckt und nach dem Gesagten durch die Regelung der §§ 987 ff. nicht ausgeschlossen wird, kann dem Eigentümer wegen der von dem Besitzer gezogenen Nutzungen noch ein direkter Kondiktionsanspruch aus dem Gesichtspunkt des Eingriffserwerbs zustehen (vgl. v. Caemmerer, Festschrift für Rabel, Bd. I, S. 362 ff.). Dieser Anspruch wird aber in der Tat durch § 993 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, da er sich, wie v. Caemmerer, a. a. O., überzeugend dargelegt hat, auf die Zuordnungsfunktion des Eigentums gründet und ebenso wie die Vindikation dem Schutze des Zuweisungsgehaltes des Eigentums dient. In bezug auf diesen Anspruch stellen die §§ 987 ff. BGB daher in der Tat eine Sonderregelung dar. Von Bedeutung ist das dann, wenn der Besitzer die Sache nicht vom Eigentümer, sondern rechtsgrundlos von einem Dritten erlangt hat, dem Eigentümer daher die Leistungskondiktion nicht zur Verfügung steht. Der Besitzer braucht in diesem Fall dem Eigentümer die Nutzungen (außer Übermaßfrüchten) nicht herauszugeben; er hat sich darüber lediglich mit dem Dritten auseinanderzusetzen.
Darüber unten Kap. 7, 3.
Vgl. Friese in NJW 51, 336.
Unrichtig ist allerdings die Meinung des BGH, dies sei schon im Jahre 1902 in der Entscheidung RGZ 53, 77 geschehen. Denn hier lag auch auf Seiten der Bahn ein von ihr zu vertretendes Verschulden vor. Eindeutig hat dagegen das RG in der Entscheidung RGZ 56, 154 den § 254 BGB auch bei bloßer Gefährdungshaftung der Bahn für anwendbar erklärt.
BGHZ2, 355.
BGHZ 52, 259. Vgl. oben S. 198 f.
RGZ 71, 152, 155.
BVerfGE 2, 266, 282; 8, 28, 34; 9, 194, 197 ff.; 12, 45, 49 ff.; 14, 56, 73;16, 306, 329; 7, 306, 318; 18, 18, 34; 19, 1, 5; 242, 247; 268, 281; 21, 292, 305; 33, 52, 65; 48, 40, 45; 49, 148, 157; 69, 1, 55; 27, 297, 355.
Vgl. BVerfGE 59, 350 ff.
Vgl. dazu Spanner, ArchöffR 1966, S. 503, 507 ff., Friedrich Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl. S. 85 ff.; Prümm, Verfassung und Methodik, 1977, Zippelius in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, S. 108 ff.
Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung. Grenzen und Gefahren, 1986.
Ausdrücklich heißt es in BVerfGE 8, S. 34: „Keinesfalls darf jedoch eine solche verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen“. Noch deutlicher heißt es in BVerfGE 54, S. 299: „Nach der Rechtsprechung des BVerfGerichts darf im Wege der Auslegung einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt nicht grundlegend neu bestimmt, das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden“.
BVerfGE 33, 52, 70.
Vgl. hierzu Koch/Rüssmann, a. a. O., S. 266 ff Auch eine (nach allgemeinen Grundsätzen zulässige) Rechtsfortbildung muß selbstverständlich verfassungskonform sein; eine verfassungskonforme Rechtsfortbildung hat den Vorrang vor einer nach allgemeinen Grundsätzen ebenfalls möglichen, aber nicht verfassungskonformen Auslegung oder Rechtsfortbildung.
Vgl. Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, 1969, S. 24, 30 ff., 40.
So zutreffend Göldner, a. a. O., S. 182 f., 208, 237.
BVerfGE 7, 198, 215; 27, 1, 6; 30, 173, 193.
BVerfGE 32, 311, 316.
Kritisch hierzu Friedrich Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl., S. 59; Zippelius, Wertungsprobleme im System der Grundrechte, S. 193 ff.; Böckenförde, NJW 74, 1529, 1534.
So in BVerfGE 30, 193 („Mephisto“-Urteil).
In BVerfGE 7, 198 („Lüth“-Urteil). Ebenso BVerfGE 12, 124; 25, 55; 42, 150.
BVerfGE 27, 79.
So aber Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 25 f.
So auch Esser, Grundsatz und Norm, S. 253: „Jede Anwendung des Gesetzes ist bereits Interpretation, denn schon die Entscheidung, der Wortlaut des Textes sei so eindeutig, daß er eine Auslegung überflüssig mache, beruht auf einer Interpretation“. Ebenso Weinsheimer, NJW 59, 566; Rittner, Verstehen und Auslegen, 1967, S. 63.
Eine Rangfolge nehmen Koch/Rüssmann, a. a. O., S. 176 ff. und Alexy, Theorie der juristischen Argumentation S. 302 ff. an. Beide begründen sie vornehmlich mit dem Vorrang der Gesetzesbindung. Nach beiden haben Wortsinn, Bedeutungszusammenhang und Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers den Vorrang vor den objektiv-teleologischen Kriterien, nach Alexy jedoch nur insoweit, als sich nicht „vernünftige Gründe dafür anführen lassen, den anderen Argumenten den Vorrang einzuräumen“ (S. 305). Für einen Vorrang des historischen Gesetzeszwecks auch Hassold in meiner Festschrift 1983, S. 217, 232. Coing -Rechtsphilosophie, 4. Aufl. S. 329 f. — betont, daß stets alle Kriterien zu beachten seien; eine Rangordnung unter ihnen lehnt er ab. Gegen eine feste Rangordnung auch Zippelius, Juristische Methodenlehre, 4. Aufl. 1985, S. 55; Hassemer, ARSP1986, S. 204. Zur Rangfrage ferner Bydlinski, Juristische Methodenlehre u. Rechtsbegriff, S. 553 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl. 1977, 2, S. 94 ff. 242; zum Verfahren der Praxis Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones für die praktische Rechtsanwendung, 1988.
Nicht zustimmen kann ich daher Adomeit, wenn er in seiner Schrift „Normlogik-Methodenlehre-Rechtspolitologie“, 1986, S. 165, schreibt, ob man die einen oder die anderen Argumentationsformen benutzen wolle, sei eine Frage der eigenen politischen Positionswahl und könne nicht durch eine Methodologie vorentschieden werden. 70a Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S. 427 ff.
Kennzeichnend hierfür etwa der frühere Präsident des BGH, Bruno Heusinger, in seiner Schrift: Rechtsfindung und Rechtsfortbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung, 1975. Er sagt dort (S. 5): „Ich möchte meinen, Rechtsprechung ist nicht so sehr ein logisches Glasperlenspiel, als vielmehr ein finales Handeln, ausgerichtet auf ein vernünftiges Ergebnis, wie es der Gerechtigkeit entspricht“. Zwar betont er sogleich auch die Bindung an Gesetz und Recht, aber diese gehe nicht so weit, „daß sie in formallogischer Abhängigkeit vom Gesetz auch etwas Unvernünftiges verwirklicht wissen will“.
Kennzeichnend dafür ist der Beschluß des BVerfG zur Zulässigkeit eines „Schmerzensgeldes“ in Fällen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts; NJW 73, 1221. Das BVerfG scheut sich hier nicht, im Vergleich mit einer sonst angeblich drohenden „Einbuße an Gerechtigkeit im Einzelfall“ die „Gesetzestreue“ mit dem abwertenden Beiwort „formal“ zu versehen. Vgl. zu dem Beschluß meine Abhandlung in Archiv für Presserecht, 1973, S. 450.
Wenn das von Diederichsen (in der Festschr. f. Karl Larenz, 1973, S. 177) so genannte „Untragbarkeitsargument“ überzeugend wirkt.
Über die Herkunft dieses Satzes aus der Kanonistik und seine Geltung im älteren gemeinen Recht vgl. H. Krause, Savzkanaa 46 (1960), S. 81.
BGHZ 29, 163.
BGHSt 1, 167.
BGHZ 46, 313.
Vgl. dazu meinen Aufsatz in der Festschrift für Harry Westermann, 1974, S. 299 ff.
So hat das Bundesverfassungsgericht — E 7, 342, 350 — die Anwendbarkeit des „Kodifikationsprinzips“ der Art. 3, 55, 218 EGBGB auf das Arbeitsrecht verneint, da dieses „durch die seit Erlaß des BGB eingetretene sozialrechtliche Entwicklung“ aus dem Privatrecht herausgelöst worden sei.
Das hat das BVerfG hinsichtlich der Regelung des Ladenschlusses für Friseurbetriebe angenommen; BVerfGE 59, 336, 356 f. Schon früher hatte es entschieden, daß auch dann, wenn das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit einer Norm in einer früheren Entscheidung bejaht hat, die erneute Vorlage „jedenfalls“ dann zulässig sei, „wenn sie von der Begründung der früheren Entscheidung ausgeht und neue Tatsachen dartut, die geeignet sind, eine von der früheren Entscheidung des BVerfGerichts abweichende Entscheidung zu ermöglichen“. So BVerfGE 33, 199, 203 f.; ebenso BVerfGE 39, 169, 181.
Dazu Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, in Festschr. f. Maunz, S. 285; vgl. auch BVerfGE 2, 380, 401; 3, 407, 422.
BVerfGE 40, 296, 315. Zu diesem Urteil Pawlowski, a. a. O., Rdz. 387.
Einführung in das juristische Denken, S. 100 ff.
Vgl. mein Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 2, § 56, 1 und V.
Vgl. mein Lehrbuch des Allgemeinen Teils, 7. Aufl., § 20, IVa.
So BGH, LM Nr. 30 zu §123 BGB.
Vgl. hierzu RGZ153, 23; BGHZ 2, 244; 4, 222; 11, 143; BSG, NJW 59, 168. Kritisch dazu Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil, § 48, 1, 2; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl., S. 151 f.; Weinsheimer, NJW 59, 566.
Friedrich Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl., S. 211.
Vgl. dazu Kap. 6, 2 b (analoge Anwendung des § 645 BGB).
Vgl. hierzu auch BGHZ 17, 266. Hier hat der BGH eine Ausnahmeregel nicht nur einschränkend ausgelegt, sondern angesichts einer veränderten Sachlage teleologisch reduziert, also entgegen dem Wortsinn eingeschränkt.
Somló, Juristische Grundlehre, S. 373. Ähnlich Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd. 4, S. 299.
In der Festschrift für Wilhelm Felgentraeger, 1969, S. 353.
Die letzte größere Bearbeitung ist die „Theorie des Gewohnheitsrechts“ von Hans Mokre, 1932.
Im Sinne von Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 27 ff.; 56 ff.
Ziel der richterlichen Begründung ist, die Parteien und die Rechtsuchenden von der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung (im Sinne ihrer Übereinstimmung mit Gesetz und Recht) zu überzeugen. Zu diesem Zweck muß sie, wie Wilfried Schlüter, Das Obiter dictum, 1973, S. 97 mit Recht betont, „einen rational nachvollziehbaren, kontrollierbaren und damit diskutierbaren Begründungszusammenhang aufweisen“. Wenn auch nicht alle Urteile dieser Forderung genügen, so kann doch wenigstens unterstellt werden, daß die Gerichte bemüht sind, ihr nachzukommen.
BGHZ 25, 217.
LM Nr. 28 zu § 123 BGB.
Zutreffend sagt Schlüter, Das Obiter dictum, S. 31, die Gerichte seien „zur Aufstellung solcher zukunftweisenden Verhaltensnormen um so weniger in der Lage, als sie auch nicht annähernd über die Erkenntnisquellen und das Anschauungsmaterial des parlamentarischen Gesetzgebers verfugen können“.
Dreier/Schwegmann, Probleme der Verfassungsinterpretation, 1976.
Auf der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer im Jahre 1961, deren Thema die „Prinzipien der Verfassungsinterpretation“ waren (veröffentlicht 1963), knüpfte der erste Referent, Peter Schneider, betont an die allgemeinen Lehren der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik an. Der zweite, Horst Ehmke, vertrat dagegen ebenso eindeutig die „topische“ Denkweise. Er forderte, auch für die Verfassungsinterpretation „am Problem entwickelte sachliche Regeln für Problemlösungen“ zu entwickeln und postulierte als letztes Kriterium, statt eines „objektiven, materialen Rechtsprinzips“, den „Konsens aller vernünftig und gerecht Denkenden“.
a. a. O., S. 13.
Die Umbildung des Verfassungsgesetzes, a. a. O., S. 51 (zuerst gedruckt in Festschr. für Carl Schmitt, 1959, S. 35).
a. a. O., S. 53.
a. a. O., S. 54.
a. a. O., S. 63.
So Forsthoff in seiner Schrift „Zur Problematik der Verfassungsauslegung“, 1961, S.
Auflösung der rechtsstaatlichen Verfassung? a. a. O., S. 80; zuerst in ArchöffR 1960, S. 241.
a. a. O., S. 101.
a. a. O., S. 103.
Zeit und Verfassung, a. a. O., S. 293; zuerst in Ztschr. f. Politik, 1974, S. 111.
a. a. O., S. 298.
a. a. O., S. 307.
a. a. O., S. 311.
a. a. O., S. 306.
Vgl. hierzu die umfängliche Bibliographie in dem Sammelband von Dreier/Schwegmann, S. 329 ff.
a Eine gewisse Neigung hierzu zeigt das Bundesverfassungsgericht. So hat es wiederholt ausgesprochen, die Entstehungsgeschichte einer Verfassungsnorm könne zwar nicht völlig unberücksichtigt bleiben, ausschlaggebende Bedeutung komme ihr aber nicht zu; so BVerfGE 62, 45 und die dort angegebenen älteren Entscheidungen. Demgegenüber sucht Sachs in DVerwBl 1984, 73 ff. nachzuweisen, daß die Auslegungsspraxis des Gerichts mit der herrschenden Auslegungslehre übereinstimmt.
a. a. O., S. 267.
a. a. O., S. 138.
Anders Badura, Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, 1985, S. 67. Nach ihm gibt „die bisherige Praxis des Bundesverfassungsgerichts der Annahme keine Stütze, daß der Boden einer juristischen Argumentation und Begründung hätte verlassen werden müssen“.
Kriele a. a. O., S. 332 f.
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Larenz, K. (1992). Die Auslegung der Gesetze. In: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-08710-7_7
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