Überblick
Mit der Bestätigung der Chromosomentheorie war die Frage nach der zellulären Grundlage der Vererbung beantwortet. Die Aufklärung ihrer molekularen Grundlage hatte jedoch noch nahezu ein halbes Jahrhundert zu warten. Zugang zur Entdeckung der chemischen Verbindung, die die Erbanlagen enthält, erhielt man durch die Beobachtung, daß es möglich ist, erbliche Eigenschaften durch Infektion von Mäusen mit abgetöteten Erregern zu übertragen. Eine solche Übertragung von Erbinformation wird als Transformation bezeichnet. Die chemische Analyse der transformierenden Substanz ließ erkennen, daß es sich um Desoxyribonukleinsäure (DNA) handelt.
Der chemische Aufbau der DNA ist sehr einfach. Sie besteht aus einem Rückgrat aus Zucker- (Desoxyribose-) Molekülen, die durch Phosphodiesterbrücken miteinander verknüpft sind. An der Ribose befinden sich heterozyklische Basen. Insgesamt kommen in der DNA nur vier verschiedene Basen (Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin) vor.
Die DNA ist der Grundbestandteil der Chromosomen. In jeder Chromatide kommt sie in Form einer DNA-Doppelhelix vor, die aus zwei antiparallel umeinander gewundenen DNA-Strängen besteht. Die beiden DNA-Stränge der Doppelhelix werden durch Wasserstoffbrücken zwischen den Basen zusammengehalten. Bei dieser Verknüpfung der Basen durch Wasserstoffbrücken bestehen nur zwei verschiedene Möglichkeiten. Es kann entweder Guanin mit Cytosin oder Adenin mit Thymin verbunden werden. Man bezeichnet solche miteinander verbundenen Basen als Basenpaare und die durch Basenpaare verknüpften DNA-Stränge als komplementäre Stränge.
Nach den Vorstellungen Mendels muß sich die Erbsubstanz identisch duplizieren können. Aufgrund ihrer Struktur ist die DNA hierzu sehr einfach in der Lage. Trennen sich die beiden Stränge der Doppelhelix einer Chromatide, so kann an jedem der beiden Stränge ein neuer, komplementärer Strang synthetisiert werden, da seine Struktur durch die Basenfolge in dem alten Strang vollständig festgelegt ist. Man bezeichnet diesen Vorgang der Verdoppelung der DNA als Replikation. Durch Replikation entsteht eine zweite DNA-Doppelhelix, die die zweite Chromatide des Chromosoms formt. Während der Mitose können die beiden Chromatiden auf die Tochterzellen verteilt werden und die Kontinuität des genetischen Materials ist damit gesichert. Da bei der Replikation in beiden neu gebildeten DNA-Doppelhelices jeweils ein Strang der ursprünglichen DNA-Doppelhelix erhalten bleibt, wird die Replikation als semikonservativ bezeichnet.
Neben der identischen Verdoppelung des genetischen Materials muß auch seine Fähigkeit zur Rekombination erklärt werden können. Die DNA bietet auch hierfür eine einfache Erklärung. Durch Brüche in je einer Chromatide jedes homologen Chromosoms in gleichen Positionen und deren Verheilung in umgekehrter Ordnung, d.h. jeweils mit der gebrochenen Chromatide des homologen Chromosoms, läßt sich Rekombination erklären. Es erfolgt also ein physikalischer Stückaustausch zwischen den Chromatiden homologer Chromosomen.
In einigen Organismen, insbesondere bei Schimmelpilzen, kann man alle Meiosepro-dukte genetisch analysieren. Hierbei zeigt es sich, daß die genetische Konstitution der haploiden Zellen von der erwarteten Konstitution abweicht. Bei einem Stückaustausch zwischen den Prophasechromatiden dürfte ja die Häufigkeit der verschiedenen Allele nicht verändert werden, selbst wenn ihre Koppelungsbeziehungen verändert sind. Die Abweichungen von den erwarteten Häufigkeiten lassen sich durch den molekularen Mechanismus der Rekombination erklären. Im Bereich der DNA-Brüche entstehen während der Rekombination DNA-Moleküle, die aus den beiden ursprünglich getrennten Chromatiden entstanden sind. Da diese ungepaarte Basenbereiche aufgrund abweichender DNA-Sequenzen enthalten können, werden Reparaturprozesse erforderlich, die im Bereich des Rekombinationsereignisses in der DNA die vollständige Basenpaarung der beiden gepaarten DNA-Stränge wiederherstellen. Die Angleichung der beiden Stränge aneinander erfolgt unter willkürlicher Verwendung eines der beiden DNA-Stränge als Matrize für die Korrektur des zweiten DNA-Stranges. Als Folge dieser Korrekturvorgänge kann es zu Verschiebung in den Allelenhäufigkeiten kommen. Solche Abweichungen (nichtreziproke Rekombination genannt) werden auch als Genkonversion bezeichnet.
Das Gemälde „Laokoon 1977“ von Hans Erni könnte als Voraussicht der Fragen gesehen werden, die sich durch die Fortschritte der Molekularbiologie stellen. Es drückt aber auch die Abhängigkeit des Menschen von seinem genetischen Material aus. (Mit freundlicher Genehmigung von & Erni, Luzern)
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Hennig, W. (1998). Molekulare Grundlagen der Vererbung. In: Genetik. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-07430-5_7
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