Zusammenfassung
Die im vorigen Abschnitte unternommene Betrachtung des Staates als Organismus und als Person durfte gezeigt haben, dass und in welchem Sinne jene Bezeichnungen für das Wesen des Staates beizubehalten sind. Die sozialrechtliche Auffassung des öffentlichen Rechts erblickt in der organischen und der Persönlichkeitstheorie keine Gegensätze; vielmehr gelangt sie zum Verständniss der Persönlichkeit des Staates eben nur dadurch, dass sie dieselbe als einen Organismus betrachtet. Und vergleicht man nun die im VI. Abschnitt gegebne Analyse der organischen Personentheorie mit der im V. Abschnitt versuchten Analyse des Souveränitätsbegriffs, so erhellt wohl sofort, mit welchem Rechte oben die Annahme eines „souveränen Organismus“ bezw. einer „souveränen Person“ als eine contradictio in adjecto bezeichnet wurde. Denn während die präcis und rein erfasste Souveränitätsidee den Staat als einziges Wesen seiner Gattung allen andern Erscheinungen des Rechtslebens in absoluter Isolirtheit gegenüberstellt, betrachtet ihn die organische und Personentheorie als ein Glied in der grossen Kette der Organismen und Personen. Fordert — wie im V. Abschnitt ausgeführt worden — der Souveränitätsbegriff als Correlat und Ergänzung den Begriff des fingirten Individuums, d. h. den rein privatrechtlichen Personenbegriff, so erheischt — wie im VI. Abschnitt dargelegt worden — die Erfassung der Staatspersönlichkeit einen allgemeinen, für alle Rechtsgebiete giltigen Personenbegriff, d. h. die Beseitigung der persona ficta, welche aber wiederum den Fall ihres Correlats, der Souveränität, nach sich ziehen muss. Und während die beiden einander ergänzenden Begriffe der Souveränität und der persona ficta in ihrer,Konsequenz lediglich dem Privatrecht einen wahren Rechtscharakter belassen, dagegen der Konstruktion eines öffentlichen Rechts jede Grundlage entziehen, ist es die nothwendige Konsequenz des als Basis alles öffentlichen Rechts erkannten organisch-sozialrechtlichen Gedankens, jene beiden absoluten Begriffe zu negiren und auszuscheiden. So erklärt es sich, dass wir, völlig auf dem Boden der organisch-sozialrechtlichen Anschauung Gierke’s stehend, im V. Abschnitt Gierke selbst bekämpfen mussten, insofern er den mit seiner Lehre völlig incommensurablen Souveränitätsbegriff in den Rahmen derselben einzufügen versucht. — Die Erörterungen der beiden vorhergehenden Abschnitte ergänzen sich also gegenseitig, indem einerseits die Eliminirung des Souveränitätsbegriffs erst eine organische Umgestaltung des Personenbegriffs ermöglicht; andrerseits die organische Personentheorie auf die Eliminirung der Souveränität hindrängt.
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Literatur
Gierke: Genossenschaftsrecht. Bd. II. S. 41.
Wie Gierke diesen Widerspruch durch seine Bundesstaatstheorie vergeblich zu beseitigen sucht, ist in der Dogmengeschichte dargelegt. Vgl. oben S. 62 fg.
Vgl. oben S. 130 fg. Denselben Gedankengang s. auch im I. Band des Genossenschaftsrechts, S. 833.
Gerber: Grundzüge. 3. Aufl. S. 226.
„Staatsbürger, Gemeinden und das Staatsgebiet sind die natürlichen G e g e n s t ä n d e der Staatsgewalt, in deren Beherrschung sie ihr eigenthümliches Wesen offenbar macht…. Die Herrschaft des Staates ist wesentlich die Ausübung seines Gewaltrechts an Staatsbürgern und Gemeinden innerhalb seines örtlichen Machtgebiets“, Gerber a. a. O. S. 44, 45;
vgl. auch ebenda S. 60, 61.
Vgl. auch die Kritik H. Schulze’s in Aegidi’s Zeitschrift für Staatsrecht. Bd. I. S. 424 fg.
Anderer Meinung Rosin:,,Recht der öffentlichen Genossenschaft“. S. 46, Wo er Personen als Objekte der staatlichen Herrschaft bezeichnet. 8) Grundzüge. S. 228.
Fricker in der Zeitschrift f. d. ges. Staatswissenschaft Bd. XXV. S. 39.
Gj undzüge S. 229.
a. a. O. S. 47.
a. a. O. S. 47 und S. 230.
Rosin: „Souveränität, Staat“ etc. S. 32.
Grundzüge S. 61.
„Souveränität, Staat“ etc. Separatabdruck aus Hirth’s Annalen 1883. S. 5 und S. 35.
Vgl. oben n. 7.
Rosin a. a. O. S. 35.
Daher sollte Rosin a. a. O. S. 34 n. 3 nicht von einer „Parallelisirung der familienrechtlichen Gewaltverhitltnisse mit den staatsrechtlichen“ sprechen, vielmehr von ihrem gemeinsamen sozialrechtlichen Charakter.
a. a. O. S. 34.
Tübinger Zeitschrift f. d. ges. Staatswissenschaft Bd. XXV. S. 42. 31) „Recht der öffentlichen Genossenschaft“. S. 41.
„Souveränität, Staat“ etc. S. 36.
Staatsrecht. 2. Aufl. Bd. I. S. 62.
a. a. O. S. 64; Jellinek loc. cit. S. 190: „Das wesentliche Merkmal aller als Staaten zu bezeichnenden Gemeinwesen liegt in der einheitlichen Herrschaft“…. vgl. auch ebenda S. 196 fg.
a. a. O. S. 64; Jellinek loc. cit.: „Herrschen heisst unbedingte Befehle ertheilen, die ihren Grund und ihre Schranke nur in der freien Entschliessung des Befehlenden finden“. Wäre eine solche absolute Macht noch eine Rechtsmacht? Vgl. oben S. 134 fg.
Vgl. die oben S. 171 citirte Stelle.
a. a. O. S. 65. Jellinek 1. c. S. 191.
Jellinek a. a. O. S. 191. Laband a, a. O. S. 65 n. 1.
Jellinek a. a. O. S. 199 n. 11; vgl. dazu oben S. 134 fg. 30) a, a. 0. S.196.
Wenn Laband a. a. O. S. 521 die Autonomie der Communen etc. im Gegensatz zu der der Gliedstaaten als eine vom Staat übertragene gegenüber einer kraft eigenen Rechts geübten bezeichnet, so beruht dies auf seiner hier bekämpften Theorie, und fällt mit dieser.
„Die Lehre von den Staatenverbindungen“. S. 40 et pass.
a. a. O. S. 66 n. 1.
„Gemeinden können auf einem grossen Gebiet des politischen Lebens ein eigenes Recht zur Verwaltung, zur autonomischen Festsetzung von Statuten, ja selbst zur Rechtsprechung haben; sobald es aber darauf ankommt, ihren Befehlen Gehorsam zu verschaffen, muss entweder die zuständige Behörde des Staats darum angegangen werden, oder dem Communalverbande muss vom Staate die Handhabung seiner Herrschermacht für gewisse Anwendungsfälle übertragen sein“. Laband 1. e.
Vgl. darüber unten Abschnitt VIII.
So sagt auch Jellinek a. a. O. S. 190, 191: „Theils die sittliche Ueberzeugung von der Nothwendigkeit des Gebotes, theils der in vielen Fällen subsidiär zur Verwirklichung des Gebotes bereite, aus der Herrschermacht fliessende Zwang garantiren die Umsetzung der Herrschergebote in menschliche That“.
Rosin a. a. O. S. 36 n. 2.
Vgl. auch Zuständigkeits-Gesetz § 16 Abs. 3.
Erkenntniss des Obertribunals vom 28. Juni 1866 (Striethorst Archiv, Bd. 64, S. 102); des Kompetenzgerichtshofs v. 13. Februar 1858 (Justiz-Ministerial-Blatt S. 275) und vom 12. Februar:1864 (J.-M.-B1. S. 230).
Erkenntniss des Kompetenzgerichts v. B. Oktober 1870 (J.-M.-B1. S. 340).
Erk. d. Kompetenzgerichtshofs vom 23. Mai 1871 (J.-M.-BI. S. 272) und v. 14. November 1873 (J.-M.-B1. S. 40).
Zur Klarheit über diesen Unterschied kann freilich Laband in Folge seines individualistischen Standpunktes nicht gelangen; vgl. oben S. 171.
Laband a. a. O. S. 66.
a. a. O. S. 65.
Neuestens hat Dr. O. Gluth in seiner Schrift: „Die Lehre von der Selbstverwaltung fin Lichte formaler Begriffsbestimmung“ (Prag, Wien, Leipzig 1887) in einer Anmerkung (S. 95 fg. n. 2) unser Problem gestreift. Beachtung verdient, dass er Staat und Gemeinde als Arten der Gattung „Gebietskörperschaft” bezeichnet. Was er im übrigen für die Unterscheidung dieser beiden Arten beibringt, ist eine ganz merkwürdig unklare Kombination der Zweck-mit der Herrschaftstheorie, welch’ letzterer er das Requisit eines „machtbildenden Apparats“ anhängt. Auch Elemente der Bundesstaatskonstruktion Gierke’s sind aufgenommen. Schliesslich soll ein Gemeinwesen „Staat und Gemeinde zugleich sein” können, während die s. g. höheren Kommunalverbände eigentlich keines von beiden seien. Damit ist denn freilich nichts anzufangen.
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Preuss, H. (1889). Analyse des Herrschaftsbegriffs. In: Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften. Versuch einer deutschen Staatskonstruktion auf Grundlage der Genossenschaftstheorie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-00273-5_7
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