Zusammenfassung
Wir wenden uns jetzt ausdrücklich der Frage zu, ob und inwieweit sich historische Erklärungen von naturwissenschaftlichen Erklärungen unterscheiden. Immer wieder ist sowohl von Philosophen wie von Einzelwissenschaftlern die Eigenart und Besonderheit der historischen Erkenntnis hervorgekehrt worden. Eine solche Eigenart müßte sich insbesondere auch in der Art und Weise äußern, wie der Historiker die von ihm behandelten geschichtlichen Vorgänge zu deuten und zu erklären sucht. Nur auf diesen Fall der Erklärung wollen wir uns konzentrieren, also nicht beanspruchen, sämtliche Aspekte der historischen Erkenntnis zu berücksichtigen. Vielen wird der Verdacht als berechtigt erscheinen, daß die bisherigen Analysen, insbesondere auch das grundsätzliche Schema der wissenschaftlichen Erklärung mit all seinen später hinzutretenden Modifikationen, einseitig am Beispiel der naturwissenschaftlichen Erklärung orientiert waren.
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Referenzen
Vergleiche dazu auch C. G. Hempel, [Aspects], S. 233.
Es sei denn, sie wird in dem ganz anderen und unproblematischen Sinn der “formalen Teleologie” verstanden; vgl. dazu VIII.
Einige Autoren lehnen es ab, wegen der skizzierten kausalen Interpretation in solchen Fällen überhaupt von Teleologie zu sprechen. Der Teleologie-Standpunkt wird von ihnen als falsch verworfen. Die hier vertretene Auffassung beruht keineswegs auf einer Abschwächung, sondern auf einer Verschärfung dieser Kritik. Von Zwecken zu reden, ohne daß ein “zwecksetzender Wille” angenommen wird, ist m. E. ein leeres Spiel mit Worten, so daß es sich hierbei überhaupt nicht um einen sinnvollen, wahren oder falschen, Standpunkt handelt. Wird aber einmal zugestanden, daß jedes Ziel und jeder Zweck ein zielsetzendes reales Wesen voraussetzt, so impliziert dies bereits, daß jede teleologische Erklärung der spezielle Fall einer kausalen ist. Man kann natürlich den terminologischen Beschluß fassen, den Ausdruck “Teleologie” nicht mehr verwenden zu wollen. Ein solcher Beschluß erscheint mir jedoch als wenig sinnvoll, da er künstlich einen Bruch mit der philosophischen Tradition forciert.
Erklärungen von solcher Art sind häufig zweistufige Erklärungen: Es werden darin außer dem Vorgang selbst auch gewisse zur Anwendung gelangende Gesetzmäßigkeiten in dem Sinn erklärt, daß sie aus anderen Prinzipien abgeleitet werden. So z. B. werden die Gesetzmäßigkeiten des Goldmechanismus deduziert aus gewissen institutionellen Normen (Bestimmungen der freien Wirtschaftsverfassung und der Goldwährung) sowie Regeln für das Verhalten der beteiligten Wirtschaftssubjekte : Rationalität der Unternehmer beim An- und Verkauf von Waren wie von ausländischen Zahlungsmitteln bei gleichzeitiger Anerkennung der geltenden Rechtsnormen u. dgl.
Für ein konkretes derartiges Beispiel, dessen Erklärung in amerikanischen Zeitungen versucht worden war, vgl. C. G. Hempel [Aspects], S. 251 ff.
Dieses Beispiel findet sich in Bonfante, [Semantics, language].
Vergleiche dazu die zahlreichen Beispiele in J. Passmore, [Everyday Life].
Vgl. dazu die prägnanten Bemerkungen bei C. G. Hempel, [Aspects], S. 243.
Der Leser möge sich hier jedoch daran erinnern, daß eine Präzisierung dieser Feststellung die Lösung des früher angedeuteten N. Goodmanschen Problems “worüber spricht ein Satz?” voraussetzt. Humes These ist ebenfalls mit diesem Problem belastet.
C. G. Hempel, a. a. O. S. 237.
Dem widerspricht nicht die Tatsache, daß die in der Erklärung nicht ausdrücklich enthaltene und dem Erklärenden nur undeutlich vorschwebende Regularität, falls sie formuliert wurde, durch die Erfahrung nicht gut bestätigt wird (vgl. das obige Bergbauern- und Revolutionsbeispiel).
C. G. Hempel, a. a. O. S. 239.
Vergleiche C. G. Hempel, a. a. O. S. 254.
W. Dray, [Laws & Explanation], S. 66–72.
Dray benutzt diese Feststellung fur eine seiner Polemmiken gegen das H-O-Schema; denn dieses wäre ja unter der genannten Voraussetzung anwendbar. Diese Kritik ist jedoch nicht am Platz, da es Dray um pragmatische Unterschiede geht, für welche die Relativität auf bestimmte Personen und deren Wissenszustand von Relevanz ist, während der Hempelsche Erklärungsbegriff einen nichtpragmatischen systematischen Begriff darstellt.
H. Böhmer, [Luther], Kap. 3, und E. G. Schwiebert, [Luther], Kap. 10.
“Kreuzablaß und Almosenablaß” ; in: Kirchenrechtliche Abhandlungen von Ulrich Stutz, Nr. 30, 31.
Böhmer. a. a. O. S. 79.
Für Details vgl. Böhmer, a. a. O. S. 80.
Böhmer, a. a. U. S. 8O.
Für ein von Toynbee stammendes Beispiel vgl. C. G. Hempel, [Aspects], S. 451.
Vergleiche dazu auch C. G. Hempel, [Aspects], S. 453.
Eine ausführliche Literaturangabe über die wichtigsten früheren Werke zur Methode des Verstehens findet sich in Th. Abel, [Verstehen], insbesondere auf S. 677/678.
Im einzelnen entwickelte Dilthey in seinen “Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie” zunächst seine lebensphilosophische Konzeption, in welcher die “Grundkategorien des Lebens” (Zeitlichkeit, Korruptibilität, Zusammenhang, Struktur usw.) herausgearbeitet werden. Auf der Grundlage dieser allgemeinen und philosophischen Theorie des Lebens wird versucht, eine verstehende Psychologie zu errichten, die dann ihrerseits das Fundament für die Theorie des geisteswissenschaftlichen Verstehens bilden soll. Dilthey klassifiziert dieses Verstehen nach dem Gegenstand gemäß den verschiedenen Lebensäußerungen, wie Handlungen, Erlebnisausdruck, sprachliche Gebilde. Für eine übersichtliche Darstellung der Theorie Diltheys vgl. O. Bollnow, [Dilthey].
Vergleiche dazu auch C. G. Hempel, [General Laws], S. 239f. und [Stufies], S. 257f.
Soweit es sich um die Zuschreibung von Motiven handelt, haben wir es mit einer dispositionellen Erklärung zu tun, und die Erwähnung allgemeiner Prinzipien kommt, wie früher geschildert, im erklärenden Argument nur implizit vor.
Vergleiche dazu P. Gardiner, [Historical Explanation], S. 118 ff.
a. a. O., S. 130.
[Verstehen]. Ich gebe eine teilweise abweichende Darstellung der dort enthaltenen Ideen.
Um den Sachverhalt nicht zu komplizieren, müssen wir den Fall ausschließen, daß ich auf Grund eigenen subjektiven Erlebens auf den äußeren Temperaturzustand geschlossen habe; vielmehr soll mir dieser Temperaturzustand selbst nur durch eine äußere Beobachtung zur Kenntnis gelangt sein, eben durch eine Thermometerablesung.
Th. Abel, a. a. O., S. 681.
Ich bin berechtigt zu sagen : “ich weiß, daß p”, wenn ich gute Gründe für p besitze. Da aber auch gute Gründe keineswegs die Wahrheit garantieren, kann durchaus der nur scheinbar paradoxe Fall eintreten, daß ich zum Zeitpunkt t berechtigt bin zu behaupten : “ich weiß, daß p”, obwohl ich nicht weiß, daß p, da p falsch ist und Wissen um p die Wahrheit von p einschließt. Kenntnis neuer Fakten wird mich in einem solchen Fall später veranlassen zu sagen : “obwohl ich zu t mit Recht behauptete, ich wisse, daß p, wußte ich es tatsächlich nicht, sondern glaubte es nur zu wissen”. Für Details der Sprachspiele mit “glauben” und “wissen” vgl. W. Stegmüller, [Glauben].
Für eine knappe Schilderung der Wittgensteinschen Auffassung zu dem ganzen Fragenkomplex vgl. W. Stegmüller, [Gegenwartsphilosophie], S. 645ff.
Vgl. die Diskussion dieses Beispiels bei P. Gardiner, [Historical Explanation], S. 122 ff.
W. Dray, a. a. O., S. 156ff.
a. a. O., S. 161.
Für ein konkretes Beispiel aus der englischen Geschichte vgl. W. Dray, a. a. O., S. 162 f.
Die verschiedenen Möglichkeiten der Konstruktion dieser Relation in einer nominalistischen oder platonistischen Sprache spielen im gegenwärtigen Kontext keine Rolle.
Eine genauere Diskussion dieses Sachverhaltes, insbesondere im Zusammenhang mit statistischen Erklärungen, findet sich im vorletzten Kapitel.
a. a. O., S. 168.
[Aspects], S. 429, Fußnote.
Vgl. W. Dray, a. a. O., S. 122. Er bezieht sich dort als Beleg auf ein Beispiel aus Trevelyans “The English revolution”.
W. Dray, a. a. O., S. 124 und S. 126.
a. a. O., S. 128.
a. a. O., S. 138.
a. a. O., S. 132.
Die Frage, wie man (ß) begründen könne, soll hier ganz ausgeklammert werden.
Für ein elementares Beispiel des sogenannten linearen Programmierens vgl. das Diätbeispiel von R. D. Luce und H. R. Raiffa, in [Decicisions], S. 17 ff.
Diese Kriterien werden unter Zugrundelegung der Deutung subjektiver Wahrscheinlichkeiten als fairer Wettquotienten gewonnen. Es wird angenommen, daß ein rational Handelnder kein System von Wetten anzunehmen bereit ist, bei dem er mit Sicherheit keinen Gewinn, möglicherweise aber einen Verlust erleiden wird (sogenannte Kohärenzforderung). Aus dieser Voraussetzung lassen sich alle Grundaxiome der Wahrscheinlichkeitsrechnung ableiten.
d. h. eine Chance, in den Himmel zu kommen, und eine Chance, in die Hölle zu kommen.
L. J. Savage, [Statistics], S. 14.
Weiß man, daß das Ei gut ist, dann ist H1 richtig; wüßte man, daß es schlecht ist, dann wäre H 3 die richtige Handlung. Die Annahme von Savage ist etwas unrealistisch. Zumindest eine Hausfrau würde sich die Sache vermutlich dadurch vereinfachen, daß sie das sechste Ei anstechen und daran riechen würde. Sie hätte dann nur mehr zwischen H1 und H3 zu wählen und diese Wahl würde ihr unter der Voraussetzung, daß ihr Geruchsorgan normal funktioniert, keine Schwierigkeiten bereiten.
Vergleiche Luce und Raiffa, a. a. O., S. 279f.
Vgl. die Schilderung von Chernoffs Kritik in Luce und Raiffa, a. a. O., S. 281.
Vergleiche Luce und Raiffa, a. a. O., S. 283.
Für kritische Einwendungen gegen diese letzten beiden Regeln vgl. Luce und Raiffa, a. a. O., S. 283 und S. 284f.
Für einen genauen Beweis dieser merkwürdigen Tatsache vgl. Luce und Raiffa, a. a. O., S. 286 ff.
Hier wäre allerdings darauf hinzuweisen, daß er an dieser Stelle vom Rationalitätsprinzip des Handelnden spricht. Dann aber gehörte die ganze Betrachtung zu dem im folgenden Unterabschnitt behandelten Thema.
Q. Gibson, [Social Inquiry]. Auf S. 162 wird hier ausdrücklich behauptet, daß es nur eine einzige korrekte Lösung des Problems geben könne, ein bestimmtes Ziel bei gegebenen Ausgangsdaten zu erreichen. Dies sei, so versichert der Autor, eine elementare logische Tatsache.
Vgl. dazu das Beispiel von C. G. Hempel, [Aspects], S. 474.
R. Brandt und J. Kim, [Wants].
Bei der Wiedergabe der von Brandt und Kim aufgestellten Prinzipien stößt man wegen der Abweichung zwischen dem englischen und deutschen Sprachgebrauch auf Schwierigkeiten. Einerseits umfaßt das englischen Wort “to want” viel mehr Fälle als jene, bei denen wir den Ausdruck “wollen” gebrauchen würden; andererseits wird “wollen” häufig im Sinn des vorsätzlicben, absichtlichen Wollens verwendet. Es existiert kein adäquates deutsches Äquivalent zum englischen Ausdruck “to want”. In einigen Fällen wäre es z. B. besser, bei der Wiedergabe der Prinzipien (a) — (f) das Wort “möchten” oder “begehren” statt “wollen” zu gebrauchen. Der Ausdruck “wünschen” wäre im gegenwärtigen Zusammenhang zweifellos zu schwach und außerdem zu farblos. Der Leser möge bei der Lektüre der folgenden Seiten dieser sprachlichen Schwierigkeit eingedenk sein.
Man erinnere sich hier an die frühere Erörterung der Dispositionsbegriffe. Aus den Symptomsätzen für “magnetisch” konnten wir dort den empirischen Satz ableiten : “Wenn ein Eisenstab die Kompaßnadelbedingung erfüllt, so wird er auch die Eisenspanbedingung erfüllen”.
Aus analogen Erwägungen könnte man sie als quasi-syntbetiscb bezeichnen.
Die hier vorgetragene Auffassung unterscheidet sich somit nicht nur von der R. Carnaps und W. V. Quines, sondern auch von der H. Putnams, der die scharfe Unterscheidung nur für relativ unwichtige Begriffe, die keine “Gesetzesknotenbegriffe” sind, zuläßt. Hier wird aber gerade im letzteren Fall eine Unterscheidung getroffen, allerdings nicht für einzelne Sätze, sondern für ganze Satzklassen. Für den Vergleich mit den hier angedeuteten anderen Standpunkten muß der Leser auf die sehr umfangreiche Literatur über den analytisch-synthetischGegensatz verwiesen werden.
Diese Bezeichnung hat natürlich nichts zu tun mit dem in V diskutierten Problem der Gesetzesartigkeit im Goodmanschen Sinn.
[Aspects], S. 476.
Das Modell der freien Verkehrswirtschaft kann z. B. nicht nur dafür verwendet werden, um gewisse Vorgänge im Wirtschaftsmechanismus approximativ zu erklären, sondern auch dazu, um zu beurteilen, in welchem Maße ein angeblich marktwirtschaftliches Gebilde dem Idealgebilde einer freien Verkehrswirtschaft nahekommt und in welchem Grade es sich auf Grund institutionalisierter zentralstaatlicher Eingriffe davon entfernt.
Die Originalfassung des Telegramms findet sich in Bd. II, S. 87 von “Gedanken und Erinnerungen”, die revidierte Fassung Bismarcks auf S. 90f. desselben Bandes.
Vgl. dazu auch C. G. Hempel, [Aspects], S. 484.
D. Davidson, P. Suppes und S. Siegel, [Decision Making].
Eine analoge, allerdings nur zweifache Unterscheidung, findet sich bei R. S. Peters, [Motivation], und P. Gardiner, [Historical Explanation], S. 136.
W. L. Langer, [Assignment].
Vgl. H. Zinsser, [Rats].
W. L. Langer, a. a. O., S. 303. Insbesondere auf S. 295 ff. finden sich dort weitere Hinweise und außerordentlich zahlreiche Literaturangaben.
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Stegmüller, W. (1969). Historische, psychologische und rationale Erklärung. In: Historische, psychologische und rationale Erklärung Kausalitätsprobleme, Determinismus und Indeterminismus. Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Wissenschaftliche Erklärung und Begründung, vol 1 / 3. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-00124-0_1
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