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Politik des Gabentausches

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Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften
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Zusammenfassung

Divergierende Theorien des Gabentausches werden diskutiert und anhand von ethnographischen Beispielen veranschaulicht. Der Unterschied zwischen wirtschaftlichen Warentransaktionen und politischem Gabentausch wird ebenso thematisiert wie der Unterschied zwischen den Spielregeln und Normen des Gabentausches und den politischen Strategien der Tauschakteure. Der Zusammenhang zwischen Heiraten, Allianzen und Statuskonkurrenz wird am Beispiel des Gabentausches im Westlichen Hochland von Neuguinea dargestellt.

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Notes

  1. 1.

    Zu den Beiträgen von Philosophen gehören jene von Bataille, Derrida, Serres und Ricoeur, Marion und Hénaff. Der Versuch von Derrida (1991, 1993) und Marion (2002), die Gabe ohne Tausch, ohne Geber und ohne Nehmer und sogar als das Unmögliche schlechthin zu definieren (Derrida 1991: 19, 24 ff.), ist von der ethnographischen Realität einfacher Gesellschaften allzu weit entfernt, um für eine ethnologische Erklärung dieser Phänomene relevant zu sein (für einen Überblick zu philosophischen Ansätzen vgl. Därmann 2010, kritisch hierzu Caillé 2005). Ich werde mich auch nicht mit dem Anspruch von Caillé und anderen Vertretern des MAUSS beschäftigen, das „Gaben-Theorem“ von Mauss als Ausgangspunkt für einen neuen sozialwissenschaftlichen Ansatz jenseits eines methodologischen Individualismus und Kollektivismus und für eine alternative Theorie der modernen Gesellschaft zu nehmen (Caillé 1996, 2008, Adloff 2018, kritisch dazu Moebius 2006). Dieser Ansatz wird auch von den Vertretern des „konvivalistischen Manifestes“ (Les convivialistes 1994 [2014], Graeber 2012b) propagiert. Er geht mit dem reformerischen Anliegen einher, einen Weg zwischen „Wirtschaftsliberalismus und Bolschewismus“ (Mauss) bzw. zwischen Markt und Staat zu formulieren (Adloff 2018).

  2. 2.

    Hierzu zählen u. a. Lévi-Strauss (1949, 1975), Polanyi (1944), Sahlins (1965, 1968, 1972), Blau (1964), Bourdieu (1976, 1987, 2001), Strathern (1987, 1988), Weiner (1985, 1992), Gregory (1982, 1994), Znoj (1995), Görlich (1992a, b, 1996, 1998a), Rospabé (1993, 1995), Godelier (1996), Testart (1998, 2001, 2013), Graeber (2012a, b) und Caillé (1994, 2008, 2018).

  3. 3.

    Nach Durkheim (1893) ist es das „Kollektivbewusstsein“, ein sanktioniertes, gemeinschaftszentriertes Normensystem (kollektive Repräsentationen), das die Solidarität in segmentären Gesellschaften fördert und das Verhalten der Gesellschaftsmitglieder in systemkonforme Bahnen lenkt. Obwohl solche Normen – Durkheim (1893: 267) spricht in diesem Zusammenhang von den „nicht-kontraktuellen Voraussetzungen von Kontrakten“ – bestehen und innerhalb von Lokalgemeinschaften in einer Autoritätshierarchie auch durchgesetzt werden können, fehlt jedoch eine übergeordnete Sanktionsinstanz, welche die Einhaltung von Normen in den Beziehungen zwischen den Gruppen garantieren könnte. Deshalb lässt sich das hobbesianische Ordnungsproblem – ein latenter Kriegszustand – normativ nicht lösen.

  4. 4.

    „Unter diesen Bedingungen [von Furcht, Misstrauen und Feindseligkeit] haben die Menschen [in vorstaatlichen Gesellschaften] auch gelernt, auf das Ihrige zu verzichten und sich dem Geben und Erwidern zu verschreiben. Sie hatten auch keine andere Wahl. Wenn zwei Menschengruppen einander begegnen, können sie entweder einander ausweichen [oder] sich schlagen im Falle des Misstrauens und der Herausforderung oder aber miteinander handeln“ (Mauss 1923/1924: 141) und weiter: „… gelingt es ihnen, das Bündnis, die Gabe und den Handel an die Stelle des Kriegs, der Isolierung und der Stagnation zu stellen“ (ebd.).

  5. 5.

    Graeber (2012a) vertritt – ähnlich wie auch Weiner (1985, 1992) und Strathern (1987, 1988) – eine neo-maussianische Theorie des Gabentausches, die auf dem Zusammenhang zwischen Kosmologie, Konzeption der Person und Gabentausch beruht (ebd.: 283). Graeber zeigt, dass die Gabe nicht nur mit dem Geber verbunden sein kann, wie im Fall der Maori, sondern auch mit dem Empfänger, etwa dort, wo es um die Übertragung eines Titels, um eine Ämternachfolge oder einen Erbgang gehe, wie bei den Kwakiutl, eventuell auch bei Trobriandern (2012a: 312, 314 f., vgl. hierzu auch Mauss 1923/1924: 80 f., 83 zu den Kwakiutl und ebd.: 43 zu den Trobriandern).

  6. 6.

    Malinowski (1926: 23, 53) vertritt eine ähnliche Position. Er erachtet Reziprozität als Spielregel: Wer die Spielregeln nicht befolgt, hat weniger rechtliche Sanktionen als vielmehr informelle Sanktionen durch seine „peers“ in Form von Missbilligung, Reputationsverlust und – zum eigenen Schaden – eines Abbruchs der Beziehung zu gewärtigen.

  7. 7.

    Das zeigt sich auch an Mauss’ Kritik an Malinowski (1922), der zwischen einem zeremoniellen Gabentausch (kula) und einem „utilitaristischen“ (wirtschaftlichen) Gütertausch (gimwali) unterscheidet: Der kula-Tausch der Trobriander erfolge „um des Tausches willen“ (pure gift). Mauss (1923/1924: 131 f.) kritisiert Malinowski und dessen Konzept des „pure gift“, denn alle Gaben müssten erwidert werden, ansonsten wäre die Gabentauschbeziehung unweigerlich beendet. Später wird auch Malinowski die Trobriander als von Eigeninteresse angetrieben sehen, denn auch sie versuchten, Normen zu umgehen, wenn diese ihren Interessen entgegenstünden (1926: 30, Kap. 8). Gemäß Parry (1986: 454) „[is] the Malinowskian assumption that exchange is essentially dyadic transactions between self-interested individuals … premised on some kind of balance“.

  8. 8.

    Gabentausch ist allerdings keine grundlegende Alternative zum Krieg: In einer tribalen Gesellschaft werden gleichzeitig Kriege gegen Feinde geführt und Gaben mit Alliierten und Heiratsverwandten getauscht. Gabentausch ist somit nicht die Alternative zu einem permanenten Kriegszustand, wie ihn Hobbes beschrieben hat, sondern lediglich ein Modus der Anknüpfung und Bekräftigung von Allianzen gegen gemeinsame Feinde. Man schließt Allianzen als notwendiges Übel, als Mittel zu einem militärischen Zweck, nicht aber um Krieg generell zu verhindern, wie Mauss und Lévi-Strauss zu meinen scheinen (Meggitt 1974: 171, Clastres 1977: 197, 200 f., Lemonnier 1991: 23).

  9. 9.

    Explizit wird diese begriffliche Engführung von „Interesse“ auf „wirtschaftliches Interesse“ in seiner etymologischen Rekonstruktion des Begriffs (Mauss 1923/1924: 135). Typisch hierfür ist folgendes Zitat: „Sie [die im Gabentausch zu beobachtenden totalen Leistungen] sind politisch und zugleich familial, da sie sowohl gesellschaftliche Klasse wie Clans und Familien angehen. […] Sie sind ökonomisch, weil die Begriffe des Wertes, Nutzens, Interesses, Luxus, Reichtums, Erwerbs und der Akkumulation einerseits und die des Verbrauchs und der reinen und rein verschwenderischen Ausgabe anderseits überall gegenwärtig sind, wenn auch vielleicht nicht in ihrem modernen Sinn“ (ebd.: 13, 137 f.).

  10. 10.

    Bataille (1949) hat den potlatch bei den Kwakiutl – im vermeintlichen Anschluss an Mauss – als Beispiel für ein anti-utilitaristisches Verschwenden (gaspillage) von Gütern interpretiert, das der ökonomischen Logik eklatant widerspreche, weil riesige Mengen an Gütern (Wolldecken, Fischöl, Kupferplatten) zerstört würden. Es geht in dieser Form des potlatch nicht darum, Gaben zu geben, sondern sie zu zerstören, nicht nur um den Rivalen zu übertrumpfen und zu demütigen, sondern vor allem auch, um dessen Gabenbestand (und damit dessen politische Konkurrenzfähigkeit) nicht zu vergrößern. Die Investition in potlatch-Gaben folgt zwar keiner ökonomischen, „utilitaristischen“ Logik (Bataille, vgl. auch Berthoud/Sabelli 1976): Es handelt sich aber gleichwohl um Investitionen, nämlich um politische Investitionen in den Erwerb von politischen Positionen, angetrieben von den politischen Interessen ehrgeiziger Männer und von der Konkurrenz zwischen ihnen. Diese extreme Form des potlatch, wie er zwischen 1850 und 1920 bei den Kwakiutl praktiziert wurde, ist überdies ein untypisches und singuläres Phänomen ihrer Geschichte und erklärt sich mit historischen Kontingenzen wie einem massiven Bevölkerungseinbruch und einer verschärften Konkurrenz um Positionen in der politischen Hierarchie, einer Beendigung des Krieges sowie einem immensen Zufluss von Gütern durch Handel und Lohnarbeit (Codere 1950, Piddocke 1965, Walens 1992, Godelier 1996: 81–113).

  11. 11.

    So schreibt Mauss (1923/1924: 13): „Wir werden einen Handel kennenlernen, der schon vor der Institution des Händlers und dessen wichtigster Erfindung, der des Geldes im eigentlichen Sinne, existierte ….“

  12. 12.

    Malinowski (2007: 549 f.) hält fest: „Ein vaygu’a wird niemals als Tauschmittel oder als Wertmaßstab verwendet, was beides die wichtigsten Funktionen von Zahlungsmittel oder Geld sind. Jedes vaygu’a des kula-Typs hat während seiner ganzen Existenz einen Hauptzweck – besessen und getauscht zu werden; es besitzt eine Hauptfunktion und dient einem Hauptziel – auf dem kula-Ring zu zirkulieren sowie erworben und auf bestimmte Weise zur Schau gestellt zu werden, …“ (vgl. engl. 1922: 511).

  13. 13.

    Dieselbe Konstruktion findet sich übrigens auch bei Bourdieu (1998: 148). Er stimmt Durkheim zu, demzufolge soziale Universen, die in modernen Gesellschaften in eine Vielzahl von sozialen Feldern (d. h. Subsystemen) ausdifferenziert seien, in archaischen Gesellschaften noch nicht ausdifferenziert seien, so dass dort eine Multifunktionalität von sozialem Handeln vorliege.

  14. 14.

    Frauentausch impliziert lediglich in patrilinear, patrilokal organisierten Gesellschaften eine Machtasymmetrie zwischen Männern und Frauen. Frauentausch zwischen (patrilinearen) Verwandtschaftsgruppen ist zwar die statistisch häufigste, aber nicht die einzige Form des Heiratstausches. Es gibt auch Gesellschaften, in denen (matrilineare) Verwandtschaftsgruppen Männer tauschen, und Gesellschaften, in denen Verwandtschaftsgruppen Frauen und Männer tauschen (Godelier 1996: 53 f.). Selbst Lévi-Strauss (zitiert in Berndt 1981: 186) schreibt über australische Wildbeutergesellschaften: „It could (also) be said that consanguineous groups of both men and women are engaged in exchanging together bonds of relationship. Women are active in negotiating and discussing and decision making and in the final stages of any marriage arrangement.“

  15. 15.

    Der ontologische Status dieser elementaren Strukturen des Frauentausches ist indes unklar: Handelt es sich um Modelle der sozialen Organisation, die sich auf reales Heiratsverhalten beziehen („statistische Modelle“), oder sind es modellhafte Explikationen von Heiratsnormen („mechanische Modelle“)? Bezieht sich der Unterschied zwischen Heiratspräskriptionen und -präferenzen auf den Unterschied zwischen Vorschriften in klassifikatorischen und genealogischen Termen (Needham 1962) oder auf den Unterschied zwischen vorgeschriebenen und statistisch beobachtbaren Heiraten?

  16. 16.

    Kreuzkusinen sind VatersSchwestersTochter (FZD) und MuttersBrudersTochter (MBD). Parallelkusinen sind VatersBrudersTochter (FBD) und MuttersSchwestersTochter (MZD), die verwandtschaftsterminologisch meist mit den Geschwistern gleichgesetzt werden und nicht geheiratet werden dürfen. A, B und C sind die tauschenden Gruppen, z. B. exogame Abstammungsgruppen (Lineages), Dreiecke stehen für Männer, Kreise für Frauen; hochgestellte Horizontalstriche symbolisieren Geschwisterbeziehungen, die übrigen Horizontalstriche hingegen Heiratsbeziehungen; Pfeile zeigen die Richtung des Frauentausches.

  17. 17.

    An diese Typologie des Frauentausches bei Lévi-Strauss anknüpfend hat Ekeh (1974: 48 ff.) eine Unterscheidung von zwei Tauschsystemen vorgeschlagen: a) eingeschränkte Tauschsysteme, die aus jeweils zwei Akteuren bestehen und eine genauere Überwachung der Einhaltung des Prinzips der Gegenseitigkeit erlauben, und b) verallgemeinerte Tauschsysteme, die sich in netzwerkartigen Tauschbeziehungen zwischen mehreren Akteuren finden (vgl. Schröter 2008).

  18. 18.

    Die Purum sind tribal organisierte Schwendbauern im Hochland von Manipur nahe der indisch-burmesischen Grenze. Zu den Purum siehe u. a. Soppitt (1887), Shakespear (1912), Das (1945) und Lehman (1963). Die Beiträge von Needham (1958, 1966) lösten eine Debatte über das Heiratssystem der Purum aus, auf die ich hier nicht weiter eingehen werde. Die Purum bestanden zur Zeit der Feldforschung von Tarak Chandra Das in den 1930er-Jahren aus vier Dörfern mit 40, 29, 13 und 9 Häusern (bzw. Familienhaushalten). Gleichzeitig sind die Purum in fünf exogame Patriklane und diese wiederum in Lineages unterteilt (Das 1945: 40, 111 ff., 253, Needham 1958: 78).

  19. 19.

    Homans/Schneider (1955) haben zwar ebenfalls eine akteurzentrierte Sicht auf Heiratssysteme vorgenommen. Ihr Ziel war allerdings, die Heiratsvorschriften zu erklären. Sie haben die These aufgestellt, dass die präferenzielle Heirat mit der MBD bzw. der FBD mit Autoritätsrelationen in unilinearen Abstammungsgruppen korreliere, also: Autorität des Vaters in einem patrilinearen bzw. des Mutterbruders in einem matrilinearen System. Wir interessieren uns hier aber nicht für die Erklärung von Heiratsregeln, sondern für die Gründe für deren Einhaltung bzw. Nicht-Einhaltung (vgl. auch Bourdieu 1989).

  20. 20.

    Haushaltswirtschaft beinhaltet die Selbstversorgung und das Teilen von Gütern und Arbeitsleistungen innerhalb von Haushalten. Hier ist der Einfluss der „Hauswirtschaft ohne Tauschhandel“ von Karl Bücher unübersehbar (Polanyi 1944, Kap. 4 und 5).

  21. 21.

    Polanyi trägt nichts zur Lösung dieser konzeptuellen Probleme bei, wenn er über die kapitalistische Marktwirtschaft schreibt: „Instead of economy being embedded in social relations, social relations are embedded in the economic system“, allerdings ohne dass der wirtschaftliche Bereich verschwindet (1957b: 70 f.) bzw. diese beiden sozialen Bereiche verschmelzen (1944: 77).

  22. 22.

    „Redistribution“ nimmt in Häuptlingstümern und in Staaten unterschiedliche Formen an. In Häuptlingstümern kommen die meisten Güter aus der Produktion des (meist) polygamen Haushaltes des Häuptlings selber, zusätzlich zu den Abgaben von anderen Gruppenmitgliedern und Dörfern: etwa in Form von Heiratsgaben wie auf Trobriand und bei den Kachin. Ein hoher Prozentsatz der Güter verteilt der Häuptling wieder anlässlich von Festen und Zeremonien, von Kollektivarbeiten und Kriegszügen. In einem Staat (oder in einem „komplexen Häuptlingstum“) haben die Abgaben weitgehend den Charakter von Steuern, die vor allen Dingen für den Unterhalt der Armee und der Verwaltung und für den Bau von Zeremonialbauten verwendet werden sowie an die Priester, die Gefolgschaft und an andere Angehörige der Staatselite gehen (Carneiro 1981: 61 ff.).

  23. 23.

    Für mehr Klarheit sorgt Dalton (1965), der zwischen „commercial transactions“, also Markttausch, und „non-commercial transactions“ unterscheidet, wozu er Reziprozität und Redistribution zählt. Allerdings ist auch Redistribution lediglich eine wirtschaftliche Transaktion in einer politischen Hierarchie (ebd.: 47), während nur Reziprozität eine rein politisch-soziale Transaktion bezeichnet.

  24. 24.

    Bereits Malinowski (1922: 176, 177–191) hatte die Transaktionsmodalitäten auf Trobriand gemäß dem Grad von „Altruismus“ bzw. „Egoismus“ zwischen allgemeiner, ausgewogener und negativer Reziprozität unterschieden. „Egoismus“ und „Altruismus“ sind jedoch moralische Kategorien, die sich nicht als wissenschaftliche Konzepte eignen (vgl. kritisch hierzu bereits Mauss 1923/1924: 131 f.).

  25. 25.

    Sahlins vertritt zudem die These, dass die drei Typen von Reziprozität mit verwandtschaftlicher Nähe/Distanz, abnehmender Moralität und zunehmender räumlicher Distanz korrelieren (1965: 196–204): mit allgemeiner Reziprozität als „generalisierter Altruismus“ innerhalb einer kleinen Verwandtschafts- und lokalen Gruppe auf der einen Seite des Kontinuums und mit negativer Reziprozität als „generalisiertem Egoismus“ zwischen Fremden auf der anderen Seite des Kontinuums und mit der ausgeglichenen Reziprozität zwischen Stammesangehörigen dazwischen (dazu kritisch Gregory 1994: 923 ff.).

  26. 26.

    Sahlins spricht von ökonomischen Transaktionen, die mit sozialen Beziehungen wechselseitig verknüpft seien (1965: 186 ff.), und davon, dass sich das Ökonomische zum Sozialen verhält wie enge Blutsverwandtschaftsbeziehungen zu Beziehungen zwischen klassifikatorischen Verwandten (ebd.: 182).

  27. 27.

    Sahlins (1965: 194 f.) schreibt: „In the precise (sic!) balance, the reciprocation is the customary equivalent of the thing received and is without delay. Perfectly (sic!) balanced reciprocity, the simultaneous exchange of the same types of goods to the same amounts, is not only conceivable but ethnographically attested in certain marital transactions … and peace agreements. …Balanced reciprocity may be more loosely applied to transactions which stipulate returns of commensurate worth or utility within a finite and narrow period. Much gift exchange, many payments, much that goes under the ethnographic head of trade and plenty that is called buying-selling and involves primitive money belong in the same genre of balanced reciprocity.“

  28. 28.

    Blau sieht den kula-Tausch offensichtlich – und anders als Mauss – als Beispiel für den nicht-agonistischen Gabentausch. Das ist irreführend, da im kula-Tausch das Moment der Konkurrenz zwischen Häuptlingen, die als Hauptakteure im kula-Tausch auftreten, ebenfalls, wenn auch weniger stark als im potlatch, ausgeprägt ist (zum kula-Tausch vgl. Abschn. 10.2.4). Vielleicht handelt es sich aber ohnehin nicht um zwei Modalitäten, sondern um zwei Dimensionen eines jeden Gabentausches.

  29. 29.

    Wie bereits Mauss schrieb: „Sich verweigern, etwas zu geben, es versäumen, jemand einzuladen, sowie es ablehnen, etwas anzunehmen, kommt einer Kriegserklärung gleich; es bedeutet, die Freundschaft und die Gemeinschaft zu verweigern“ (1923/1924: 28).

  30. 30.

    Blau erklärt den destruktiven Charakter des potlatch mit der Haltung des Gebers, der damit demonstrieren will, dass er so reich ist, dass er sich die Zerstörung seines Reichtums leisten kann; er gewinnt Prestige (1964: 109). Neben dem kompetitiven Charakter hat ein solcher Modus des Gabentausches auch den Charakter eines Opfers des Gebers an die Götter für seine Gruppe, die ihm im Gegenzug einen höheren Status zuerkennt, weil die Götter dem großzügigen Geber ebenfalls verpflichtet werden (ebd.: 109, hierzu auch Mauss 1923/1924 und Godelier 1996).

  31. 31.

    Das erinnert an Bailey (1969: 4 ff.), bei dem die praktische Logik auf die „pragmatic rules“ verweist, während die kollektiven Vorstellungen den „normative rules“ entsprechen.

  32. 32.

    Derrida (1991: 26) schreibt: „Damit Gabe existiert, ist es notwendig, dass der Beschenkte nicht zurückgibt, nicht ansammelt, nicht zurückzahlt, nichts begleicht, nicht einen Vertrag eingeht, niemals Schulden macht …, dass es keine Gegenseitigkeit gibt, keine Erwiderung, keinen Tausch, keine Gegengabe und keine Schuld“ (ebd.: 24). Derrida verzichtet explizit auf die ethnographische Beschreibungen von Gabentauschsystemen (ebd.: 25). Es scheint ihm die Introspektion zu reichen, aus der aber nur die kollektiven Prämissen der eigenen Kultur erscheinen und Ethnozentrismen hervorgebracht werden.

  33. 33.

    Die zeitliche Verzögerung der Erwiderung einer Gabe wird hier als Voraussetzung für die Verdrängung der „objektiven Tauschrealität“ des Gabentausches aufgefasst (Bourdieu 1976: 336), nicht als Bedingung zur längerfristigen Aufrechterhaltung der durch den Gabentausch gestifteten Sozialbeziehungen, wie Blau (1964: 99) festhält.

  34. 34.

    Zudem regiert das do ut des, das Bourdieu für das Wesen des wirtschaftlichen Tausches zu halten scheint, bekanntlich auch im Gabentausch, wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung. Das macht aus dem do ut des aber noch kein ökonomisches Prinzip. Man kann Bourdieu (1976: 336) auch nicht beipflichten, wenn er – ähnlich wie Sahlins – schreibt, dass der einzige Unterschied zwischen Gaben- und Warentausch in der zeitlichen Verzögerung des Erwiderns beim Ersteren liege.

  35. 35.

    Bourdieu distanziert sich vom „Ökonomismus“, der die Anwendung von Begriffen, die zur Beschreibung der kapitalistischen Ökonomie verwendet werden (wie z. B. wirtschaftliche Gesamtrechnung, Verzinsung, Investition, Kapital), auf nicht-kapitalistische Gesellschaften beinhalte. Der „Ökonomismus“ ließe keine „nicht-ökonomischen Interessen“ zu, sondern nur jene, die sich in einer kapitalistischen Ökonomie finden (1987: 206). Das mag zutreffen, nur sollte das nicht heißen, dass es keine Interessen gibt, wo kein Kapitalismus besteht. „Ökonomismus“ ist auch die Reduktion aller sozialen Phänomene, von politischen und symbolischen Interessen, auf wirtschaftliche Interessen auch in nicht-kapitalistischen Gesellschaften. Ein solcher Ökonomismus scheint aber gerade dort vorzuliegen, wo Bourdieu (1976: 345) schreibt, es gehe darum, „das ökonomische Kalkül unterschiedslos auf alle, materielle und symbolische Güter auszudehnen….“ Bourdieu sei wohl sehr vom ökonomischen Ansatz von Gary Becker fasziniert, meint Caillé (2018: 80).

  36. 36.

    Bourdieu (1998: 169) schreibt: „Für die Kabylen ist die ökonomische Ökonomie, wie wir sie praktizieren, eine Frauenökonomie. Die Männer werden bei der Ehre genommen, die jedes Zugeständnis an die Logik der ökonomischen Ökonomie verbietet.“ Wohl sind bei den Kabylen die Frauen die wichtigsten Akteure im Subsistenzbereich und die Männer im politischen Bereich, doch ist stark zu bezweifeln, dass die „ökonomische Ökonomie“ der Frauen jene ist, „wie wir sie praktizieren“.

  37. 37.

    Bourdieu (1998: 169) schreibt: „So ist der Tausch von Gaben (oder Frauen oder Dienstleistungen), verstanden als Paradigma der Ökonomie der symbolischen Güter, dem do ut des der ökonomischen Ökonomie insofern entgegengesetzt, als sein Prinzip nicht ein berechenbares Subjekt ist, sondern ein Akteur, der sozial dazu disponiert ist, sich auch ohne Absicht und Berechnung auf das Spiel des Tauschs einzulassen. Als ein solcher Akteur lebt er in der Unkenntnis oder in der Verneinung der objektiven Wahrheit des Spiels, die der ökonomische Tausch ist.“ Das hieße allerdings auch, dass nur Akteure in traditionellen Gesellschaften einen Habitus haben, jene in Marktwirtschaften hingegen in der Art kalkulieren, wie es die neoklassischen Ökonomen behaupten.

  38. 38.

    Bourdieu (1998: 175 f.) schreibt: „Die vorkapitalistische Ökonomie also beruht ganz und gar auf einer Verneinung dessen, was wir als Ökonomie betrachten, und verpflichtet dazu, bestimmte Vorgänge samt den Vorstellungen von diesen Vorgängen im Impliziten zu belassen. Ihr zweites, hiermit zusammenhängendes Merkmal ist die Verklärung der ökonomischen Akte zu symbolischen Akten, eine Verklärung, die praktisch vor sich gehen kann wie beispielsweise im Gabentausch, bei dem die Gabe aufhört, ein materielles Objekt zu sein und zu einer Art Botschaft oder Symbol wird, mit dem ein sozialer Zusammenhang hergestellt werden kann.“ Das wird dann offensichtlich, wenn die kapitalistische Marktwirtschaft sich durchsetzt: „Der Geist der Berechnung, der ständig verdrängt wurde (auch wenn die Versuchung der Berechnung nie ganz verschwindet, bei den Kabylen wie anderswo), tritt in dem Masse zunehmend in Erscheinung, wie sich die für seine Bestätigung und seine öffentliche Bekundung günstigen Bedingungen entwickeln. Die Entstehung des ökonomischen Feldes zeigt die Entstehung eines Universums an, in dem die sozialen Akteure sich selbst und der Öffentlichkeit eingestehen können, dass sie sich von Interessen leiten lassen, und die kollektiv gepflegte Verkennung abschütteln; in dem sie nicht nur Geschäfte machen können, sondern sich auch eingestehen, dass sie da sind, um Geschäfte zu machen, das heißt, um sich interessegeleitet zu verhalten, um zu berechnen, Profit zu machen, zu akkumulieren, auszubeuten“ (ebd.: 177). Die Entstehung kapitalistischer Verhältnisse wird hier als Prozess der Bewusstwerdung und der Aufhebung der Verdrängung des Interesses dargestellt, das immer mit wirtschaftlichem Interesse gleichgesetzt wird.

  39. 39.

    Bei den Kabylen wird durch asymmetrischen Gabentausch (im Kontext von Patron-Klient-Beziehungen) Vertrauen geschaffen (1987: 210 ff., 225), die Verfügbarkeit der Arbeitskraft von Knechten und Pächtern sichergestellt und die Ausbeutungsverhältnisse verschleiert (ebd.: 216). Vielleicht ist es diesem spezifischen ethnographischen Kontext der Kabylen geschuldet, dass Bourdieu behauptet, die wirtschaftliche Ausbeutungsbeziehung würde dadurch verdrängt, dass sie sich als Prestige- und Statusdifferenz darstelle, die aufgrund einer asymmetrischen Verpflichtung durch Gabentausch hergestellt wird (ebd.: 215 ff.). Die Kabylen sind deshalb nicht – wie Bourdieu behauptet – ein „vollendetes Beispiel einer vorkapitalistischen Ökonomie, die auf der Verneinung des Ökonomischen in dem Sinne, wie wir es verstehen, beruht“ (1998: 161). Der Gabentausch dient bei den Kabylen – was in einfachen Gesellschaften nicht vorkommt – auch der Verklärung von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen, so etwa jener zwischen einem Landbesitzer und seinem Pächter, der nur einen Fünftel der Ernte behalten kann. Um ihn an sich zu binden, macht der Landbesitzer Geschenke, kümmert sich um dessen Sohn und verheiratet dessen Tochter (1998: 170 ff.).

  40. 40.

    Falls überhaupt wird eher das Politische durch das Ökonomische verdeckt als umgekehrt. So etwa findet sich bei den Yanomami als erste Stufe der Rekrutierung von Kriegsverbündeten ein als ökonomischer Tauschhandel kamouflierter Gabentausch, in dem scheinbar arbeitsteilig produzierte Güter getauscht werden. Dies erlaubt beiden Seiten, zu verleugnen, dass sie stärker auf den Allianzpartner angewiesen sind als umgekehrt, was bei diesem sogleich Übervorteilungsversuche auslösen würde (Chagnon 1997: 162 ff.).

  41. 41.

    Bourdieu kann sich dabei allerdings auf Mauss stützen, wie die folgende Textstelle zeigt: „… nämlich den sozusagen freiwilligen, anscheinend selbstlosen und spontanen, aber dennoch zwanghaften und eigennützigen Charakter dieser Leistungen. Fast immer nehmen sie die Form des Geschenks an, des großzügig dargebotenen Präsents, selbst dann, wenn die Geste, die die Übergabe begleitet, nur Fiktion, Formalismus und soziale Lüge ist und es im Grunde um Zwang und wirtschaftliche Interessen geht“ (1923/1924: 13). Auch Mauss spricht also von „Fiktion“ und „sozialer Lüge“ sowie von „wirtschaftlichen Interessen“. Das macht das Argument aber nicht plausibler.

  42. 42.

    Bereits Mauss (1923/1924: 131 f.) hat Malinowski und dessen Konzept des freiwilligen und interesselosen „pure gift“ kritisiert, denn alle Gaben müssten erwidert werden, ansonsten wäre die Gabentauschbeziehung unweigerlich beendet. Die Gabe als etwas ausschließlich „spontanes und freiwilliges“ darzustellen, wie dies Caillé, Bourdieu und Derrida tun, mag allenfalls für Geschenke in unseren Breitengraden gelten. Mindestens ist das unser Selbstverständnis. Doch auch wir sind mit der Zeit irritiert, wenn Beschenkte ihrerseits uns nie etwas schenken.

  43. 43.

    Gemäß Caillé ist der Gabentausch deshalb „anti-utilitaristisch“, weil die Akteure ohne Kalkül und ohne Zweckrationalität vorgehen (Adloff 2018: 66 f., vgl. bereits Berthoud/Sabelli 1976, kritisch hierzu Moebius 2006). Für Caillé ist „Utilitarismus“ gleich „Interesse“, das mit „wirtschaftlichem Interesse“ gleichgesetzt wird, das wiederum dem neoklassischen Nutzenmaximieren im Stile von Becker zu entsprechen scheint (Caillé 2003). Während der normative Utilitarismus besagt, dass jede Handlung oder Regel, die das Glück maximiert, gerecht und wünschenswert sei, meint der theoretische Utilitarismus, dass Individuen zweckrational handeln, Leiden und Schmerz vermeiden, hingegen Vergnügen und Glück anstreben (2005: 157 f.). An diesem theoretischen Utilitarismus, der das Akteurhandeln als durch die Steigerung von Vorteilen und der Reduktion von Nachteilen motiviert sieht, ist wenig auszusetzen, zumal dieses interessenorientierte, absichtsvolle und strategische Handeln nicht nur im wirtschaftlichen Bereich, sondern ebenso im rechtlichen, politischen und sexuellen wirksam ist.

  44. 44.

    Lévi-Strauss (1958) untersucht den Tsimshian-Mythos von Asdiwal, ein Mythos, der verschiedene Klassifikationssysteme miteinander in Beziehung setzt: z. B. geographische (Küste/Binnenland, Tal/Berg, Fluss/Meer), Nahrungsmittel (Tiere/Pflanzen, Fische/Meeressäuger), soziale Gruppen und Kategorien (Klane, Vater/Mutterbruder, Mann/Frau, Alte/Junge) und übernatürliche Wesen (Götter/Geister, überirdische/unterirdische Sphäre).

  45. 45.

    Bereits Ortner (1974) hat zur Erklärung von Geschlechterbeziehungen auf symbolische Systeme zurückgegriffen. Sie thematisiert Geschlechterbeziehungen und Tausch – ähnlich wie Lévi-Strauss – in den Kategorien „Kultur“ versus „Natur“: Da die Trennung der Kultur von der Natur durch das Inzestverbot die Errungenschaft der Kultur schlechthin darstellt und das Inzestverbot zwingend den Tausch notwendig mache, seien es die Männer (die Kultur), die die Frauen (als quasi natürliche Objekte) tauschten und nicht umgekehrt. In diesem Sachverhalt würde sich dann die Aneignung der Natur durch die Kultur widerspiegeln (vgl. hierzu die Kritik von Strathern 1980).

  46. 46.

    Das Werk von Strathern (1988) ist weit komplexer (und komplizierter), es kontrastiert „westliche“ und „melanesische“ Konzeptionen von Geschlecht, Person und Gesellschaft und steht in einem postmodernen, feministischen Zusammenhang. Uns interessiert hier allerdings lediglich der Aspekt des Gabentausches.

  47. 47.

    Pragmatik verweist auf die Kontextabhängigkeit von Bedeutung, während die Semantik, auf die sich die strukturalistische Analyse beschränkt, die Beziehung zwischen den Zeichen und ihren Bedeutungen betrifft (Ehrhardt/Heringer 2011: 10).

  48. 48.

    Appadurai (1986) kritisiert die Unterscheidung zwischen Gabe und Ware mit dem Hinweis, dass ein und dasselbe Gut einmal als Gabe, ein andermal als Ware zirkulieren kann (Kopytoff 1986). Ein Schwein kann gegen ein anderes Gut getauscht (Tauschhandel) oder mit Profit verkauft werden (Warentausch), als Gabe weggeben (Gabentausch), einem Big-man für ein Klanfest gestiftet (Redistribution) oder als Konsumgut verzehrt (Haushaltsproduktion) werden. Nichts spricht aber gegen die analytische Unterscheidung zwischen politisch bedingtem Gabentausch und wirtschaftlich bedingtem Warentausch, sondern nur dafür, dass ein Objekt in beiden Sphären und gemäß unterschiedlicher Tauschlogiken zirkulieren kann.

  49. 49.

    Gregory (1982: 13, 39, 41) schreibt „… commodity exchange is an exchange of alienable things between transactors who are in a state of reciprocal independence. … non-commodity (gift) exchange is an exchange in inalienable things between transactors who are in a state of reciprocal dependence. … It follows from these definitions of exchange that exchange establishes a relationship between the objects exchanged, whereas gift exchange establishes a relationship between the subjects.“

  50. 50.

    Gleichzeitig findet Warentausch meist zwischen Individuen statt, zwischen denen bereits eine Beziehung hergestellt wurde, nicht selten durch Gabentausch. In tribalen Gesellschaften sind persönliche Beziehungen der Freundschaft und Verwandtschaft zwischen den Handelspartnern die Voraussetzung dafür, dass die Warentransaktionen zustande kommen (North 1990a: 34, Görlich 1992a,b, 1996, vgl. Abschn. 11.4.4 zu den Maring).

  51. 51.

    So werden bei den Maori, den Kwakiutl und auf Trobriand gerade die besonders wertvollen Objekte nicht getauscht, sondern vielmehr in den Familien bzw. in den Klanen behalten, wie Mauss (1923/1924: 25 ff. zu den Maori, ebd.: 80, 81, 83, 90 zu den Kwakiutl und ebd.: 34, 43 zu Trobriand) schreibt. Sie sind unveräußerlich, im Gegensatz zu anderen, weniger wertvollen Objekten, die getauscht werden. Weiner (1985, 1992) hat diesen Punkt am Beispiel der Trobriander wieder aufgenommen und ist auf weitgehende Zustimmung gestoßen (Godelier 1996: 51–55).

  52. 52.

    Auch diese Konzeption findet sich bei Mauss (1923/1924: 23–27), der bekanntlich die Erwiderung einer Gabe mit dem „Geist der Gabe“ (hau) erklärt hat.

  53. 53.

    Jede kula-Transaktion wird mit einem Eröffnungsgeschenk (vaga) eingeleitet und – nach einer zeitlichen Verzögerung – mit einem Gegengeschenk (yotile) abgeschlossen. Die beiden kula-Gaben (vaygu’a) – Halsketten (soulava) und Armreif (mwali), die als vaga oder yotile getauscht werden – sollten einen ähnlich hohen Wert haben. Die beiden Transaktionen (Geben und Erwidern einer Gabe) müssen überdies zeitlich auseinanderliegen: Man kann ein vaygu’a nur für ein bis zwei Jahre behalten, dann muss man es weitergeben (Malinowski 1922: 94). Es kann allerdings vorkommen, dass mein Tauschpartner über kein passendes vaygu’a als Gegengabe (yotile) für meine Halskette verfügt. In diesem Fall gibt er mir eine Zwischengabe (basi), z. B. einen kleinen Armreif von minderem Wert, den ich später ebenfalls mit einer kleinen Halskette abgelten muss. Die Transaktion wird erst mit der eigentlichen Gegengabe (yotile) – einem Armreif (mwali) von gleichem Wert wie meine Halskette – abgeschlossen (ebd.: 98 f.).

  54. 54.

    Znoj vertritt die Meinung, dass liquidierende Transaktionen durch Konkurrenz gekennzeichnet sind, nicht-liquidierende Transaktionen hingegen mit „Gemeinschaftsbildung“ einhergehen (1995: 125). Bereits Malinowski (1926: 48, 51) hat dieser Sichtweise jedoch widersprochen. Dass diese Ansicht offensichtlich nicht zutrifft, zeigen auch die Konkurrenz zwischen Big-men in Form von Verdienstfesten und die Konflikte im Zusammenhang mit Gabentransaktionen (Fortune 1932: 209 f., 214, 217), aber auch die weitgehende Konkurrenz- und Konfliktlosigkeit von Transaktionen im Tauschhandel (vgl. Abschn. 11.4.3 und 11.4.4).

  55. 55.

    Gemäß Znoj lässt sich auch im Bereich des Gabentausches von liquidierenden Zahlungen reden, wenn nämlich eine Blutschuld in Form von Buß- und Wergeldzahlungen getilgt werden muss (1995: 93, 97). Jedoch sind auch „Kompensationszahlungen“ – ebenso wie Heiratsgaben – nicht notwendigerweise liquidierend. Bei den Nuer werden sowohl Blutgaben (nach einem Totschlag) als auch Brautgaben bei einer Heirat in Rindern gegeben: In beiden Fällen beträgt die Standardsumme rund 40 Rinder. Letztlich kann aber das Leben eines Getöteten bzw. einer Frau, die wegheiratet, nicht in Form von Rindern kompensiert werden, sondern nur durch ein Menschenleben, das man entweder als Vergeltung nimmt oder in Form von Rindern anerkennt und dann mit einer Frau kompensiert. Eine Kompensationszahlung kann „die Rechnung letztlich nicht begleichen“, sondern symbolisiert lediglich die Anerkennung einer Schuld (Evans-Pritchard 1940: 154 f.). Die Entrichtung von Kompensationsgaben bei Totschlag macht es aber immerhin möglich, dass die beiden Konfliktparteien Frieden halten und „Gras über die Sache wachsen“ lassen (Evens 1985: 94 f., Hutchinson 1996: 62).

  56. 56.

    Es geht den Häuptlingen im kula-Tausch darum, Schulden (Verpflichtungen) zu schaffen und sie möglichst lange beizubehalten, um sich einen Namen zu machen und Prestige zu erwerben. Insofern ist der kula-Tausch dem potlatch ähnlich (Godelier 1996: 134). Und auch die Big-men bei den Melpa wollen im moka-Tausch nicht Profit machen, sondern Schuldbeziehungen bzw. Verpflichtungen schaffen (ebd.: 142).

  57. 57.

    Bei den Mai Enga sind es sechs Abstufungen von Gaben: lebende Schweine und Kasuare, dann Perlmuttanhänger, Schweinehälften, Kopfschmuck aus Vogelfedern und Steinäxte, am Schluss rangieren Nahrungsmittel (Meggitt 1974: 170).

  58. 58.

    Gregory (1982: 53) schreibt: „When A gives B 100 pigs as a commodity at 10 % interest per annum a return of 110 is necessary in order to cancel the debt. However, 100 pigs given as a gift requires a return of only 100 pigs in order to cancel the debt. If more are given, new gift-debt is created.“ Gregory vermag das Problem offensichtlich nur durch Zuhilfenahme von ökonomischen Begriffen wie Zins und (drohender) Tilgung einer Kreditschuld zu formulieren.

  59. 59.

    Gregory (1982: 51) macht den Unterschied zwischen (kapitalistischem) Warentausch und (asymmetrischem) Gabentausch deutlich, wenn er schreibt: „The aim of the capitalist is to accumulate profit while the aim of a big-man gift transactor is to acquire a large following of people (gift debtors) who are obliged to him.“

  60. 60.

    Dalton (1965: 49) spricht von „bridewealth“ und „bloodwealth“ und vermeidet somit zu Recht Ausdrücke wie „Brautpreis“, „Blutgeld“ und „Kompensationszahlungen“ (vgl. ausführlicher Abschn. 10.2.3).

  61. 61.

    Auch Godelier (1996) vertritt die Meinung, dass eine Gabe ein Substitut für ein Leben ist (ebd.: 105 zu den Kwakiutl, ebd.: 126 f. zu den Trobriandern und ebd.: 144 zu den Melpa und Maori).

  62. 62.

    Auf Neuguinea gibt es zwar kaum präskriptive Systeme mit einer vorgeschriebenen Kategorie von Heiratspartnern, aber relativ extensive Heiratsverbote, was dazu zwingt, die Affinalbeziehungen räumlich auszuweiten und zu diversifizieren. Damit steigt das Risiko, dass man keine Frau zurückerhält. Dieses Risiko lässt sich mit der Regel der Schwesternheirat reduzieren, so etwa bei den Banaro, Tor und Keraki, wo entsprechend auch keine Brautgaben getauscht werden. Wo der bilaterale Frauentausch generationell verschoben ist (wie bei den Siane und Chimbu), werden Brautgaben in bescheidenem Umfang getauscht. Wo die Exogamieregel hingegen sehr weit gefasst ist (wie bei den Melpa und Enga), spielt der Transfer von Brautgaben eine wichtige Rolle. Die Menge der Brautgaben korreliert somit mit dem Risiko, dass man keine Frau zurückerhält. Sie sind Schuldforderungen auf eine Frau innerhalb einer „aire matrimoniale“ (Rospabé 1993: 43 f.).

  63. 63.

    Zu den Nuer vgl. Evens (1985: 94 f.), Evans-Pritchard (1940: 154 f.) und Hutchinson (1996: 62).

  64. 64.

    Dass dem nicht so ist, werden wir in Abschn. 10.1.2 und 10.2.4 sowie in Abschn. 11.2.3, 11.3.2 und 12.7.3.3 ausführlich darstellen.

  65. 65.

    Auch Gouldner (1960) sieht – wie Lévi-Strauss (1949) – die Norm der Reziprozität als universale Konstante des menschlichen Zusammenlebens: Sie regle als universale Norm das Handeln der Akteure (jenen helfen, die einem helfen) und begründe die gesellschaftliche Interaktion schlechthin.

  66. 66.

    Spiele funktionieren nach bestimmten Regeln, die wie z. B. im Fußball zeitliche Organisation, Anzahl Spieler und Schiedsrichter sowie die eigentlichen Spielregeln: Off-Side, Handspiel und Ecke sowie Sanktionen wie Freistoß, Penalty, gelbe und rote Karte festlegen (normative Regeln). Es gibt aber auch praktische Regeln bzw. ein taktisches Wissen, von der Auswahl und Aufstellung der Spieler, dem taktischen Auswechseln, Spielverzögerungen, Gewichtung von Defensive plus Konterspiel oder offensive Spielweise, kurz: alles Wissen und Können, das angewendet wird, um das Spiel zu gewinnen (pragmatische Regeln). Niemand ist aber gezwungen, Fußball zu spielen, wenn er Handball oder Volley-Ball vorzieht, die wiederum nach anderen Regeln gespielt werden.

  67. 67.

    Weiter schreibt Malinowski (1926: 25): „So entdecken wir bei gründlicher Untersuchung […]ein strenges System gegenseitiger Verpflichtungen, in welchen der Sinn für Pflichtgefühl und die Erkenntnis von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit Seite an Seite stehen mit der Betätigung des Eigennutzes und der Ausnützung der Privilegien und Gewinne.“

  68. 68.

    Es gibt allerdings auch Gabentausch zwischen Alliierten, bei dem die Gaben nicht von Chiefs bzw. den Big-men, sondern den einzelnen Familien für ihre Heiratsverwandten aufgebracht werden, deren Summe die Alliierten einer Lokalgruppe sind (Rappaport 1968 zu den Maring, vgl. hierzu Abschn. 14.2.3).

  69. 69.

    Zu den Mai Enga siehe Meggitt (1965, 1971, 1974, 1977), Wiessner/Tumu (1998a,b) und Wiessner (2002), zudem Lemonnier (1991), Feil (1987), Waddell (1972) und Westermann (1968).

  70. 70.

    Jeder lokale Subklan besteht wiederum aus Patrilineages, von denen jede durchschnittlich 33 (4 bis 68) Individuen umfasst (Meggitt 1965: 5–18).

  71. 71.

    Meggitt (1977: 12 f.) schreibt, dass zwischen 1900 und 1950 14 Klane in 71 Kriege involviert waren, wobei allerdings die Gesamtzahl aller Kriege aller Klane in der Region bei etwa 200 liegen dürfte. Einer der Klane führte in 45 Jahren 28 Kriege. In einem Sample von 261 Männern starben zwischen 1900 und 1950 deren 91 in Kriegen. Die kriegsbedingte Mortalität von Männern lag in dieser Zeitperiode somit bei 34.8 % (ebd.: 110).

  72. 72.

    Der Tauschhandel mit Salz, Äxten, Nahrung, aber auch mit Schweinen, Federn und Muscheln erfolgt hingegen immer zwischen Individuen, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und auf unzeremonielle Weise. Diese Güter sind entweder Gebrauchsgüter, oder sie werden zu Gaben, die dann im tee-Tausch zirkulieren (Wiessner/Tumu 1998: 89, vgl. Abschn. 10.2.3 und 11.1.4).

  73. 73.

    Durch diese Auslagerung der Schweineaufzucht können Tauschakteure die Zahl ihrer Schweine erheblich steigern, da jede Ehefrau eines Mannes nur acht bis zehn Schweine aufziehen kann. Die peripheren Tauschpartner erhalten dafür einige Ferkel als Entschädigung, oder sie erhoffen sich, in den Hauptzyklus Eingang zu finden (Meggitt 1974: 176). Hierbei handelt es sich um einen Warentausch, der zeitgleich zum Gabentausch erfolgt.

  74. 74.

    Den organisatorischen und politischen Stress, den Big-men unmittelbar vor einem großen Verteilfest haben, schildert auf eindrückliche Weise Andrew Strathern in seinem Film „Ongka’s Big Moka: The Kawelka of Papua New Guinea“ (1974) bei den benachbarten Melpa. Zu den Gabentransaktionen der Big-men bei den Melpa vgl. Strathern (1969: 54–69). Hauptakteure im Gabentausch sind Big-men, die auch Tauschbeziehungen zu Mitgliedern des eigenen Klanes unterhalten. Jeder Big-man versucht im Rahmen der Gabentransaktionen mit anderen Gruppen, seine Position in seiner Lokalgruppe auszubauen. Neben der Menge an Gaben, die er für die Gabenfeste bereitstellen kann, ist es auch die Festlegung des Zeitpunktes der Tauschfeste, die regelmäßig Gegenstand von erbitterten Machtkonflikten zwischen den rivalisierenden Big-men einer Lokalgruppe ist (Strathern 1971 und Görlich 1992b: 32 ff. zu den Melpa).

  75. 75.

    Junggesellen – Männer heiraten erst zwischen 25 und 27 – spielen im tee-Tausch keine große Rolle. Ein Vater wird seinem unverheirateten Sohn einige Schweine geben, mit denen er in den tee-Tausch einsteigen und heiraten kann. Nach seiner Heirat übernimmt er allmählich das tee-Netz seines Vaters. Ob er es halten oder sogar ausweiten kann, hängt von seinem Geschick ab (Meggitt 1974: 184 f.).

  76. 76.

    Ein lokaler Big-men (kamunggo erete) verfügt über eine größere Anzahl von Tauschpartnern als seine Rivalen: Gemäß Meggitt (1974: 185 f.) hat er im Durchschnitt 38 Gabennehmer in 13 Klanen und 40 Gabengeber in 14 Klanen, während ein (kleinerer) Big-man von einem Subklan (kamunggo kori) 22 Gabennehmer in neun Klanen und 23 Gabengeber in 7 Klanen hat, gewöhnliche Männer haben hingegen lediglich ø 16 Gabennehmer in sechs Klanen und ø 16 Gabengeber in sechs Klanen (Meggitt 1974: 185 f.). In einem tee-Zyklus erhielt ein großer Big-man durchschnittlich 116 lebende Schweine und gab 89 Schweine und ein „kleiner“ Big-men (von einem Subklan) 35 bzw. 37 Schweine, während ein „gewöhnlicher“ Mann im Durchschnitt 16 Schweine erhielt und 24 Schweine gab (Meggitt 1974: 185 f.). Big-men haben im Durchschnitt auch mehr Frauen als „gewöhnliche“ Klanmitglieder: In einem Sample waren 403 „gewöhnliche“ Männer mit 470 Frauen verheiratet, also 1,1 Frauen pro Mann, während zehn Big-men mit insgesamt 38 Frauen verheiratet waren und somit 3,8 Frauen auf einen Big-man kamen (1974: 191). Gemäß Wiessner/Tumu (1998: 22) gaben Big-men bis zu 300 Schweine weg, während sich gewöhnliche Mitglieder mit 2 oder 3 Schweinen begnügten.

  77. 77.

    In Zeiten des Friedens und während der ersten Phase des tee-Zyklus verschärft sich die Konkurrenz zwischen Big-men im Aufbau dyadischer Tauschbeziehungen. In der zweiten Phase des tee-Zyklus und wenn Krieg droht, verschärft sich der Zwang, als Klan zu kooperieren, und die Position des Big-man wird gestärkt und weniger angefochten (Meggitt 1971).

  78. 78.

    Die expansiv-inflationäre Dynamik des Gabentausches, aber auch die Cash-crop-Produktion und Lohnarbeit, die nach der Pazifizierung in den 1950er-Jahren möglich wurden und den Kauf von zusätzlichen Schweinen erlaubten, sowie die zunehmende Individualisierung des Gabentausches, der nun weniger im Interesse des ganzen Klanes erfolgte, haben den tee-Tausch quantitativ und räumlich erheblich ausgedehnt. Die räumliche Expansion vor allem im Westlichen Hochland hat auch zur allmählichen Desintegration des tee-Tausches geführt (Meggitt 1974, Lemonnier 1991).

  79. 79.

    Allgemein hierzu siehe Kang (1979) und Schiltz (1987) zu Neu Guinea, Pospisil (1994) zu den Ekagi-me und Wiessner (1998, 2001) zu den Enga.

  80. 80.

    So etwa die Konkurrenz zwischen Big-men unterschiedlicher Lokalgruppen, die in Form einer Konföderation alliiert sein können, wie bei den Dugum Dani (Heider 1991) oder den Ilaga Dani (Larson 1987).

  81. 81.

    Die Bevölkerungszuwachsraten liegen in Neuguinea durchschnittlich bei 2 % pro Jahr (Brown 1979: 57), bei den Maring zwischen 1 und 2 % (Lowman 1980: 281), bei den Mai Enga bei ø 2 % (Meggitt 1965: 2) und im Östlichen Hochland Neuguineas (Pataki-Schweizer 1980: 116) sowie bei den Yanomamö bei ø 1,5 bis 2 % (Hames 1983: 415, Lizot 1977: 187). Allerdings sind diese Durchschnittszahlen mit Vorsicht zu genießen; es handelt sich lediglich um grobe Schätzungen, die sowohl die zeitlichen Schwankungen (hervorgerufen durch Epidemien) als auch die lokalen Variationen der Bevölkerungsentwicklung (z. B. durch Rückgang und Wachstum lokaler Populationen infolge wechselnder Erfolge im Krieg) vernachlässigen, die zum Teil beträchtlich sind (zu den Maring vgl. Lowman 1980: 274–281, Vayda 1976: 23, 38).

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Helbling, J. (2021). Politik des Gabentausches. In: Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33935-7_5

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