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Verhaltensökologie: Optimale Nahrungssuche in Wildbeutergesellschaften

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Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften
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Zusammenfassung

Die Produktionsstrategien von Wildbeutern wie die Auswahl von Nahrungsressourcen, die Größe von Gruppen, die Aufenthaltsdauer in einem Areal und die territoriale Organisation werden behandelt. Diese verhaltensökologischen Modelle kombinieren mikroökonomische Modelle mit dem evolutionären Modell der Variation (von Strategien) und Selektion (durch eine natürliche Umwelt). Die verhaltensökonomische Theorie des „Altruismus“ wird in einem Exkurs behandelt.

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Notes

  1. 1.

    Die Verhaltensökologie – nicht zu verwechseln mit der Verhaltensökonomik, die die kognitiven und emotionalen Faktoren untersucht, die das Entscheidungsverhalten von Individuen beeinflussen – hat ihren Ursprung in der empirischen Untersuchung des Sozialverhaltens von Tieren (MacArthur 1958, 1960, 1961, Pianka 1966, Stephens/Krebs 1987, Krebs/Davis 1997, in Winterhalder/Smith 1992: 1–7).

  2. 2.

    Gemäß dieser Definition gehören nicht zu den Wildbeutern: sesshafte Fischer (wie die Kwakiutl, Haida und Tsimshian an der Nordwestküste Nordamerikas und die Inupiat in Alaska), nomadisierende Viehzüchter (wie die Turkana, Njangatom und Rendiile) und „Protobauern“ (wie die Sago-Bauern im Sepik-Gebiet in PNG). Zu den Wildbeutern gehören u. a.: diverse Inuit-Gruppen (Eskimo) in den arktischen Gebieten Zentralkanadas, die Chipewyan-Karibou-Jäger in der kanadischen Tundra, die Mbuti und Baka im zentralafrikanischen Regenwald, diverse San-Gruppen in der Trockensavanne im südlichen Afrika, die Aborigines in den ariden Halbwüsten Zentral- und Westaustraliens, die Andamaner auf den Andaman-Inseln, die Semang in Malaysia, die Yamana-Kanujäger in der Inselwelt Feuerlands und die Guayaki (Aché) in Paraguay (vgl. Murdock 1968: 13–20, Karte in Helbling 2006).

  3. 3.

    Gemäß Sahlins (1974a) hat dieser Zwang zur Mobilität auch weitreichende Konsequenzen: Er erklärt die großen Geburtenabstände (ebd.: 34) sowie die Unmöglichkeit, Güter zu akkumulieren und Vorräte anzulegen (ebd.: 9–14).

  4. 4.

    Allgemein zu Wildbeutern vgl. Service (1966), Jochim (1976, 1981), Helbling (1987, 2005), Cashdan (1989), Kelly (1995, 2013) sowie Bicchieri (1972).

  5. 5.

    Während in den früheren Arbeiten (Winterhalder/Smith 1981) vor allem mikroökonomische Modelle verwendet wurden, finden sich in den späteren Publikationen von Verhaltensökologen (Smith/Winterhalder 1992, Kaplan/Hill 1992) vermehrt auch spieltheoretische Modelle. Diese unterschiedlichen Modelltypen entsprechen zwei Umwelten: parametrischen und strategischen (Elster 1986: 7). In einer parametrischen Umwelt orientieren sich die Akteure unabhängig von anderen Akteuren an Parametern ihrer Umwelt, wie z. B. an verfügbaren Ressourcenbeständen (oder Marktpreisen). In strategischen Umwelten hängt hingegen die Wahl der eigenen Strategie von den Strategien der anderen Akteure ab. Zur Analyse der ersteren eignen sich mikroökonomische Modelle, zur Untersuchung der zweiteren spieltheoretische Modelle (Smith/Winterhalder 1992: 34–38, Hawkes 1992: 276–287). Wir werden uns in Kapitel 6 und 7 ausführlich mit der Spieltheorie und ihren Anwendungen beschäftigen und uns in diesem Kapitel hauptsächlich auf die mikroökonomischen Modelle der Verhaltensökologie konzentrieren.

  6. 6.

    Selektionsprozesse könnten auch – so die beiden Autoren – zu Ineffizienz, Verschwendung, Konflikten und sogar zu Ausrottung führen. Individuen seien oft gleichzeitig mit unterschiedlichen Anpassungsproblemen konfrontiert, die „trade-offs“ aufweisen, d. h. zueinander im Widerspruch stehen: So etwa könne die optimale Subsistenzstrategie eine effiziente Strategie gegen Raubtiere verhindern (Smith/Winterhalder 1992: 52). Gleichwohl kann man sich fragen, ob die diversen Modelle des „optimal foraging“ nicht dennoch davon ausgehen, dass sich die optimalen Lösungen durch Selektion durchsetzen. In diesem Fall würde die Verhaltensökologie ähnlich argumentieren wie Alchian (1950) und Friedman (1953), die den konkreten Entscheidungsmechanismen der Akteure ebenso wenig Beachtung schenken und davon ausgehen, dass sich aus einer Variation von Unternehmensstrategien durch Marktselektion jeweils die effektivsten bzw. optimalen Lösungen durchsetzen (vgl. hierzu die Kritik von Hodgson 1993: 197–200).

  7. 7.

    In anderen Wirtschaftsweisen sind es andere „Währungen“, die maximiert werden, wie beispielsweise Herdengröße oder Milchleistung bei Viehzüchtern (Mace/Houston 1989, Borgerhoff/Sellen 1994).

  8. 8.

    Das Modell der Ressourcenauswahl geht von einem Individuum aus und ignoriert die kombinierten Aktivitäten einer Gruppe, d. h. von Jägern, die – entweder einzeln oder in Kleingruppen – gleichzeitig jagen, und Frauen, die gleichzeitig pflanzliche Nahrung sammeln (Mithen 1989: 62 ff.). Ich beschränke mich hier auf die Jagd, weil hier sowohl die Beschaffungskosten als auch die Suchkosten, aber auch die Erträge höher sind als beim Sammeln.

  9. 9.

    Für eine alternative Darstellung der „optimal diet breadth“ siehe Winterhalder (1981: 24), Kaplan/Hill (1992: 169–177), Kelly (2013: 46–62), Hawkes/O'Connell (1981) und Hawkes/Hill/O'Connell (1982) zu den Aché, Keegan (1986) zu den Machiguenca, Winterhalder (1986), Kaplan/Hill (1992) und Winterhalder/Goland (1993) sowie Lang (2010: 47–54) zu den !Kung San (Ju’hoansi).

  10. 10.

    Die Suche und Beschaffung von Tieren erfordern nicht nur Zeit, sondern auch Energie (Kalorien), was nicht nur die Rangierung der Spezies, sondern auch das Repertoire der Jagdbeute beeinflussen kann. Die Beschaffungskosten (Th) in Kalorien können vom Ertrag pro Einheit einer Spezies (in Kalorien) abgezogen werden, woraus sich der Nettoertrag/Th ergibt. In gleicher Weise kann auch mit den Suchkosten verfahren werden (Bettinger 2009: 12 ff.).

  11. 11.

    In diesem Fall ist allerdings die Berechnung des Ertrags aus R1+2 komplexer. Die Tierarten im Repertoire (Hirsch und Kaninchen) werden immer gejagt. Diese beiden werden proportional zur Kontaktrate (encounter rate), die invers mit der Suchzeit korreliert, erlegt und konsumiert. Je häufiger die Wahrscheinlichkeit, eine Spezies anzutreffen, desto höher also der proportionale Anteil ihres Konsums. Der durchschnittliche Kalorienertrag von Hirsch und Kaninchen (R1+2) wird dann gemäß ihrem relativen Anteil berechnet. Denselben Vorgang führt man bei der Berechnung der Beschaffungskosten und der Suchzeit pro R1+2 durch (Bettinger 2009: 6–9).

  12. 12.

    Wenn nach einer optimalen Kombination von „Währungseinheiten“ (Protein, Energie etc.) in saisonal variierenden Ressourcen gesucht wird, eignet sich das Modell des linearen Optimierens besser als das oben diskutierte Modell (vgl. auch Keene 1981, Belovsky 1987, Kaplan/Hill 1992: 189 ff.). Das Modell der linearen Optimierung geht vom gegebenem Konsumbedarf an verschiedenen Komponenten (minimale Mengen an Kohlenhydraten, Protein, Fett, Spurenelementen und Vitaminen) sowie von unterschiedlichen Ertragsraten (E/Th) der Ressourcen aus. Daraus lässt sich eine optimale Kombination von Ressourcen errechnen (Keene 1981, Bettinger 2009, Kap. 2). Selbstredend verwenden Akteure – in diesem Fall: Wildbeuter – nicht das Modell des linearen Optimierens bei der Entscheidung über die Auswahl der Ressourcen. Sie könnten sich aber aufgrund folgender Faustregel entscheiden: Zuerst wird der minimale Produktemix unverzichtbarer Ressourcenarten und -mengen beschafft, und anschließend werden zusätzliche Ressourcen – je nach Präferenz der Akteure, nach Ertragsraten und Suchzeit – ausgebeutet (Kaplan/Hill 1992).

  13. 13.

    Meist wird Treibjagd nicht ganzjährig praktiziert, wie das bei den BaMbuti-Netzjägern der Fall ist, die auch Fleisch verkaufen (Abruzzi 1979), sondern nur saisonal wie bei subarktischen Jägern. So betreiben die Chipewyan während je 2 bis 3Wochen im Frühling und im Herbst Treibjagd auf Karibu-Herden, die ihre Territorien zweimal pro Jahr durchwandern, und bilden während dieser Zeit große Aggregationen von 200 bis 400 Individuen, leben aber in der übrigen Zeit in Gruppen von 10 bis 40 von der Jagd auf kleinere Tiere sowie vom Sammeln und Fischen (Heffley 1981).

  14. 14.

    Kommt hinzu, dass die modalen Größen der Kooperationsgruppen, die in die „compromise optimal size“ (Smith 1981: 37) eingehen, in keiner der drei Produktionsaktivitäten während der Wintermonate den optimalen Größen entsprechen. Und es ist unklar, wie aus einem solchen Kompromiss eine Gruppe in optimaler Größe entstehen sollte.

  15. 15.

    Ab Oktober/November lohnt sich für die Netsilik-Inuit die Karibu-Jagd nicht mehr, weil die Tiere weit verstreut und zu mager sind. Gleichzeitig ist das Eis bereits zu dick, um Fischfang zu betreiben. So leben sie in den großen Lagern weitgehend von Vorräten, reparieren und fabrizieren Werkzeuge und Kleidung und warten, bis das Meer zugefroren und die Atemlochjagd auf Robben möglich ist (Balikci 1970: 55 ff.). Damas (1969.2: 51) berichtet bei den Iglulik von kleineren Winterlagern mit 15–30 Individuen. Bei Gruppen dieser Größe waren allerdings noch Vorräte an Karibufleisch und Fisch von der Herbstjagd vorhanden, und es scheint – neben der Robbenjagd – auch zusätzlich die Jagd auf Walross und Moschus-Ochsen möglich gewesen zu sein.

  16. 16.

    Balikci (1970: 89) zitiert Rasmussen (1931), der während der Wintermonate eine Gruppe von Netsilik-Inuit untersuchte, die aus 12 Jägern und insgesamt 31 Individuen bestand. Eine Gruppe dieser Größe würde gemäß Smith (1981: 62) nur gerade sechs Jäger enthalten bzw. 12 Jäger würden ihm zufolge einer Gruppengröße von 60 Individuen entsprechen. Die Erklärung für diese Differenz liegt wahrscheinlich im Umstand, dass die Netsilik – gemäß Rasmussen (1931, in Kelly 2013: 186) – bis zu 67 % der neugeborenen Mädchen umbrachten, während Infantizid in Inukjuat (1976) wohl nicht mehr praktiziert wird.

  17. 17.

    Die Kleinfamilie ist die kleinste Produktions- und Konsumtionsgemeinschaft (vor allem für das Sammelprodukt der Frauen). Demgegenüber wird die Jagdbeute (Großwild) der Männer an alle Gruppenmitglieder verteilt.

  18. 18.

    Dies lässt sich am Beispiel der Atemlochjagd auf Robben (mauliqtuq) der Netsilik-Inuit illustrieren: Der Beginn der Atemlochjagd auf Robben hängt auch von den verfügbaren Vorräten aus Herbstjagd und Fischfang ab, die in einem schlechten Jahr bereits im November zur Neige gehen, in einem guten Jahr aber bis Februar reichen können. Meist beginnt die Atemlochjagd im Dezember/Januar und dauert bis Mai/April. Die Atemlochjagd auf Robben erfolgt in Gruppen von ø 100 (50–200) Individuen. Etwa jeden Monat wechselt die Gruppe das Lager, wobei die Distanzen zwischen den Lagern durchschnittlich 16 km betragen. Größere Gruppen müssen häufiger das Lager wechseln als kleinere Gruppen. Eine Gruppe muss aus mindestens 12 Jägern bestehen (d. h. Gruppengrößen von 30 bis 60 Individuen), um Atemlöcher im Umkreis von etwa 8 km besetzen zu können. Andernfalls wäre der durchschnittliche Pro-Kopf-Ertrag pro Tag zu gering (Balikci 1970: 56–80, 89, Damas 1973: 13 ff.).

  19. 19.

    Ich verwende hier den Begriff „Risiko“ im Sinne einer „möglichen Unterversorgung mit Nahrungsmitteln“ und nicht im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Erträgen. „Risikominimierung“ heißt dann „Sicherung eines Existenzminimums“ (vgl. bereits Rothchild/Stiglitz 1970, Roumasset 1976).

  20. 20.

    In den meisten Wildbeutergesellschaften werden nicht nur die Ressourcen, sondern auch die Arbeitskapazitäten unternutzt. Das Arbeitspotenzial der zwischen 20- und 40-jährigen sowie 2 bis 4 Arbeitsstunden pro Tag reichen üblicherweise aus, um Nahrungsmittel in ausreichender Menge und Zusammensetzung zu beschaffen (Sahlins 1974a: 15 f., Hassan 1975: 48). Der Zwang zur Mobilität bei fehlenden Transportmitteln verunmöglicht Wildbeutergruppen die Vorratshaltung und Akkumulation von Gütern jeglicher Art (Sahlins 1974a: 9–14).

  21. 21.

    Generell gilt für Wildbeuter, dass spontane, aber umweltabhängige Aborte sowie Infantizid – neben Geburtenabständen – die häufigsten Regulatoren der Bevölkerungsentwicklung sind (Harris/Ross 1987: 31). Infantizid betraf bei Wildbeutern zwischen 15 und 25 % der Neugeborenen (Hassan 1981: 155, Kelly 2013: 186), war bei den Inuit aber höher. Weil Wildbeuter einen Geburtenabstand von vier Jahren einhalten mussten (da eine Mutter jeweils nur ein Kind tragen und erst wieder ein nächstes Kind aufziehen konnte, wenn dessen älteres Geschwister selbstständig laufen konnte), wurden Kinder, die innerhalb dieses Intervalls geboren wurden, meist umgebracht. Ein weiterer Grund für Infantizid sind Nahrungsknappheit und Hungerzeiten (Lee/DeVore 1968: 243 ff., Kelly 2013: 186–193).

  22. 22.

    Bei den Inuit wird mit bis zu 50 % der Neugeborenen nicht nur ein überdurchschnittlicher Prozentsatz von Infantizid praktiziert (Birdsell 1968, Hassan 1975: 43 f.), sondern auch der Anteil von weiblichem Infantizid ist überproportional hoch. So haben die Netsilik- und Copper-Inuit eine Geschlechterrate von 200–270 Knaben auf 100 Mädchen, während sie bei Erwachsenen wegen der höheren Sterblichkeit der Männer (aufgrund von Jagdunfällen) auf rund 100 sinkt (Freeman 1971, Hassan 1981: 155, Kelly 2013: 168).

  23. 23.

    Zu Reproduktionsentscheidungen, die sowohl den Aufwand der Eltern mit Kinderversorgung als auch die Partnersuche betreffen, siehe Borgerhoff Mulder (1992), Hill/Kaplan (1999) und Smith/Winterhalder (2002).

  24. 24.

    Wenn hingegen der Produktionserfolg für alle Produzenten in der Gruppe synchron bzw. saisonal variiert, wäre Vorratshaltung die optimale Strategie, was jedoch für hoch mobile Wildbeutergruppen keine Option ist.

  25. 25.

    Zudem sind die Tiere meist ohnehin zu groß, um – bei fehlenden Konservierungsmöglichkeiten – von einer Kleinfamilie allein verzehrt zu werden. Das Verteilen der gesamten Jagdbeute ist deshalb auch aus diesem Grund naheliegend, so dass jede Familie einen etwa gleichen Anteil an der gesamthaft anfallenden Jagdbeute erhält (Coon 1979: 201–204, Friedl 1975: 20 f., Hayden 1981: 386–389).

  26. 26.

    Erfolgreiche Jäger haben bei den Aché scheinbar mehr Erfolg bei Frauen. Gruppenmitglieder ziehen auch großzügige Jäger als Kumpanen vor, und sie werden jene, mit denen sie zusammenleben wollen, großzügiger behandeln als andere. Auf diese Weise wird Großzügigkeit selektiert (Hawkes 1992: 287).

  27. 27.

    Allerdings wird ein gewisses Ausmaß an Ungleichheit der Beiträge zur Fleischversorgung der Gruppe akzeptiert, und es besteht ein gewisses Maß an Toleranz, die sich aber nicht auf notorische Schmarotzer, sondern nur auf „schlechte Jäger“ bezieht, weil die Nachteile der Sanktionierung bzw. des Ausschlusses eines „schlechten Jägers“ von der Verteilung von Nahrungsmitteln für das soziale Klima größer wären als die Vorteile bei Sanktionierung oder Ausschluss eines solchen Individuums (zu „tolerated theft“ siehe Blurton 1984, Hawkes 1992, Bird/Bird 1997, Wilson 1998).

  28. 28.

    Demnach würde ein Individuum nur dann auf ein eigenes Kind (1/2 gemeinsame Gene) verzichten, wenn es dadurch das Überleben von mehr als 2 Neffen/Nichten (1/4) oder von mehr als 4 Vettern/Basen (1/8) sicherstellen könnte (vgl. Nowak 2006: 1560).

  29. 29.

    Bei Trivers (1971) spielt die genetische Nähe der Kooperanten keine Rolle, sondern nur der Fortpflanzungserfolg, den sie selber aus dieser Kooperation ziehen (vgl. auch Tooby/Cosmides 1988). Doch weshalb Fortpflanzungserfolg ein relevantes Kriterium sein sollte und welche zwingende Beziehung dann noch zwischen genetischer Ausstattung und Kooperation bestehen sollte, bleibt ein Rätsel (vgl. Abschn. 15.2.3).

  30. 30.

    Vgl. hierzu auch Sober (1981: 107), Wilson/Sober (1994) und Mayr (1994: 202). Bei Mehrebenen-Selektion laufen Gruppen- und Individualselektion nicht nur gleichzeitig ab, sondern können zudem entweder in dieselbe oder aber in entgegengesetzte Richtungen verlaufen (Hodgson 1993: 191 f.).

  31. 31.

    Auch Vertreter der kognitiv orientierten „behavioral economics“ in der Tradition von Tversky, Kahneman und Thaler führen psychologische Spielexperimente durch, um ein realistischeres Modell des rationalen Akteurs als das Standardmodell des Homo oeconomicus zu entwickeln.

  32. 32.

    Das Punisher-Verhalten, das kostspielig ist, dem Bestraften allerdings noch mehr schadet, trägt zur Bereitstellung von Kollektivgütern bei: Es stärkt Normen, die das Teilen von Nahrung im langfristigen Interesse aller ermöglicht, es schwächt Trittbrettfahren und Schmarotzertum in einer Gruppe (vgl. mehr dazu Abschn. 13.2.2 und 14.2).

  33. 33.

    Cherry et al. (2002) zeigen allerdings, dass altruistisches Verhalten abnimmt, wenn der Versuchsleiter die Aufteilung (bzw. das Angebot von A1) nicht kennt und wenn mit selbstverdientem Geld statt mit geschenktem Geld gespielt wird (Diekmann 2010: 208 f.).

  34. 34.

    In Tab. 3.3 sind die Namen der ethnischen Gruppen aufgelistet, bei denen das Ultimatum-Spiel durchgeführt wurde, ferner die Daten zum durchschnittlichen und modalen Prozentsatz der angebotenen Anteile am Gesamtbetrag (s) und schliesslich den jeweiligen Prozentsatz aller abgelehnten Angebote und jener Angebote, die kleiner als 20 % des Gesamtbetrages waren und abgelehnt wurden.

  35. 35.

    Bereits Chamberlin (1948: 95) war der Meinung, dass „unerwünschte“ Variablen bei Spielexperimenten weder kontrolliert noch eliminiert werden können, und dass das reale Verhalten von realen Menschen, Firmen, Regierungen etc. nicht künstlich reproduziert werden könne (zitiert in Chibnik 2011: 104).

  36. 36.

    Selbst in Industriegesellschaften unterscheidet sich das Spielverhalten von studentischen Versuchspersonen, die unterschiedlichen Fakultäten angehören: Studierende der Wirtschaftswissenschaft, die in das neoklassischen Paradigma sozialisiert wurden, verhalten sich in Ultimatum-Spielen eher gemäss dem Standardmodel des Homo oeconomicus als Studierende anderer Fakultäten (Englerth 2004: 13).

  37. 37.

    Kooperation und Fairness nehmen mit zunehmender Marktintegration zu, meinen Henrich et al. (2001, 2005, 2010). Während nämlich in einfachen Gesellschaften keine Normen vorhanden seien, die die Interaktion mit Fremden regelten, sei dies in Marktwirtschaften anders: Dort bestehen nicht nur übergreifende Normen und Werte, sondern bilden sich aufgrund der Häufigkeit von Transaktionen mit Fremden auch entsprechende informelle Regeln des friedlichen Umgangs heraus. Die Prämisse, dass Warentausch in einfachen Gesellschaften zwischen Fremden stattfindet, ist falsch. Vielmehr sind Beziehungen von Verwandtschaft, Freundschaft und Gabentausch zwischen den Akteuren Voraussetzungen dafür, dass solche Warentransaktionen überhaupt stattfinden können. Zudem haben Falk/Szech (2013) gezeigt, dass anonyme Marktransaktionen mit einer Erosion der Moral einhergehen. Stellt man ein Individuum vor die Wahl, zwar eine unmoralische Tat zu begehen, aber dafür belohnt zu werden, ist die moralische Option immerhin erkennbar. Wenn hingegen die Akteure in einer bilateralen Transaktion oder noch stärker in einem multilateralen Markt vor dieselbe Wahl gestellt werden, nimmt das moralische Verhalten nicht nur ab, sondern verschwindet auch als mögliches Kriterium von Entscheidungen. Die Verantwortung für die unmoralische Tat wird geteilt: „Was der andere tut, darf ich auch tun“. Das Handeln des jeweils anderen gilt als Norm; Tausch und Wettbewerb binden die Aufmerksamkeit und blenden moralische Externalitäten aus. Ich werde in den Kapiteln IX bis XII ausführlicher auf Marktbeziehungen zurückkommen.

  38. 38.

    Interessant ist der Unterschied zu den Aché, die ebenfalls Wildbeuter sind und in ähnlich grossen Gruppen leben wie die Hadza. Bei den Aché betragen die Angebote – ähnlich wie bei den Hadza – durchschnittlich 50 % der Gesamtsumme, jedoch werden auch niedrigere Angebote (selbst solche unter 20 %) nicht zurückgewiesen. Fehr/Gintis (2007: 59) erklären dies damit, dass die Aché die Jagdbeute im Alltag teilen, mit einem gleichen Anteil für alle Familien. Das gilt aber auch für die Hadza, und der Unterschied zu den Spielergebnissen bei den Aché bleibt weiterhin unklar.

  39. 39.

    Das kommt in der Durchschnitts- und Modalgrösse des Angebots allerdings nicht zum Ausdruck, die bei den Au bei 43 % bzw. 30 %, bei den Gnau bei 38 % bzw. 40 % lagen, während die Ablehnungsrate von Angeboten durchwegs hoch war (bei Angeboten unter 20 % lag sie bei den Au bei 100 % und bei den Gnau bei 50 %, während die Ablehnungsrate aller Angebote bei den Au 27 % und den Gnau 40 % betrug).

  40. 40.

    Solche Divergenzen zwischen dem Spielverhalten und dem Akteurverhalten im realen Leben stellen auch Gurven/Winking (2008) bei den Tsimane in Bolivien und selbst Henrich/Henrich (2007) bei Chaldäern in den USA fest (Chibnik 2011: 115). Die „windfall profits“ in den Spielexperimenten (mit geschenkten Spieleinsätzen) modellierten kaum die realen Kosten der Kooperation, wie Gurven (2004: 226) einräumt.

  41. 41.

    Vgl. auch Keegan (1986) zu den Machiguenca-Bauern sowie De Boer/Prins (1989) und Edwards/Josephson/Brenner (1994) zu Fulbe-Viehzüchtern.

  42. 42.

    Vgl. zur Informationsökonomik Stigler (1961) und Stiglitz (2000, 2002). Zu ethnologischen Anwendungen vgl. Quinn (1975), Geertz (1978), Cashdan (1985) und Smith (1988). Wir werden in Abschn. 10.3.1 im Zusammenhang mit der Neuen Institutionenökonomik ausführlicher auf die Informationsökonomik eingehen.

  43. 43.

    Ein interessantes Beispiel für Entscheidungen unter Unsicherheit liefert Moore (1957). Die Naskapi-Jäger wissen nicht mit Sicherheit, in welchem Revier sie Karibu jagen sollen, auf die sie für ihr Überleben angewiesen sind. Die Jagd auf diese Tiere ist mit großer Unsicherheit behaftet. Deshalb wird alle drei bis vier Tage das Schulterblatt-Orakel konsultiert, um die besten Jagdplätze für Karibu zu ermitteln. Moore weiß allerdings nicht, inwiefern dieses Orakel erfolgreich ist; es gibt keine statistischen Studien hierzu. Seine Erklärung: Entscheidungen von Jägern (ohne Orakel) neigen dazu, jene Plätze wieder aufzusuchen, wo die Jagd bereits erfolgreich war. Wenn aber Tiere Reviere meiden, in denen sie schon auf Jäger getroffen sind, werden Jäger beim zweiten Mal weniger oder keinen Erfolg mehr haben. Das Schulterblatt-Orakel wirkt wie ein Zufallsgenerator, der gute Ergebnisse zeitigt, wenn die räumliche Verteilung der Karibu ebenfalls zufällig ist.

  44. 44.

    Die optimale Informationsbeschaffung lässt sich wie die Produktion eines anderen Gutes bestimmen: Sie lohnt sich solange, bis der Grenznutzen der Information (zusätzlich sicherer Ertragszuwachs aufgrund besserer Information) gleich ihren Grenzkosten (Laufkosten zur Informationsbeschaffung zur Produktion dieses Zusatzertrages) ist. Die Informationsbeschaffung ist somit selber ein Optimierungsproblem. Die mathematischen Modelle sind zwar elegant; sie geben jedoch nicht die tatsächlichen Entscheidungsmechanismen der Akteure wieder. Die realen Akteure orientieren sich vielmehr an einfachen Faustregeln, die zwar gröber, dafür aber kostengünstiger sind. Die Faustregeln sind ihrerseits Produkte der Selektion in einer spezifischen Umwelt und kommen durch Interaktion mit anderen Akteuren zustande (Smith/Winterhalder 1992: 56 ff.).

  45. 45.

    Eine solche Monopolisierung wäre nur dort möglich, wo verlässliche Ressourcen in ausreichender Menge in einem relativ kleinen und gut zu verteidigenden Territorium verfügbar sind, und würde nur dort Sinn machen, wo Gruppen tatsächlich um knappe Ressourcen konkurrieren. Diese Bedingungen sind jedoch in Wildbeutergesellschaften gerade nicht gegeben (Dyson-Hudson/Smith 1978: 12, 15, 24 f.). Weil die Territorien so groß sind (rund 2500 qkm bei den San-Gruppen und Aborigines in semi-ariden Gebieten Australiens) und die Gruppen so klein sind (±25 Individuen), wären die Verteidigungskosten prohibitiv hoch, und weil die Ressourcen weiträumig und meist unvorhersehbar verteilt sind, wären auch die möglichen Vorteile einer territorialen Monopolisierung zu klein. Auch hier eignen sich spieltheoretische Modelle besser zur Beschreibung solcher Fälle als mikroökonomische Modelle (Smith 1988: 244 ff., Smith/Winterhalder 1992: 6).

  46. 46.

    Das Prinzip der optimalen Zahl, das Carr-Saunders (1922) formuliert hat, bezieht sich auf die nachhaltige Nutzung von Ressourcen durch eine Population innerhalb eines bestimmten Gebietes. Zwei Bedingungen müssen hierfür erfüllt sein: 1) Die Individuen müssen in Gruppen organisiert sein. 2) Diese Gruppen dürfen ihre Territorien, in die das Gebiet unterteilt ist, nicht verlassen. Die ökologische Kapazität eines Habitats wird also nicht übernutzt, wenn jede Gruppe gezwungen ist, sich an die (minimale) Ressourcenmengen in ihrem Territorium anzupassen, d. h. eine allfällige Übernutzung nicht durch Ausweichen in benachbarte Territorien kompensieren kann (Peterson 1975: 58–62, Helbling 1987: 98).

  47. 47.

    Vorausgesetzt ist allerdings, dass die territorial verfügbaren Ressourcen nicht nur fluktuieren, sondern auch, dass diese Fluktuationen nicht korrelieren. Gemäß Smith (1988: 242 f.) handelt es sich bei dieser Mobilität von Individuen zwischen Gruppen, die überdies sehr häufig ist, um eine Alternative zur Bewegung von Gütern zwischen Gruppen, die allerdings in Wildbeutergesellschaften eine marginale Rolle spielt.

  48. 48.

    Zum Gruppenwechsel als Modus der Konfliktbeilegung bei Wildbeutern vgl. Lee/DeVore (1968: 8) und Roberts (1979: 84 f., 98) sowie Lee (1968: 152) zu den !Kung San und Turnbull (1968: 137) zu den Mbuti.

  49. 49.

    Zu spontanen Ordnungen, die dem Marktmechanismus gleichen, vgl. Barry (1982), Cronk (1988) und Sugden (1989).

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Helbling, J. (2021). Verhaltensökologie: Optimale Nahrungssuche in Wildbeutergesellschaften. In: Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33935-7_3

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