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Produktionsstrategien kleinbäuerlicher Haushalte

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Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften
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Zusammenfassung

Bauern müssen mit Hilfe geeigneter Produktionsstrategien das Problem der Unsicherheit bewältigen, das vom neoklassischen Mikromodell weitgehend ausgeblendet wird. Modelle der Versorgungssicherheit und Ruinvermeidung werden vorgestellt, die das Element der Unsicherheit ernster nehmen. Das Modell von Chayanov geht davon aus, dass Bauern nicht den Nettoertrag, sondern die Lebensqualität der Haushaltsmitglieder maximieren. Makroökonomische Fragen werden anhand dörflicher Ökonomien diskutiert.

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Notes

  1. 1.

    Kleinbauern verwenden einfache Technologien; sie produzieren sowohl für den Eigenbedarf als auch für den Markt; sie konsumieren selbstproduzierte und gekaufte Güter; sie leben in Haushalten und Dörfern auf dem Land, migrieren aber auch ab und zu in die Städte, um Lohnarbeit zu leisten (Harris 2005: 425). Sie machen laut Weltbank Bericht im Jahre 2008 rund einen Viertel der Weltbevölkerung aus. Die Ethnologie hat sich seit den 1960er-Jahren und vor allem zwischen 1970 und 1990 ausführlich mit bäuerlichen Haushaltsökonomien beschäftigt. Dabei wurden nicht nur Institutionen (wie Eigentum und Markt), sondern vor allem auch die Produktionsstrategien kleinbäuerlicher Haushalte untersucht. Vgl. hierzu u.a. Dalton (1964), Thorner et al. (1966), Firth (1967), Wolf (1966), Shanin (1971), Sahlins (1972), Gudeman (1978, 2001), Barlett (1980), Ortiz (1980, 2005), Cancian (1980, 1989), Harriss (1982), Durrenberger (1984), Netting/Wilk/Arnould (1984), Netting (1993), Harris (2005) und Chibnik (2011).

  2. 2.

    Von Risiko spricht man, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit von Handlungsoptionen messbar ist; bei Unsicherheit ist deren Eintrittswahrscheinlichkeit, wie z. B. einer Missernte, nicht berechenbar (vgl. Knight 1921: 19).

  3. 3.

    Wir gehen davon aus, dass Land, Wasser und Ochsen fixe Kosten darstellen, Arbeit hingegen variable Kosten entstehen lässt. Deshalb konzentrieren wir uns hier auf den Arbeitseinsatz und halten die Kosten der anderen drei Produktionsfaktoren konstant. Wir werden uns nachher der Substitution der Produktionsfaktoren (Land und Arbeit) zuwenden.

  4. 4.

    Bereits Keynes (1921) hat gezeigt, dass bei einer ordinalen oder gar fehlenden Wahrscheinlichkeit (Unsicherheit) ein mikroökonomisches Modell ganz anders als das neoklassische Standardmodell aussehen müsste. Da keine Quantifizierung der (zukünftigen) Preise, Kosten und Gewinne möglich ist, werden sich die Akteure nach anderen Kriterien entscheiden, als es die These des Grenzproduktivitätsausgleichs fordert (vgl. Abschn. 1.4.2)

  5. 5.

    Gemäß Kahneman/Tversky (1983) gewichten Akteure in Spielexperimenten Verluste höher als Gewinne, obwohl sie gleich wahrscheinlich sind. Dabei handelt es sich dabei aber nicht um eine „Verzerrung der objektiven Wahrscheinlichkeit“ und um ein „Rationalitätsdefizit“, wie die kognitiven Verhaltensökonomen meinen. Wenn ein Minimum an Nahrungsmitteln produziert werden muss, um nicht Hunger und Tod zu gewärtigen, ist ein risikoaverses Verhalten durchaus „rational“, d. h. praktisch vernünftig und keine „Verzerrung“.

  6. 6.

    Mindestens ist das bei den indischen Bauern, die von Hopper und Lipton in den 1960er-Jahren untersucht wurden, der Fall. Faktorenmärkte können allerdings selbst in vormodernen Zeiten effizienter sein. So scheinen etwa die Faktoren- und Gütermärkte im China der Qing-Dynastie erstaunlich elastisch gewesen zu sein (vgl. Shiue/Keller 2007: 1207 f., Chao 1986, Kap. 6, Eastman 1988, Kap. 6, Wong 1997: 193 ff., Marks 2006: 125, Vries 2003: 22, Wang Yeh-chien 1992, Helbling 2011).

  7. 7.

    Dörfliche Gemeinschaften von Subsistenzbauern bilden gemäß Scott (1976) „moralische Ökonomien“, die vom Prinzip der gegenseitigen Unterstützung zwischen den Haushalten reguliert werde. Diese traditionellen Normen, Bräuche und Moralvorstellungen hinsichtlich der dörflichen Solidarität verhindern, so Scott, dass Akteure ihren Ertrag bzw. Profit maximieren und sich in Marktbeziehungen integrieren wollen, weil dies die dörflichen Solidarstrukturen schwächen würde.

  8. 8.

    Die Frage der innerdörflichen Solidarität war Gegenstand einer Kontroverse zwischen Scott („moral economy“ 1976) und Popkin („rational peasant“ 1979, 1980, 1986). Während beide Autoren das Funktionieren von Institutionen der gegenseitigen Unterstützung (direkte Reziprozität), auf welche die Haushalte in Notzeiten (teilweise) zurückgreifen können, ebenso anerkennen wie die Möglichkeit von Kollektivarbeiten (etwa zum Bau von Deichen und Straßen), die allen zu Gute kommen (vgl. auch Lipton 1968), sind die beiden Autoren hinsichtlich dörflicher Umverteilungsmechanismen zu Gunsten der armen Bauern unterschiedlicher Meinung: Für Scott sind diese Umverteilungsmechanismen von reichen zu armen Dorfbewohnern Bestandteil der Werte, Normen und Institutionen einer „moral economy“ bzw. einer Subsistenzethik. Für Popkin hingegen bestehen solche Mechanismen – falls überhaupt – lediglich in sehr eingeschränktem Rahmen, etwa in asymmetrischen Beziehungen zwischen Patron und seinen Klienten oder im Fall einer Unterstützung von Witwen und Waisen. Ansonsten scheiterten solche Umverteilungsmaßnahmen an der Obstruktionspolitik der mächtigen und reichen Dorfelite, auf deren Kosten eine solche Umverteilung stattfinden würde.

  9. 9.

    Üblicherweise werden „Familie“ als kleinste Verwandtschafts- und Reproduktionseinheit und „Haushalt“ als kleinste Residenzeinheit mit wirtschaftlicher Funktion unterschieden (Bohannan 1963: 86, Bender 1967: 495, vgl. die Diskussion in Netting/Wilk/Arnould 1984 und Yanagisako 2015). Bei Kunstadter (1984: 300) findet sich die folgende Definition: „Despite the existence of a few ethnographic anomalies, most people in most societies at most times live in households, membership in which is usually based on kinship relationships of marriage and descent, which are simultaneously a combination of dwelling unit, a unit of economic cooperation (at least in distribution and consumption), and the unit in which most reproduction and early childhood socialization takes place.“

  10. 10.

    Einige, z. B. zehn Individuen bilden eine Tontine-Gemeinschaft. Jedes Mitglied zahlt monatlich einen bestimmten Beitrag in die gemeinsame Kasse und erhält dann einmal im zehnmonatigen Zyklus den gesamten eingezahlten Betrag aus der Kasse (zu solchen „rotating credit associations“ vgl. Geertz 1962, Ardener 1964 und Tello Roszas/Gauthier 2012).

  11. 11.

    Bis 1960 war der Haushalt für die neoklassische Standardökonomik lediglich eine singuläre Nachfrageeinheit von Konsumgütern, dargestellt als Nachfragefunktion. Entwicklungsökonomen (wie Schultz, Hopper u. a.) begannen in den 1960er-Jahren den Haushalt auch als Produktionseinheit zu thematisieren, wovon der russische Ökonom Alexander Chayanov schon in den 1920er-Jahren und nach ihm auch die Ethnologie ausgegangen waren (Chibnik 2011: 135 ff.). Gemäß Chayanov ist der Haushalt sowohl eine Nachfragefunktion als auch eine Produktionsfunktion, aber keine Organisation.

  12. 12.

    Haushalt ist eine Organisation, deren Mitglieder gemeinsame Entscheidungen über die Allokation von Arbeitskraft und Ressourcen treffen und die Erträge und Einkommen teilen. Der Haushalt ist somit eine Koalition von individuellen Akteuren, die gegen außen als eine Einheit auftritt (Ellis 1998: 6).

  13. 13.

    Bereits Keynes (1936, Kap. 12) hat darauf hingewiesen, dass Entscheidungen unter Unsicherheit, d. h. die Unberechenbarkeit zukünftiger Produktionsergebnisse gegenwärtiger Entscheidungen, weitreichende Konsequenzen für die Anwendbarkeit neoklassischer Modelle hat: Diese ließen sich nämlich bei Entscheidungen unter Unsicherheit nicht mehr anwenden (Robinson 1974c: 48, vgl. Abschn. 1.3.2.).

  14. 14.

    Gemäß Savage (1954) verwenden Akteure selbst bei Unsicherheit die vorhandenen Informationen dazu, „subjektive Wahrscheinlichkeit“ zu schätzen. Diese subjektiven Wahrscheinlichkeiten werden durch Befragung der Akteure (als Wettquotienten operationalisiert) oder durch Spielexperimente ermittelt. Auf diese Weise verschwindet der Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit, indem Unsicherheit in (berechenbares) Risiko transformiert wird. Oft sind solche Schätzungen allerdings lediglich Rationalisierungen von bereits getroffenen Entscheidungen. Kommt hinzu, dass bei hohen Risiken ein „neoklassisches“ Maximierungsverhalten für Bauern ohnehin zu riskant wäre (vgl. Cancian 1980: 164 f., Chibnik 2011: 6 f., 75).

  15. 15.

    Rothchild/Stiglitz (1970) verwenden den Begriff „Risiko“ praxisrelevanter im Sinne von „Möglichkeit von desaströsen Missernten“ und nicht im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsverteilung von Ernteerträgen. Risikominimierung hieße dann „Sicherung eines Existenzminimums“ bzw. „Vermeidung des Ruins“ (vgl. auch Roumasset 1976).

  16. 16.

    Ellis (1998: 13 f.) unterscheidet zwischen zwei Strategien: Strategien, die ex-ante auf die Vermeidung von Krisen abzielen, und Strategien, die ex-post auf die Bewältigung von Krisen ausgerichtet sind.

  17. 17.

    Das gilt auch für die Methode der linearen Optimierung (hierzu Buchler 1986 und seine Analyse der Landwirtschaft bei den Kapauku) und Johnson (1980: 28–34). Mace/Houston (1989) untersuchen die optimale Größe und Zusammensetzung von Familienherden bei ostafrikanischen Viehzüchtern. Konsumbedarf der Familien, Produktivität (in Fleisch und Milch), Reproduktionsraten und Marktpreise von Kamelen und Ziegen sind die wichtigsten Variablen für die lineare Optimierung.

  18. 18.

    Keynes (1936) spricht in diesem Fall von Faustregeln und Konventionen, welche die Produktionsstrategien der Bauern nicht weniger rational, aber realistischer machen (vgl. Skidelsky 2010: 146).

  19. 19.

    Jede Alternative/Option (die einzelnen Kultigene bzw. Kombinationen von Kultigenen) besteht aus diversen (quantitativen und qualitativen) Aspekten bzw. Dimensionen, wie etwa Ertrag, Verlässlichkeit, Kosten, klimatische und podologische Eignung (Gladwin 1980: 45 ff.).

  20. 20.

    Die Altiplano-Bauern (Guatemala) haben acht mögliche Optionen: 1) Mais & frijol- & haba-Bohnen, 2) Weizen, 3) Kartoffeln, 4) Gemüse, 5) Fruchtbäume, 6) nur frijol- & haba-Bohnen, 7) nur Kaffee, 8) Kaffee & Avocado (Gladwin 1980: 49). Aufgrund von Kriterien wie Marktnachfrage bzw. Konsumbedarf, Ertragsvariationen, Bodenerfordernisse und Wasserbedarf, einschlägige Kenntnisse der Bauern, (zeitliche) Arbeitserfordernisse, Inputkosten und Kreditbedarf bleiben nach der ersten Phase: 1) Mais & Bohnen, 2) Weizen und 3) Kartoffeln für alle Bauern des Altiplano (ebd.: 51).

  21. 21.

    Sowohl Mais & Bohnen als auch Weizen und Kartoffeln könnten gleichzeitig angebaut werden, falls genügend Land verfügbar ist. Falls dies nicht der Fall ist, werden Cash-crops (Weizen oder Kartoffeln) dann prioritär angebaut, wenn sie doppelt so produktiv sind wie Mais, das wichtigste Konsumgut, das dann auf dem Markt beschafft wird. Mais & Bohnen werden nur dann prioritär angebaut, wenn kein Cash-crop doppelt so produktiv ist. Falls immer noch genügend Land vorhanden ist, nachdem der Konsumbedarf des Haushaltes gedeckt ist, werden Cash-crops angebaut, wobei hier auf Profitabilität und Diversität geachtet wird (Gladwin 1980: 72). Neben Profitabilität sind also Subsistenzbedarf und Diversifikation die wichtigen Kriterien für die Festlegung der Produktionsstrategien (ebd.: 73 ff.).

  22. 22.

    Keynes (1936) hat gezeigt, dass auch in rein ökonomischen Zusammenhängen die Akteure sich nicht nur an Preisen orientieren, sondern auch daran, wie sich andere Akteure verhalten (vgl. Abschn. 1.3.2).

  23. 23.

    Risikoavers heißt hier eine Akteurentscheidung, die sich von Handlungsoptionen mit demselben Erwartungswert (Eintretenswahrscheinlichkeit multipliziert mit dem Nutzwert) für jene mit dem geringsten Risiko bezüglich ihres Ergebnisses entscheidet. Bei Risikofreudigkeit wählt ein Akteur jene Option mit dem höchsten Risiko.

  24. 24.

    „Die Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft“ (1923), „Theorie der nichtkapitalistischen Wirtschaftssysteme“ (1924) und „Peasant Farm Organisation“ (russisch 1925, englisch 1966). Zum Beitrag von Chayanov siehe u. a. Durrenberger (1980), Barlett (1980), Harrison (1982), Spittler (1987), Netting (1993, Kap. 10), Schefold (1999), Streck (1999) sowie Durrenberger/Tannenbaum (2002).

  25. 25.

    Chayanov (1923) betont zwar die Produktion der Haushalte für den Eigenbedarf, doch beträgt ihm zufolge der Marktanteil bei den von ihm untersuchten Bauernhaushalten zwischen 28 % und 44 % ihrer Produktion. Chayanov (1924) unterscheidet zwischen einem natural- und einem warenwirtschaftlichen Typ häuslicher Wirtschaft, doch lässt sich dieser Unterschied besser als Kontinuum als in zwei Typen denken. Spittler (1987: 24 f.) hält fest, dass das Modell von Chayanov sowohl für autarke Bauernfamilien als auch für Familien gilt, die ihre ganze Produktion verkaufen und alle Konsumgüter kaufen.

  26. 26.

    Dieser Minimalbedarf wäre ohnehin schwierig festzulegen, da er von Haushalt zu Haushalt differieren kann und letztlich auch von kulturellen Faktoren abhängt (Spittler 1987: 18 f.).

  27. 27.

    In Chayanov-Modellen sei nur quantifizierbar, was auf dem Markt auch tatsächlich gekauft oder verkauft werde. Der Nettoertrag errechne sich aus dem Gesamtertrag abzüglich der Cash-Kosten, meint auch Barlett (1980b: 142).

  28. 28.

    In Jiangnan führten im 19. Jh. die innerhäusliche Arbeitsteilung (Ackerbau von Männern, Textilproduktion von Frauen) sowie technologische Innovationen (neue Düngersorten ausÜberresten ausgepresster Soyabohnen und ein effizienteres Deichen, Pflanzen und Jäten) dazu, dass der Arbeitsinput pro Hektar weniger stark zunahm als der Output pro Hektar, so dass die Arbeitsproduktivität (Outout pro Arbeitskraft) zwischen 1800 und 1850 – und danach – zunahm (Li 1998: 12, 139 ff., 151 ff., 169).

  29. 29.

    Damit ist nicht gesagt, dass Chayanov-Bauern nicht auch zu kapitalistisch orientierten Bauern werden können. Das wird aber nicht der Fall sein, wenn es keinen ausreichend gut funktionierenden Arbeitsmarkt gibt, wenn sie über zu wenig Land oder zu wenig Geldmittel verfügen oder wenn die Vermarktungsaussichten für ihre Produkte schlecht sind.

  30. 30.

    Von den 55 untersuchten Haushalten bestehen 82 % (bzw. 45) aus einer Kernfamilie (Ehepaar mit Kindern), 16 % (bzw. 7) aus einer Kernfamilie und zusätzlich einem verwitweten Elternteil oder einem älteren unverheirateten Geschwister. Nur gerade in zwei Fällen (4 %) wohnte ein vor kurzem verheiratetes Ehepaar mit seinen Kindern noch bei den Eltern bzw. Schwiegereltern. Die Größe der Haushalte variiert zwischen 2 und 11 Personen und beträgt durchschnittlich 7 Personen (Lee/Kramer 2002: 475).

  31. 31.

    Während sich noch die Klassiker (Adam Smith, Robert Malthus und David Ricardo) mehr oder weniger ausführlich mit demographischen Fragen beschäftigt hatten, interessierten sich die Neoklassiker (Carl Menger, William Jevons, Leon Walras) kaum mehr für dieses Thema. Die einzige wirtschaftswissenschaftliche Denkrichtung, die demographische Fragen berücksichtigte, war die Historische Schule (z. B. Brentano 1924, Sombart 1927).

  32. 32.

    Die „ökonomische Theorie der Fertilität“ befasst sich mit Reproduktionsentscheidungen vor allem im Zusammenhang mit entwicklungspolitischen Fragen. Bei steigenden Reallöhnen ebenso wie mit zunehmender Ausbildung und wachsender Erwerbstätigkeit von Frauen steigen die Opportunitätskosten des Aufziehens von Kindern. Wenn mit einer höheren Bildung höhere Löhne erzielt werden können, steigt auch der Wunsch nach einer höheren Ausbildung der Kinder und steigen somit die Kosten pro Kind. Dies alles führt zu einer geringeren Kinderzahl und einem geringeren Bevölkerungswachstum (Leibenstein 1957, 1974, Becker 1960). In einfachen Gesellschaften, mit denen wir uns hier beschäftigen, bestehen allerdings kaum Anreize für Investitionen in eine arbeitsmarktrelevante Qualifikationssteigerung der Arbeitskraft und auch wenig Gelegenheit zu Lohnarbeit.

  33. 33.

    Bäuerliche Familien in vormodernen Gesellschaften haben viele Kinder, weil diese einen hohen Einkommens- und Sicherheitsnutzen aufweisen, die direkten und die Opportunitätskosten der Eltern hingegen niedrig sind. In modernen städtischen Gesellschaften haben Familien demgegenüber weniger Kinder, nicht nur weil der Einkommens- und Sicherheitsnutzen von Kindern gering, sondern auch die direkten Kosten und die Opportunitätskosten für Eltern hoch sind (Hill 2002: 65).

  34. 34.

    Bei Infantizid handelt es sich teilweise um wenig bewusste Praktiken, die auf Vernachlässigung oder Nichtbeachtung beruhen können und oft unter „Kindersterblichkeit“ rubriziert werden (Harris/Ross 1987: 15). Zu (vor allem weiblichem) Infantizid in China während der Qing-Dynastie und danach vgl. Lee/Wang (1999: 7, 47, 60, 51 ff., 54 ff., 58 ff., 110 f.), Ho (1959: 58–62), Fei (1939: 33 ff.) und Helbling (2003: 99–103).

  35. 35.

    Die Wirksamkeit von Reproduktionsstrategien setzt allerdings voraus, dass die tatsächliche (ungefähr) der gewünschten Anzahl Kinder entspricht. Die erwünschten Kinderzahlen, wie sie von Demographen ermittelt werden, lassen jedoch oft im Unklaren, ob hier bereits die erwartete Kindersterblichkeit mitberücksichtigt wird und auf welchen Zeitpunkt (menopausal oder nicht) sich diese Daten beziehen. Zudem wünschen sich Frauen in der Regel weniger Kinder als ihre Männer (Wrigley 1969: 217 ff., Kap. 6).

  36. 36.

    Intensivierung der Produktion heißt eine Steigerung der Flächenproduktivität (Ertrag/ha). Der Output pro Fläche kann durch den vermehrten Einsatz von Kapital (Technologie) oder von Arbeit gesteigert werden (Netting 1993: 271). Strittig ist, ob durch die Intensivierung der Produktion die Arbeitsproduktivität (Ertrag/P) abnimmt oder zunimmt. Boserup (1965: 32 ff.) vertritt die Meinung, dass durch Intensivierung der Produktion in Bauerngesellschaften die Arbeitsproduktivität eher abnimmt. Die Arbeitsproduktivität kann im Verlauf der Intensivierung aber auch zunehmen, wie Netting (1993: 288) zu Bangla Desh, Li (1998: 12, 139 f., 169) zu China sowie Hunt (2000) zeigen. In jedem Fall muss empirisch ermittelt werden, wie sich die Arbeitsproduktivität bei einer Steigerung der Flächenproduktivität verändert (Lee 1986: 100, Netting 1993: 271, 279).

  37. 37.

    Hingegen haben landlose Familien auf dem Lande mehr Kinder, da diese wesentlich zum Familieneinkommen beitragen, indem sie bei Großbauern arbeiten oder andere Verdienstmöglichkeiten wahrnehmen (Netting 1993: 269 f.).

  38. 38.

    Spittler (1987: 13 f.) unterscheidet zwischen Familien- und Hofwirtschaft als Untertypen von Hauswirtschaft. In der Familienwirtschaft richtet sich die „Arbeitsorganisation“, d. h. die Arbeitsintensität allein nach der Zahl der Arbeitskräfte bzw. der K/P-Rate, wobei Landüberfluss vorausgesetzt wird. In der Hofwirtschaft richtet sich die „Arbeitsorganisation“ nach dem Landbesitz, von dem auch die Haushaltsgröße abhängt.

  39. 39.

    Zwischen 1550 und 1931 lag die Fertilität (Kinder pro verheirateter Frauen) in China – trotz tieferem Heiratsalter und höherer Heiratsrate – tiefer als in Europa: weniger als 6 Kinder pro Frau in China, hingegen 7.5 bis 9 Kinder in Europa (Lee/Wang 1999: 8, 86). Beide Werte liegen weit unter der potenziellen Fertilität. Hinzu kam eine hohe Kindersterblichkeit (50 % zwischen 0 und 15 Jahren) in beiden Weltregionen (Lee/Wang 1999: 83–97).

  40. 40.

    Zu Haushaltsgrößen in Abhängigkeit vom Landbesitz im bäuerlichen China der imperialen Zeit vgl. die Dorfstudien von Fei (1939: 28 f., 33, 192), Fei/Chang (1945: 264), Fried (1953: 70 f., 86) und Freedman (1958: 27 ff.) sowie die statistischen Daten in Buck (1956: 368, 370) und Ho (1959: 6, 10 ff., 17 ff., 42, 56–62, 86); zudem die Arbeiten von Lee/Wang (1999), Goody (1990: 98–109, 211), Freedman (1966: 44), Fei (1946: 2), Chao (1986: 247), Stover/Stover (1976: 158) und Wolf/Witke (1975: 7) sowie Netting (1993: 148) zu Indien.

  41. 41.

    Zu ökonomischen Analysen von Bauerndörfern vgl. u. a. Fei/Chang (1945), Sahlins (1974b), Durrenberger (1976), Gudeman (1978) und Stier (1982).

  42. 42.

    Gemäß Barlett (1977: 286) bestehen 91 % der Haushalte in El Paso aus Kleinfamilien; die 9 % der Haushalte, die aus Großfamilien bestehen, sind Haushalte von Großbauern.

  43. 43.

    Die Erträge in der Tabelle sind in manzanas (manz.) angegeben, wobei eine manzana 0,69 ha entspricht.

  44. 44.

    Als alternative Lösung zu einer Enteignung der Grundbesitzer wäre deren Entschädigung (z. B. durch den Staat oder eine andere Instanz) denkbar, eine Lösung, die der Kaldor-Hicks-Kompensation entspricht. Das Kaldor-Hicks-Kriterium besagt, dass gesamtgesellschaftlich der Wohlstand gesteigert werden kann, wenn Individuen, deren Wohlstand auf Kosten anderer Individuen (z. B. aufgrund von Umverteilung) zugenommen hat, jene Individuen vollständig entschädigen, auf deren Kosten sie ihren Wohlstand haben steigern können, aber dennoch einen Zugewinn an Wohlstand verzeichnen (Kleinewefers 2008: 169 ff.).

  45. 45.

    Der Zugang zu diesen Kapitalien hängt von der sozialen Position eines Individuums oder Haushaltes im dörflichen Raum ab, wird aber auch von Institutionen (z. B. von Eigentums- und Nutzungsrechten) sowie von Organisationen (etwa als innerdörfliche „pressure groups“) beeinflusst. Die spezifische Ausstattung mit Kapitalien und die Zugangsmodalitäten bestimmen – zusammen mit diversen externen Faktoren – die Strategien der einzelnen Haushalte, die sich jetzt nicht nur – wie im Modell von Barlett – auf Landwirtschaft, sondern auch auf eine Vielzahl von Wirtschaftsaktivitäten (auch „Non-farm“- und „Off-farm“-Aktivitäten) beziehen können. Das oberste Ziel dieser Strategien ist die Sicherstellung des Lebensunterhaltes, Strategien, die (negative oder positive) Langzeitauswirkungen auf die Dauerhaftigkeit (Nachhaltigkeit) der Ressourcennutzung haben können (vgl. Schema in Ellis 2000).

  46. 46.

    Die Graphiken finden sich in Sahlins (1974b: 112, 119). Sie basieren auf Zahlen von Pospisil (1963) zu Botukebo (in Sahlins 1974: 116, 120) und von Scudder (1962) zu Mazulu (in Sahlins 1974b: 104 f., 107, 113).

  47. 47.

    Für beide Dörfer lässt sich der Durchschnittshaushalt (M) aus der øL/A und der øK/P ermitteln: In Mazulu liegt M bei 1.52 x/2.16 y und in Botukebo bei 1.37 x/1259 y. Für beide Dörfer lässt sich überdies ein durchschnittlicher Surplushaushalt (S) berechnen: In Mazulu liegt S bei 1.36x/2.4 y, in Botukebo bei 1.4x/1731y.

  48. 48.

    Vgl. zur Unterproduktion bei den Bemba (Lang 2010: 120 ff.) und zur Überproduktion auf Trobriand (ebd.: 122–127).

  49. 49.

    Das politische System der Kapauku lässt sich mit den Stichwörtern wie Krieg, Gabentausch und Allianzbildung sowie Statuswettbewerb zwischen Big-men umschreiben. Die Dörfer müssen in einer kriegerischen Umwelt überleben. Zu diesem Zweck benötigen sie Alliierte, die über Heiratsbeziehungen und Gabentausch rekrutiert werden. Schweine dienen als Brautgaben für Heiratsverwandte, als Kompensationsgaben für Alliierte und zur Gewinnung von Gefolgsleuten (vgl. Pospisil 1978 zur politischen Struktur und zum Gabentausch, 1994 zum Krieg).

  50. 50.

    Ältere Männer, d. h. Männer mit Kindern im heiratsfähigen Alter sind die politisch dominanten Akteure. Sie können dank Polygynie selber viele Schweine aufziehen und erhalten Schweine von jüngeren Männern – Verwandten, Gefolgsleuten und Schwiegersöhnen –, die sich am Beginn ihrer politischen Karriere befinden. Frauen haben demgegenüber eine politisch schwache Position. Es sind sie, die für die Versorgung der Schweine zuständig sind, und sie müssen mit Erhöhung der Schweinepopulation und Ausweitung der Produktion von Knollen für Schweinefutter mehr Arbeit leisten. Die Vermutung ist deshalb plausibel, dass Männer und Frauen unterschiedliche politische Präferenzen haben. Wir werden darauf zurückkommen.

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Helbling, J. (2021). Produktionsstrategien kleinbäuerlicher Haushalte. In: Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33935-7_2

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