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Evolutionismus, Soziobiologie und Evolutionsökonomik

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Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften
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Zusammenfassung

Evolution thematisiert auch das Problem der Zeit, die vom neoklassischen Marktmodell ignoriert wird. Die Evolutionsökonomik ist eine sozialwissenschaftliche Umsetzung von Darwins Forschungsprogramm. Sie zeigt, durch welche Selektionsprozesse sich welche Anpassungsstrategien durchsetzen, dass diese Prozesse nicht zwingend zu optimalen Resultaten führen und dass sich dabei abwechselnde Ungleichgewichte, aber keine Gleichgewichtszustände ergeben. Die Evolutionsökonomik unterscheidet sich von den evolutionistischen Entwicklungstheorien als auch von der Soziobiologie.

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Notes

  1. 1.

    Gleichgewicht heißt nur, dass die Beziehungen zwischen Variablen konstant sind, während Güter zirkulieren, konsumiert und produziert werden (Schlaudt 2016: 28).

  2. 2.

    Ist der Preis für Schweinefleisch hoch, produziert jeder Bauer mehr Schweine. Wenn die Schweine schlachtreif sind und verkauft werden sollen, sind die Bauern mit einem Überangebot konfrontiert, und der Preis sinkt. Als Reaktion darauf reduzieren die Bauern die Schweineproduktion. Das führt zu einem Unterangebot an Schweinefleisch, und der Preis steigt. Deshalb dehnen Bauern die Produktion wieder aus usw. (Hanau 1928, vgl. auch Abschn. 9.1.3.5).

  3. 3.

    Marshall (1890: 39) schreibt: „I think that in the later stages of economics better analogies are to be got from biology than from physics; and consequently, that economic reasoning should start on methods analogies to these physical statics, and should gradually become more biological in tone“.

  4. 4.

    Gemäß Arnsperger/Varoufakis (2006: 10 f.) nenne die Neoklassik keine zwingenden Gründe, weshalb und wie sich durch das Mikrohandeln von Akteuren im Aggregat ein Gleichgewicht ergebe. Vielmehr sei das Gleichgewicht ein Axiom, eine Annahme. Die neoklassische Forschungsstrategie bestehe dann darin, mathematisch nachzuweisen, dass sich – unter restriktiven Bedingungen – grundsätzlich ein Gleichgewicht ergeben könnte. Anschließend werde spezifiziert, inwiefern und ob die Akteure ein Interesse hätten, von einem solchen Gleichgewicht abzuweichen (vgl. Abschn. 9.1.3.5).

  5. 5.

    Vgl. hierzu u. a. Marx (1885, 1894), Schumpeter (1926, 1939), Kalecki (1933, 1935, 1939 in 1987), allgemein Hofmann (1971) und Dockès (2019).

  6. 6.

    Zur Evolution in den Sozialwissenschaften vgl. u. a. Carneiro (1973, 2003), Blute (1979, 2010), Ingold (1986, 2016), Sanderson (1990, 2001), Hodgson (1993), Trigger (1998), Wuketits/Antweiler (2004), Pluciennik (2005), Runciman (2006) und Mesoudi (2011).

  7. 7.

    Darwin (1869) zufolge gibt es „no law of necessary development“, und in einem Brief von 1872: „no innate tendency to progress und to perfection“ (in Freeman 1974: 218 f., contra Harris 1968: 116).

  8. 8.

    Steward (1955 in Harris 1979: 642 ff.) unterscheidet drei Varianten des Evolutionismus: universaler, unilinearer und multilinearer Evolutionismus, und Sahlins/Service (1960) unterscheiden zwischen genereller und spezieller Evolution. Unilinearer und universaler bzw. genereller Evolutionismus können gleichgesetzt werden; er behauptet „a passage from less to greater energy transformation, lower to higher levels of integration, and less to greater all-around adaptibility“ (Service/Sahlins 1960). Auf die multilineare bzw. spezielle Evolution werden wir später zurückkommen.

  9. 9.

    Gemäß Engels (1888: 206) ist „… die Geschichte der Menschheit […] der Entwicklungsprozess der Menschheit selbst, dessen allmählichen Stufengang durch alle Irrwege zu verfolgen und dessen innere Gesetzmäßigkeit durch alle scheinbaren Zufälligkeiten hindurch nachzuweisen jetzt die Aufgabe des Denkens wurde“, und: „der moderne Materialismus [sieht] in der Geschichte den Entwicklungsprozess der Menschheit, dessen Bewegungsgesetze zu entdecken seine Aufgabe ist“ (ebd.: 207).

  10. 10.

    Spencers evolutionistische Konzeption findet sich in „Social statics“ (1851), „A theory of population“ (1852), „The development hypothesis“ (1852) und „Progress: its laws and causes“ (1857) sowie in „Principles of Sociology“ (3 Bände, 1876). Vgl. auch die Textsammlungen in Carneiro (1967) und Andreski (1971) sowie Carneiro (1981, 2002, 2003).

  11. 11.

    Poppers Argument zielt vor allem gegen den Marxismus, denn auch gemäß Engels (1883: 333) ist „Marx […] der Entdecker jenes grundlegenden Gesetzes, das den Gang und die Entwicklung der menschlichen Geschichte bestimmt“; er „entdeckte […] das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte“ (ebd.: 335). Marx (1877: 111 und 1881) selber hat sich allerdings dagegen gewehrt, seine „historische Skizze von der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa in eine geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges [zu] verwandeln, der allen Völkern schicksalsmäßig vorgeschrieben ist, was immer die geschichtlichen Umstände sein mögen, in denen sie sich befinden.“ Marx schätzte das Werk von Darwin gerade wegen dessen Kritik an der Teleologie, die die „geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges der Menschheit“ bzw. die evolutionistische Entwicklungstheorie kennzeichnet. Marx (1861: 578) schreibt: „Trotz allem Mangelhaften ist hier [im Werk von Darwin, J.H.] zuerst der Teleologie in der Naturwissenschaft nicht nur der Todesstoß gegeben, sondern der rationelle Sinn derselben empirisch auseinandergelegt“ (vgl. auch Engels 1859: 524).

  12. 12.

    Boas war nicht gegen Darwins Konzeption der Evolution, ganz im Gegenteil, wie seine „Lecture“ von 1909 zeigt (in Lewis 2001). Er kritisierte lediglich die orthogenetisch-teleologische Konzeption eines zwangsläufigen Fortschrittsprozesses der Menschheit, unabhängig von der natürlichen Selektion (siehe Lesser 1981: 25, Stocking 1968: 264).

  13. 13.

    Spencer (1890: 93) schreibt: „While the current degradation theory is untenable, the theory of progression, in its ordinary form, seems to me untenable also … It is possible, and, I believe, probable that retrogression has been as frequent as progression“ und in den „First principles“ (1896: 588): „Evolution is not necessary, but depends on conditions …“. Spencer changiert also zwischen der Abfolge von Gesellschaftstypen und der Geschichte konkreter Gesellschaften.

  14. 14.

    Jeder (abstrakte) Gesellschaftstyp bildet ein System von ökonomischen (technologischen), politischen (sozialen) und ideologischen Subsystemen (Service/Sahlins 1960: 24, 35 f., 46, vgl. auch White 1949: 366). Service/Sahlins (1960: 37) unterscheiden folgende Gesellschaftstypen: „band“ (Wildbeuter), „tribe“ (tribale Bauern/Viehzüchter), „chiefdom“ (Häuptlingstümer), „archaic state“ (aristokratische Agrarstaaten) und „nation state“ (moderne Nationalstaaten).

  15. 15.

    Service/Sahlins (1960: 51, 53, 68) sprechen in diesem Zusammenhang von „modification, differentiation and radiation on a stage“. In den nordamerikanischen Plains wurden die Schoschonen von Wildbeutern zu tribalen Reiter-Jägern, was einer evolutionistischen „Vorwärtsentwicklung“ entspricht. Gleichzeitig wurden die Cheyenne ihrerseits von Feldbauern zu Reiter-Jägern innerhalb des Typs der tribalen Gesellschaft.

  16. 16.

    Darwin (1859, Kap. 6) macht deutlich, dass Anpassungen durch Selektion immer nur relativ zu jenen anderer Spezies oder Varianten im selben Ökosystem sind, ein Ökosystem, das sich zudem kontingent ändert (klimatische Veränderungen, Ausbreitung oder Rückgang von Vegetationszonen, Invasion oder Aussterben anderer Spezies). Dadurch reduziert sich auch der Unterschied zum Diffusionismus, der historische Prozesse aufgrund der räumlichen Ausbreitung kultureller Merkmale – ausgehend von einem Erfindungsort – rekonstruiert. Auch für eine evolutionäre Konzeption steht nicht die Frage von Erfindung oder Übernahme (das Zustandekommen von Variationen), sondern die Selektion von Merkmalen im Vordergrund. Ob Übernahme oder Eigenentwicklung, die kulturellen Merkmale werden mit den spezifischen Vorteilen erklärt, die sie einer Gruppe oder Gesellschaft unter spezifischen Umweltbedingungen bringen. Das ist auch der Grund weshalb Boas (1906 in Lewis 2001) zwar wenig von den evolutionistischen Entwicklungstheorien hielt, jedoch der Meinung war, dass das Werk von Darwin für die Ethnologie ӓußerst relevant und wichtig sei.

  17. 17.

    Die Evolutionsbiologie befasst sich stärker mit dem Entstehen, der Ausbreitung und dem Verschwinden von Arten sowie mit den konkreten Mechanismen evolutionärer Veränderungen.

  18. 18.

    Eine solche dyadische Weitergabe von einfachen Fertigkeiten möge für Menschenaffen zutreffen, nicht aber für die Erklärung von komplexen und höchst unterschiedlichen Gesellschaften, in denen Menschen leben. Der soziobiologische Ansatz der parallelen Evolution werde der pfadabhängigen, kumulativen Koevolution von komplexen Systemen und Subsystemen wie Wissenschaft, technologischen Regimes, Rechtsinstitutionen, politische Strukturen und Formen der Industrieorganisation in multidimensionalen Umwelten in keiner Weise gerecht. Die Soziobiologie ignoriere – so Nelson (1995: 60 f.) – zudem die institutionelle Komplexität und die Eigendynamik von Gesellschaften, indem sie davon ausgehe, dass die Selektion immer bei Individuen ansetze und die Transmission stets von Individuum zu Individuum stattfinde.

  19. 19.

    Ultimate Ursachen erinnern an die funktionalistischen Erklärungen des Strukturfunktionalismus. Nur geht es hier nicht um die Erklärung sozialer Tatbestände mit nicht-intentionalem positiven Effekt für den Erhalt eines Sozialsystems, sondern um die Behauptung, dass das betreffende Sozialverhalten mit einem höheren Reproduktionserfolg jener einhergeht, die sich für dieses Verhalten entschieden haben.

  20. 20.

    Demnach würde ein Individuum nur dann auf ein eigenes Kind (1/2 gemeinsame Gene) verzichten, wenn es dadurch das Überleben von mehr als 2 Neffen/Nichten (1/4) oder von mehr als 4 Vettern/Basen (1/8) sicherstellen könnte (vgl. Nowak 2006: 1560).

  21. 21.

    Die Theorie des reziproken Altruismus von Trivers (1971) versucht die Probleme bei der Erklärung real existierender Kooperation besser zu erklären: Auch Nicht-Verwandte kooperieren, wenn ihre Zuwendungen erwidert werden und Kooperation zu beiderseitigem Vorteil praktiziert wird (also direkte, bedingte Reziprozität). Beispiele sind etwa ein militärisches Bündnis oder Gabentausch zwischen Dörfern. Bei Trivers spielt zwar die genetische Nähe der Kooperanten keine Rolle, doch bleibt der relative Fortpflanzungserfolg Gradmesser für die Vorteile, die den Akteuren durch ihre Kooperation entsteht (vgl. Abschn. 3.4.1).

  22. 22.

    Aus einem Sample von 400 Ehepaaren wurden lediglich 1,7 % der Frauen „geraubt“, dabei über die Hälfte nicht von Feinden, sondern Verbündeten abgepresst (Lizot 1988: 540 f.). Gemäß Chagnon (1995: 224) sind etwa 17 % aller Frauen entführt, bzw. auch hier schwächeren Alliierten abgepresst worden (Chagnon 1990a: 51, 1996: 222).

  23. 23.

    Wichtig für Darwin war das Werk „An Essay on the Principle of Population“ von Robert Malthus (1798), eines Politischen Ökonomen, der den Begriff „struggle for existence“ prägte und dessen Werk Darwin 1838 las: Während eine Population exponentiell wachse, nehme die Produktion ihrer Nahrungsmittel lediglich linear zu. Daraus resultiere mit der zunehmenden Ressourcenverknappung ein Konkurrenzkampf und somit ein Selektionsdruck. Deshalb können nicht alle Individuen, Populationen oder Spezies überleben, sondern nur jene, die im Vergleich zu ihren spezifischen Konkurrenten aufgrund spezifischer Merkmale in jeweils spezifischen Umwelten Überlebensvorteile haben (Carneiro 1992: 120, 135, Freeman 1974: 231). Marx bemerkte in einem Brief an Engels (1862), dass Darwin das Prinzip der Konkurrenz und der Selbsterhaltung, das Malthus in Gesellschaften entdeckte hatte, auch im Pflanzen- und Tierreich wiedergefunden habe. Marx (1862: 249) schreibt: „Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englische Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluss neuer Märkte, Erfindungen und Malthusschem Kampf ums Dasein wiedererkennt. Es ist Hobbes’ bellum omnium contra omnes, und es erinnert an Hegel in der ‚Phänomenologie‘, wo die bürgerliche Gesellschaft als „geistiges Tierreich“, während bei „Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert.“

  24. 24.

    In den Texten des 19. Jh. findet man die Begriffe „Stamm“ bzw. „tribe“ meist in der Bedeutung von „lokaler Verwandtschaftsgruppe“ (Klan, Sippe, Lineage, Kindred, Großfamilie). So etwa verwendet Morgan (1851) für Klan den Ausdruck „tribe“ und erst später (1877) den Begriff „gens“. Darwin war im Übrigen auf der Höhe der zeitgenössischen Ethnologie: Er zitiert Maine (1861), Lubbock (1869, 1870), McLennan (1865), Bagehot (1872) und Tylor (1865) und ausführlich immer auch Spencer, dessen Begriff „survival of the fittest“ Darwin übernahm.

  25. 25.

    Im Hintergrund steht die These einer Konkurrenz von Männchen um Weibchen: Weibchen können den Überlebenserfolg ihres Nachwuchses mit „attraktiveren“ Männchen erhöhen, die dann mehr Weibchen und mehr Nachkommen bzw. größere Reproduktionserfolge haben als weniger „attraktive“ Konkurrenten.

  26. 26.

    Darwin (1871: 133, 137, 309 f.) verweist explizit auf Adam Smith und David Hume. Smith entwickelte sein Modell in „Theory of Moral Sentiments“ (1759): Menschen sind mit der Fähigkeit zu „Sympathie“ bzw. Mitgefühl ausgestattet. Sie können sich in andere hineinversetzen, und sie beurteilen deren Verhalten moralisch aufgrund eigener Vorstellungen von Lust und Unlust. Aus dieser empathischen Bewegung entsteht eine moralische Instanz des „unparteiischen Beobachters“, aus dessen Perspektive auch das eigene Verhalten gemäß einem Common Sense beurteilt wird. Dieser Common Sense legt fest, was fair, recht und billig ist (vgl. Streminger 2017: 65–98).

  27. 27.

    Wynne-Edwards (1962) plädiert für Gruppenselektion anhand des Beispiels eines Vogelschwarms an einem Ort, wo Nahrungsmittel im Überfluss vorhanden sind. Dies hat zwar nichts mit Gruppenselektion zu tun, weil sie keine Gruppe bilden (keine Konkurrenz zwischen Gruppen um die Ressourcen und keine Kooperation zwischen Gruppenmitgliedern). Doch daraus zu schließen, Gruppenselektion spiele nie und nirgendwo eine Rolle, wie Maynard-Smith (1964) behauptet, ist gleichwohl voreilig. Zur Gruppenselektion vgl. Sober (1981), Wilson/Sober (1989) und Shanahan (2004: 37–62).

  28. 28.

    Alchian (1950: 220) schreibt: „The economic counterparts of genetic heredity, mutations and natural selection are imitation, innovation, and positive profits“.

  29. 29.

    Für einen Überblick zur Organisationsökologie vgl. Singh/Lumsden (1990), Baum (2001), Hannan (2001), McPherson (2005) und Baum/Shilov (2006). Wichtig für die Organisationsökologie waren die Arbeiten von Campbell (1965, 1970, 1975, 1994) und Campbell/Bickhard (2003) (vgl. Baum/Singh 1994, Baum/McKelvey 1999). Zu einer alternativen Organisationstheorie aus der Sicht des Neo-Institutionalismus vgl. Meyer/Rowan (1977), DiMaggio/Powell (1983), Hasse/Krücken (1996, 2005) und Hasse (2015).

  30. 30.

    Ähnlich Williamson (1985, 1996), dem zufolge sich Firmen – in Prozessen der „sichtbaren Hand“ – durch verschiedene „modes of governance“ (Hierarchie, relationale Kontrakte und Markt) in einer Umwelt der Marktselektion anpassen. Jene Firmen werden dabei begünstigt, d. h. werden mehr Erfolg haben, die die (internen und externen) Transaktionskosten minimieren (Beckert 2007: 47 f., 50, Granovetter 1985: 488 f., 503, 506).

  31. 31.

    Hannan/Freeman (1977: 931 f.) unterscheiden zahlreiche interne und externe Einschränkungen, wobei eigentlich nur jene innerhalb der Organisationen wirkliche Einschränkungen sind, während die externen Einschränkungen eher Eigenschaften der jeweiligen selektiven Umwelt sind. Genannt werden meist nur spezifisch ökonomische Merkmale einer kapitalistischen Ökonomie, die uns hier weniger interessiert. Ich beschränke mich deshalb auf vier interne Einschränkungen, die sich besser zur Anwendung auf einfache Gesellschaften eignen.

  32. 32.

    Organisationen (Firmen) zeichnen sich nicht nur durch eine interne Hierarchie, Machtstruktur und das Zusammenspiel von Abteilungen aus, sondern auch durch ihre institutionelle Ausstattung, korporative Kultur sowie ihre Technologie, ihre Produktionsverfahren und durch die Routinen ihrer Angehörigen (Nelson 1995: 60 f.). Vgl. hierzu auch die organisationstheoretischen Modelle von Simon (1947), March/Simon (1958), Cyert/March (1963), March (1988), Hodgson (1993a), Simon (1991) und Bourdieu (1997, 2005) sowie Abschn. 10.3.3.3 und 11.5.1. Der Begriff der Comps (knowledge and skills) von McKelvey/Aldrich (1983) ist also zu vereinfachend und analytisch unzureichend.

  33. 33.

    Dies verweist auf die Koevolution von Technologie, Institutionen, Organisationsform und Routinen: Wenn ein Element geändert werden soll, müssten oft auch die anderen Elemente verändert werden. Wegen der hohen Kosten kommt diese Änderung eines Elementes oft nicht zustande, selbst wenn dies effizienter wäre (Barnett/Hansen 1996: 143).

  34. 34.

    Hierzu gehören auch paradoxe Effekte. Wenn bspw. jede Firma das Angebot eines Gutes erhöht, bleiben alle Firmen auf unverkäuflicher Ware sitzen, oder wenn jede Firma die Löhne senkt, um ihren Gewinn zu steigern, sinkt dadurch die gesamtgesellschaftliche Nachfrage, und es entsteht ein Nachfragedefizit als unbeabsichtigtes Resultat, unter dem alle Firmen leiden werden (Olson 1965, Galbraith 1967). Selbst wenn diese negativen Makroeffekte den Firmen bekannt wären, könnten sie sie dennoch nicht verhindern, denn dies würde voraussetzen, dass die Unternehmen nicht mehr darauf abzielten, ihren Gewinn zu maximieren, und dass sie sich – ebenso unwahrscheinlich – auf gemeinsam durchsetzbare Maßnahmen einigen könnten, um diese negativen Konjunktureffekte zu vermeiden.

  35. 35.

    Meyer/Rowan (1977) und DiMagggio/Powell (1983) betonen den Umstand, dass die Umwelt von Organisationen auch aus Institutionen, Überzeugungen und Glaubensformen besteht, deren Vorgaben die Organisationen entsprechen müssten, um als legitim zu gelten (Baum 2001: 4051). Organisationen sind also nicht nur der Marktkonkurrenz gegen andere Unternehmen und um Kunden ausgesetzt, sondern auch rechtlichen Institutionen (wie Gesetzen, Regulierungen und Gerichten). Überdies müssen sie mit den durch die Massenmedien verbreiteten kulturellen Überzeugungen (wie Nachhaltigkeit, Umweltverträglichkeit etc.) vereinbar sein. Von diesen diversen Umwelten gehen gleichzeitige Selektionswirkungen auf Organisationen aus, was gemäß Meyer/Rowan zu einer Homogenisierung ihrer „formalen Struktur“ führt.

  36. 36.

    White (1981) und White/Godart (2007) zeigen, dass Unternehmen der gleichen Branche ihr Heil in der Spezialisierung suchen, d. h. jede schafft sich ihre Nische, wodurch die Konkurrenz eingeschränkt wird und höhere Profite erzielt werden können. Dadurch nimmt auch die Diversität von Firmen zu. DiMaggio/Powell (1983, 2008) argumentieren hingegen, dass sich die Formen von Organisation einander angleichen und zwar nicht durch den vereinheitlichenden Prozess der Selektion für Effizienz, sondern aufgrund ähnlicher Formen der Legitimation in einer Gesellschaft. Was zählt ist also Legitimation, nicht Effizienz. Dies scheint allerdings fragwürdig, denn es fragt sich, welche Auswirkung die „formalen“ Organisationstrukturen der Legitimation dann auf die effektive Struktur der Organisation innerhalb einer Firma hat (Beckert et al. 2007: 34).

  37. 37.

    Hirshleifer (1978: 239) unterscheidet drei Formen der Konkurrenz: „Scramble“-Strategie ist passive Konkurrenz, bei der jeder Akteur seine Ressourcen nutzt, ohne mit anderen zu interagieren; „Interference“-Strategie ist direkte Konkurrenz zwischen Akteuren um die Kontrolle über Ressourcen; und bei der „Predator“-Strategie werden die anderen Akteure zur Ressource.

  38. 38.

    Zur Evolutionsökonomik vgl. Nelson/Winter (1982), Arthur (1988, 1985, 1994), North (1990a), Vromen (1995), Hodgson (1993, 2001, 2004, 2006), Nelson (1995, 2006), Witt (1993, 2006, 2008), Mokyr (1999, 2000), Nelson/Dosi (1995, 2006) sowie Herrmann-Pillath (2001).

  39. 39.

    Innovationen sind entweder neue Produkte, neue Produktionsverfahren, neue Absatzmärkte, neue Beschaffungsmärkte für Rohstoffe und Halbfabrikate sowie neue Organisationsformen von Firmen (Konzerne) und zwischen Firmen (Kartelle).

  40. 40.

    Simon (1987: 222 f.) hält gegen die Neoklassik fest, dass Informationen und ihre Verarbeitung beschränkt seien, eine komplette und konsistente Nutzenfunktion nicht existiere und die Konsequenzen und Erfolgswahrscheinlichkeiten von Verhaltensalterativen wegen Unsicherheit nicht berechnet werden können.

  41. 41.

    Für Friedman (1953) spielt das reale Entscheidungsverhalten keine große Rolle. Unvollständig informierte Akteure beschaffen sich zwar zusätzliche Informationen, doch hält die Beschaffung zusätzlicher Information nicht mit der Veränderung der selektiven Marktumwelt Schritt. Die Marktselektion wird wirksam und favorisiert jene Firmen, die sich im Nachhinein als neoklassische Gewinnmaximierer erweisen.

  42. 42.

    Bereits Keynes (1936, Kap. 12) hat aus dem Umstand, dass Firmen ihre Entscheidung unter Unsicherheit fällen, auf die Notwendigkeit einer gegenseitigen Beobachtung der Firmen einer Branche, aber auch von Konventionen, Faustregeln, Geschichten und Traditionen geschlossen, die die Entscheidungen der Akteure leiten (Skidelsky 2010: 138 f.).

  43. 43.

    Nur etwa 50 % der Patente für technische Innovationen werden verwendet, die meisten neuen Firmen gehen bankrott, und weniger als 10 % der neuen Produkte haben Erfolg. Es ist die kaum vorhersehbare Marktselektion, die über den Erfolg oder Misserfolg technologischer Innovation entscheidet (Blute 1979: 56).

  44. 44.

    General Motors, Standard Oil und Firestone schlossen sich 1936 zu einem Konsortium (National City Lines) zusammen, das alternative Transportsysteme aufkaufte und stilllegte. Im Jahre 1956 waren 100 elektrische Bahnen in 45 Städten aufgekauft und geschlossen worden (Ponting 1991: 337).

  45. 45.

    Der Staat muss geeignete institutionelle Rahmenbedingungen für den Markt schaffen, die Rechtsunsicherheit reduzieren und Rechtssicherheit garantieren (North 1990). Die wichtigsten Veränderungen von Märkten werden denn auch vom Staat herbeigeführt: nicht nur durch Gesetze und Regulierungen, sondern auch durch Kredite, Aufträge und Währungspolitik (vgl. Fligstein 1990 zu den USA). Auch beim Kampf um den Einfluss auf den Staat haben die großen Firmen mit ihrer überlegenen Marktmacht Vorteile (Bourdieu 1997: 206 ff.). Dies gilt umso mehr, als sich Staaten in einer Standortkonkurrenz mit anderen Staaten um die besten Rahmenbedingungen für Unternehmen befinden und weil die Verhandlungsmacht von großen, transnationalen Unternehmen im Vergleich zu jener des Staates erheblich zugenommen hat.

  46. 46.

    Die Selektion fördert immer Varianten mit höheren Reproduktionsraten, aber nicht zwingend mit einer höheren Effizienz bzw. Überlebenschance (Gould/Lewontin 1979). Die Selektion wirkt also nicht nur über das Verschwinden von weniger Tauglichen bzw. Effizienten, sondern auch über die höhere Fähigkeit zur „Fruchtbarkeit“ (Hodgson 1993a: 203). Und die sexuelle Selektion muss nicht in dieselbe Richtung wirken wie die natürliche Selektion.

  47. 47.

    Axelrods (1987) spieltheoretisches Experiment zeigt, dass sich der selektive Misserfolg einer Einheit nicht zwingend mit ihrer eigenen Ineffizienz, sondern damit erklärt, dass es von ihrer Sorte zu wenige gibt. Netzwerkbeziehungen der Akteure bewirken, dass nicht jeder mit jedem, sondern nur mit einigen anderen interagiert: Wenn Kooperanten (TfT) nur untereinander interagieren, können sie sich in gemischten Populationen (von Kooperanten und Defektoren) gegen Defektoren (ImmerD) durchsetzen; falls jeder mit jedem Akteur interagiert oder falls es zu wenige Kooperanten gibt, setzen sich hingegen die Defektoren durch (Nowak 2006: 1561, vgl. Abschn. 7.3).

  48. 48.

    Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Durchsetzung des Automobils mit Verbrennungsmotor: Konkurrierende Antriebstechnologien (gas-, dampf- und elektrisch betriebene Motoren) waren zunächst gleich vielversprechend. Selektive Vorteile für den Benzinmotor ergaben sich durch zufällige Schwerpunktsetzung durch Techniker und durch zufällige Entwicklungen in der Ölförderungstechnologie sowie die Entstehung einer Infrastruktur (Tankstellen, Garagen und Servicedienste), die kostensenkend wirkten und sich gegenseitig verstärkten (Nelson 1995: 73 ff.).

  49. 49.

    Im Modell der Tauglichkeitslandschaft von Wright (1932) bedeuten „Täler“ einen geringeren Reproduktionserfolg von Organismen, während „Hügel“ für einen höheren Reproduktionserfolg stehen. Die natürliche Selektion treibt die sich anpassenden Organismen auf die „Gipfel der Hügel“. Dort ist der Organismus für ein phänotypisches Merkmal an seine Umwelt besser angepasst als in den Tälern. Die Hügel in der Landschaft sind jedoch unterschiedlich hoch, d. h. sie repräsentieren unterschiedlich hohe Reproduktionserfolge. Eine effizientere Anpassung, die von einem lokalen Gipfel hinab in ein Tal führt, um auf einen anderen, höheren Gipfel zu gelangen, ist jedoch nicht möglich, da er durch ein Tal von verschlechterten Reproduktionserfolg führen würde (Hodgson 1993a: 210).

  50. 50.

    Zudem werden technisch weniger effiziente Technologien auch dann beibehalten, wenn effizientere verfügbar wären, weil die Umsteigekosten – die mit sinkenden Skalenkosten weiter ansteigen – prohibitiv hoch sind. Auch hier setzt sich also die technisch effizienteste Lösung nicht durch, in diesem Fall aufgrund von Pfadabhängigkeit (Davis 1985).

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Helbling, J. (2021). Evolutionismus, Soziobiologie und Evolutionsökonomik. In: Neue Politische Ökonomie einfacher Gesellschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33935-7_15

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