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1 Einführung: Arbeiten am Stadttheater

Arbeiten am Stadttheater unterscheidet sich in vielfältiger Hinsicht von anderen Arbeitskontexten. Überwiegend sind Stadttheater lokale Kulturbetriebe und Institutionen der Stadtgesellschaft, die ihre Entstehung der Initiative von Bürger*innen verdanken (Fülle 2019; Balme 2010; Carnwath 2013; Brauneck 2018). Nach wie vor sind diese Theater vor Ort eng mit der Politik und Verwaltung verflochten und weitgehend kommunal finanziert. Im Vergleich zu anderen kommunalen Einrichtungen wird dem Stadttheater eine Fülle von Funktionen für die Stadtgesellschaft zugesprochen. Diese reichen von der Erfüllung eines Bildungsauftrags bis hin zur geselligen Stätte der Unterhaltung. Den Theaterschaffenden wird daher eine besondere Rolle und Wertigkeit für die Stadtgesellschaft eingeräumt. Insofern ist Arbeiten am Stadttheater schwerlich gleichzusetzen mit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst. Auch ist die Palette der Berufe am Theater im Vergleich zu anderen Arbeitsstätten beachtlich und reicht vom Handwerk über die künstlerischen Bereiche bis hin zu Video-Technik und Verwaltung. Zudem entzieht sich Arbeiten am Theater generell der Logik funktionaler Differenzierung und des Outsourcings. Nach wie vor gilt: Alles aus einer Hand, teambasiert und immer ein Zusammenspiel verschiedener Gewerke. Schließlich werden mit Arbeiten am Theater Ideen und Konzepte wie etwa Spontanität, Unkonventionalität, Internationalität sowie Anti-Bürgerlichkeit assoziiert (Boerner 2002; Eikhof und Haunschild 2006).

Gleichzeitig stehen gerade Stadttheater seit längerem in der Kritik. Sie gelten als überholt und nicht mehr zeitgemäß – sowohl in ästhetischer Hinsicht als auch als Kulturbetriebe (Brauneck 2018, S. 174; Schmidt 2017). Immer wieder droht die Schließung von Stadttheatern, die Einstellung von Sparten oder die Existenz der Häuser bedrohende Einsparungen. Seit Jahren werden Strukturdebatten geführt, Etats gekürzt und an vielen Häusern in erheblichem Umfang Personalreduktionen vorgenommen (vgl. Althoff et al. 2020). Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass das Stadttheater als traditionsreiche Institution, als Arbeitsstätte unterschiedlicher Berufe, als Ort komplexer Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse sowie als lokale Einrichtung mit vielfältiger Funktionszuweisung für die Stadtgesellschaft von wenigen Ausnahmen abgesehen (Haunschild 2004; Haunschild und Eikhof 2009) bisher kaum sozialwissenschaftlich in den Blick genommen wurde.

Hier setzt die empirische Untersuchung „Passion als Beruf?“ an, die als Vollerhebung aller Mitarbeiter*innen vor, auf und hinter der Bühne an sechs Theaterstandorten, jeweils drei Stadttheatern in Nordrhein-Westfalen und drei in Ostdeutschland, im Kontext der Forschergruppe „Krisengefüge der Künste“ durchgeführt wurde. „Passion als Beruf“ fragt nach der Rolle und Funktion des Stadttheaters heute sowie nach den Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen im Theater, und zwar explizit aus der Perspektive der an den Stadttheatern Beschäftigten. Wie wird Stadttheater aus der Binnenperspektive der Beschäftigten gesehen? Warum arbeitet er oder sie gerade am Stadttheater? Ist dies nur ein Job unter anderen, oder doch eher Beruf als Passion? Sind die Beschäftigten im künstlerischen wie im nicht-künstlerischen Bereich stolz auf ihr Stadttheater? Wird das Stadttheater wertgeschätzt als Ort künstlerischer Tätigkeit sowie als öffentlicher Raum der Stadtgesellschaft mit langer Tradition? Diesen Fragestellungen wird im Folgenden unter Rekurs auf die Ergebnisse der Befragung „Passion als Beruf“ nachgegangen, wobei zunächst auf den Stand der Forschung und das methodische Vorgehen eingegangen wird. Im Anschluss an die Vorstellung der Ergebnisse der Untersuchung wird erörtert, ob und inwiefern trotz aller Kritik dem Stadttheater aus der Sicht der Beschäftigten nach wie vor eine wichtige Rolle und Funktion für die Stadtgesellschaft zukommt.

2 Forschungsstand und Untersuchung „Beruf als Passion?“

Dominiert wird die sozialwissenschaftliche Literatur zu Theatern von Arbeiten aus dem Bereich Kultur-/Theatermanagement einschließlich der Spielplangestaltung (Klein 2011; Schmidt 2012; 2019a; von Cossel 2010). Demgegenüber findet das Theater als Institution von und für die Stadtgesellschaft primär aus historischer Sicht Beachtung (Balme 2010; Fülle 2019; Wagner 2009), während für die aktuelle Situationsanalyse eine eher kritische Einschätzung (Wagner 2005; von Hartz 2011) unter Verweis auf die „Legitimationskrise“ infolge zurückgehender Besucherzahlen vorherrscht (Mandel 2020). Ebenfalls wenig Beachtung kommt dem Theater als Ort von Arbeit und Beschäftigung zu (Hüster 2019; Haak 2008). Im Kontext der Arbeitswissenschaften hat der künstlerische Bereich bzw. haben die Kulturbetriebe einen im Vergleich zu Industrie und Verwaltung deutlich nachgeordneten Stellenwert (Schick et al. 2018). Auch die Debatte um die Innovationspotentiale der Kreativwirtschaft (Florida 2012) sowie die ältere Diskussion um den „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß und Pongratz 1998) hat daran grundsätzlich nicht viel geändert. Die empirischen Arbeiten zur Kreativwirtschaft wie zum post-modernen Unternehmertum (Manske 2016; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2014; Creative.NRW 2019) zeigen, dass die Mehrheit der Kreativarbeiter*innen sowie der Arbeitskraftunternehmer*innen über eher geringe Einkommen verfügt und in prekären Beschäftigungsverhältnissen geprägt von Unsicherheit und häufigem Wechsel tätig ist (Manske 2016; Loacker 2010). Zu einem entsprechenden Befund kommen auch die empirischen Untersuchungen zu Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen in den darstellenden Künsten (Schmidt 2019b; Norz 2016; Keuchel 2009; Fohrbeck und Wiesand 1975). Hierbei wird i. d. R. nicht differenziert zwischen selbständiger Tätigkeit und Festanstellung bzw. zwischen Tanz- und Theaterschaffenden in der Freien Szene und an Theatern Beschäftigten. Auch zeichnen sich die Studien meist durch eine geringe Fallzahl aus (vgl. Norz 2016: S. 9). Ferner handelt es sich bei den empirischen Untersuchungen zur Arbeits- und Beschäftigungssituation in den darstellenden Künsten überwiegend um Online-Befragungen, die sich an eine nicht näher bestimmte Anzahl von Probanden richten und daher nicht auf eine Grundgesamtheit bezogen werden können. Dies trifft auch für die Studie „Macht und Struktur im Theater“ (Schmidt 2019b) zu. Hier wurden mittels eines offenen Verfahrens über „Medienkanäle des ‚ensemble-netzwerkes‘ und des Masterstudiengangs Theater- und Orchestermanagement (Schmidt 2019b, S. 309)“ Probanden adressiert.

Demgegenüber liegt der Befragung „Passion als Beruf?“ ein Case Study Design zugrunde. Die Befragung ist Bestandteil der Untersuchung der Rolle und Bedeutung des Stadttheaters in sich stark im Wandel begriffenen lokal- und kulturpolitischen Kontexten. Die Auswahl der sechs Stadttheater erfolgte besonders im Hinblick auf Vergleichbarkeit. So wurden zwei sog. Theaterehen – das Theater „Krefeld Mönchengladbach“ sowie das „Gerhard-Hauptmann Theater Görlitz-Zittau“ – in das Sample einbezogen, zwei Theater an Standorten, die stark vom Strukturwandel geprägt sind – das „Theater Dortmund“ und das „Volkstheater Rostock“ – sowie zwei Theater an Standorten bzw. Oberzentren, die heute vor allem durch ihre Universitäten geprägt werden – das „Theater Münster“ und die „Bühnen Halle“.

Die Befragung richtete sich an alle Mitarbeiter*innen (Vollerhebung) der sechs Stadttheater, d. h. an rund 2000 Theaterschaffende, ganz gleich ob sie künstlerisch oder nicht-künstlerisch, ob auf, vor oder hinter der Bühne, in der Verwaltung und/oder in einer leitenden Position tätig waren. Berücksichtigt wurden jedoch nur diejenigen Beschäftigten, die im Zeitraum der Befragung (Frühjahr und Sommer 2019) auf Grundlage eines Arbeitsvertrages fest angestellt waren. Insofern wurden nur die regulär an den Theatern Beschäftigten im Rahmen der Befragung berücksichtigt.Footnote 1

Es kam ein umfangreicher Fragebogen zum Einsatz, der insgesamt 56 Fragen, gegliedert in sechs Blöcke, umfasstFootnote 2 und der auf Papier sowie online ausgefüllt werden konnte und auf Deutsch wie auf Englisch (nur online) zur Verfügung stand. Abgefragt wurden Eckdaten u. a. zur Aufnahme und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, der Entlohnung sowie der individuellen Lebens-, Wohn- und Einkommenssituation. Bei der Mehrheit der Fragen handelt es sich aber um Einschätzungsfragen hinsichtlich des Stellenwerts und der Funktion des Theaters allgemein und in der jeweiligen Stadtgesellschaft, um die individuelle Einschätzung der Arbeitssituation (Zufriedenheit) sowie um Wünsche und Anregungen für eine Weiterentwicklung der Angebote und Leistungen der Theater im Allgemeinen sowie im Kontext der Stadtgesellschaft vor Ort. Um die Beschäftigungssituation an Stadttheatern mit anderen Arbeits- und Beschäftigungskontexten vergleichen zu können, wurden einzelne Fragen aus der „Guten Arbeit“Footnote 3 entweder wortwörtlich oder mit minimalen Modifikationen übernommen.

Auf Basis der Antworten (online und auf Papier) konnte ein Datensatz mit 826 Fällen erstellt werden. Geht man von der Grundgesamtheit der Beschäftigten an den Theatern aus, so ergibt sich ein Rücklauf von rund 33 %. Betrachtet man den Rücklauf pro Theater, so liegt dieser zwischen 41 % und 23 %. Die Beteiligung an der Befragung ist an den Standorten unterschiedlich ausgefallen, wobei die Responsivität an den Standorten in NRW im Vergleich zu den Standorten in Ostdeutschland eher geringer war (s. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

(Datenbasis: PaB2019. © Lara Althoff et al. 2020)

Beteiligung an der Befragung „Passion als Beruf“ 2019 (Rücklaufquoten).

Das künstlerische Personal hat sich insgesamt eher an der Befragung beteiligt als das nicht-künstlerische. Allerdings trifft dies anteilig berechnet auf den Rücklauf zu, während de facto sich mehr Mitarbeiter*innen des nicht-künstlerischen Personals an der Befragung beteiligt haben. Die Klassifikation und Differenzierung zwischen künstlerischem und nicht-künstlerischem Personal ist angelehnt an die Definition des Deutschen Bühnenvereins. Danach zählt zum nicht-künstlerischen Bereich das Leitungs-, Verwaltungs- und Hauspersonal sowie Mitarbeitende in den Werkstätten, der Technik, dem Vertrieb und der Vermittlungs- und Projektarbeit. Während der künstlerische Bereich zum einen spartenbezogen das Personal auf der Bühne und im Orchester sowie diejenigen Mitarbeiter*innen umfasst, die auf Einzelaufführungen bezogen tätig sind.Footnote 4 Die Ergebnisse der Fragen wurden mit einer Ausnahme an jedem Theater vorgestellt und im Rahmen einer Fokus-Gruppe diskutiertFootnote 5, wobei sich wertvolle Hinweise für die Interpretation und Kontextualisierung der Daten ergaben.

3 Ergebnisse: Arbeitsplatz Stadttheater und Funktion für die Stadtgesellschaft

Die Auswertung des Datensatzes erfolgte unter drei Zielsetzungen, und zwar erstens, Arbeiten am Stadttheater – in Anschluss an Untersuchungen zu den darstellenden Künsten und in der Kreativwirtschaft – hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen näher zu betrachten, zweitens, die Belegschaft als Mitglieder der Stadtgesellschaft und somit als Stadtbewohner*innen und Mitbürger*innen in den Blick zu nehmen und drittens, vor dem Hintergrund der Debatte zur Legitimationskrise des Stadttheaters zu hinterfragen, ob und inwiefern diese kritische Einschätzung von den Beschäftigten geteilt wird und wie diese aus einer Binnenperspektive heraus die Rolle und Funktion des Theaters allgemein und ihres Stadttheaters im Besonderen für die Stadtgesellschaft einschätzen.

3.1 Beschäftigungsverhältnisse, -bedingungen und -erwartungen

Arbeiten am Theater zeichnet sich durch eine hohe Arbeitsbelastung aus. Zwei von drei im künstlerischen Bereich Tätigen (65 %) und jeder zweite im nicht-künstlerischen Bereich (53 %) Beschäftigte arbeitet durchschnittlich in der Woche 40 h und mehr. Fast jeder fünfte im künstlerischen Bereich Beschäftigte und jeder zehnte im nicht-künstlerischen Bereich Tätige arbeitet im Durschnitt pro Woche sogar mehr als 50 h. Pro Theater zeigen sich hinsichtlich der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit durchaus Unterschiede. Besonders gefordert sind die Beschäftigten an den ostdeutschen Theatern. Ferner lassen sich spartenspezifisch Unterschiede im Hinblick auf die Arbeitszeitbelastung feststellen. Gemäß ihrer persönlichen Einschätzung sind insbesondere Mitarbeiter*innen im Schauspiel und im Tanz hinsichtlich ihrer Arbeitszeit am Stadttheater besonders beansprucht, während dies für die Mitglieder des Orchesters weniger zutrifft.

Einer vergleichsweise hohen Arbeitszeitintensität stehen analog zur Situation in der Kreativwirtschaft und in den darstellenden Künsten insgesamt eher bescheidene Nettomonatseinkommen gegenüber (s. Abb. 2). Die Mehrheit der Beschäftigten (56 %) verfügt über ein Monatsnettoeinkommen, das zwischen 1500 € und 2500 € liegt. Sehr Wenige beziehen ein höheres bzw. hohes Einkommen. Dies trifft insbesondere auf die Leitungsebene und damit auf das nicht-künstlerische Personal zu. Beim künstlerischen Personal zeigen sich wiederum spartenspezifische Unterschiede. Die Geringverdiener am Stadttheater im künstlerischen Bereich sind die Tänzer*innen, während die Mitglieder der Orchester zwar kein herausragendes, aber doch ein solides Einkommen beziehen. Ensemblemitglieder des Schauspiels liegen mit ihrem Gehaltsniveau in etwa dazwischen. Angesichts der guten bis sehr guten Ausbildung der Beschäftigten (62 % Uni/FH/Fachschulausbildung) sind die Verdienstmöglichkeiten an Stadttheatern nicht sonderlich attraktiv. Im Vergleich zu den Ergebnissen der Guten Arbeit geben die Beschäftigten am Stadttheater an, mit ihrem Gehalt weniger gut auszukommen. In geringerem Umfang im nicht-künstlerischen, aber umso mehr im künstlerischen Bereich ist das Stadttheater zudem kein sicherer Arbeitsplatz. Insgesamt 43 % der Befragten im künstlerischen Bereich machten sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (Gute Arbeit: 16 %) sind die Sorgen der am Stadttheater Beschäftigten um ihre berufliche Zukunft deutlich ausgeprägter. Fast jeder Vierte der Befragten des künstlerischen Bereichs hat am Stadttheater sogar Sorge, den Arbeitsplatz überhaupt zu verlieren. Besonders ausgeprägt ist diese Befürchtung bei den Befragten der ostdeutschen Theater. Eine eher pessimistische Grundstimmung besteht auch hinsichtlich der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen insgesamt, wobei dies bei den ostdeutschen Theatern wiederum besonders ausgeprägt ist und eine Abnahme der Beschäftigten sowohl für das künstlerische wie das nicht-künstlerische Personal antizipiert wird. Auch die Entwicklung der finanziellen Ausstattung der Stadttheater wird von den Beschäftigten in der Tendenz eher kritisch eingeschätzt. Besonders pessimistisch ist die Erwartungshaltung wiederum in Ostdeutschland.

Abb. 2
figure 2

(Datenbasis: PaB2019. © Lara Althoff et al. 2020)

Netto-Monatseinkommen.

Insgesamt lässt sich daher festhalten: Stadttheater sind hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse keineswegs „Inseln der Seligen“. Die Arbeitsverhältnisse an den untersuchten Stadttheatern waren weder sicher noch besonders gut bezahlt und auch hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung nicht besonders attraktiv. Arbeiten am Stadttheater unterscheidet sich daher nicht im Grundsatz, aber hinsichtlich des Niveaus und des Arbeitsumfelds von den Arbeitsverhältnissen in der Kreativwirtschaft.

3.2 Theatermitarbeiter*innen als Teil der Stadtgesellschaft

Die Beschäftigten an Stadttheatern sind häufig schon lange dabei. Die überwiegende Mehrheit der Befragten (56 %) war zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits mehr als zehn Jahre an ihrem oder seinem Stadttheater tätig (s. Abb. 3). Vielleicht so nicht erwartet, trifft dies besonders für den künstlerischen Bereich zu. Von den im künstlerischen Bereich Tätigen war fast jeder zweite Befragte bereits mehr als 15 Jahre an dem betreffenden Stadttheater engagiert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der künstlerische Bereich der Mehrspartenhäuser personell von Mitgliedern des Orchesters geprägt wird. Für Musiker*innen bestehen zwar hohe Eintrittshürden in ein Orchester, aber es handelt sich dann um eine vergleichsweise sichere berufliche Position. Deshalb ist die Dauer der Beschäftigung am Theater spartenspezifisch zu betrachten. Sowohl die Sparte Tanz als auch Schauspiel zeichnen sich im Vergleich zum Orchester durch größere Fluktuation aus. Demgegenüber sind die Theatermitarbeiter*innen im technischen Bereich sowie in der Verwaltung in der Regel ebenfalls beständige Mitarbeiter*innen.

Abb. 3
figure 3

(Datenbasis: PaB2019. © Lara Althoff et al. 2020)

Beschäftigungsdauer.

Die Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse korrespondiert mit dem Befund, dass die Theatermitarbeiter*innen durchaus bodenständig sind. Die überwiegende Mehrheit wohnt vor Ort und sogar in der Nähe des Theaters (67 %), lebt in Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt (73 %) mit Kindern unter sechs Jahre (62 %). Die Assoziation des „fahrenden Volkes“, das häufig mit Theaterschaffenden in Verbindung gebracht wird, stimmt mit der Realität der Mitarbeiter*innen von Stadttheatern daher nur sehr bedingt, wenn überhaupt, überein. Vielmehr ist die Mehrzahl der am Stadttheater Beschäftigten insofern integriert in die Stadtgesellschaft, als sie für den lokalen Kulturbetrieb des Stadttheaters vergleichsweise lange tätig sind, in der Stadt wohnen und noch anderweitig vor Ort engagiert sind. Wie die Ergebnisse der Befragung zeigen, unterscheiden sich Beschäftigte am Theater in ihrem politischen und bürgerschaftlichen Engagement kaum vom Durchschnitt der Bevölkerung. Auch hier ist die Mitgliedschaft in Parteien sehr wenig ausgeprägt; demgegenüber ist das gewerkschaftliche Engagement der Theatermitarbeiter*innen mit knapp 30 % durchaus beachtlich und in lokalen Vereinen war nicht ganz jeder Vierte der Befragten engagiert (24 %). Insofern kann festgehalten werden: Die Mitarbeiter*innen des Stadttheaters sind mehrheitlich ein integrierter Teil der Stadtgesellschaft und schon lange am Theaterstandort beruflich tätig.

3.3 Einschätzung der Rolle und Funktion für die Stadtgesellschaft

Arbeit in einem bestimmten Beruf und Metier zählt zu den wichtigsten Gründen für die Wahl und den Wechsel des Wohnortes. Insofern trifft das geflügelte Wort, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt, auch für die Belegschaft von Stadttheatern zu. Für mehr als 40 % der im künstlerischen Bereich Tätigen und für gut jeden Dritten der Befragten des nicht-künstlerischen Bereichs war der Arbeitsplatz bzw. überhaupt eine Anstellung zu haben, ausschlaggebend für die Aufnahme der Tätigkeit bzw. für die Annahme des Engagements an dem betreffenden Stadttheater. Analog zu anderen Bereichen und Branchen spielt die Attraktivität des Theaterstandortes eine nicht zu unterschätzende Rolle. In etwa für jeden vierten der Befragten war dies ein wichtiger Grund, gerade an diesem Stadttheater ein Engagement anzunehmen. Familiäre Gründe tragen ebenfalls dazu bei, sich für eine Arbeit/ein Engagement an einem bestimmten Stadttheater zu entscheiden. Hier ist zu berücksichtigen, dass Double-Careers auch bei Theaterschaffenden – wie insgesamt in städtischen Gesellschaften – sehr häufig sind. Bei den Befragten arbeitete der Partner/die Partnerin nicht selten (26 %) ebenfalls in einem künstlerischen Beruf oder sogar am selben Theater (s. Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

(Datenbasis: PaB2019 © Lara Althoff et al. 2020)

Gründe für die Arbeitsaufnahme an diesem Stadttheater.

Von Kulturexperten wie Festivalmachern werden insbesondere Stadttheatern im Hinblick auf ihre Responsivität gegenüber aktuellen gesellschaftlichen Themen sowie gegenüber Anliegen und Bedarfen der Stadtgesellschaft vor Ort zumeist schlechte Noten ausgestellt. Danach sind die Theater in erster Linie an sich selbst interessiert (von Hartz 2011) und machen selbstreferentiell einfach weiter so, wie bisher (Goebbels 2008; Fuchs in diesem Band). Aus der Binnenperspektive der Beschäftigten am Stadttheater gewinnt man jedoch ein anderes Bild von der Arbeit am Theater und den Funktionen, die das Theater für die Stadtgesellschaft erfüllt.

Nicht verwunderlich ist, dass auf die Frage, was an der Tätigkeit am jeweiligen Stadttheater besonders geschätzt wird, beinahe jede/jeder der Befragten des künstlerischen Bereichs insbesondere die Beteiligung an künstlerischen Produktionen nennt (s. Abb. 5). Doch auch für die Beschäftigten des Stadttheaters im nicht-künstlerischen Bereich wird die Beteiligung an künstlerischen Produktionen im besonderen Maße wertgeschätzt. Eine ebenso hohe und z. T. sogar noch deutlich ausgeprägtere Wertschätzung erfährt von den Mitarbeiter*innen die Option, durch ihre Arbeit am Stadttheater einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Aus Sicht der Beschäftigten ist ein Engagement und eine Tätigkeit am Stadttheater nicht von der Stadtgesellschaft zu entkoppeln, sondern vielmehr direkt auf diese bezogen.

Abb. 5
figure 5

(Datenbasis: PaB2019 © Lara Althoff et al. 2020)

Wertschätzung der Tätigkeit am Stadttheater.

Noch deutlicher wird dies anhand der Antworten der Beschäftigten auf die Frage, inwiefern das Stadttheater, für das sie tätig sind, zentrale und für die Stadtgesellschaft vor Ort wichtige Funktionen erfüllt (s. Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

(Datenbasis: PaB2019 © Lara Althoff et al. 2020)

Funktionserfüllung der Theater.

Aus Sicht der Beschäftigten ist das Stadttheater nach wie vor ein bedeutender Ort kultureller Bildung. Allerdings ist hierbei nicht gemeint, dass das Stadttheater sich in erster Linie an den Bedarfen des in vielen Städten nur noch begrenzt vorhandenen Bildungsbürgertums orientiert. Vielmehr sehen die Mitarbeiter*innen ihre Theater als gegenüber der Stadtgesellschaft insgesamt responsiv. Nicht „noblesse oblige“, sondern aus Sicht der Beschäftigten ist es die Aufgabe der Stadttheater heute, dem Interesse großer Teile der Stadtgesellschaft an niveauvoller Unterhaltung zu entsprechen. In der Einschätzung der Befragten erfüllte das Stadttheater, an dem sie jeweils beschäftigt sind, daher eher die Funktion „Unterhaltung für Alle“ zu bieten, als dass es sich vorrangig der Pflege von Kultur und Tradition widmet. Zugleich wird dem Stadttheater von den Mitarbeiter*innen eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion zugesprochen. Dies zeigt sich insbesondere an den hohen Zustimmungswerten für die Funktionszuweisung des Stadttheaters als Forum der „Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen“ (69 %). Demgegenüber werden die Rolle und Funktion des Stadttheaters als Vehikel affirmativer Bestätigung bestimmter Gruppen der Stadtgesellschaft und damit als „gesellschaftlicher Treffpunkt“ vor Ort geringer eingeschätzt. Funktionen, die eher mit ökonomischer Aktivität in Verbindung stehen, wie etwa attraktiv für Touristen zu sein, werden dagegen in der Einschätzung der Beschäftigten in geringerem Umfang für wichtig erachtet. Insofern besteht die Aufgabenzuschreibung des Stadttheaters heute aus der Sicht der Beschäftigten und ihrer Einschätzung der Funktionserfüllung ihres jeweiligen Hauses aus einem auf aktuelle gesellschaftliche Probleme bezogenen, kulturellen Bildungsauftrag als, im partizipatorischen Sinne Bourdieus, Zugangsmöglichkeit zu kulturellem Kapital, und zwar in der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen (s. Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

(Datenbasis: PaB2019 © Lara Althoff et al. 2020)

Sinnhaftigkeit neuer Formate.

Dass die Mitarbeiter*innen der Stadttheater der Auseinandersetzung mit und der Öffnung gegenüber der Stadtgesellschaft eine hohe Priorität einräumen, zeigt sich nicht zuletzt an der Einschätzung der Sinnhaftigkeit und Wertigkeit neuer Formate. Dies bezieht sich zum einen auf ein Verständnis von Theaterarbeit als offenes Forum und Einladung zu einem „Theater von allen“, wie es etwa im Rahmen von Bürgerbühnen und z. T. auch bei Stadtteilprojekten umgesetzt wird. Ferner trifft dies auf Programme und Angebote des Theaters zu, die ein Add-on zum repertoiregestützten Programm darstellen und explizit aktuelle Themen und Veränderungen der Stadtgesellschaft aufgreifen und diese etwa in Form von Workshops, Vortragsreihen oder Diskussionsrunden am Theater behandeln und zur Diskussion stellen. Die Befürwortung dieser neuen Formate und damit der verstärkten Öffnung der Theater gegenüber der Stadtgesellschaft war zum Zeitpunkt der Befragung unter den Mitarbeiter*innen an allen Theaterstandorten durchgängig stark ausgeprägt. Dabei wurde der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und Veränderungen der Stadtgesellschaft tendenziell eine größere Relevanz als den partizipativen Formaten eingeräumt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Verlegung der Theaterarbeit nach draußen in die Stadtteile und die Ergänzung und Erweiterung der professionellen Ensembles durch Stadtbürger*innen z. T. mit erheblichem infrastrukturellen und logistischen Aufwand verbunden ist, sodass diesbezüglich leichte Unterschiede hinsichtlich der Sinnhaftigkeit bei dem künstlerischen sowie nicht-künstlerischen Personal, das eine etwas zurückhaltende Einschätzung vornahm, festzustellen sind.

4 Diskussion und Fazit

Die Ergebnisse der Befragung „Passion als Beruf?“ im Hinblick auf die Ausgangsfragestellungen zusammenfassend, lässt sich festhalten, dass die Mitarbeiter*innen von Stadttheatern, gemessen an Einkommen und Arbeitsbelastung keineswegs zur Elite der Kreativwirtschaft gerechnet werden können. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft und in Anbetracht des hohen Ausbildungsniveaus sind die Verdienste an Stadttheatern eher niedrig und die Arbeitsbedingungen eher ungünstig. Auch hinsichtlich der Einschätzung der beruflichen Zukunft sind die Beschäftigten der Stadttheater skeptisch bis sogar pessimistisch. Ob und inwiefern diesbezüglich zwischen den Beschäftigten an Stadttheatern und Theaterschaffenden der Freien Szene Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede bestehen, wäre Thema einer lohnenswerten empirischen Untersuchung. Zumal auch Stadttheater zunehmend ihre Ensembles durch sog. Gäste komplettieren und damit verstärkt auf kurzeitige Beschäftigung und Honorartätigkeit wie in der Freien Szene zurückgreifen. Dies könnte in der Folge zu einer anderen Einbettung des Stadttheaters in den Kontext der lokalen Stadtgesellschaft führen.

Bisher sind die Beschäftigten der Stadttheater gemäß den Ergebnissen der Befragung vergleichsweise ganz normale Arbeitnehmer*innen und als solche auch Teil der jeweiligen Stadtgesellschaft. Die Mehrheit der Befragten war zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits mehr als zehn Jahre an dem betreffenden Theater tätig, wohnte vor Ort, lebte in der Regel in fester Partnerschaft und war in beachtlichem Umfang gewerkschaftlich sowie z. T. auch in lokalen Vereinen (Sport- und Kunstverein) engagiert. Insgesamt unterscheiden sich die Theatermitarbeiter*innen in ihrem bürgerschaftlichen Engagement nicht vom Durchschnitt der Stadtgesellschaft. Entsprechendes gilt auch für die Gründe der Arbeitsaufnahme am Stadttheater, wobei dem Grund, einen Arbeitsplatz zu haben, die entscheidende, dem jeweiligen Standort sowie familiären Gründen z. T. eine eher nachgeordnete Bedeutung zukommt.

Allerdings besteht eine hohe Affinität der Theatermitarbeiter*innen zur Einschätzung ihres Berufs als Verwirklichung einer Passion, wobei neben der Beteiligung an künstlerischen Produktionen in gleicher Intensität wertgeschätzt wird, dass durch die Tätigkeit am Stadttheater ein wichtiger Beitrag für die Stadtgesellschaft und für das Theater in der Stadt geleistet wird. Entgegen der in der Theaterszene weit verbreiteten Sicht auf das Stadttheater als vorrangig selbstreferentielle Institution betrachtet die Belegschaft ihr Haus als gegenüber der Stadtgesellschaft in hohem Maße geöffnet und responsiv. Aus Sicht der Beschäftigten erfüllt das Stadttheater in hohem Maße die Funktion der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen. Diese Funktionserfüllung des Hauses für die jeweilige Stadtgesellschaft sehen die Mitarbeiter*innen der Häuser in enger Verbindung mit dem Bildungsauftrag des Theaters als traditionelles, aber neu und innovativ interpretiertes Moment. Angesprochen sind hier die überwiegende und deutliche Wertschätzung neuer Formate sowie die dezidierte Akzentsetzung und Neudefinition des Stadttheaters als Forum im Dienst der Auseinandersetzung mit aktuellen Veränderungen der Stadtgesellschaft.

Wie sehr sich Stadttheater heute darum bemühen, in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken, neue Besuchergruppen für das Haus zu gewinnen und Theater für alle Mitglieder der Stadtgesellschaft erfahrbar sowie mitgestaltbar zu machen, wurde in den an den Theaterstandorten geführten Interviews besonders deutlich. Immer wieder wurde auf die Tradition und aktuelle Relevanz des Stadttheaters als wichtiger Baustein der kulturellen Infrastruktur vor Ort verwiesen; es wurde die Stabilität der Institution Stadttheater für die Stadtgesellschaft sowie für die Belegschaft gerade in Zeiten der Krise, wie etwa der Corona-Pandemie, herausgestellt und nicht zuletzt der beachtliche Output an künstlerischen Produktionen – Repertoire wie Neueinspielungen – hervorgehoben. Vor dem Hintergrund einer zunehmend heterogener werdenden Stadtgesellschaft wurde schließlich das Potenzial gerade der Mehrspartenhäuser als Stadttheater herausgestellt, eine Brücke zu bilden zum einen zwischen Jung und Alt (z. B. Kinder-/Jugendtheater, Kinderoper) sowie zum anderen zwischen den verschiedenen Mitgliedern und kulturellen Kontexten der Stadtgesellschaft.