1 Einleitung

In Theaterleitungen, die Betriebe in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft führen, handeln die Personen, die die Intendanz, die künstlerische oder die kaufmännische Geschäftsführung ausüben, nicht aus sich heraus. Ihre Zuwendungsgeber – verstanden als ihre Träger, ihre Geldgeber auf Landes- oder kommunaler Ebene – sowie ihre Aufsichtsgremien setzen die Bedingungen, unter denen die Theaterleitungen arbeiten. Im Maximum, vielleicht sogar im Idealfall, legen sie fest, wer den Theaterbetrieb mit welchen Funktionen und für welchen Zeitraum leitet, sie geben Ziele für die Arbeit des Theaterbetriebs vor und sie setzen die Höhe der finanziellen Mittel fest, mit denen die Theaterleitung diese Ziele erreichen kann. Die Zuwendungsgeber tun dies auf Basis eines demokratisch legitimierten Prozesses. Im Auftrag der Bürger*innen erhalten die Theaterleitungen von den politischen Mandatsträger*innen aufseiten der Zuwendungsgeber ihren Auftrag und ihre Legitimation, diesen Theaterbetrieb zu führen. Dieser, die Arbeit der Theaterbetriebe bedingenden Seite steht die nach Art. 5 GG garantierte Kunstfreiheit gegenüber. Das Grundgesetz versteht Kunst als „freie schöpferische Gestaltungen, in denen Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse der Künstler durch das Medium einer bestimmten Formensprache (…) zur Anschauung gebracht werden“ (BVerfG 2016). Der Schutz umfasst sowohl den Werkbereich, die eigentlich schöpferische Tätigkeit der Künstler*innen, als auch den Wirkbereich, die Präsentation des Kunstwerks in der Öffentlichkeit (Kurz 2015, S. 94). Zwischen diesen Polen von Bedingung und Freiheit und der Art und Weise, wie Theaterleitungen und ihre Aufsicht mit ihren Aufgaben und Zielen umgehen, entsteht im Arbeitsalltag eine komplexe Dynamik, deren Funktionieren und Versagen – so die grundlegende Annahme dieses Aufsatzes – mit der ausschlaggebende Faktor für den Erfolg, aber potenziell auch der auslösende Faktor für Krisen oder der regulierende Faktor in Krisen ist. Dieses Gefüge und ihre je spezifische Dynamik wird im Folgenden als Governance-Konzept von Theaterbetrieben bezeichnet. Der Begriff „Governance“ wird hier als analytischer Begriff verstanden, der das Zusammenwirken von Regierungsstrukturen und -prozessen einerseits und das Handeln von privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren andererseits umfasst. In der Literatur wird der Begriff „Governance“ alternativ auch verwendet, um ein neu definiertes Verhältnis von Staat, Markt und Zivilgesellschaft zu beschreiben (vgl. Botzem 2002, S. 20; vgl. Beitrag von Crückeberg und Steinhauer (2020) in diesem Band).

Dieses Praxisfeld, die Zusammenarbeit von Theaterleitungen und ihrer Aufsicht, ist vor allem im deutschsprachigen Raum ein bisher weitgehend vernachlässigtes Feld in der Kulturmanagement- und der Kulturpolitik-Forschung. Der vorliegende Beitrag beginnt mit einem Überblick über den Stand der internationalen Forschungen, der darlegt, dass auch für andere Länder das Zusammenwirken von Theaterleitungen bzw. den Leitungen von Kulturbetrieben und ihren aufsichtsführenden Gremien weitgehend ein Forschungsdesiderat darstellt. Da die Rechtsformen eines Theaterbetriebs in seinem Governance-Modell zentral sind, indem sie die Strukturen und den Gestaltungsspielraum der Akteure vorgeben, werden im Folgenden die Charakteristika der drei wichtigsten Rechtsformen von Theaterbetrieben im deutschsprachigen Raum – Regiebetrieb, Eigenbetrieb und GmbH – vorgestellt. Auf dieser Basis erfolgt die Diskussion von drei Thesen, die – so die Grundannahme des Beitrags – typische Grundkonflikte von Theaterbetrieben in Krisensituationen behandeln. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick zur Bedeutung dieses Themas für die zukünftige Rolle des Theaters.

2 Überblick zum Stand der internationalen Forschungen

Für den anglo-amerikanischen Raum, insbesondere die USA und Kanada, ist die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsgremien, den sog. Boards und den Leitungen von Kultur- oder Nonprofit-Betrieben seit den 1980er Jahren kontinuierlich Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Im Unterschied zur Situation in der BRD sind die Mitglieder von Boards als Treuhänder (Trustees), insbesondere in den USA, finanziell für den Kulturbetrieb verantwortlich. Ihre Mitarbeit ist freiwillig und ergibt sich nicht aus einem politischen Mandat heraus. Stellvertretend sollen hier Positionen aus dem internationalen Diskurs vorgestellt werden, deren Ansätze für die hier diskutierte Fragestellung relevant sind. Ihre Ergebnisse zeigen, dass das ungeklärte Verhältnis zwischen Aufsichtsgremien und Theaterleitung weiterhin ein Forschungsdesiderat darstellt:

  • Ostrower und Stone (2006) konstatieren, „board research“ habe sich zu einem ausgeprägten und erkennbaren Forschungsfeld entwickelt. Ihre wichtigste Erkenntnis war, dass die Boards heterogen zusammengesetzt seien und sich einer einfachen Generalisierung verweigerten. Während sie fundierte Vorschläge zur Methodik weiterer Untersuchungen vorlegen, ziehen sie keine Schlüsse, was diese heterogene Zusammensetzung für die Steuerung von Theaterbetrieben bedeutet.

  • Ruth Rentschler (2015) untersucht, wie die Zusammensetzung von Boards mit der Leistung der Kulturbetriebe in Australien zusammenhängt. Sie bestätigt darin u. a. Ostrower und Stone und fordert explizit eine detailliertere Untersuchung der Diversität von Boards.

  • Mit einer für die Debatte um die Krise des deutschen Stadttheaters wünschenswerten Direktheit fragen Reid und Turbide (2012) in ihrer Langzeitstudie zu vier kanadischen Kulturbetrieben, wer in einer Krisensituation des Betriebs innerhalb der Governance-Strukturen die Verantwortung trägt. Die Autorinnen diskutieren differenziert, wie beide Parteien – Leitung des Kulturbetriebs und Board – in den Phasen einer Krise zwischen Vertrauen und Misstrauen einerseits und Kontrolle und Zusammenarbeit andererseits schwanken. Vertrauen und Misstrauen können im Verhältnis von Leitung und Board paradoxerweise koexistieren. Stehen Vertrauen und Misstrauen zueinander in einer ausgereiften Beziehung, können Krisen verhindert werden.

  • Die Diversität in der Struktur und Arbeitsweise von Boards haben bspw. Bradshaw und Fredette (2012) sowie Azmat und Rentschler (2017) untersucht.

  • Für italienische Opernhäuser haben Dubini und Monti (2018) erstmals die Zusammensetzung ihrer Aufsichtsgremien im Zusammenhang mit der Leistung dieser Organisationen untersucht. Auf dieser Basis entwickelten sie eine Taxonomie der Aufsichtsgremien, also eine Klassifikation, nach der die Aufsichtsgremien italienischer Opernhäuser geordnet werden können. Ihre Studie bestätigt, dass die Zusammensetzung der Boards die wirtschaftliche Leistung der Betriebe positiv beeinflusst. Insbesondere die Kategorien der Controller und „influential people“ (Dubini und Monti 2018, S. 63) erhöhten die Einnahmen der Betriebe. Als Controller bezeichnen Dubini und Monti Regierungsvertreter*innen, deren Aufgabe darin besteht, das Verhalten des Managements und seine Rechenschaftspflicht bei der Nutzung öffentlicher Ressourcen zu überwachen. „Influential people“ sind „illustrious members of the community and have valuable links in the external environment.“ (Dubini und Monti 2018, S. 63)

Im deutschsprachigen Raum hat die einschlägige Literatur zur Theatermanagement-Forschung (z. B. Nowicki 2000; Röper 2001; Allmann 1997) den Themenkomplex der Führungsdynamiken zwischen Theaterleitungen und ihren Aufsichtsgremien bisher nicht behandelt. Lediglich am Rande benennt Thomas Schmidt (2017) die Aufsichtsgremien als einen entscheidenden Faktor innerhalb der strategischen Steuerung eines Theaterbetriebs: mit den Parametern Expertise, Entscheidungskraft und „Fähigkeit, die Theaterleitung zu unterstützen und sich die Sicherung der Zukunft des Theaters zur wichtigsten Aufgabe zu eigen zu machen“ (Schmidt 2017, S. 164) Die dauerhafte Beeinträchtigung oder nachhaltige Störung der „Zusammenarbeit von Aufsichtsgremien, Direktorium, Belegschaft und Zuschauern“ als, wie Schmidt es nennt, weicher Faktor könne einen Krisenprozess auslösen (Schmidt 2017, S. 201). Wenn er in seiner folgenden Argumentation „eine zuverlässige strategische und fachliche Expertise im Aufsichtsrat“ (Schmidt 2017, S. 164 f.) fordert, in dem „neben den politischen Mitgliedern auch Mitglieder aus der Wirtschaft, der Bürgerschaft, anderen wichtigen Kulturinstitutionen der Region, aber auch Experten mit Fachwissen in den Bereichen Theater, Wirtschaft und Soziologie“ vertreten sind, unterstellt er zwar die GmbH als Rechtsform des Betriebs, formuliert aber zu Recht, dass nur aus dieser interdisziplinären Perspektive „eine ausreichende Expertise entsteht, um die künstlerischen, strategischen und wirtschaftlichen Vorgänge am Theater beurteilen zu können.“ (Schmidt 2017, S. 165).

3 Rechtsformen und Leitungsstrukturen deutscher Stadt- und Staatstheater

Mit 39 % ist die GmbH laut der Statistik 2017/2018 des Deutschen Bühnenvereins die häufigste Rechtsform in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, gefolgt vom Eigenbetrieb mit 32 % und dem Regiebetrieb mit 29 %. Diese drei Rechtsformen bringen – wie andere, jedoch innerhalb der bundesdeutschen Theater in öffentlicher Trägerschaft weniger relevante Rechtsformen (bspw. Stiftung oder Anstalt des öffentlichen Rechts mit jeweils 6 %) auch – je spezifische Führungsstrukturen und damit eigene Logiken in der öffentlichen Aufsicht und auch in der Führung eines Theaters mit sich. Die Grundlagen der drei wichtigsten Rechtsformen – Regiebetrieb, Eigenbetrieb und GmbH – sollen in aller Kürze dargestellt werden:

Theaterbetriebe in der Form von Regiebetrieben werden von der öffentlichen Verwaltung getragen, ohne dass ihnen eine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. Organisatorische Regelungen erfolgen über Beschlüsse der öffentlichen Körperschaft in Form von bspw. Dienstanweisungen und insbesondere dem Dienstvertrag mit der Theaterleitung. Der Dienstvertrag kann Regelungen über die Alleinleitung des Theaters, Kompetenzabgrenzungen gegenüber anderen Mitgliedern der Leitung, aber auch finanzielle Zusagen enthalten. Die Geschäftsordnung regelt die Zuständigkeit der kommunalen Instanzen gegenüber dem Theater. Der Gemeinde- oder Stadtrat als oberstes Beschlussorgan behält sich regelmäßig die Entscheidung über Grundsatzfragen vor, bspw. die Bestellung einer Theaterleitung oder den Haushalt. Häufig wird ein Teil der Zuständigkeiten des obersten Beschlussgremiums auf einen Ausschuss, oft den Kulturausschuss, manchmal aber auch einen Theaterausschuss, übertragen, der bspw. über Verträge ab einem Jahr Laufzeit oder einer bestimmten Vergütungshöhe entscheidet. Die laufenden Geschäfte liegen in der Verantwortung des/r obersten Beamten*in der Kommune, meist der/dem (Ober-)Bürgermeister*in, der/die sie der/dem Kulturreferent*in oder der Theaterleitung übertragen kann. Die Wirtschaftsführung richtet sich nach dem öffentlichen Haushaltswesen, das Rechnungsjahr des Theaters im Regiebetrieb ist mit dem des Rechtsträgers identisch. Ihr Vermögen bleibt Teil des kommunalen Vermögens, Einnahmen und Ausgaben werden im Haushaltsplan der Kulturbehörde veranschlagt (Kehrl 2015, S. 48–50). Der damit verbundene erhöhte Planungsaufwand ist einer der zentralen Kritikpunkte an dieser Rechtsform.

Beim Eigenbetrieb, der eine Modalität des Regiebetriebs darstellt, bleibt der Theaterbetrieb kommunales Eigenvermögen, arbeitet jedoch mit kaufmännischer Buchführung. Der Gesetzgeber gibt mit der sogenannten Eigenbetriebsverordnung eine Organisationsstruktur verbindlich vor. „Der Eigenbetrieb erstellt einen eigenen, spielzeitbezogenen Wirtschaftsplan, im Gesamthaushalt der Körperschaft wird nur dessen Ergebnis, also der Zuschussbedarf ausgewiesen.“ (Kehrl 2015, S. 50) Das laufende Geschäft wird der Theaterleitung übergeben, die Werkleitung genannt wird. Ein beschließender, nicht nur vorberatender Ausschuss, der Werkausschuss genannt wird, ist für die Regelfälle außerhalb des laufenden Geschäfts zuständig. Typischerweise werden die Leitungsaufgaben auf eine künstlerische Werkleitung, die Intendanz und eine kaufmännische Werkleitung übertragen (Kehrl 2015, S. 51).

In der Privatrechtsform der GmbH werden die Theater im Unterschied zum Regie- und Eigenbetrieb rechtlich, wirtschaftlich und organisatorisch vollständig aus der Verwaltung des Trägers ausgegliedert. Die Theater-GmbHs müssen nach den Grundsätzen der kaufmännischen Buchführung geführt werden und in ihrer Organisation die gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), einhalten, die jedoch vertraglich modifiziert werden können. Der Gesellschaftsvertrag schreibt die Organisation und Rechtsverhältnisse fest. Die Geschäftsführung, bestehend aus einer oder mehreren Personen und die Gesellschafterversammlung sind vorgeschriebene Organe, fakultativ für Theater-GmbHs ist ein Aufsichtsrat. In der Praxis, so Kehrl, würden die Befugnisse der Geschäftsführung weitgehend denen der Eigenbetriebe angeglichen. Der Aufsichtsrat – wie der Werkausschuss bei Eigenbetrieben – behält sich regelmäßig Auflagen vor (Kehrl 2015, S. 52 f.).

Von der Rechtsform des Regie- über den Eigenbetrieb bis zur GmbH steigen sowohl der Grad an Eigenverantwortung innerhalb der Leitung des Theaterbetriebs als auch die Notwendigkeit, dass die Theaterleitung die damit verbundenen höheren Steuerungskompetenzen erfolgreich ausüben kann. Gleichzeitig beeinflussen drei weitere Parameter die Logik der Zuwendungsgeber in Theaterbetrieben: die Mehrträgerschaft, die politische Heimat der Mandatsträger*innen sowie die fachliche Kompetenz in den aufsichtsführenden Gremien.

Mehrträgerschaft bedeutet, dass sowohl Kommune oder Stadt als auch das Land den Theaterbetrieb finanzieren. Die Statistik 2017/2018 des Deutschen Bühnenvereins weist 40 % der Theaterbetriebe als Betriebe in Mehrträgerschaft aus (Theaterstatistik 2017/2018, S. 253). Bei Theaterbetrieben in Mehrträgerschaft bestimmen auch die politischen Heimaten der Mandatsträger*innen in Verbindung mit der Agenda der jeweiligen Regierungskoalition die Führung des Theaterbetriebs. Werden Theaterbetriebe in Mehrträgerschaft geführt, sind unterschiedliche politische Bündnisse auf kommunaler und Landesebene möglich, deren konkrete Kulturpolitik sich in widerstreitenden Auffassungen gegenüber dem Theaterbetrieb niederschlagen kann. Während Mitglieder in den aufsichtsführenden Gremien der Kommunalpolitik zumeist ehrenamtlich tätig sind, ist ihr Anteil in den aufsichtsführenden Gremien der Landespolitik meist gering. Die Frage, ob die Mitglieder der aufsichtsführenden Gremien spezifische Fachkompetenzen für die Ausführung ihres Mandats mitbringen, ist dabei unabhängig von ihrem Status als ehrenamtlich Tätige. Auch Vertreter*innen, die in diesen Funktionen ihre Erwerbsarbeit ausführen, können solche Kompetenzen mitbringen oder eben nicht. Dass fachliche Expertise nicht durch Verwaltungskompetenz auf der Ebene der Aufsicht ersetzt werden kann, steht außer Frage (Schmidt 2017, S. 165).

Der Auftrag der Aufsicht ist es zum einen eng zu kontrollieren, vor allem das Risiko, damit im Falle von Fehlern, Niederlagen und Scheitern die Verantwortlichkeiten geklärt sind: Die Zuwendungsgeber setzen die Bedingungen, sie berufen die Führungskräfte, sie setzen die finanziellen Rahmenbedingungen und sie geben den Auftrag des Betriebs vor. Zum anderen aber ist es ebenfalls Auftrag der Aufsicht, Kunst zu ermöglichen und die Grundlagen und Bedingungen für die bestmögliche Entwicklung des Theaterbetriebs in der konkreten Gemeinde oder Stadt zu sichern. Diese beiden Zielstellungen zu erreichen, diesen Wechsel zwischen Vertrauen und Misstrauen, Kontrolle und Zusammenarbeit produktiv zu bearbeiten, erfordert von beiden Parteien ein hohes Maß an Professionalität, also ein beiden Parteien gemeinsames Grundverständnis, welche Qualitäten in der Arbeit erreicht werden sollen und mit welcher Logik dies zu erreichen ist. Ist ein solches Maß an Professionalität in der Steuerung eines Theaterbetriebs vorhanden, geht die Führungsarbeit beider Parteien über ein einfaches Gremienmanagement hinaus und erreicht die Qualität, den Theaterbetrieb strategisch zu steuern.

4 Thesen zur Zusammenarbeit von Theaterbetrieben und ihren Aufsichtsgremien

Die Diskussion der folgenden Thesen über die Zusammenarbeit zwischen Theaterbetrieben und ihren aufsichtsführenden Gremien erfolgt vor dem Diskurshorizont der Kulturbetriebslehre in der Wiener Tradition. Diese „beobachtet und kommentiert Strukturen und Prozesse in Kulturorganisationen, um dann mittelbar Anstöße für die innerbetriebliche Entwicklung, also für das Kulturmanagement, zu liefern.“ (Zembylas und Tschmuck 2006, S. 7). Der Ansatz der Kulturbetriebslehre erlaubt es, das ganz eigene Anliegen künstlerischer und kultureller Produktionen zu stärken und kann so substanziell zu einem Verständnis, was die Krisengefüge in und um Theaterbetriebe auslöst, beitragen. Im Folgenden werden grundlegende Thesen vorgestellt, die zu einem vertieften Verständnis der Dynamiken in solchen Krisengefügen beitragen.

4.1 These 1: Mangelnde Priorisierung der Zielvorgaben durch die Zuwendungsgeber verstärkt interne Spannungen

Vor Beginn einer Intendanz werden die Anforderungen an die Führung des Theaterbetriebs und die Kriterien für eine erfolgreiche Führung zwischen ökonomischen und künstlerischen Kriterien häufig nicht ausreichend entwickelt. Wenn dann die Geschäftsbereiche der künstlerischen und der betrieblichen Führung des Hauses nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden, divergieren in Konsequenz Mitglieder der Theaterleitungen untereinander – und ggfs. auch gegenüber ihren Aufsichtsgremien – in ihren Zielvorstellungen und ihrem Verständnis von der Führung des Hauses und seinem Erfolg. Damit verbundene interne Macht- und Verteilungskämpfe verschärfen die bestehenden Krisen. Beispielhaft für diese These sollen hier Krisensituationen am Mecklenburgischen Staatstheater und an den Bühnen Halle dargelegt werden. Beide Fälle demonstrieren, wie wichtig es ist, ökonomische und künstlerische Zielvorgaben klar zu definieren und die Verantwortung für die jeweilige Zielerreichung zuzuweisen, um einerseits die künstlerische Freiheit zu garantieren und um andererseits die ökonomisch Verantwortlichen vor dem Vorwurf zu schützen, sie würden die künstlerische Freiheit angreifen.

Lars Tietje wurde mit Amtsantritt zur Spielzeit 2016/2017 zum Generalintendanten am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin GmbH berufen. Er qualifizierte sich für diese Aufgabe durch seine Arbeit am Theater Nordhausen/Sonderhausen, an dem er als Vorgabe der Zuwendungsgeber einen tiefgreifenden Konsolidierungskurs erfolgreich umgesetzt hatte und für das er die Musiktheatersparte halten konnte. Auch die Regierung von Mecklenburg-Vorpommern erwartete von Tietje, der auch die Geschäftsführung verantwortete, umfangreiche Spar- und Konsolidierungsmaßnahmen, zu denen sich Tietje bekannte. Rasch kam jedoch Kritik an seinem Führungsstil auf (Wördemann 2018). Als Mitglieder des Ensembles im Januar 2018 öffentlich kritisierten, Tietje habe ihnen verboten, sich zum Theaterball politisch äußern zu dürfen, wurde die Krise manifest. Ensemblemitglieder kündigten; Tietje wurde vorgeworfen, Ensemblemitglieder, die ihn kritisierten, nicht verlängert zu haben (Wördemann 2018). Dahinter jedoch stand auch ein interner Macht- und Zielkonflikt mit dem Schauspieldirektor Martin Nimz, der im Gegensatz zu Tietje für die Ost-Tradition des Schauspiels steht. Nimz wurde eine „enge emotionale Bindung ans Haus“ nachgesagt, die sich in den 1980er Jahren entwickelt hatte, als Schwerin eines der Theaterzentren der DDR war. Nimz warf Tietje vor, sich hinter den Sparvorgaben zu verstecken und jeweils die politisch brisanteste Produktion zu streichen (Kasch 2019). Beide handelten vor einem Zielkonflikt, den sie intern nicht auflösen konnten: Die Geschäftsführung verantwortet einerseits die Einhaltung der Sparvorgaben, andererseits die Höhe der Eigeneinnahmen. Zu beidem hat sie sich gegenüber den Mandatsträger*innen in der Gesellschafterversammlung und dem Aufsichtsrat der GmbH bekannt. Das Ziel der Konsolidierung des Betriebs erreicht sie effizienter, wenn finanzielle Mittel bei Produktionen gespart werden, die aufgrund geringerer Besuchszahlen auch geringere Einnahmen bringen. Die künstlerische Direktion hingegen verantwortet einerseits die künstlerische Qualität jeder einzelnen Produktion, andererseits aber auch die künstlerische Gesamtqualität ihrer Sparte. Während sie eine einzelne Sparvorgabe der Generaldirektion, die dies im Auftrag der Aufsicht ausführt, akzeptieren muss, ist es ihre Pflicht, gerade die Realisierung künstlerisch riskanter Produktionen zu sichern. Zuwendungsgeber haben in diesen Krisensituationen die Pflicht, den Zielkonflikt zu moderieren und zu entscheiden, in welchem Verhältnis die Ziele der Haushaltskonsolidierung und der künstlerischen Profilierung zueinanderstehen. In Schwerin gelang dies nicht: Die Umsetzung eines Fünf-Punkte-Plans scheiterte, im Juli 2019 verkündete Tietje, dass er das Haus 2021 verlassen wird (Pfaff 2018; N.N. 2018).

Auch in Halle brachte der Zielkonflikt zwischen der Anforderung, finanzielle Vorgaben umzusetzen, und der Anforderung, das künstlerische Profil zu entwickeln, den Theaterbetrieb in eine tiefe Krise mit weitreichenden Folgen. Geschäftsführer der Theater, Oper und Orchester gGmbH Halle war Stefan Rosinski. Laut Arbeitsvertrag sind die künstlerischen Leitungen des Mehrspartenhauses Abteilungsleitungen, die den Titel der Intendantin oder des Intendanten tragen, jedoch keine Handlungsvollmacht oder Vertretungsmacht nach außen haben (Rosinski nach Schreiber 2018). Mit der Berufung von Florian Lutz zum künstlerischen Leiter der Opernsparte Halle zur Spielzeit 2016/2017 sollte ein politisch gewollter Verjüngungsprozess an der Bühne eingeleitet werden. Lutz zog mit experimentellen Ansätzen, u. a. wie mit der Raumbühne Heterotopia, die 2017 den Theaterpreis „Der Faust“ erhielt, überregionale Aufmerksamkeit nach Halle. Gleichzeitig waren die Besucherzahlen rückläufig, Abonnements wurden gekündigt. Dadurch entstanden Mindereinnahmen, die Rosinski veranlassten, von Lutz weitere Einsparungen zu fordern. Lutz wertete diese Forderung als Einmischung in seine künstlerische Arbeit. In ähnlicher Form entwickelte sich dieser Konflikt auch zwischen Rosinski und dem Schauspielchef Matthias Brenner (Hanssen 2019), der Rosinski „Übergriffigkeit, Vertrauensbruch und Störung des Betriebsfriedens“ (Eger 2019) vorwarf. Am 12. Juni 2017 wandten sich die Spartenleiter Matthias Brenner (Schauspiel), Florian Lutz (Oper) und Josep Caballé-Domenech (Staatskapelle) in einem Schreiben an den Aufsichtsrat. Sie kritisierten, dass sich der Geschäftsführer in den künstlerischen Prozess einmische (Eger 2017a). Im Februar 2019 sprachen sich Orchestervorstand und Betriebsrat in einem Schreiben an den Aufsichtsrat gegen eine Vertragsverlängerung von Lutz aus. Wenige Tage später beschloss der Aufsichtsrat der Theater, Oper und Orchester gGmbH Halle, den Vertrag von Florian Lutz über die Spielzeit 2020/2021 hinaus nicht zu verlängern. Seiner Aufgabe, die Theater, Oper und Orchester GmbH Halle zwischen kulturbetrieblichen und künstlerischen Anforderungen zu steuern, ist der Aufsichtsrat zu spät nachgekommen. Ein Jahr später verlängert der Aufsichtsrat auch den Vertrag von Rosinski nicht. Klare Zielvorgaben der Zuwendungsgeber und Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche hätten die Krise des Hauses zumindest abmildern können.

4.2 These 2: Regierungswechsel können Verlust der Legitimation und Nichtverlängerung bedeuten

Eine andere Situation ergibt sich, wenn durch Regierungswechsel ausgelöst aufseiten der Zuwendungsgeber die Mandatsträger*innen in den aufsichtsführenden Gremien wechseln. Diese Situation kann für Theaterleitungen die Nichtverlängerung ihres Vertrages oder sogar die zeitnahe Entlassung bedeuten. Als Fallbeispiele sollen hier die Berufungen von Chris Dercon an die Volksbühne Berlin und von Matthias Lilienthal an die Kammerspiele München analysiert werden.

Im April 2015 hatte der Regierende Bürgermeister und Kultursenator von Berlin Michael Müller (SPD) die Berufung von Chris Dercon als Intendanten des Eigenbetriebs Volksbühne Berlin mit Amtsantritt zum Sommer 2017 verkündet. Die Personalie war von seinem Staatssekretär für Kultur Tim Renner (SPD) verhandelt worden. Die Koalition aus SPD und CDU führte Müller, bis der Berliner Senat im Dezember 2016 von einer rot-rot-grünen Landesregierung, erneut unter der Führung Müllers, abgelöst wurde. Zum Senator für Kultur und Europa wurde Klaus Lederer (Die Linke) berufen. Er unterstützte die Kritiker Dercons, die für einen Erhalt des Ensemble- und Repertoirebetriebs an der Volksbühne kämpften. Ob er dabei der Fürsorgepflicht gegenüber seinem Mitarbeiter Dercon gerecht wurde, blieb offen. Mit der Unterstützung seines Dienstherrn verlor Dercon auch seine politische Legitimation. Im April 2018 verkündeten Lederer und Dercon die sofortige Beendigung von Dercons Dienstverhältnis – offiziell in gegenseitigem Einvernehmen.

Dass es für den Entzug der politischen Legitimation bereits ausreichen kann, wenn lediglich der Juniorpartner in der Koalition wechselt, erfuhr Matthias Lilienthal als Intendant des Eigenbetriebs Münchner Kammerspiele: Lilienthal war im September 2013 zum Intendanten der Kammerspiele mit Amtsantritt zum September 2015 berufen worden. Die Personalie hatte Hans-Georg Küppers (SPD) verhandelt, der von Juli 2007 bis Juli 2019 Kulturreferent der Landeshauptstadt München war. Im Mai 2014 löste dann eine Große Koalition aus SPD und CSU die bestehende Koalition aus SPD, Grünen und Rosa Liste im Stadtrat ab. Die SPD stellte weiterhin den Oberbürgermeister, zweiter Bürgermeister wurde Manuel Pretzl von der CSU. Für Küppers „Mut, der den meisten politischen Entscheidern letzten Endes dann halt doch fehlt“, hatte ihn Christine Dössel vom Feuilleton der Süddeutschen Zeitung gefeiert. Man müsse Küppers und seinen Beratern „gratulieren zu der Risiko- und Öffnungsbereitschaft, die das Bekenntnis zu einem theatralischen Grenzgänger und Global Player wie Lilienthal bedeutet“ (Dössel 2013). Schon im November 2016 kritisierte Dössel Lilienthal scharf: Lilienthal habe in Verkennung der Tradition des Ensembles und der Stadt seine Strategie für sein früheres Haus, das HAU Hebbel am Ufer in Berlin, direkt, bis in die Namensgebung der Spielstätten hinein, übertragen (Dössel 2016). Nachdem die Kammerspiele eine Produktion absagen mussten und beim Publikum beliebte Schauspielerinnen ihren Austritt aus dem Ensemble ankündigten, behandelte der Stadtrat die Situation am Haus. Insbesondere die CSU kritisierte die Zahl der Abonnementkündigungen und die aktuelle Auslastung scharf. Küppers verteidigte Lilienthals Linie. Im März 2018 beschloss die CSU-Fraktion, einer Verlängerung des Vertrags von Lilienthal nicht zuzustimmen, woraufhin Lilienthal seinerseits entschied, seinen Vertrag über 2020 hinaus nicht verlängern zu wollen. Er drohte der CSU-Fraktion im Münchner Stadtrat mit einer Unterlassungsklage, sollte sie weiterhin von einer „finanziellen Misere“ sprechen. Er warf der Fraktion, die von Manuel Pretzl geführt wird, vor, wissentlich die finanzielle Situation seines Hauses falsch darzustellen (Effern et al. 2018). Weitere Fehden folgten. Im August 2020 wurden die Kammerspiele von der Jury der Zeitschrift „Theater heute“ zum zweiten Mal in Folge zum „Theater des Jahres“ gewählt.

4.3 These 3: Aufsichtsführende Gremien benötigen zwingend fachliche Kompetenz bei Berufungen

Wie eminent wichtig neben professioneller Steuerungskompetenz in aufsichtsführenden Gremien auch die fachlichen Kompetenzen ihrer Mitglieder sind, zeigt sich regelmäßig bei Berufungen. Teilweise sind die aufsichtsführenden Gremien – und dies unabhängig davon, ob sie von ehrenamtlich Tätigen oder in Erwerbsarbeit Tätigen besetzt sind – nicht in der Lage, ihre Verantwortung bei Berufungen vollumfänglich auszuüben. In Konsequenz leiden die Qualität der künstlerischen Arbeit und das Profil des Hauses.

Als Fallbeispiel dient im Folgenden die Brandenburg Theater gGmbH. Die Bühne, deren alleinige Trägerin die Stadt Brandenburg a.d. Havel ist, stand seit 2016 unter erheblichem finanziellen Druck. Von Stadt und Land wurde sie mit 6,8 Mio. EUR pro Jahr gefördert, verzeichnete 2017 jedoch Mehrausgaben in Höhe von rund 800.000 EUR. Auslösender Faktor der Finanzkrise war der auslaufende Haustarif und die daraus folgende Rückkehr zum teureren Flächentarif (Rougk 2016b). Um die drohende Insolvenz abzuwenden, berief die Stadt Klaus Deschner, den früheren Geschäftsführer der städtischen Wohnbaugesellschaft, der kürzlich in Rente gegangen war, mit Wirkung zum Sommer 2016 zum neuen Geschäftsführer mit der Vorgabe, einen tiefgreifenden Sparkurs umzusetzen (Rougk 2016a). Gleichzeitig erhielt die künstlerische Leiterin Katja Lebelt Prokura und damit Einblick in die Finanzen.

Deschner und Lebelt sollten zusammen die Verhandlungen zum Haustarif-Vertrag führen. Ihr Verhältnis eskalierte. Deschner, der sich als „bekennender Theater-Abstinenzler“ (Rougk 2017) bezeichnet, forderte zuerst den Austritt des Betriebs aus dem Bühnenverein und dem damit verbundenen Tarifvertrag, dann die Verlängerung des Haustarifvertrags. Deschner mahnte Lebelt ab und drohte mit Kündigung, woraufhin sich Lebelt an den Aufsichtsrat wandte, 2017 kündigte sie. Sie warf Deschner vor, sich in ihre künstlerische Arbeit eingemischt und sie diskreditiert und gemobbt zu haben. Auch Mitglieder des Aufsichtsrats sprachen mittlerweile von einem Fehler, Deschner berufen zu haben (Rougk 2017). In einer finanziell extrem angespannten Situation hatte der Aufsichtsrat also eine Person berufen, die nach eigener Aussage weder Kenntnisse von der Ökonomie eines Theaterbetriebs noch von seinen künstlerischen Zielen hat und von daher nicht im Sinne des Theaterbetriebs handeln konnte. Diese Fehlbesetzung schadete nicht nur dem Theater, sondern auch dem Ansehen seiner Träger.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Die hier vorgestellten Thesen sind nicht abschließend zu verstehen. Meist bedingen sich die Faktoren, die Krisen auslösen, gegenseitig. Sie nehmen häufig ihren Ausgang von dem stets neu zu verhandelnden Zielkonflikt zwischen ökonomischer Stabilität einerseits und künstlerischer Profilierung andererseits. Häufig hängen die Krisensituationen mit unklaren Zuständigkeitsbereichen, häufig auch mit Machtansprüchen zusammen. Immer aber dreht es sich um die Frage, wie die Mandatsträger*innen in den aufsichtsführenden Gremien ihre Verantwortung ausgeübt haben. Wie sich diese Dynamik zwischen Theaterleitung und Aufsicht ausgestaltet, hängt auch von der Rechtsform und der Trägerschaft ab. Geht man davon aus, dass die Zusammenarbeit zwischen Zuwendungsgebern und Theaterleitungen und das Ausmaß der Professionalität dieser Zusammenarbeit ein ausschlaggebender Faktor für den künstlerischen Erfolg einer Intendanz sind, zeigt sich das Potenzial dieses Forschungsfeldes sowohl innerhalb der Kulturbetriebsforschung und der Kulturpolitikforschung, aber auch der konkreten Praxis von Theaterleitungen. Es gilt, einerseits die Leitungsqualität der Theaterbetriebe, aber in gleichem Maße auch die Qualität der Aufsicht sicherzustellen. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen können rückgebunden werden an die übergreifenden Diskurse zur Rolle und Aufgabe öffentlich geförderter Theaterbetriebe in Deutschland. Ein zu geringes Bewusstsein für die Tragweite dieser Zusammenarbeit, aus der Krisen entstehen, kann langfristig die Funktion des Theaters, seine Handlungs- und Gestaltungsfreiheit generell gefährden.