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Kugel vs. Netz: Zwei philosophische Kulturbegriffe

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Book cover Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität
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Zusammenfassung

Wie erwähnt, soll mit folgendem Teil herausgefiltert werden, aus welchen philosophischen Quellen sich ein Kulturbegriff speisen kann. Dabei werden bewusst Johann Wolfgang Herder und Ludwig Wittgenstein zur Analyse herangezogen, da ihre Theorien und Kulturbegriffe gewinnbringende Parallelen, aber auch Divergenzen aufweisen. Diese Unterschiede sind es, die zu den sich abgrenzenden multi- und transkulturellen Konzeptionen überleiten.

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Notes

  1. 1.

    Kant steht demnach mit seinen Ausführungen zu Hautfarbe und Klimaeinflüssen und der damit verbundenen Hierarchisierung der Völker in einer eurozentristischen und rassischen Tradition, von der sich koloniale Herrschaftsansprüche ableiteten. Jedoch muss angemerkt werden, dass er mit den neunziger Jahren des 18. Jahrhundert einen kolonialismuskritischen Perspektivenwandel vollzieht. Karlfriedrich Herb gibt dabei zu bedenken, dass diese antikoloniale Wende nicht unumstritten sei. Es müsse reflektiert werden, dass sich Kant mit diesem Schritt den Veränderungen der imperialen Weltordnung seiner Zeit anpasst, ohne wirklich Selbstkritik an seinen Thesen zu üben (vgl. Herb 2018: 383/392/395). Siehe vertiefend zur Positionierung Immanuel Kants im Spannungsfeld von Aufklärung und kolonialem Denken: Herb, Karlfriedrich: Unter Bleichgesichtern. Kants Kritik der kolonialen Vernunft, in: Zeitschrift für Politik, Vol. 65/No. 4, 2018, S. 382–398.

  2. 2.

    Siehe dazu: Meinecke, Friedrich: Die Entstehung des Historismus. 2Bde., München, 1936/Stadelmann, Rudolf: Der historische Sinn bei Herder, Halle a. d. Saale 1928.

  3. 3.

    Von perfectibilité spricht auch Rousseau, in dem Moment, wenn er nach der Natur des Menschen fragt. Jedoch wird deutlich, dass er im Gegensatz zu Herder den Menschen in seiner originalen Natürlichkeit nicht als soziales Wesen sieht und die Mitmenschen und somit den Anderen sowie den Einzelnen zur Selbstbestimmtheit drängen (vgl. Herb 2011: 12): Man ist not made für social existence. […] Perfectibilité instead of sociabulité: is what makes sense of the original nature. (Herb 2011: 12) Herb zeigt aber auch auf, dass Rousseau mit seiner Vorstellung des republikanischen Festes eine Situation ausmacht, in der der Einzelne mit dem Anderen und seiner eigenen Identität gleichzeitig existieren kann (vgl. Herb 2011: 14).

  4. 4.

    Samuel von Pufendorf begreift Kultur als die Gesamtheit derjenigen Tätigkeiten, durch die sich der Mensch vom Tier abgrenzt und sein spezifisch menschliches Dasein definiert. Siehe dazu: Pufendorf, Samuel von: De iure naturae et gentium libri octo, Buch II, Kapitel 4, Frankfurt a. M. ²1684.

  5. 5.

    Herder verweist deutlich auf Johann Joachim Winkelmann (1717–1768). Er macht dem Kunsthistoriker zum Vorwurf, dass er als Interpret der griechischen Kunst Außergewöhnliches geleistet habe, aber gleichermaßen dadurch die Fähigkeit verwirkt hätte, auch andere Epochen und Kulturkreise im gleichen Maße zu erfassen. Dadurch zeichnet Herder auch das Bild seines Verständnisses von Historismus nach, das sich im Idealfall aus einer neutralen, empathischen Ebene heraus entwickelt.

  6. 6.

    Vgl. Suphan, Bernhard (Hrsg.): Herders sämmtliche Werke, 33. Bde., Berlin 1877–1913. Hier und fortlaufend als SWS bezeichnet.

  7. 7.

    Dieser als praxisnah erscheinende Ansatz des einfühlenden Verstehens erweist sich jedoch selbst für Herder methodologisch als unzulänglich. Das von Enthusiasmus hinsichtlich historischer Vielfalt getragene Geschichtsverständnis stößt somit an seine Grenzen der Umsetzbarkeit und löst nicht das hermeneutische Problem nach der Frage des Ursprungs kultureller Vielfalt (vgl. Jacobs 1994: 68).

  8. 8.

    Klimatheorie nach Herder: Mit seiner Klimatheorie verdeutlicht Herder, dass er trotz postulierter Ablehnung von Vorurteilen doch einem gewissen Eurozentrismus verhaftet bleibt. Tritt er auch als Verfechter der kulturellen Vielfalt auf, so stilisiert er doch das gemäßigte Klima Europas und vor allem Griechenlands. Dort würden die optimalen Voraussetzungen für die Entfaltung des Humanitätsideals herrschen. Herder verweist auf die benachteiligte Stellung von Kulturen in extremen Zonen wie Nordeuropa oder Schwarzafrika. Trotz der Feststellung einer allgemeinen Unterlegenheit dieser klimatisch extrem gelegenen Kulturen versucht Herder den Anschein zu wahren, dass es sich dabei um keine grundsätzliche Minderwertigkeit handelt (vgl. Löchte 2005: 15).

  9. 9.

    Abgrenzung zu Spinoza: positive Deutung von Verfall und Missständen. Siehe dazu: Auernheimer 2013: 157.

  10. 10.

    In so verschiedenen Formen das Menschengeschlecht auf der Erde erscheint, so ist’s doch überall ein und dieselbe Menschengattung. Sind in der Natur keine zwei Blätter eines Baumes einander gleich, so sind’s noch weniger zwei Menschengesichte und zwei menschliche Organisationen. Welcher unendlichen Verschiedenheit ist unser kunstreiche Bau fähig! (Ideen VII., 1: 183)

  11. 11.

    Jedem Geschlecht hat der Natur gnuggetan und sein eigenes Erbe gegeben. […] Weder der Pongo noch der Longimaus ist dein Bruder; aber wohl der Amerikaner, der Neger. Ihn also sollst du nicht unterdrücken, nicht morden, nicht stehlen; denn er ist ein Mensch, wie du es bist; mit dem Affen darfst du keine Brüderschaft eingehn. (Ideen VII., 1: 186)

  12. 12.

    Vater und Mutter, Mann und Weib, Kind und Bruder, Freund und Mensch – das sind Verhältnisse der Natur, durch die wir glücklich werden; was der Staat uns geben kann, sind Kunstwerkzeuge, leider aber kann er uns etwas weit Wesentlicheres, uns selbst, rauben. (Ideen VIII., 5: 246)

  13. 13.

    Da nun aber unser spezifischer Charakter eben darin liegt, daß [sic] wir, beinah ohne Instinkt geboren, nur durch eine lebenslange Übung zur Menschheit gebildet werden, und sowohl die Perfektibilität als die Korruptibilität unsres Geschlechts hierauf beruhet, so wird eben damit auch die Geschichte der Menschheit notwendig ein Ganzes, d.i. eine Kette der Geselligkeit und bildenden Tradition vom ersten bis zum letzten Gliede. Es gibt also eine Erziehung des Menschengeschlechts, eben weil jeder Mensch nur durch Erziehung ein Mensch wird und das ganze Geschlecht nicht anders als in dieser Kette von Individuen lebet. (Ideen IX., 1: 248–249).

  14. 14.

    Auch bei Herder ist eine Ablehnung äußerer moralischer Maßstäbe auszumachen:

    Schon der Name Glückseligkeit deutet an, daß [sic] der Mensch keiner reinen Seligkeit fähig sei, noch sich dieselbe erschaffen möge; er selbst ist ein Sohn des Glücks, das ihn hie- und dahin setzte und nach dem Lande, der Zeit, der Organisation, den Umständen, in welchen er lebt, auch die Fähigkeit seines Genusses, die Art und das Maß seiner Freuden und Leiden bestimmt hat. (Ideen VIII., 5.: 241)

  15. 15.

    Der Unterschied zwischen aufgeklärten und unaufgeklärten, zwischen kultivierten und unkultivierten Völkern ist also nicht spezifisch, sondern nur gradweise. Das Gemälde der Nation hat hier unendliche Schattierungen, die mit den Räumen und Zeiten wechseln (vgl. Ideen IX., 1: 250).

  16. 16.

    Siehe dazu: PU 23.

  17. 17.

    Siehe zum Begriffs des Umgangskörper weiterführend das gesamte Kapitel Die Techniken des Körpers (197–220) in: Mauss, Marcel: Soziologie und Anthropologie, Bd. 2, München 2010.

  18. 18.

    Auch in Bezug auf die Entstehung beziehungsweise Ausbildung von Lebensformen ist die Abkehr vom Modell des Erklärens signifikant: Lebensformen erhalten erst Identität, wenn ein Abbruch der Erklärung erfolgt und akzeptiert wird, dass ein ganzheitliches Verstehen nicht möglich ist (vgl. Simon 1999: 211).

  19. 19.

    Siehe dazu insbesondere PU 23: Wie viele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa Behauptung, Frage und Befehl? – Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir ‚Zeichen‘, ‚Worte‘, ‚Sätze‘, nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andere veralten und werden vergessen. […] Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, daß [sic] das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform […].

  20. 20.

    Siehe dazu: PU 67.

  21. 21.

    Vergleiche PU 508: […] Ich bin nicht gewohnt, Temperaturen in Fahrenheit-Graden zu messen. Darum ‚sagt‘ mir eine solche Temperaturangabe nichts.

  22. 22.

    Für Herder ist das Volk neben dem Individuum der entscheidende Träger von Kultur. Das steht in direktem Zusammenhang mit seinem Nationenverständnis: Eine Nation konstituiert sich nicht auf der Grundlage eines Vertrages, sondern ist ein historisch, aber vor allem kulturell gewachsenes Konstrukt. Dadurch wird in einer erweiterten Perspektive nachvollziehbar, dass Herder die Pluralität von Kulturen als historisches Gesetz erachtet, da durch diese Selbstkonstruktion der Kulturen und auch Nationen mit ihren unterschiedlichen Mittelpunkten die Vielfalt hervorgebracht wird.

  23. 23.

    Die Formulierung das Recht, Rechte zu haben [the right to have rights] wurde von Hannah Arendt in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (Frankfurt/M. 1955, 614) eingeführt. Sie sieht in den Menschenrechten einen Universalismus verkörpert, der bedrohlich wirkt und in Widerspruch zu staatlicher Souveränität tritt (vgl. Herb 2014: 32). Auch Hegel beginnt seine Philosophie des Rechts mit dem Recht der „Persönlichkeit“, unter dem er das Recht des Individuums versteht, als ein rechtsfähiges Wesen zu gelten. Wie Arendt sieht Hegel diesen Status als das Ergebnis politischer, kultureller und sozialer Entwicklungen und Kämpfe innerhalb der Weltgemeinschaft, zugleich aber als die einzige mit dem modernen Begriff der Freiheit zu vereinbarende Position (vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: ders., Werke in 20 Bänden, Bd. 7, hrsg E. Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1970, 92–94).

  24. 24.

    Ausgangspunkt ist genau wie bei Benhabib die Untersuchung der Legitimationsgrundlage der Menschenrechte beziehungsweise die Überlegung, inwiefern die Menschenrechte einen universalen Wert darstellen.

  25. 25.

    Vergleiche zur Strömung des Postkolonialismus vor allem: Fanon, Frantz: Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt a. M. 2008.

  26. 26.

    Panikkar sieht diese Gefahr auch im Fall der globalen Implementierung der Menschenrechte und zeichnet treffend ein Bild des Trojanischen Pferdes: [T]o proclaim the undoubtedly positive concept of Human Rights may turn out to be a Trojan horse, surreptitiously introduced into other civilizations which will then all but be obliged to accept those ways of living, thinking and feeling for which Human Rights is the proper solution in case of conflict. It is little like the way technology is often introduced in many parts of the world: it is imported to solve the problem that it has itself created. (Panikkar 1982: 90).

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Krüger, S. (2020). Kugel vs. Netz: Zwei philosophische Kulturbegriffe. In: Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30850-6_3

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