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Brasiliens Weg von der Rasse zur Kultur: Ein Kulturverständnis

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Zusammenfassung

Wie in der Leitfrage bereits formuliert, nähert sich die vorliegende Arbeit der theoretischen Diskussion um multi- und transkulturelle Formen von Gesellschaften über den Gegenstand Brasilien an. Die dabei erforderliche Engführung auf den Begriff der mestiçagem, der die brasilianische Idee von nationaler Identität zu fassen versucht, stellt sich als wertvoller Ausgangspunkt dar. Jedoch ist zunächst festzuhalten, dass die Idee der mestiçagem auch ein in ganz Lateinamerika erkennbares Phänomen darstellt – in den spanischsprachigen Regionen als mestizaje bezeichnet.

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Notes

  1. 1.

    Im Brasilianischen werden mestiçagem und miscigenação oft synonym für Rassenmischung verwendet. In ihrer sprachlichen Verwendung trennt die beiden Begriffe nichts. In dieser Arbeit soll aber eine inhaltliche Unterscheidung getroffen werden. Mit dem Begriff der miscigenação wird auf den Fakt der biologischen Mischung zwischen ethnisch und kulturell verschiedenen Gruppen abgezielt. Die mestiçagem bringt im Gegensatz dazu zum Ausdruck, dass es sich bei dieser Begriffsverwendung um ein komplexeres Verständnis von Rassenmischung handelt, dass die rassische und die kulturelle Verschmelzung in allen sozialen Bereichen mit einschließt. Der Begriff der mestiçagem, der vor allem mit dem Vokabular und dem Ansatz Freyres in Verbindung steht, bettet sich dabei in den Rahmen der miscigenação ein.

  2. 2.

    Weiterführende Literatur zur Bedeutung der mestizaje im lateinamerikanischen Raum siehe: Hale, Charles R.: Más que un Indio: Racial Ambivalence and Neoliberal Multiculturalism in Guatemala, Santa Fee 2006; Holt, Thomas C.: Foreword: The First New Nations, in: Nancy P., Appelbaum/Anne S., Macpherson/Karin Alejandra, Rosemblatt: Race and Nation on Modern Latin America, Chapel Hill 2003, S. vii–xvi; Telles, Edward E.: Race in Another America. The Significance of skin color in Brazil, Princeton 2004; Wade, Peter: Blackness and Race Mixture: The Dynamics of Racial Identity in Colombia, Baltimore 1993.

  3. 3.

    Sie ausführlich: Clifford, James: Malaise dans la culture. L’ethnographie, la litterature et l’art au XXème siècle, Paris 1996.

  4. 4.

    Vor allem die neue urbane Mittelschicht störte sich zum Ende der 1920er Jahre an den immer noch dominierenden elitären Strukturen der Alten Republik. Diese Republica Velha sah nicht vor sich für die neu entstanden Interessensgruppen zu öffnen. Die Agraroligarchie, die seit der Kolonialisierung Brasiliens die Politik steuerte, war maßgeblich für diese Verweigerungshaltung verantwortlich. Die Forderungen reichten von der Reformierung des Bildungssystems und des Arbeitsmarktes bis hin zu dem Wunsch nach staatlicher Zentralisierung als Gegengewicht zu den Regionalmachtsstrukturen. Der Sieg von Júlio Prestes im März 1930 bei den nationalen Präsidentschaftswahlen schien nur kurz die ersehnte Entspannung der revolutionären Stimmung in der Bevölkerung zu bringen. Denn eine Gruppe von Offizieren und Politikern putschten als Reaktion den amtierenden Präsidenten Washington Luís Pereira de Sousa aus dem Amt und setzten Getúlio Vargas als Interimslösung ein. Vier Jahre später wurde dieser offiziell zum Präsidenten gewählt (vgl. Straßner 2013: 208–209). Siehe ebenfalls dazu: Prutsch, Ursula: Brasilien. Eine Kulturgeschichte, Bonn 2014.

  5. 5.

    Siehe zur Rolle der Intellektuellen bei Gramsci: Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe in 10 Bänden, hg. v. Bochmann, K., Haug, W. F., Jehle, P., Hamburg 1991–1999. Ein Beitrag zur Bedeutung von Gramsci in Lateinamerika siehe: Weigand, Mirijam: Antonio Gramsci. Betrachtung seines Werkes aus Sicht seiner Rezeption in Lateinamerika, in: Arbeitspapiere zur Lateinamerikaforschung, No 3, Vol 16, 2003, online abrufbar unter: http://lateinamerika.phil-fak.uni-koeln.de/fileadmin/sites/aspla/bilder/arbeitspapiere/weigand.pdf.

  6. 6.

    Siehe dazu: Azevedo, Fernando de: A cultura brasileira, Rio de Janeiro ³1958.

  7. 7.

    Siehe vertieft dazu das Kapitel über die Segregationspolitik in den USA The US Path: The Binary Racial Project in: Daniel, Reginald G.: Race and the Multiraciality in Brazil and the United States, Pennsylvania 2006, S. 85–119.

  8. 8.

    Um nur einige Namen aus der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts zu nennen: Richard Burton, Kidder und Fletcher, Spix und Martius, Burmeister und einige weitere. Für einen Überblick siehe: Lisboa, Karen: Olhares estrangeiros sobre o Brasil do século XIX, in: Carlos Guilherme Mota (Hrsg.): Viagem incompleta, São Paulo 2000, S. 265–299.

  9. 9.

    Als leuchtendende Beispiele für die Literatur der späten 1920er und frühen 1930er Jahre gelten Macunaíma von Mário de Andrade und O País do Carnaval von Jorge Amado. Siehe dazu: Andrade, Mario de: Macunaíma. O herói sem nemhum caráter, Brasilia 2017; Amado, Jorge: O Pais do Carnaval, Lisboa 1934.

  10. 10.

    Um die Jahrhundertwende war die brasilianische Zuwanderungspolitik von der Vorstellung der damaligen Eugeniker bestimmt. Diese nahmen an, dass die Spannungen zwischen den verschiedenen Rassen dadurch zu lösen seien, indem man gezielt die Einwanderung von weißen Europäern anrege. Es sollte versucht werden, die brasilianische Bevölkerung ‚weiß werden‘ zu lassen – branquear. Diese neo-Lamarck‘sche Denkweise des ‚Whitenings‘ hatte zum Ziel, dass der Anteil der Menschen mit dunkler Hautfarbe in der Bevölkerung langsam zurückgehe. Tatsächlich konnte eine Welle der Einwanderung aus europäischen Ländern verzeichnet werden, die in den 1880er Jahren begann und in den 1890er Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Obwohl der wissenschaftliche Rassismus mit der Jahrhundertwende immer mehr in Misskredit geriet, hielten die brasilianischen Eliten an der Ideologie des branqueamento racial fest. Gerade die Loslösung von der Vorstellung von Superiorität und Inferiorität der Rassen öffnete der Thematik des branqueamento alle Türen, da sich diese Ideologie mehr als Prozess denn als starre Abgrenzung verstand. Ziel dieses Prozesses war es jedoch trotzdem, die als minderwertig empfundene dunkelhäutige Rasse auszumerzen. Mit dem Ende der Massenimmigration der Europäer in den 1920er Jahren machten sich jedoch erneut Bedenken breit, dass die immer noch erkennbare Rassenmischung in Brasilien weiterhin Spannungen erzeugen würde (vgl. Daniel 2006: 41/ Skidmore 1993: 207).

  11. 11.

    An dieser Stelle sind die Schriftsteller Sílvio Romero und Raimundo Nina Rodrigues zu nennen, die später noch genauer betrachtet werden.

  12. 12.

    Edgar Roquette-Pinto lebte zwischen 1884 und 1954 und wurde vor allem als Direktor des Nationalmuseums in Rio de Janeiro bekannt. Der anti-deterministische Ansatz Roquette-Pintos ist auch durch die Anthropologie Franz Boas beeinflusst (vgl. Telles 2004: 32).

  13. 13.

    Der Gerichtsmediziner aus Bahia beschäftigte sich als einer der ersten Autoren systemisch mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Rassenmischung. Seine Methoden entsprachen den zu dieser Zeit dominierenden europäischen Rassentheorien. Er war auch von der italienischen Schule der Kriminalanthropologie beeinflusst und vertrat die Meinung, dass jede rassische Gruppe ihr eigenes moralisches System habe und geht sogar so weit, eigene Strafgesetzbücher für die jeweiligen Gruppen einzuführen (vgl. Costa 2001: 15/Fry 2000: 87). Siehe auch weiterführend folgendes Werk, erstmals erschienen 1932: Nina Rodrigues, Raymundo: Os Africanos no Brasil, Rio de Janeiro 2010.

  14. 14.

    Wie im weiteren Verlauf noch deutlicher werden wird, stellt sich Gilberto Freyre gegen diese These der Degeneration durch Rassenmischung, indem er die mestiçagem als etwas Positives hervorhebt. Er nimmt auch direkt Bezug auf Nina Rodrigues: Do mesmo modo, parece-nos absurdo julgar a moral do negro no Brasil pela sua influência deletéria como escravo. Foi o erro grave que comenteu Nina Rodrigues ao estudar a influência do africano no Brasil. (Freyre 2006: 397)

  15. 15.

    Siehe zur Literatur von Sílvio Vasconcelos da Silveira Ramos Romero beispielsweise: Romero, Sílvio: Etnologia selvagem; estudo sobre a memória “Região e raças selvagens do Brasil”, Recife 1875.

  16. 16.

    Siehe vertieft zur Theorie des branqueamento: Hofbauer, Andreas: O conceito da raça e o ideário do branqueamento no século XIX – bases ideológicas do racism brasileiro, in: Teoria e Pesquisa, 2003, No 42, S. 63–110.

  17. 17.

    Siehe dazu folgende Werke: Oliveira Vianna, Francisco José de: Evolução do Povo Brasileiro, São Paulo ³1938/Ders.: Raça e Assimilação, São Paulo ²1934.

  18. 18.

    Siehe zu dieser Thematik im Detail: Costa 2003.

  19. 19.

    Nicht zufällig wurde die USP in den 1930er Jahren als ein institutioneller Raum, um im akademischen Universum eigene Techniken und Regeln zu entwickeln, gegründet.

  20. 20.

    Schwarcz verweist auf die religiösen Missionare, die bereits während der Kolonialzeit feststellten, dass sich in Brasilien die rassisch gemischte Gesellschaft so entwickelt hat, dass sich der Katholizismus nicht in seiner vorgesehenen Form entwickeln konnte (vgl. Schwarcz 2000a: 34).

  21. 21.

    Siehe dazu beispielhaft folgende Autoren und Werke: Edschmid, Kasimir: Glanz und Elend Südamerikas. Roman eines Erdteils, Hamburg 1950/Hoffmann-Harnisch, Wolfgang: Brasilien. Bildnis eines tropischen Großreiches, Hamburg 1938/Brandt, Bernhard: Kulturgeographie von Brasilien, Stuttgart 1922/Zweig, Stefan: Kleine Reise nach Brasilien, in: Ders.: Begegnungen mit Menschen, Büchern, Städten, Wien 1937, S. 287–322.

  22. 22.

    Vasconcelos, José: La raza cósmica: mision de la raza iberoamericana, Argentina y Brasil, Mexico 1982.

  23. 23.

    Später wird gezeigt, wie dies in Verbindung steht zu Canclini, Néstor García: Culturas híbridas. Estrategias para entrar y salir de la modernidad, México 1989.

  24. 24.

    Siehe: Gamio, Manuel: Forjando patria: pro nacionalismo, Mexico 1916.

  25. 25.

    Ortiz, Fernando: Los negros esclavos, La Habana 1916.

  26. 26.

    Ortiz, Fernando: Los cabildos afrocubanos, La Habana 1921.

  27. 27.

    Dieser Bezug zu Ortiz wird vor allem in einem Werk deutlich: Freyre, Gilberto: Problemas brasileiros de antropologia, Rio de Janeiro 1943.

  28. 28.

    Der Begriff der Transkulturation – transculturación – wird erst mit dem Werk von Fernando Ortiz aus dem Jahr 1940 geprägt und steigt damit zu einer eigenständigen Kategorie auf: Ortiz, Fernando: Contrapuento Cubano del Tabaco y el Azucar, La Habana 1973.

  29. 29.

    Die cultural anthropology, die sich mit Franz Boas in den USA entwickelte, ist durch ihren Kulturrelativismus gekennzeichnet, der das Kulturspezifische in den Fokus stellt. Im Unterschied zur Kulturanthropologie, wie sie im deutschen Kontext verstanden wird, verhält sie sich konträr, da die europäische Forschung zwar auch auf das Kulturspezifische blickt, jedoch mit der Zielsetzung dadurch auf das Allgemeinmenschliche schließt. Siehe dazu: Haller, Dieter: Die Suche nach dem Fremden. Geschichte der Ethnologie in der Bundesrepublik 1945–1990, Frankfurt 2012, S. 231; Mühlmann, Wilhelm Emil (Hrsg.): Kulturanthropologie, Köln 1966, S. 17.

  30. 30.

    Dass dieser Perspektivwechsel Freyres als Neuigkeit aufgefasst wurde, hatte auch viel mit seiner Person zu tun. Aber beispielsweise hinterfragt auch Monteiro Lobato in einer Autokritik seiner früheren Werke die Darstellung der brasilianischen caboclos. Sie sollten nicht mehr für eine rassische Pathologie stehen. Auch die Figur des Zé Brasil, die Lobato in den 1940ern literarisch erschuf, steht für ein Umdenken in Bezug auf die sozialen Ungleichheiten im ländlichen Brasilien. Siehe dazu: Alves Filho, Aluízio: As Metamorfoses de Jeca Tatu (a questão da identidade do brasileiro em Monteiro Lobato, Rio de Janeiro 2003.

  31. 31.

    Mit dem luso-tropicalismo sind die vielschichtigen Beziehungen zwischen Portugal und den Tropen gemeint. Geprägt wurde der Begriff durch Gilberto Freyre und seiner Theorie dazu. Peter Burke und Maria Lúcia Pallares-Burke bezeichnen den luso-tropicalismo als „Quasi-Theorie“: [P]erhaps the closest thing to a theory that Freyre ever enunciated (Burke 2008: 188–189). Auch Adriano Moreira und José Carlos Venâncio betrachteten den luso-tropicalismo als ein Sozialtheorie, siehe:

    Moreira, Adriano/Venâncio, José Carlos: Luso-tropicalismo: uma teoria social em questão, Lisboa 2000. Weiterführend siehe auch: Almeida, Miguel Vale de: Um mar cor da terra. “Raça”, cultura e política de identidade, Oeira 2000.

    Zur Literatur zu Freyres Entfaltung seiner Theorie des luso-tropicalismo siehe: Freyre, Gilberto: O mundo que o português criou, Rio de Janeiro 1940/Ders.: Interpretação do Brasil: aspectos da formação social brasileira como processo de amalgamento de raças e culturas, Rio de Janeiro 1947/Ders.: Um brasileiro em terras portuguesas, Rio de Janeiro 1953/ Ders.: Integração portuguesa nos trópicos, Lisboa 1958.

  32. 32.

    Kolonialgeschichtlich wird der mestiço auch mit der Rolle des Harlekins in Verbindung gebracht. Er steht für eine Nicht-Idenität, das Undefinierte und den Zwischenraum: [O] mestiço, à maneira de um arlequim, nço se define de um ponto de vista racial (no sentido de uma não-identidade: nem branco, nem negro) nem étnico (por alusão às “diferenças culturais”), mas pela multiplicidade das socializações e dos saberes sociais aprendidos em zona ètnica e culturalmente intermediárias, indefinidas, entre-lugares. (Agier 2006: 176)

  33. 33.

    In diesem Zusammenhang kritisiert Freyre aber auch die angebliche rassische Reinheit, mit der die Portugiesen in der Logik der Rassentheorien in Verbindung gebracht werden. Die Unterscheidung zum brasilianischen mestiço sei seiner Ansicht nach kaum möglich, da dieser von Beginn an ein Produkt aus der gewaltsamen Verbindung aus Kolonisatoren und indigenen Frauen sei und sich die Vermischung nur weiter fortsetzte: [O] mestiço [é] formado desde o primeiro momento pela união do adventício sem escrúpulos nem consciência de raça com mulheres da vigorosa gente da terra. (Freyre 2006: 73)

  34. 34.

    An dieser Stelle gilt es zu betonen, dass der Begriff der democracia racial für die Autoren der hier betrachteten Periode der 1930er Jahre keine Bedeutung hatte. Erst in den 1940er Jahren begann der Begriff unter Soziologen und Intellektuellen Einfluss zu gewinnen. Beginnend mit Roger Bastides Interpretation von Gilberto Freyre und der Anwendung auf die brasilianische Demokratie wurde der Begriff eingeführt. Freyre hat selbst von einer ethnischen und sozialen Demokratie im Falle Brasiliens gesprochen. Erst 1962 verwendete er selbst den Ausdruck. Für weitere Details siehe: Guimarães, Antonio Sérgio Alfredo: Classes, raças e democracia, São Paulo 342000, S. 137.

  35. 35.

    Die Frente Negra Brasileira (FNB) war die erste und bedeutendste afro-brasilianische Organisation nach der Abschaffung der Sklaverei. Gegründet 1931, machte es sich die Bewegung zum Ziel, die afro-brasilianische Bevölkerung politisch zu mobilisieren und für deren Rechte zu kämpfen. Das Entstehen der Organisation fällt in eine Zeit der sozialen und ökonomischen Unsicherheit für diesen Teil der Bevölkerung. Nicht nur der Umbau der Gesellschaft von einer Sklavenwirtschaft hin zu einem kapitalistischen System, sondern auch die großen Immigrationswellen aus Europa setzten die Afro-Brasilianer unter Druck, ihre Existenz zu sichern. Ab 1933 gab die Organisation ihre eigene offizielle Zeitschrift heraus: A Voz da Raça. Als Reaktion auf die Ideologie des branqueamento und später auf die Idee der mestiçagem fokussierte sich das Blatt auf ein Kernanliegen: [A] black-based Brazilian nationalism, a type of mulatismo, but with the emphasis on the concept of the blackening of whiteness, rather than the ideal of mulatismo as a path to whiteness. (Brookshaw 1986: 207).

  36. 36.

    Kabengele Munanga stellt fest, dass sich diese Mestizenidentität – identidade mestiça – im Gegensatz zu einer ethnisch schwarzen Identität – identidade étnico-racial negra – versteht. Schwarzenbewegungen versuchten ihre eigene Identität auszubilden, die sie auch als politische Identität anerkannt wissen wollten. Dies sollte durch Vereinheitlichung, durch ein gemeinsames Bewusstsein der Schwarzen, erreicht werden. Damit wollte man sich gegen die ebenfalls als vereinheitlichend empfundene Mestizenidentität stellen, die als schmerzlich dominierend empfunden wurde. Die Idee der mestiçagem nahm man als die Rechtfertigung für das Erhalten des Status quo wahr. Die identidade negra sollte hingegen für Transformation stehen (vgl. Munanga 2003). Die fundamentale Frage, die Munanga mit der Idee der mestiçagem noch nicht beantwortet sieht, lautet: „[C]omo podemos combinar a igualidade com a diversidade cultural baseadas na liberdade do Sujeito.“ (Munanga 2006: 39).

  37. 37.

    Die Stellung des Nordostens wird nochmals in zwei Werken besonders deutlich: Freyre, Gilberto: Livro do Nordeste, Recife 1925/ Ders.: Manifesto Regionalista, Recife 1926.

  38. 38.

    Robert Young betrachtet Gilberto Freyre detailliert aus einer post- und antikolonialen Perspektive und beleuchtet dabei auch seine Idee von Hybridität. Siehe dazu mehr in Youngs Aufsatz: Young, Robert: O Atlântico lusotropical. Gilberto Freyre e a tranformação do hibridismo, in: Joshua Lund/Malcom McNee (Hrsg.): Gilberto Freyre e os estudos latino-americanos, Pittsburgh 2006, S. 99–122.

  39. 39.

    Die Strömung war vor allem in der Literatur- und Kunstszene erkennbar. Vereint durch den Geist des Kampfes verbanden sich Künstler aus den Bereichen der Musik, Plastik und Literatur. Der Begriff des Futurismus war auch vor 1920 in Brasilien bekannt, avancierte aber erst in Verbindung mit der neu entstehenden Künstlergeneration im nationalen Kontext zum Schimpfwort: Die Politik sah die Futuristen und Modernisten als Gegner eines brasilianischen Einheitsdenkens an. Ab 1921 verstand sich die Bewegung selbst als explizit national und wollte auch als solche verstanden werden. Mit der Semana de Arte Moderna 1922 erhob die Geração do Cenetário den Modernismus zu einer zweiten Unabhängigkeit Brasiliens, die neue, eigenständige künstlerische Formen in den Blick nimmt und das genuin Brasilianische hervorbringen sollte. Die zentrale Formation der Grupo do Cinco, um Mário de Andrade, Menotti del Picchia, Anita Malfatti und Tariswald (das Künstlerehepaar Oswald de Andrade und Tarsila do Amaral), schaffte es mit dem zwar oftmals mehr angepriesenen als umgesetzten Modernismus, die künstlerische Landkarte Brasiliens massiv zu verändern und São Paulo in die erste Liga zu katapultieren. Die Semana de Arte Moderna findet bis heute großen Widerhall und unterliegt teilweise einem glorifizierenden Mythos. Für die nationale Entwicklung der brasilianischen Kunstszene und ihr Selbstverständnis müssen die Bewegungen der 1920er Jahre als richtungsweisend gelten. Siehe weiterführend: Miceli, Sérgio: Nacional estrangeiro. História social e cultural do modernismo artístico em São Paulo, São Paulo 2003.

  40. 40.

    Siehe dazu sein Werk: Moreira Leite, Dante: O caráter nacional brasileiro, São Paulo 82017.

  41. 41.

    Siehe dazu: Candido, Antonio: Formação da literatura brasileira, Belo Horizonte 92000.

  42. 42.

    Das Seminário de Tropicologia in Recife wurde offiziell 1966 ins Leben gerufen und beschäftigte sich hauptsächlich mit Brasilien und dem lateinamerikanischen Kontext. Die Tropenstudien sollten aus einem interdisziplinären Blickwinkel betrieben werden. 1980 wurde die Einrichtung in die Fundação Joaquim Nabuco umgewandelt. Informationen zur aktuellen Arbeit der Stiftung: https://www.fundaj.gov.br/ [15.01.2019].

  43. 43.

    Die Theorien zu Rassenmischung waren vor Freyre weitestgehend von der Idee der genetischen Verbesserung getragen. Dabei sind die nicht-europäischen Rassen gemeint. In dem bereits vorgestellten Werk La raza cósmica des mexikanischen Autors Vasconcelos geht es beispielsweise darum, sich genetisch von den indigenen und afrikanischen Einflüssen zu lösen. Freyre war in diesem Umfeld die einflussreichste Stimme, die einen anderen Weg eröffnete und zum Beispiel Afrika als eine Wiege der brasilianischen Kultur und Zivilisation anpries (vgl. Lund 2006: 30).

  44. 44.

    Siehe: Barthes, Roland: Maitres et Esclaves, in: Les Lettres Nouvelles, No 1, 1953, S. 107–108.

  45. 45.

    Siehe: Braudel, Fernand: Introduction to Gilberto Freyre. Padroni e Schiavi: La Fomazione della Famiglia Brasiliana in Regime di Economia Patriarcale, Torino 1965.

  46. 46.

    Zum Überblick über die europäische Immigration nach Brasilien siehe die Aufsätze von Elda Evangelina González Martínez, Giralda Seyferth, Zuleika Maria Forcione Alvim, die sich mit der spanischen, deutschen und italienischen Immigration detailliert auseinandersetzen. Die Beiträge sind zu finden in: Fausto, Boris (Hrsg.): Fazer a América Latina. A Imigração em Massa para a América Latina, São Paulo 2000.

  47. 47.

    Zur japanischen Immigration in Brasilien siehe den Überblick: Daigo, Masao: Pequena história da imigração japonesa no Brasil, São Paulo 2008.

  48. 48.

    Fernandes kann als wissenschaftlicher Gegenpol zu Gilberto Freyre gesehen werden. Er etablierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Ikone der professionalisierten Sozialwissenschaften in Brasilien. Mit seinem bedeutendsten Werk dieser Periode, A Integração do Negro na Sociedade de Classes (1965), diskreditierte er Gilberto Freyres politisches und akademisches Renommee. In seiner Vorgehensweise grenzte er sich bewusst von Freyre ab, indem er als Material für seine Gesellschaftsanalyse quantitative Studien wie den Zensus benutzte und nicht wie Freyre mit historischen Schlussfolgerungen arbeitete, die keinerlei empirische Datenbasis vorzuweisen haben. Ein weiterer methodologischer Unterschied zwischen Freyre und Fernandes besteht in ihrer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung. Freyre konzentriert sich bei seiner Analyse der brasilianischen Gesellschaft auf die horizontale Ebene, also die sozialen Beziehungen der einzelnen Individuen miteinander. Fernandes rückt hingegen das Verhältnis der Rassen und die damit verbundene Ungleichheit, die vertikale Ebene, in den Vordergrund. Er distanzierte sich persönlich auch aufgrund der vorgestellten regionalen Kurzsichtigkeit von Freyre, da er quasi Sinnbild für die süd-brasilianische Forschungstradition ist. Siehe für weitere Details: Telles 2004.

  49. 49.

    Siehe: Canclini 1989.

  50. 50.

    Correia Leite, José: Preconceito, casa grande, e senzala, in: Alvorada, März 1947, S. 1, zitiert nach Andrews, George Reid: Democracia Racial brasileira 1900–1990: um contraponto americano, in: Estudos Avançados Vol. 11/No. 30, S. 93–115, S. 100.

  51. 51.

    Lisboa nimmt in ihrem Werk Mundo Novo, Mesmo Mundo aus dem Jahr 2011 systematisch Bezug zu dieser Frage auf, wie die Selbst- und Fremdwahrnehmung das nationale Verständnis prägen würden. Besonders ist hierzu das Kapitel drei Caráter Nacional, Cultura e „Brasilidade“ zu beachten: Lisboa, Karen M.: Mundo Novo Mesmo Mundo. Viajantes de língua alemã no Brasil (1893–1942), São Paulo 2011, S. 136–173.

  52. 52.

    Mit Rückbezug auf Abdidas do Nascimento und Florestan Fernandes fordert auch Munanga, Brasilien als pluri-rassische und pluri-ethnische Gesellschaft einzuordnen. Dem durch die mestiçagem errichteten Unikulturalismus hält er die Idee des Plurikulturalismus entgegen. Siehe zu dieser These: Munanga 1999.

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Krüger, S. (2020). Brasiliens Weg von der Rasse zur Kultur: Ein Kulturverständnis. In: Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität . Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30850-6_2

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