Zusammenfassung
Spielen scheint ohne einen moralisierenden Beiklang der Missachtung oder der Achtung keine Beachtung zu finden. Schlecht oder gut, schädlich oder nützlich sind fundamentale Unterscheidungen, aber wer sie mit Blick auf ludische Aktionen trifft, darf nicht damit rechnen, dass sich die Spielenden davon beeindrucken lassen. Die Fortsetzung des Werturteils findet als direkte Instrumentalisierung des Spiels statt. Solche „Spielverderber“ können Spieler und Spielerinnen selbst sein, Stichwort Spielsucht. Weitaus häufiger werden einzelne Spielmethoden (Gamification) oder bestimmte Games (serious games) in den Kontext gesellschaftlicher Funktionsfelder eingepasst und für Organisationszwecke verwendet. Ohne Zweifel sind es die Erziehung und die Wirtschaft, die sich des Spiels bevorzugt bemächtigen. Die Pädagogen nutzen aus, dass das Spiel eine natürliche Nähe zum Lernen hat, weil es mit Unerwartetem umgeht. Die Ökonomisierung des Spiels ist kein isoliertes Phänomen, sie ist ein Unterfall der Aufmerksamkeitsökonomie, von der die öffentliche Kommunikation inzwischen insgesamt weitgehend beherrscht wird. Die Interpreten der massiven Ausweitung der Spielzone sind uneins: Das Spiel erobert den Planeten und macht ihn zu einem schöneren Ort, ist eine optimistische Position. Ihr steht eine Verteidigungsposition gegenüber, die das Spiel möglichst unberührt Spiel sein lassen will: Rettet Spielen die Welt oder muss das Spiel vor der Welt gerettet werden?
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Notes
- 1.
Ist die („westliche“) Analyse, also das distanzierte Zerlegen, oder die („östliche“) Ganzheitlichkeit, das Sich-Hineinversetzen, der bessere Weg? „Wie kann man, in Anbetracht der Erkenntnis (connaissance) und ihrer Hegemonie über die europäische Kultur, ihr Anderes, das sie überdeckt und nicht gedacht hat, nennen? Ich habe mich dazu entschieden, diese andere Beziehung zur Welt […] Einvernehmen (connivence) zu nennen, von dem ich, in Gegenüberstellung zum etablierten Erkenntnisregime, die ‚Kohärenz‘ in Erinnerung rufen muss.“ (Jullien 2018, S. 180, E-Book)
- 2.
Üblich sind Bezeichnungen wie Mediatisierung oder Medialisierung.
- 3.
. „In einem offiziellen Statement des Vereins sagte Trainer Joseph Guardiola: ‚Es ist so, so schwierig für ihn. Es ist so traurig, wir werden ihn sehr vermissen. Es ist Pech, aber das ist Fußball.‘“
„‚Es sieht danach aus, dass er schwer verletzt ist‘, sagte Trainer Niko Kovac, der angesichts des späten Ausgleichstreffers und Süles Pech ‚doppelt tieftraurig‘ war.“
https://www.afp.com/de/nachrichten/3961/bayern-abwehrchef-suele-wohl-schwer-verletzt-doc-1lk2v63 (Zugriffe 23.10.2019).
- 4.
Erfolge, z. B. die eigene Spielfigur zu optimieren oder ein höheres Level zu erreichen, werden nicht selten auf dem Weg des sogenannten grindings (engl. für schleifen, mahlen) erzielt, also der repetitiven, dem Fließband ähnlichen Ausführung einfachster Tätigkeiten (vgl. McNeill 2014).
- 5.
Vgl. auch Werdenich (2010).
- 6.
„Mit seinem beispielhaften Bekenntnis zum Esport geht der FC Schalke 04 beherzten Schrittes voraus und nimmt weltweit eine führende Position ein. Als einer der ersten Fußballvereine überhaupt erkannte der S04 die einzigartigen Chancen, die der elektronische Sport bietet und begann daher im Mai 2016 damit, eine eigene Esport-Abteilung in die Strukturen des Fußballclubs einzugliedern.“ https://schalke04.de/esports/s04esports/ (Zugriff 10.10.2019).
- 7.
Vgl. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw08-pa-sport-589106; siehe auch die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages „Ist E-Sport Sport? Stand der Diskussion“ unter https://www.bundestag.de/resource/blob/515426/c2a9373a582f7908c090a658fdff1af8/wd-10-036-17-pdf-data.pdf.
- 8.
„Silicon Valley steht seit den 1950er-Jahren für innovative disruptive Innovationen, die die ‚Welt verändern‘, in der Region nahe San Francisco. Die Wall Street dient seit den 1790er-Jahren als Inbegriff des Kapitals, welches marktwirtschaftliches Unternehmertum von New York City aus finanziert. Und Hollywood, ein Stadtteil von Los Angeles, gilt seit den 1920er-Jahren als Inbegriff für bestes Entertainment und erstklassige Film- und TV-Serien-Produktionen.“ (Anderie 2018, S. 22 f.)
- 9.
Ein anderer Begriff aus der Verhaltensökonomie ist Nudging, dessen Protagonisten von einem „libertären Paternalismus“ sprechen (vgl. Thaler und Sunstein 2011).
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Arlt, F., Arlt, HJ. (2020). Übergänge I: Expansionen und Korruptionen des Spiels. In: Spielen ist unwahrscheinlich. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29107-5_6
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