Skip to main content

Wen kümmert die Verschuldung? Landesverfassungsgerichte und Haushaltsrecht

  • Chapter
  • First Online:
Verfassungsgerichtsbarkeit in Bundesländern

Zusammenfassung

Mit dem Haushaltsrecht beschäftigen sich die Landesverfassungsgerichte im Rahmen von Organstreitverfahren und Normenkontrollklagen. Die Organstreitverfahren haben eine mögliche Verletzung des parlamentarischen Budgetrechts zum Gegenstand. Sie sind ein Mittel der parlamentarischen Opposition mit dessen Hilfe sie ihre Rechte gegen die im parlamentarischen Alltag übermächtige Handlungseinheit von Parlamentsmehrheit und Regierung zu verteidigen sucht. Aufgrund der eher technischen Materien werden Organstreitverfahren – zumindest in den Ländern – weitgehend unbemerkt von der politischen Öffentlichkeit geführt und entschieden. In den Normenkontrollverfahren geht es um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kreditaufnahme. Auch hier sind die möglichen politischen Konsequenzen der Urteile begrenzt – eine verfassungswidrige Kreditaufnahme scheint viele Wählerinnen und Wähler kaum zu bekümmern – genauso wie die unmittelbaren juristischen Folgen. In der Regel werden die Urteile erst nach Abschluss des betroffenen Haushaltsjahres gefällt, die verfassungswidrigen Kredite sind dann bereits aufgenommen und das Geld bereits ausgegeben. Von einer effektiven Begrenzung der Neuverschuldung durch die Landesverfassungsgerichtsbarkeit kann daher in der Vergangenheit nicht die Rede sein. Der Beitrag schließt mit einem skeptischen Ausblick auf die juristische Kontrolle der neu eingeführten Schuldenbremse.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Notes

  1. 1.

    Das Manuskript wurde im Februar 2019 abgeschlossen; Urteile und Entscheidungen, die nach diesem Datum gefällt wurden, gingen nicht in die Analyse ein.

  2. 2.

    Das zuständige Finanzministerium konnte allerdings nicht, wie vorgesehen, überprüfen, ob die Garantieübernahme unter dem Notbewilligungsrecht zulässig ist, denn der Finanzminister wurde erst um 23 Uhr am Vorabend der Bewilligung vom Ministerpräsidenten in das geplante Geschäft eingeweiht (Müller 2011).

  3. 3.

    Der herrschenden Interpretation zufolge umfassen die Einnahmen aus Krediten nur diejenigen Kredite, die nicht für die Anschlussfinanzierung auslaufender Kredite verwendet werden und daher als Staatseinnahmen zur Verfügung stehen.

  4. 4.

    In den Bundesländern überstieg die Neuverschuldung zwischen 1991 und 2005 68 Mal die Investitionsausgaben (Kitterer und Groneck 2006, S. 561).

  5. 5.

    Beispielsweise zog die schleswig-holsteinische CDU-Landtagsfraktion einen Normenkontrollantrag gegen das Landeshaushaltsgesetz 2003 unmittelbar nach dem Regierungswechsel im Mai 2005 zurück (Neidhardt 2010, S. 141).

  6. 6.

    Vgl. zur Diskussion und den einschlägigen Entscheidungen, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auch auf Ebene eines einzelnen Bundeslandes vorliegen kann: Neidhardt (2010, S. 110 ff.).

  7. 7.

    Das Gericht akzeptierte auch nicht die von der Regierung dargelegte ernsthafte Störung des gesamtwirtschaftlichen Teilziels hoher Beschäftigungsstand. Der zur Begründung angeführte Maßstab der Vollbeschäftigung sei angesichts einer langjährigen hohen Arbeitslosigkeit ungeeignet. Zudem sei die Zahl der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen auf den niedrigsten Stand seit 1992 gesunken (VerfGHNRW, Urt. vom 12.3.2013, Az. 7/11, 48).

  8. 8.

    Die CDU-Fraktion vermutete deshalb, dass dem Haushaltsgesetzgeber weniger an einer Bekämpfung einer vermeintlichen konjunkturellen Störung gelegen sei als an einer Abmilderung der bundesstaatlichen Vorwirkungen der Schuldenbremse in kommenden Haushaltsjahren – gemäß Art. 143d GG müssen die Länderhaushalte so aufgestellt werden, dass die Schuldenbremse im Jahr 2020 eingehalten werden kann. Die Landesregierung bewies daraufhin, dass man den gleichen Sachverhalt auch wesentlich freundlicher ausdrücken kann: Die Vorsorgemaßnahmen des Nachtragshaushalts 2010 führten ihr zufolge keinesfalls zu einer Umgehung der Vorgaben der Schuldenbremse. Vielmehr entlasteten sie die künftigen Haushaltsgesetzgeber und trügen deshalb maßgeblich dazu bei, das Ziel kreditfreier Haushalte zu erreichen (VerfGHNRW, Urt. vom 15.3.2011, Az. 20/10, 18 f.).

  9. 9.

    Auf Basis dieser Entscheidung erhielten Bremen und das Saarland von 1994 bis 2004 insgesamt 15,2 Mrd. EUR Bundesergänzungszuweisungen zur Haushaltssanierung (Hildebrandt 2009, S. 42).

  10. 10.

    Diese Modifizierung des Kreditbegrenzungsgebots entwickelte das Gericht als obiter dictum, als eine Rechtsansicht, die nicht der Urteilsbegründung dient. Das Gericht entschied, dass das Berliner Haushaltsgesetz 2002/2003 verfassungswidrig sei, weil der Gesetzgeber nicht hinreichend dargelegt habe, inwiefern die erhöhte Kreditaufnahme dazu geeignet gewesen sei, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Darüber hinaus führte es an: „Soweit die Nichteinhaltung des Kreditbegrenzungsgebots für die Haushaltsjahre 2002 und 2003 auf eine bereits eingetretene extreme Haushaltsnotlage zurückzuführen sein könnte, hat der Haushaltsgesetzgeber die ihn diesbezüglich treffende Darlegungslast jedoch nicht erfüllt.“ (BerlVerfGH, Urt. vom 31.10.2003, Az. 125/02, Rn. 87)

  11. 11.

    „Die innerhalb eines Schuldverhältnisses zu erbringende Leistung ist unmöglich, wenn sie vom Schuldner endgültig nicht erbracht werden kann […]. Bei der Unmöglichkeit einer Leistung ist zwischen objektiver U. (die L. ist niemandem möglich, z. B. die Sache ist untergegangen) und subjektiver U. (auch Unvermögen genannt, die L. ist nur dem Schuldner unmöglich, z. B. die Sache gehört einem Dritten) […] zu unterscheiden“ (Creifelds 1997, S. 1306).

  12. 12.

    Die Berücksichtigung der konjunkturellen Lage sowie die Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen ist eine Kann-Bestimmung. Verzichten die Länder auf eine landesrechtliche Regelung, gilt für sie ab 2020 ein striktes Verbot der Neuverschuldung. Bis dato haben alle Länder bis auf Berlin, Brandenburg und das Saarland die Schuldenbremse in Landesrecht überführt.

  13. 13.

    Die Produktionslücke ist definiert als die Unter- oder Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten, die Budgetsensitivität als Wirkung der Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität auf die Staatseinnahmen (Hildebrandt 2016, S. 117).

Literatur

  • Burghart, A. (1998). Das verfassungswidrige aber nicht nichtige Gesetz. Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, 17(12), 1262–1265.

    Google Scholar 

  • Cancik, P. (2005). Entwicklungen des Parlamentsrechts. Die Bedeutung des verfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens. Die öffentliche Verwaltung, 58(14), 577–587.

    Google Scholar 

  • Creifelds, C. (Begr.). (1997). Rechtswörterbuch (14. Aufl.). München: Beck.

    Google Scholar 

  • Flick, M. (2011). Organstreitverfahren vor den Landesverfassungsgerichten. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung. Bern: Lang.

    Book  Google Scholar 

  • Gabriel, O. W., & Kornelius, B. (2011). Die baden-württembergische Landtagswahl vom 27. März 2011: Zäsur und Zeitenwende? Zeitschrift für Parlamentsfragen, 42(4), 784–804.

    Article  Google Scholar 

  • Hennecke, H.-G. (1997). Not kennt kein Gebot und macht erfinderisch: Gesetzgeberische Gestaltungsspielräume und Darlegungslasten bei der Nettokreditaufnahme. Niedersächsische Verwaltungsblätter, 4(10), 217–225.

    Google Scholar 

  • Hetschko, C. (2012). Die Konjunkturbereinigung in den Ländern im Rahmen der Schuldenbremse. In C. Hetschko, J. Pinkl, & H. Pünder (Hrsg.), Staatsverschuldung in Deutschland nach der Föderalismusreform II. Eine Zwischenbilanz (S. 61–73). Hamburg: Bucerius Law School Press.

    Google Scholar 

  • Hildebrandt, A. (2009). Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer. Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen. Wiesbaden: VS Verlag.

    Google Scholar 

  • Hildebrandt, A. (2016). Die Finanzpolitik der Länder nach den Föderalismusreformen: Begrenzte Spielräume, fortdauernde Unterschiede. In A. Hildebrandt & F. Wolf (Hrsg.), Die Politik der Bundesländer (S. 115–137). Wiesbaden: Springer VS.

    Chapter  Google Scholar 

  • Höfling, W. (2004). Die sog. extreme Haushaltsnotlage. Anmerkungen zu einem ungeschriebenen Begriff des Finanzverfassungsrechts. In S. Brink & H. A. Wolff (Hrsg.), Gemeinwohl und Verantwortung: Festschrift für Hans Herbert von Arnim zum 65. Geburtstag (S. 259–270). Berlin: Duncker & Humblot.

    Google Scholar 

  • Kitterer, W., & Groneck, M. (2006). Dauerhafte Verschuldungsregeln für die Bundesländer. Wirtschaftsdienst, 86(9), 559–563.

    Google Scholar 

  • Korioth, S. (2010). Die neuen Schuldenbegrenzungsregeln für Bund und Länder – Symbolische Verfassungsänderung oder gelungene Schuldenbremse? Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 11(3), 270–287.

    Article  Google Scholar 

  • Milbradt, G. (6. März 2007). Notfalls muss man die Autonomie eines Landes begrenzen. Süddeutsche Zeitung, S. 6.

    Google Scholar 

  • Müller, A. (20. März 2011). Es droht ein böses Erwachen. Stuttgarter Zeitung. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.enbw-deal-es-droht-ein-boeses-erwachen.e186d0fa-34f4-4d57-8fb7-56b3dca4b06e.html. Zugegriffen: 17. Dez. 2018.

  • Neidhardt, H. (2010). Staatsverschuldung und Verfassung: Geltungsanspruch, Kontrolle und Reform staatlicher Verschuldungsgrenzen. Tübingen: Mohr Siebeck.

    Google Scholar 

  • Obrecht, M. (2017). Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg. In W. Reutter (Hrsg.), Landesverfassungsgerichte. Entwicklung-Aufbau-Funktionen (S. 27–51). Wiesbaden: Springer VS.

    Chapter  Google Scholar 

  • o. V. (11. Oktober 2011). Landtagspräsident Stächele tritt zurück. Der Spiegel. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/baden-wuerttemberg-landtagspraesident-staechele-tritt-zurueck-a-791171.html. Zugegriffen: 21. Jan. 2019.

  • Reutter, W. (2017). Landesverfassungsgerichte in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bestandsaufnahme. In W. Reutter (Hrsg.), Landesverfassungsgerichte. Entwicklung-Aufbau-Funktionen (S. 1–26). Wiesbaden: Springer VS.

    Chapter  Google Scholar 

  • Sacksofsky, U. (2010). Die Justitiabilität der Schuldenregel. In C. Kastrop, G. Meister-Scheufelen, & M. Sudhof (Hrsg.), Die neuen Schuldenregeln im Grundgesetz. Zur Fortentwicklung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen (S. 393–415). Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

    Google Scholar 

  • Schemmel, L. (2006). Staatsverschuldung und öffentliche Investitionen: Im ersten Schritt Schlupflöcher beseitigen – Auf mittlere Sicht Kreditfinanzierung verbieten. Berlin: Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler.

    Google Scholar 

  • Soldt, R. (25. Juli 2012). Eberhard Stilz. Verfassungsgärtner. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 172, S. 8. http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/rechtspersonen/eberhard-stilz-verfassungsgaertner-11831933.html. Zugegriffen: 17. Dez. 2018.

  • Sturm, R., & Müller, M. M. (1999). Public deficits. A comparative study of their economic and political consequences in Britain, Canada, Germany, and the United States. London: Addison Wesley Longman.

    Google Scholar 

  • Thierse, S., & Hohl, K. (2017). Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen. In W. Reutter (Hrsg.), Landesverfassungsgerichte. Entwicklung-Aufbau-Funktionen (S. 243–267). Wiesbaden: Springer VS.

    Chapter  Google Scholar 

  • Truger, A., & Will, H. (2012). Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der Detailanalyse. In C. Hetschko, J. Pinkl, & H. Pünder (Hrsg.), Staatsverschuldung in Deutschland nach der Föderalismusreform II – Eine Zwischenbilanz (S. 75–100). Hamburg: Bucerius Law School Press.

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Achim Hildebrandt .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2020 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Hildebrandt, A. (2020). Wen kümmert die Verschuldung? Landesverfassungsgerichte und Haushaltsrecht. In: Reutter, W. (eds) Verfassungsgerichtsbarkeit in Bundesländern. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28961-4_13

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-28961-4_13

  • Published:

  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-28960-7

  • Online ISBN: 978-3-658-28961-4

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics