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Konstruktionsprozesse

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Theorie der Gruppenidentitäts-Fabrikation
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Zusammenfassung

In Kap. 2 sind die begrifflichen Grundlagen für die Behandlung von Kommunikation und Beobachtung wie auch Gruppenkommunikation geschaffen worden. Kap. 3 befasste sich mit den Begriffen von Gruppe und Identität. Die Unterschiede von kollektiven Identitäten, Gruppenidentitäten und Individualidentitäten wurden diskutiert, wobei bei Gruppenidentitäten und Individualidentitäten eine Trennung zwischen praktischen und vergegenständlichten Identitäten vorgenommen wurde.

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Notes

  1. 1.

    Wenn A B beobachtet, ist dies eine einseitige oder unidirektionale Beobachtung. Wenn A B und B A beobachtet, sprechen wir von wechselseitiger oder reziproker Beobachtung. Wird Bs Beobachtung von A zum Gegenstand der Beobachtung As, handelt es sich hingegen um eine Beobachtung zweiter Ordnung, etc.

  2. 2.

    Hier bleibt zunächst ausgeklammert, dass dies durch präkommunikative Prozesse auf der Ebene von Einzelnen fundiert wird.

  3. 3.

    Bei mit Entscheidungen betrauten Subgruppen bzw. Gremien anstelle von personalen Vertretern vollziehen sich präkommunikative Prozesse freilich weiterhin im Modus der Kommunikation.

  4. 4.

    Wie ausgeführt handelt es sich bei Ganzheiten nicht um ontische Entitäten, sondern um die Resultate eines Zuschreibungsprozesses.

  5. 5.

    Die Fälle, bei denen Kommunikation zwischen den beiden Gruppen als Beobachtungsinstanz oder Objekt der Beobachtung in Erscheinung tritt, sind zu Zwecken der Übersichtlichkeit ausgeklammert worden.

  6. 6.

    Von einer institutionellen Prägung präkommunikativer Prozesse zeugt auch Loenhoffs (2001, S. 208) Begriff der „präkommunikativen Regeln der Aufmerksamkeitssteuerung“.

  7. 7.

    Einschränkend muss festgestellt werden, dass etwa die Selbstdarstellung von Organisationen nicht unbedingt negativ auffällt, da man in modernen Gesellschaften erwarten kann, dass beispielsweise Unternehmen aktiv Imagepflege betreiben, um sich von Mitbewerbern abzugrenzen, ihre Produkte und Dienstleistungen bekannt zumachen und so die Unternehmensziele zu befördern. Andererseits lassen sich auch Nischen der unauffälligen Selbstdarstellung ausschöpfen, was umso leichter gelingen wird, je geringer der Institutionalisierungsgrad der Mediennutzung ist. Sobald erst wechselseitig reziprok einsichtig ist, dass sich durch vermeintliche Fehler und durch die Kommunikation der Mitteilung durch den Hintergrund, nicht den Vordergrund von Narrationen Äquivalente einer nicht-attestierten Mitteilungsabsicht inszenieren lassen, kommen auch diese Methoden der Authentifizierung von Selbstdarstellungen an ihre Grenzen. Allerdings heißt dies nicht gleich, dass dadurch ein Generalverdacht manipulierender Selbstdarstellung in virtuellen Kommunikationsräumen etabliert würde. Virtuelle Räume fungieren durchaus als Werkzeuge der Identitätskonstruktion, wie sich an diversen Beispielen verdeutlichen lässt. Bereits Anfang der 2000er Jahre kreierte das MIT digitale Identitätskonstruktionsumwelten, die einerseits Kindern und Jugendlichen dabei behilflich sein sollten, eine Identität zu entwickeln und zu festigen, und andererseits Forschungsinstrumente in Hinsicht auf ihre Nutzung im Benutzernetzwerk darstellten (Bers 2001; Bers et al. 2001).

  8. 8.

    Beispiele hierfür sind die Euskal Herria Bildu (2016), die sich als sozialistische Partei „euskaldunización“ ins Wahlprogramm schreibt, und die dem katalonischen Nationalismus verschriebene, sich aber sonst links positionierende Esquerra Republicana de Catalunya in Katalonien.

  9. 9.

    Zwar würden Tajfel und Turner dieser Auslegung ihrer Theorie nicht unbedingt zustimmen und deren Reichweite auf den ‚hiesigen Kulturkreis‘ begrenzen. Doch auch die Rede vom hiesigen Kulturkreis entspricht einerseits einer fiktionalen Extension der Gruppe und ist andererseits blind für die Komplexität von Alltagssituationen im Vergleich zu standardisierten Laborkontexten.

  10. 10.

    Die Anschlussfähigkeit an externe Prozesse führt dazu, dass ‚Gesellschaft‘ gewissermaßen als Konditionierung fungiert, was an der Prozessgeschichte ersichtlich ist.

  11. 11.

    Dies bezieht sich nur auf die Fälle, in denen die Gruppenidentität nicht als Kopiervorlage akzidentell eine kollektive Identität mitfrabriziert, was wie ausgeführt in diesem Abschnitt ausgeklammert wurde, da die Konstruktion von Gruppenidentitäten im nächsten Abschnitt behandelt wird.

  12. 12.

    „Ein Land, ein Volk, eine Sprache.“

  13. 13.

    Wie McDonough (1999) zeigt, beeinflussen die Entscheidungen von Designern die Möglichkeiten der Identitätskonstruktion in virtuellen Umgebungen. Ihrerseits sind diese Entscheidungen allerdings eingebettet in Dominanzkontexte von Klasse, Ethnie, Gender etc. Dies wird etwa deutlich an der sich stets im Wandel befindlichen emoji-Partitur. Als Tribut an die Diversität finden sich etwa Emoticons in verschieden ausgeführten Hautfarben auf der Partitur. Deren Nutzung durch nicht autorisierte Personen wie etwa solche, denen nicht die entsprechende kollektive Identität zugeschrieben wird, bleibt allerdings ein Streitthema. Beides indiziert, dass sich die Konventionalisierung des Inventars an diskursiven Umwelten orientiert und nicht in vacuo stattfindet. Offensichtlich wird die Institutionalisierung des Emotionsausdrucks durch emojis vorangetrieben, wobei sich die Designer zweifelsohne auch an ihren alltagsweltlichen Gewissheiten, Schauspielern, Gestaltungsregeln und mitunter wissenschaftlichen Quellen orientieren. Eine relativ neue Funktion befördert die Konventionalisierung des Ausdrucks jedoch auf eine neue Ebene. So schlägt die Partitur bestimmte emojis vor, wenn ein entsprechendes Wort eingetippt wird, um dieses Wort grafisch zu substituieren. Die Rückwirkungen auf die Vergegenständlichung des Ausdrucks und die damit wahrscheinlich verbundenen diakritischen Gewinne in der Präzision des Ausdrucks als Steuerungsinstrument sind noch nicht abzusehen. Doch findet merklich eine Konventionalisierung von Bildern in einer Form und Breite statt, die sich vielleicht mit der ‚Erfindung‘ des Alphabets als phonetischer Schrift vergleichen lässt.

  14. 14.

    „Frei in Rede, kühn in Tat!“ ist der Wahlspruch der Burschenschaft Danubia (o. J.). Die Wiener Burschenschaft Olympia (1996) hingegen untermalt den auf ihrer Homepage angepriesenen „rechten Weg“ mit dem Slogan „Wahr und treu, kühn und frei!“

  15. 15.

    Dies ist besonders auffällig bei reifizierten bzw. essenzialisierten Identitäten.

  16. 16.

    Zu Fragen bleibt, ob es sich bei den betreffenden Texten überhaupt noch um Produkte der Wissenschaft handelt oder um politische Texte.

  17. 17.

    Ob es sich dann überhaupt noch um Wissenschaft handelt, steht indessen auf einem anderen Blatt. Derselbe Zweifel muss hinsichtlich der Forderung nach einer „movement relevant theory“ vorgebracht werden, selbst wenn man wie Bevington und Dixon (2005, S. 189 ff.) die Produktion dieser Theorie in die Hände von Sozialwissenschaftlern im Gegensatz zu reinen Praktikern legt.

  18. 18.

    Die hier entworfenen Umwelten sind auf das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung zurechtgeschnitten. Im Rahmen von auf andere Gegenstände gerichteten Studien kann durchaus ein Bedarf an einer Erweiterung des Umweltmodells entstehen.

  19. 19.

    Beispiele dafür liefert Kanadas Sprachpolitik, die es Immigranten in Quebec untersagt, ihre Kinder auf eine englischsprachige Schule zu schicken, oder der Schutz der autonomen Gesetzgebung indigener Stämme, sogenannter first nations in den USA, deren Endogamiegebot die Freiheit einzelner Mitglieder unterminieren kann, was sogar durch die US-amerikanische Rechtsprechung unterstützt wird, obwohl es nicht den Grundsätzen des dortigen Rechtssystems entspricht (Shachar 1998, allgemein zur rechtlichen Situation siehe Tsosie 1997).

  20. 20.

    Gerade bei „Gender“ fällt auf, dass es sich auch bei den demografischen Kategorien nicht um ‚harte‘ Fakten handelt, sondern um Produkte eines sozialen Konstruktionsprozesses, der sich nicht nur den Gender Studies und dem Feminismus zuordnen lässt, sondern auch dessen Ausläufern in der Alltagskommunikation, in Talkshows, in Filmen etc.

  21. 21.

    In manchen Fällen gewinnt man den Eindruck, die Autoren legten es auf einen Beobachtungseffekt an. Hülsse (2006) befasst sich mit Metaphern der europäischen Identität zwischen nationalen und supranationalen Varianten. Auch Krzyzanowski (2010) untersucht diskurshistorisch die Konstruktion der europäischen Identität und arbeitet ebenfalls mit der Differenz von national und supranational. Tibi (2013, S. 49) hingegen betrachtet Zivilisation und Brückenbildung als Alternativen von Ethnizität hinsichtlich der Metaphernbildung für eine europäische Identität. Selbst wenn man den Autoren nicht unterstellt, Beobachtungseffekte intentional provozieren zu wollen und somit neben einer wissenschaftlichen auch einer politische Tätigkeit nachzugehen, sollte wenigstens der Mangel an Reflexion der eigenen Stellung im Konstruktionsprozess sozialer Wirklichkeit angemahnt werden dürfen.

  22. 22.

    Bezeichnend ist hierfür etwa bereits Helmut Schmidts Reformierung der Bundeswehr, die Soldaten als willenlose Rädchen im Armeegetriebe in „Staatsbürger in Uniform“ (Staack 2016, S. 81) transformierte.

  23. 23.

    Am eindrücklichsten zeigt sich dies wohl dem Göring zugeschriebenen Credo: „Wer Jude ist, bestimme ich“ (Steiner und Cornberg 1998, S. 186).

  24. 24.

    Ein eindrucksvolles Beispiel dafür bietet die Sitzung des UN-Sicherheitsrats vom 15.05.2018 zum Israel-Palästina-Konflikt angesichts der etwa 60 Toten im Rahmen von Protesten gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem. Die Sitzung startete mit einer Schweigeminute, an der sich ausnahmslos alle Teilnehmer Beteiligten, obgleich im Anschluss sehr deutlich wurde, dass die Opfer nicht von jedem auch als solche betrachtet wurden.

  25. 25.

    Neben Ladendiebstahl wird der mittlerweile zurückgetretenen madrilenischen Politikerin Cifuentes vorgeworfen, sich ihren Master-Titel erschlichen zu haben. In Abb. 5.4 gibt Trump vor seinen Master in Weltführung von Cifuentes erhalten zu haben.

  26. 26.

    An diesem Beispiel wird greifbar, dass kollektive Identitäten durch Gruppen produziert und anderen Gruppen zugänglich gemacht werden, was beispielsweise bei rechtlichen Kategorien oder bestimmten Redeweisen nicht immer so klar vor Augen steht. Daher bieten die Beziehungen zwischen der federación der peñas und den einzelnen peñas, aber auch das gesamte Fest San Fermín ideale Anknüpfpunkte für die empirische Erforschung der Produktion und Zirkulation kollektiver Identitäten.

  27. 27.

    Angesichts des im Baskenland traditionsgemäß vorherrschenden vordergründigen Matriarchats sind solche Begegnungen keineswegs abwegig.

  28. 28.

    Einschränkend ist allerdings festzustellen, dass die Prozessgeschichte die Kontingenz der Konstruktionsprozesse gewissermaßen als Trägheitsmoment einzuschränken vermag, worauf weiter unten einzugehen ist.

  29. 29.

    Macht ist daher in gewisser Hinsicht postkommunikativ.

  30. 30.

    Von ihrer Funktion als Bausteine für Identitäten wird in diesem Abschnitt jedoch weitgehend abgesehen, da wir dieses Thema unten wieder aufgreifen werden. Stattdessen gilt die Aufmerksamkeit ausschließlich Narrationen als zeitlichen Gliederungsinstanzen.

  31. 31.

    Auf der Betrachtungsebene des gesamten Korpus an Literatur würden wir hier allerdings nicht von Gruppen-, sondern von kollektiver Identität sprechen.

  32. 32.

    Die je unterschiedliche Sinnbewirtschaftung von Narrationen und Prozessgeschichten lässt sich am Beispiel der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens verdeutlichen. So mag es in reflektierender Haltung vom Standpunkt der Innenansichten der sich praktisch Engagierenden so erscheinen, als kämpfe man um den Erhalt einer kulturellen Identität. Andere Narrationen zur Vergegenständlichung der Prozessgeschichte des Konflikts mögen hingegen vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise zu dem Schluss kommen, es gehe darum, sich von der unliebsamen Subventionierung anderer spanischer Regionen zu befreien. Eine wieder andere Vergegenständlichung der Prozessgeschichte vor dem Hintergrund der globalen Kapitalkonzentration könnte zu dem Schluss kommen, dass sich in Katalonien, im Brexit und auch im Phänomen Trump die sich vergrößernde Schere zwischen Arm und Reich spiegelt.

  33. 33.

    Wir kommen darauf zurück.

  34. 34.

    Hier die Stimmen einiger Hörer, die Einwände haben gegen die Darstellung des Perserreiches aus der Perspektive Herodots und deren Bezüge zur Aktualität: The Right Path (2007), Golsorhki (2007), Daryaee (2007).

  35. 35.

    Eine andere interessante Frage wäre, ob es sich um die gleiche Gruppe handelt, wenn im Verlauf der Zeit verschiedene Identitäten angefertigt werden.

  36. 36.

    Betrachtet man Narrationen als Praktiken der Vergegenständlichung, kommt ein weiteres Moment der Trägheit in Betracht, praktische Dispositionen, auf die sogleich einzugehen ist.

  37. 37.

    Allerdings spricht Luhmann (1998a, S. 538) auch von „semantischen Strukturen“ und von einer „eigenständigen Evolution“ (ebd. S. 537) der Semantik. Zudem könne die Semantik „eventuell Entwicklungsmöglichkeiten der Gesellschaft antizipieren oder doch einleiten“ (ebd. S. 289). Ähnlich heißt es, die „Semantik gewährt der strukturellen Innovation eine gewisse Schonzeit, bis sie soweit gefestigt ist, daß sie als Ordnung aus eigenem Recht behauptet werden kann“ (ebd. S. 539). Zu den Inkonsistenzen bzw. Kontextualisierungen in Hinsicht auf Luhmanns Verwendung des Semantikbegriffs siehe auch Stichweh (2006) und Stäheli (1998). Allerdings deuten Luhmanns explizite Definitionen von Semantik auch in „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ noch darauf hin, dass die Semantik auf Strukturänderungen reagiert. So spricht Luhmann (1998a, S. 313) von der Semantik, „mit der die Gesellschaft bewahrenswerten Sinn reproduziert“ wie auch „bewahrenswerte Kommunikation zur Wiederverwendung aufbewahrt“ (Luhmann 1998b, S. 643, ähnlich auch 1992, S. 107 f.).

  38. 38.

    In den folgenden Beispielen fällt auf, dass der Kontakt zu allen Gruppen, mit denen die Betreffenden zuvor verkehrten (Familie, Schulklasse etc.), als Vorbedingung der Liminalität ausgeschaltet wird und sämtliche Kontakte auf die neue Gruppe reduziert werden.

  39. 39.

    Balogh (2016, S. 2) erkennt in Hinsicht auf die Rolle von Vergewaltigungen bezüglich der Rekrutierung von Mädchen als Selbstmordattentäterinnen ein Muster: „Girls abused as sex slaves are often psychologically damaged and, therefore, more vulnerable. Motivations can also be to wash off the shame caused by being raped because they have to face stigma and rejection by their family or community.“ Ähnlich argumentiert auch Gentry (2016, S. 159). Zur geschilderten Situation von durch Boko Haram entführten Mädchen siehe etwa Worley (2016), Maclean (2017), The Mainichi (2018), Motlagh (2016), The Irish Times (2016).

  40. 40.

    Siehe etwa Chidchester (2003), Hintz (2018), Das (2017).

  41. 41.

    Hierin spiegelt sich das Problem der Ethnomethodologie. Auch hier gilt, dass die aufscheinende Konstitutionsparadoxie zu Zwecken der Komplexitätsreduktion im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht zur Aufschlüsselung der inferenziellen Begriffsbeziehungen weiterverfolgt und somit produktiv zum Einsatz gebracht werden kann, was daher späteren Untersuchungen überlassen werden muss.

  42. 42.

    Dies wird ab 1.26 in folgendem Clip belegt: Bundeswehr (2013). Die Rolle der teilnehmenden Zuschauer bezüglich dieser emotionalen Resonanz der Teilnehmer auf das Ritual ist sicher nicht zu unterschätzen.

  43. 43.

    Karnevaleske Ereignisse kommen somit als Ausgleich von Ritualen des Beschämens oder Ausgrenzens in Betracht. Rituale können beschämen, wenn sie entweder eine der in ihnen vorgezeichneten Rollen abwerten oder beleidigen oder wenn sie Gruppen oder Einzelne dadurch bloßstellen, dass deren Unkenntnis des Rituals durch Fauxpas ans Licht kommt.

  44. 44.

    Die genaue Entwicklung des Fests ist allerdings bis heute noch nicht im Einzelnen nachvollzogen worden.

  45. 45.

    Hiermit ist nicht die Differenz gemeint, die Ryle (2009, S. 295 f.) im Sinn hat, wenn er darauf verweist, dass sich das Wissen eines Postboten zur Orientierung innerhalb eines Territoriums von den geografischen Verallgemeinerungen unterscheidet, die ein Kartograph benutzt, um das Territorium als Landkarte darzustellen. Vielmehr geht es um den Unterschied zwischen einer Landkarte als Instrument der Orientierung einerseits und als Vergegenständlichung der Gruppenidentität andererseits. Ein Beispiel für Letzteres sind die historischen Landkarten, mit denen sogenannte Reichsbürger ihre Wände verzieren.

  46. 46.

    Zu dieser Problematik aus der Sichtweise der von ihr Betroffenen siehe auch Maalouf (1998, S. 13 f.): „Et c'est justement pour cela que leur dilemme est lourd de signification: si ces personnes elles-mêmes ne peuvent assumer leurs appartenances multiples, si elles sont constamment mises en demeure de choisir leur camp, sommées de réintégrer les rangs de leur tribu, alors nous sommes en droit de nous inquiéter sur le fonctionnement du monde. ‚Mises en demeure de choisir‘, ‚sommées‘, disais-je. Sommées par qui? Pas seulement par les fanatiques et les xénophobes de tous bords, mais par vous et moi, par chacun d'entre nous. A cause, justement, de ces habitudes de pensée et d'expression si ancrées en nous tous, à cause de cette conception étroite, exclusive, bigote, simpliste qui réduit l'identité entière à une seule appartenance, proclamée avec rage. C'est ainsi que l'on ‚fabrique‘ des massacreurs, ai-je envie de crier!“.

  47. 47.

    Sharyn Davies (2007, S. 29) identifiziert neben den Kategorien von Mann und Frau auch calalai, calabai und bissu als Gendertypen unter den Bugis in Südsulawesi. Ceteris paribus sind calalai maskulinisierte Frauen (ebd. S. 52 ff.), calabai feminisierte Männer (ebd. S. 69 ff.) und bissu androgyne Schamane (ebd. S. 82 ff.). Vor dem Hintergrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10.10.2017 (1 BvR 2019/16) zur Einführung eines „dritten Geschlechts“ erscheinen solche Klassifikationssysteme als wertvolles Weltkulturerbe hinsichtlich der Erweiterung des Gendersystems auf der Ebene kollektiver Identitäten.

  48. 48.

    Etliche weitere Beispiele ließen sich anführen. Vihalemm (1999) etwa verweist darauf, dass die russische Sprache in Estland immer mehr für die Markierung und Stütze einer russischen Identität herangezogen wird, während sie zu Zeiten des Eisernen Vorhangs primär als auf Verstehen ausgerichtetes Kommunikationsmittel zum Einsatz gekommen sei. Die Sprachverwendung weist eine enge Beziehung zum Raum als eine der archaischsten Komponenten der Identitätskonstruktion auf. Wenn auch in modernen Gesellschaften multilinguale Räume die Norm bilden und sich virtuell über den Globus erstrecken können, bleibt Sprache in den meisten Fällen ortsgebunden, sodass sich in umgekehrter Richtung Räume bzw. Territorien auch durch die dort übliche Sprachverwendung identifizieren lassen.

  49. 49.

    Zu verschiedenen Zugangsweisen zum Phänomen des Alters siehe Mollenhauer (2019).

  50. 50.

    Eine Übersicht über den Begriff der Grenze bei Plessner, Simmel und Luhmann findet sich bei Loenhoff (2009).

  51. 51.

    Auch hier soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die genauere Bestimmung des Verhältnisses durch eine Analyse einzelner Fälle trotz oder gerade angesichts der hier aufscheinenden Konstitutionsparadoxie für die Bestimmung der inferenziellen Verhältnisse innerhalb der Theoriearchitektur nutzbar gemacht werden könnte oder sogar müsste (siehe hierzu Renn 2019). Doch muss dies dieser Untersuchung folgenden Studien überlassen werden.

  52. 52.

    Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass mitunter ein diskurshistorischer Ansatz geeignet ist, um Zugehörigkeit und Zugehörigkeitspolitik zu untersuchen, wie Krzyzanowski (2010) am Beispiel der Konstruktion einer europäischen Identität als nationale oder supranationale Identität vorführt.

  53. 53.

    Diese Synthese kann durch die Gruppe selbst qua Konsens etabliert werden, wobei dies zumeist auf der Ebene von Narrationen geschehen wird. Allerdings kann auch ein Beobachter solche Syntheseleistungen vollziehen, sofern er dazu über den notwendigen Zugang zur Praxis verfügt. In diesem Fall wäre es zweckdienlich, wenn nicht nur die Narrationen, sondern auch die Prozessgeschichte die Gegenstände der Beobachtung bildeten.

  54. 54.

    Eine ähnliche Dynamik entdeckt Simmel (1916, 1994) im „Kulturkonflikt“.

  55. 55.

    In der Regel dürfte es nicht besonders vorteilhaft sein, die Täterrolle für die eigene Gruppe zu beanspruchen, zumindest dann nicht, wenn es darum geht, die eigene Gruppe vor Dritten in ein positives Licht zu rücken. Innerhalb der eigenen Gruppe hingegen lässt sich die Täterschaft wie auch die Selbstdarstellung als Opfer als strategischer Erfolg feiern. Allerdings hängt dies von den diskursiven Umwelten ab und lässt sich nicht vorbehaltlos verallgemeinern. In der von Bateson (1958) beschriebenen Kultur der Iatmul etwa dürfte dies angesichts ihres Kriegerethos anders aussehen. Ähnliches lässt sich auch von der politischen Bühne der Aktualität sagen, wo die Rhetorik des ‚starken Mannes‘ (Trump, Putin, Duterte etc.) eine Renaissance erlebt.

  56. 56.

    Zu kulturspezifischen Besonderheiten des Schweigens siehe etwa Acheson (2008), Agyekum (2002), Basso (1990), Ephratt (2008) und Mashin und Gardner (2009).

  57. 57.

    Zwar ist die Dekonstruktion oder der Verlust von Gruppenidentitäten zunächst einmal nicht Gegenstand dieser Untersuchung, sofern dies nicht einer Neukonstruktion oder Modifikation der betreffenden Identitäten entspricht. Doch bietet sich hier ein Ansatzpunkt für die Vertiefung dieses Themas.

  58. 58.

    Dieses Beispiel bezieht sich zwar auf die Ebene kollektiver Identitäten. Doch lässt sich das an ihm verdeutlichte Prinzip problemlos auf die Ebene von Gruppenidentitäten übertragen.

  59. 59.

    „Starke Identität“ bezieht sich auf „any group sufficiently recognized and attended to by members to affect individual action. Groups with ‚weak identities‘ are no more than transient agglomerations of firms and do not exist in any meaningful sense.“ (Shanley 1997, S. 165, im Original kursiv).

  60. 60.

    Nach jahrelangen politischen Anstrengungen haben die Tharus aus West Champaran 2003 allerdings ihren Status als scheduled tribe durchsetzen können (Kumar 2009, S. 126).

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Kurilla, R. (2020). Konstruktionsprozesse. In: Theorie der Gruppenidentitäts-Fabrikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28949-2_5

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