Zusammenfassung
Dieser Beitrag versucht sich an einer Standortbestimmung des Gespensterglaubens, indem er den Stellenwert des Gespensts als Metapher und Symbol für die Verdrängung individueller und kollektiver Traumata und Katastrophen untersucht. Angelehnt an Derridas einflussreicher Schrift Marx’ Gespenster wird dabei zunächst die Verabsolutierung menschlicher Rationalität als zentrale Katastrophen in der Postmoderne gelesen. Anschließend wird gezeigt, wie die epistemologisch wie ontologisch liminale Positionierung des Gespensts es aber gleichzeitig auch erlaubt, eine neue Form von Welterfahrung zu denken, die versucht, der postmodernen Oberflächlichkeit, Simuliertheit und Dekonstruktion von Realität eine dialogische (Derridas Hantologie) oder religiös-skeptizistische (Meillassouxs Hyper-Chaos) Ästhetik und Epistemologie entgegenzusetzen.
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Notes
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An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich gerade die Figur des Wiedergängers, in der anglizierten Form des Zombies, in der zeitgenössischen Kultur großer Beliebtheit erfreut, wie es der Erfolg von Serien wie The Walking Dead (seit 2010) oder Filmen wie Pride and Prejudice and Zombies (2016) deutlich macht. Siehe dazu Lanzendörfer (2018).
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Mutatis mutandis lässt sich das in der frühen Neuzeit zu beobachtende Interesse an Gespenstern (zum Beispiel im Werk Shakespeares) mit dem Übergang von einer primär oralen hin zu einer schriftlichen Kultur in Beziehung setzen. Technische Neuerungen wie Photographie, Telegraphie und Telephonie vor und an der Wende des 20. Jahrhunderts speisen in ähnlicher Weise eine gesellschaftliche Neigung zu Spiritualismus und Okkultismus (Bown et al. 2004, S. 1).
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Vergleiche hierzu Weinstock : »Neither living nor dead, present nor absent, the ghost functions as the paradigmatic deconstructive gesture, the ›shadow third‹ or trace of an absence that undermines the fixedness of such binary oppositions.« (2004, S. 4)
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Luckhurst (2002) identifiziert sogar eine ›vergeisterte Moderne‹ (spectralized modernity) in der Folge von Derridas Marx’ Gespenster, weist aber gleichzeitig auf die diesem Diskurs inhärente Gefahr hin, sich in der zwanghaften Wiederholung einer Struktur melancholischer Gefangenheit (»the compulsive repetitions of a structure of melancholic entrapment«; S. 535) zu erschöpfen.
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Vergleiche hierzu auch Buse und Scott (1999, S. 5): »Instead of saying that there is an outside of reason which has been neglected, perhaps we need to inspect the inside of reason and see how it too is haunted by what it excludes.«
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Dem Verweis auf die Materialität dieser Archifossilien verdankt Meillassoux seine Zuordnung zur Strömung der ›objekt-orientierten Ontologie‹ (object-oriented ontology). Für eine detaillierte Einführung in dieses Thema, siehe Harman 2002 und Austin 2011.
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In Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne stellt Nietzsche , um auch den anderen bedeutenden philosophischen Wegbereiter von Derrida und Meillassoux zu nennen, eine ganz ähnliche Diagnose: »Das ›Ding an sich‹ (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfaßlich und ganz und gar nicht erstrebenswert. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hilfe« (2015, S. 13). Um diese Gefangenheit im eigenen Diskurs, diesen Korrelationismus, wie Meillassoux es nennen würde, zu veranschaulichen, holt Nietzsche zu einem sinnfälligen Vergleich aus:
»Wenn jemand ein Ding hinter einem Busche versteckt, es ebendort wieder sucht und auch findet, so ist an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen: so aber steht es mit dem Suchen und Finden der ›Wahrheit‹ innerhalb des Vernunft-Bezirkes. Wenn ich die Definition des Säugetiers mache und dann erkläre, nach Besichtigung eines Kamels: ›siehe, ein Säugetier‹, so wird damit eine Wahrheit zwar ans Licht gebracht, aber sie ist von begrenztem Werte, ich meine, sie ist durch und durch anthropomorphisch und enthält keinen einzigen Punkt, der ›wahr an sich‹, wirklich und allgemeingültig, abgesehen von dem Menschen, wäre. Der Forscher nach solchen Wahrheiten sucht im Grunde nur die Metamorphose der Welt in den Menschen, er ringt nach einem Verstehen der Welt als eines menschenartigen Dinges und erkämpft sich bestenfalls das Gefühl einer Assimilation.« (S. 17)
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Funk, W. (2020). Geist und Zeit: Zum Verhältnis von Spuk, Gedächtnis und Erlösung in und nach der Postmoderne. In: Heinlein, M., Dimbath, O. (eds) Katastrophen zwischen sozialem Erinnern und Vergessen. Soziales Gedächtnis, Erinnern und Vergessen – Memory Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28933-1_14
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