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Part of the book series: Wirtschaft + Gesellschaft ((WUG))

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Zusammenfassung

An die Stelle des noch um die Jahrtausendewende in Wissenschaft wie Politik dominierenden Globalisierungsoptimismus ist heute ein Grabenkampf zwischen unversöhnlich scheinenden Positionen entstanden: „Communitarians“ auf der einen „Cosmopolitans“ auf der anderen Seite. Der Beitrag zeigt, dass ein Rückgriff auf die Analysen Simmels zur Klärung dieser Kontroverse beitragen kann. In Simmels Werk lassen sich zwei Lesarten von Individualisierung unterscheiden: eine strukturtheoretische und eine geldtheoretische. Die strukturtheoretische Lesart von Individualisierung, die Simmel in seinen differenzierungstheoretischen Analysen entwickelt, kommt den heutigen kommunitaristischen Positionen nahe. Die vor allem in der „Philosophie des Geldes“ entwickelte geldtheoretische Lesart der Individualisierung dagegen nimmt zentrale Motive der heutigen Globalisierungsdiskussion vorweg. Der Vergleich der beiden Perspektiven ist zugleich geeignet, die Konfliktträchtigkeit der heutigen Konstellation soziologisch zu erhellen.

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Notes

  1. 1.

    „Menschliches Leben ist wesentlich, nicht bloß zufällig Zusammenleben. Damit aber wird der Begriff des Individuums als der letzten sozialen Einheit fragwürdig. Existiert der Mensch von Grund auf durch entsprechende andere, ist er nur durch sie, was er ist, so wird er letztlich nicht durch primäre Unteilbarkeit und Einzigartigkeit bestimmt, sondern dadurch, dass er an anderen notwendig teilhat und sich mitteilen kann. Er ist Mitmensch, eher er auch Individuum ist; verhält sich zu anderen, eher er sich ausdrücklich zu sich selbst verhält; er ist ein Moment der Verhältnisse, in denen er lebt, ehe er sich vielleicht einmal selbst bestimmen kann“ (Institut für Sozialforschung 1956, S. 42).

  2. 2.

    Er wurde schon im 18. Jahrhundert, noch vor der Französischen Revolution, ausgetragen; dazu zuletzt die prägnante Darstellung der Konfrontation zwischen Voltaire und Rousseau bei Mishra (2017, S. 82 f.).

  3. 3.

    „In der modernen Welt ist Religion eine zentrale, vielleicht sogar die zentrale Kraft, welche die Menschen motiviert und mobilisiert. Es ist reine Überheblichkeit zu glauben, dass der Westen, nur weil der Sowjetkommunismus zusammengebrochen ist, die Welt für alle Zeiten erobert hat und dass Muslime, Chinesen, Inder und alle anderen nun nichts Eiligeres zu tun haben, als den westlichen Liberalismus als einzige Alternative zu übernehmen. Die Zweiteilung der Menschheit aus der Zeit des Kalten Krieges ist vorbei. Die fundamentaleren Spaltungen der Menschheit nach Ethnizität, Religionen und Kulturkreisen bleiben und erzeugen neue Konflikte.“ (Huntington 1996, S. 93).

  4. 4.

    „Das zentrale Argument des Buches ist weder theoretisch noch methodisch überzeugend entwickelt, die empirische Evidenz ist oft äußerst einseitig zusammengestellt, und die Stoßrichtung des Buches ist zudem äußerst problematisch“, so die vernichtende Kritik Martin Riesebrodts (2000, S. 16).

  5. 5.

    Die Begrifflichkeit geht zurück auf die philosophischen Kontroversen über „liberale“ vs. „kommunitaristische“ Gerechtigkeitsprinzipien, die sich in den USA, anknüpfend an den Arbeiten von John Rawls, schon seit den 1970er Jahren entwickelt hatten (im Überblick Honneth 1993).

  6. 6.

    Für einen Überblick über die Debatte vgl. auch Koppetsch (2019).

  7. 7.

    „Dieser Gedanke lässt sich auch verallgemeinernd so wenden, dass in jedem Menschen ceteris paribus gleichsam eine unveränderliche Proportion zwischen dem Individuellen und dem Socialen besteht, die nur die Form wechselt: je enger der Kreis ist, an den wir uns hingeben, desto weniger Freiheit der Individualität besitzen wir; dafür aber ist dieser Kreis selbst etwas Individuelles, scheidet sich, eben weil er kleiner ist, mit scharfer Begrenzung gegen die übrigen ab. …Und nun entsprechend: erweitert sich der Kreis, in dem wir uns bethätigen und dem unsere Interessen gelten, so ist darin mehr Spielraum für die Entwicklung unserer Individualität; aber als Teile dieses Ganzen haben wir weniger Eigenart, dieses letztere ist als sociale Gruppe weniger individuell“ (GSG 2, S. 173/74).

  8. 8.

    „Nun ist aber der Mensch nie bloßes Kollektivwesen, wie er nie bloßes Individualwesen ist; darum handelt es sich hier natürlich nur um ein Mehr oder Minder und nur um einzelne Seiten und Bestimmungen der Existenz, an denen sich die Entwicklung vom Übergewicht des Einzelnen zu dem des Anderen zeigt“(GSG, S. 175/176).

  9. 9.

    Daher auch die Kritik Simmels an der sozialistischen Gleichheitsidee: „… Drittens ist auch die Gleichheit der Menschen als solcher eine sehr bedingte, und es ist völlig willkürlich, über demjenigen, worin sie gleich sind, ihre vielfachen Verschiedenheiten zu vernachlässigen und an den bloßen Begriff Mensch, unter dem wir so verschiedenartige Erscheinungen zusammenfassen, derartig reale Folgen knüpfen zu wollen.“(GSG 6, S. 234); zum relationalen Charakter von Gesellschaftlichkeit und Individualität vgl. auch GSG 11, S. 485.

  10. 10.

    „Während der Mensch der früheren Stufe die geringere Zahl seiner Abhängigkeiten mit der Enge persönlicher Beziehung, oft persönlicher Unersetzbarkeit derselben bezahlen musste, werden wir für die Vielheit unserer Abhängigkeiten durch die Gleichgültigkeit gegen die dahinter stehenden Personen und durch die Freiheit des Wechsels mit ihnen entschädigt. Und wenn wir durch die Kompliziertheit unserer Bedürfnisse einerseits, die Spezialisiertheit unserer Fähigkeiten andererseits sehr viel abhängiger sind als der primitive Mensch, der sich allenfalls mit seiner ganz engen isolierten Gruppe durchs Leben schlagen konnte – so sind wir dafür von jedem bestimmten Elemente der Gesellschaft außerordentlich unabhängig“ (GSG 6, S. 396).

  11. 11.

    „Die reinste Form des Geizes ist vielmehr die, in der der Wille wirklich nicht über das Geld hinausgeht, es auch nicht einmal in spielenden Gedanken als Mittel für etwas Anderes behandelt, sondern die Macht, die es gerade als nicht Ausgegebenes repräsentiert, als definitiven und absolut befriedigenden Wert empfindet“ (GSG 6, S. 318/319).

  12. 12.

    Aus heutiger Sicht könnte man hinzufügen: Es gibt auch Konsumenten, die versuchen, beide Obsessionen zu kombinieren, nach dem Prinzip „Geiz ist geil“: Man gibt Geld mit dem Ziel aus, es (oder möglichst viel davon) zu behalten (Ullrich 2006, S. 62).

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Deutschmann, C. (2020). Geld und individuelle Freiheit bei Georg Simmel. In: Trügerische Verheißungen: Markterzählungen und ihre ungeplanten Folgen. Wirtschaft + Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28582-1_9

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