Zusammenfassung
Der Beitrag untersucht die Bedeutung des Geldes für soziale Inklusion und entwickelt im ersten Schritt eine Kritik gängiger Definitionen von Armut und sozialer Exklusion. Dauerhafte Einkommensarmut – so lautet die These – stellt keineswegs eine nur „materielle“ Benachteiligung dar, sondern ist Exklusion. Begründet wird diese These durch eine Kritik an der medientheoretischen Konzeptualisierung des Geldes durch Luhmann. Unter Rückgriff auf Simmel wird argumentiert, dass Geld in einem globalen kapitalistischen System nicht nur die Rolle eines funktional spezifizierten Kommunikationsmediums unter anderen, sondern eines universalen Mediums spielt. Vor diesem Hintergrund ist auch die in vielen empirischen Untersuchungen dokumentierte Schlüsselrolle der Einbindung in den Nexus von Geld und Arbeit für soziale Teilhabe auch in anderen Bereichen zu erklären. Im dritten Schritt wird ein dynamisches Modell geldvermittelter Prozesse sozialer Inklusion und Exklusion skizziert, das auch Licht auf aktuelle sozialstaatliche Reformen wirft.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Kronauer (2002, S. 40 f.).
- 2.
Kronauer (2002, S. 11).
- 3.
- 4.
- 5.
Luhmann (1997, S. 630/631).
- 6.
Luhmann (1997, S. 632).
- 7.
Luhmann zufolge „war auch die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts bereits viel zu komplex, als daß man sie selbst und ihre Entwicklungsaussichten mit dem Gegensatz von Kapital und Arbeit hätte begreifen können. Heute ist evident, daß keines der drängenden Großprobleme unserer Gesellschaft durch Klassenkampf und durch Auflösung des Gegensatzes von Kapital und Arbeit gelöst werden könnte“ (Luhmann 1985, S. 152).
- 8.
Nassehi (1997).
- 9.
Luhmann (1995, S. 249 f.).
- 10.
- 11.
vgl. Jacobs (2000).
- 12.
In der Regel werden bekanntlich Armutsgrenzen zwischen 40 und 60 % des individuellen Haushaltsnettoäquivalenzeinkommens herangezogen.
- 13.
Munck (2005, S. 21 f.).
- 14.
so z. B. Münch (1997).
- 15.
Böhnke (2006).
- 16.
Veit-Wilson (1998).
- 17.
Luhmann (1997, S. 746).
- 18.
- 19.
Simmel (1989).
- 20.
- 21.
Simmel (1989, S. 10).
- 22.
Simmel (1989, S. 277). Wie essentiell der Unterschied zwischen der Geldform und der Sachform selbst bei vergleichsweise kleinen Beträgen ist, zeigen Auseinandersetzungen wie die um das Sachleistungsprinzip in der deutschen Asylgesetzgebung.
- 23.
Simmel (1989, S. 465).
- 24.
Paul (2004, S. 233 f.).
- 25.
Die Aufforderung „Zahlen Sie bis zum 15.2. 1000 Euro“ wird nur befolgen, wer weiß, daß es sich um einen Bescheid des Finanzamtes handelt.
- 26.
Paul (2004, S. 240).
- 27.
Zumindest gilt dies für das System des globalen Kapitalismus mit konvertiblen Währungen, wie es im 19. Jahrhundert existierte und heute wiedererstanden ist. Weniger offensichtlich ist es für die durch politische Konfrontationen geprägten Zeiten des Faschismus und des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert, durch die auch das Denken Luhmanns noch stark beeinflusst zu sein scheint.
- 28.
Simmel (1992, S. 764 f).
- 29.
Wie sehr die Beziehungen zwischen Ehepartnern durch das Fehlen eines eigenen Einkommens der Frau verzerrt werden können, zeigen die Analysen Zelizers (1994) über die Verhältnisse in bürgerlichen Hausfrauenehen in den USA zu Ende des 19. Jahrhunderts. Um Verarmung zu vermeiden, machten die Ehefrauen sich manchmal nachts heimlich an das Portemonnaie des schlafenden Ehemannes heran; über den rechtlichen Status des „Haushaltsgeldes“ – darf die Frau z. B. auch ihre eigenen Ausgaben daraus decken? – mußten komplizierte juristische Auseinandersetzungen geführt werden.
- 30.
„Wissenschaft, Politik und Familie (müssen) zwar finanziert, Produktionsprozesse und Handelsströme jedoch nicht rational begründet, kollektiv verbindlich festgelegt oder auf das Gefühlsleben seiner Liebsten hin abgestellt werden“ (Paul 2004, S. 239).
- 31.
Luhmann (1988, S 55).
- 32.
Simmel (1989, S. 298).
- 33.
Luhmann (1988, S. 322).
- 34.
Schimank (2005).
- 35.
- 36.
Luhmann (1997, S. 621).
- 37.
Simmel (1992, S. 512 f.).
- 38.
Biernacki (1995).
- 39.
Genauso sieht es auch Castel: „Die Institution des freien Arbeitsmarktes ist eine zweifelsohne genauso bedeutsame rechtliche Revolution wie die industrielle Revolution, deren Entsprechung sie zudem bildet. Ihr kommt nämlich im Vergleich zu allem, was ihr vorausgeht, fundamentale Bedeutung zu.“ (Castel 2000, S. 29).
- 40.
Bude und Willisch (2006, S. 13).
- 41.
Mit diesem Begriff operieren Beck und Grande (2004) bei ihrer Interpretation des europäischen Einigungsprozesses.
- 42.
- 43.
- 44.
Eines der historisch eindrucksvollsten Beispiel ist zweifellos der Aufstieg der Familie Rothschild aus dem Frankfurter Judenghetto zum führenden Bankhaus Europas und der Welt im frühen 19. Jahrhundert. „Geld ist der Gott unserer Zeit und Rothschild ist sein Prophet“ – so hatte Heinrich Heine die Situation seinerzeit karikiert (Ferguson 1998, S. 228).
- 45.
„Auch lehrt die Erfahrung zu allen Zeiten und bei allen Völkern, wie ich glaube, dass die von freien Menschen geleistete Arbeit letztlich immer billiger kommt als die, welche Sklaven verrichten“ (Smith 1978, S. 105).
- 46.
Repräsentativ: Goldthorpe et al. (1968).
- 47.
Ein Modell für eine solche zyklische Verschiebung des gesellschaftlichen Machtverhältnisses zwischen Unternehmern einerseits („Spekulanten“) und Rentiers findet sich schon bei Pareto (vgl. Eisermann 1962, S. 181 f, 204 f.).
- 48.
Breen hat die Daten für 10 europäische Länder und Israel im Übergang von den siebziger zu den neunziger Jahren untersucht und eine Zunahme des Anteils der mittleren und oberen Dienstleistungsschichten von durchschnittlich 23,1 auf 30,8 der Bevölkerung festgestellt (Breen 2004, S. 46).
- 49.
Knorr-Cetina (2007, S. 4).
- 50.
Im Überblick: Windolf (2005). Die USA stellen den Sonderfall einer stark „finanzialisierten“, aber gleichwohl durch hohe Kapitalimporte geprägten Wirtschaft dar, deren Korrelat die exorbitante Verschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte ist. Philipps (2006) warnt vor einer aus dieser Konstellation drohenden schweren Finanzkrise. Er befürchtet, dass die USA ein ähnliches Schicksal wie das gerade an seinem Reichtum zugrundegegangene spanische Imperium im 17. und 18. Jahrhundert erleiden könnten.
- 51.
Byrne 2005, S. 103/104.
- 52.
- 53.
Afheld (2003, S. 127).
Literatur
Afheld, Horst (2003): Wirtschaft, die arm macht. Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft, München
Baecker, Dirk (2006): Wirtschaftssoziologie, Bielefeld, Transcript
Beck, Ulrich/Grande, Edgar (2004): Das kosmopolitische Europa. Gesellschaft und Politik in der Zweiten Moderne, Frankfurt, Suhrkamp
Berghoff, Hartmut (1991): Englische Unternehmer 1870-1914: eine Kollektivbiographie führender Wirtschaftsbürger in Birmingham, Bristol und Manchester, Göttingen, Vandenhoek und Ruprecht
Biernacki, Richard (1995): The Fabrication of Labour. Germany and Britain 1640-1914, Berkeley, University of California Press
Blossfeld, Hans-Peter (2006): Globalisierung, wachsende Unsicherheit und die Veränderung der Chancen der jungen Generation, in: Arbeit, Jg. 15, Heft 3, S. 151–166
Böhnke, Petra (2006): Marginalisierung und Verunsicherung. Ein empirischer Beitrag zur Exklusionsdebatte, in: Bude, Heinz/Willisch, Andreas (Hg.): Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige, Hamburg, Hamburger Edition, S. 97–120
Bohn, Cornelia/Hahn, Alois Hg. (2006): Prozesse der Inklusion und Exklusion, Soziologisches Jahrbuch/Annali di Sociologia 16, Trento, Italienisch-Deutsche Gesellschaft für Soziologie
Breen, Richard (2004): Social Mobility in Europe, Oxford, Oxford University Press
Brinton, Mary C. (2005): Trouble in the Paradise: Institutions in the Japanese Economy and the Youth Labor Market, in: Nee, Victor/Swedberg, Richard (Hg.): The Economic Sociology of Capitalism, Princeton, Princeton University Press, S. 419–444
Bude, Heinz/Willisch, Andreas (2006): Das Problem der Exklusion, in: dies. Hg.: Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige, Hamburg, Hamburger Edition, S. 7–26
Byrne, David (2005): Social Exclusion, New York, Second Edition, Open University Press
Castel, Robert (2000): Die Metamorphosen der sozialen Frage. Eine Chronik der Lohnarbeit, Konstanz, UVK (Original: Les métamorphoses de la question sociale. Une chronique du salariat, Paris 1995)
Deutschmann, Christoph (2000): Geld als ‚absolutes Mittel‘. Zur Aktualität von Simmels Geldtheorie, in: Berliner Journal für Soziologie, Bd. 10, Nr. 3, S. 301–313
Deutschmann, Christoph (2001): Die Verheißung des absoluten Reichtums. Zur religiösen Natur des Kapitalismus, Frankfurt/M, Campus, 2. Aufl.
Eisermann, Gottfried (1962): Vilfredo Paretos System der allgemeinen Soziologie. Einleitung, texte, Anmerkungen, Stuttgart, Enke
Ferguson, Niall (1998): The World’s Banker. The History of the House of Rothschild, London, Weidenfeld&Nicholson
Goldthorpe, John H./Lockwood, David/Bechhofer, Frank/Platt, Jennifer (1968): The Affluent Worker. Industrial Attitudes and Behaviur, Cambridge, Cambridge University Press
Jacobs, Herbert (2000): Armut, in: Allmendinger, Jutta/Ludwig-Mayerhofer, Wolfgang (Hg.): Soziologie des Sozialstaats. Gesellschaftliche Grundlagen, historische Zusammenhänge und aktuelle Entwicklungstendenzen, Weinheim, Juventa, S. 237–268
Kaelble, Hartmut (1983): Soziale Mobilität und Chancengleichheit im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen, Vandenhoek und Ruprecht
Kasper, Wolfgang/Streit/Manfred E. (1998): Institutional Economics. Social Order und Public Policy, Cheltenham, Elgar
Knorr-Cetina, Karin (2007): Economic Sociology and the Sociology of Finance, in: Economic Sociology. The European Electronic Newsletter, Vol. 8, Nr. 3, S. 4–10
Kronauer, Martin (2002): Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Frankfurt/M, Campus
Luhmann, Niklas (1985): Zum Begriff der sozialen Klasse, in ders. (Hg.): Soziale Differenzierung. Zur Geschichte einer Idee, Opladen, Westdeutscher Verlag, S. 119–162
Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M, Suhrkamp
Luhmann, Niklas (1995): Inklusion und Exklusion, in ders.: Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Opladen, Westdeutscher Verlag, S. 237–264
Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde. Frankfurt/M, Suhrkamp
Martinelli, Alberto (1994): Entrepreneurship and Management, in: Smelser, Neil/Swedberg, Richard Hg.: The Handbook of Economic Sociology, Princeton, N.J., Princeton University Press, S. 476–503
Münch, Richard (1997): Elemente einer Theorie der Integration moderner Gesellschaften. Eine Bestandsaufnahme, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Was hält die Gesellschaft zusammen Frankfurt/M, Suhrkamp, S. 66–112
Munck, Ronaldo (2005): Globalization and Social Exclusion. A Transformationalist Perspective, Bloomfield CT
Nassehi, Armin (1997): Inklusion, Exklusion – Integration, Desintegration. Die Theorie funktionaler Differenzierung und die Desintegrationsthese, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Was hält die Gesellschaft zusammen? Frankfurt/M, Suhrkamp, S. 113–149
Nassehi, Armin (2006): Die paradoxe Einheit von Inklusion und Exklusion, in: Bude, Heinz/Willisch, Andreas: Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige, Hamburg, Hamburger Edition, S. 46–69
North, Douglass (1990): Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge, Cambridge University Press
Paul. Axel (2004): Die Gesellschaft des Geldes. Entwurf einer monetären Theorie der Moderne, Wiesbaden, VS-.Verlag
Phillips, Kevin (2006): American Theocracy. The Peril and Politics of Radical Religion, Oil and Borrowed Money in the 21st Century, New York, Penguin
Schimank, Uwe (2005): Funktionale Differenzierung und gesellschaftsweiter Primat von Teilsystemen – offene Fragen bei Parsons und Luhmann, in: Soziale Systeme 11, Nr. 2, S. 395–414
Simmel, Georg (1989): Philosophie des Geldes, Gesamtausgabe hg. durch O. Rammstedt und D. Frisby Bd. 6, Frankfurt/M, Suhrkamp (Originalausgabe 1900)
Simmel, Georg (1992): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Gesamtausgabe, hg. durch O. Rammstedt Bd. 11, Frankfurt/M, Suhrkamp (Originalausgabe 1908)
Smith, Adam (1978): Der Wohlstand der Nationen, München, dtv (nach der 5. Auflage der Originalausgabe 1789)
Veit-Wilson, John (1998): Armutsgrenze oder Mindesteinkommensstandards? Das Problem eines Diskurs-Konflikts, in: Voges, Wolfgang/ Kazepov, Yuri (Hg.): Armut in Europa, Wiesbaden, S. 25–45
Windolf, Paul Hg. (2005): Finanzmarkt-Kapitalismus. Analysen zum Wandel von Produktionsregimen, Sonderheft 45 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Wiesbaden, VS-Verlag
Zelizer, Viviana A. (1994): The Social Meaning of Money, New York, Basic Books
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Rights and permissions
Copyright information
© 2020 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Deutschmann, C. (2020). Geld als universales Inklusionsmedium moderner Gesellschaften. In: Trügerische Verheißungen: Markterzählungen und ihre ungeplanten Folgen. Wirtschaft + Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28582-1_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-28582-1_6
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-28581-4
Online ISBN: 978-3-658-28582-1
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)