Zusammenfassung
Dieser Beitrag geht von den theoretischen und normativen Prämissen deliberativer Demokratietheorie aus, die sich, so die Argumentation, auch mit Bezug auf digitale Öffentlichkeiten noch plausibel vertreten lassen. Auf Basis der Rekonstruktion klassischer normativer Funktionen von Öffentlichkeit, so wie sie von Theoretikern der deliberativen Demokratietheorie rekonstruiert wurden, werden zunächst einige der Zeitdiagnosen zum neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit vorgestellt und auf ihre empirische und normative Plausibilität geprüft. Sodann werden zwei der meistdiskutierten aktuellen politischen Herausforderungen (‚fake news‘ und ‚Echokammern‘), die mit der Digitalisierung von Öffentlichkeit in Verbindung gebracht werden analysiert. Abschließend wird diskutiert, was sich aus diesen Herausforderungen für eine zeitgemäße theoretische Konzeption digitaler Demokratieerziehung und demokratischer Grundbildung folgern lässt.
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Notes
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Hohendahl stellt hierzu aus begriffsgeschichtlicher Perspektive fest: „Anders gesprochen, wir haben es mit einem Begriffsfeld zu tun, das seit dem 18. Jahrhundert häufig in kontroversen Diskussionen gebraucht wird. Doch auch im 19. Jahrhundert ist der Begriff der Öffentlichkeit zum guten Teil noch ein Kampfbegriff, mit dem sich besondere politische und sozio-kulturelle Forderungen verbinden.“ Bis heute gelte, dass der Begriff sich „fast durchgehend“ durch eine „Spannung zwischen seiner deskriptiven und seiner normativen Verwendung“ auszeichnet. „Er kann sowohl einen empirisch erkennbaren Sachverhalt als auch eine Idee vorstellen, die für das kommunikative Verhalten von Personen ausschlaggebend ist“ (Hohendahl 2000, S. 2–3).
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Auf die vielen unterschiedlichen eher normativ oder eher empirisch justierten Kritiken an diesem Öffentlichkeitsmodell kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Hierzu zählen u. a. die These, so verstandene Öffentlichkeit sei u. a. konstitutiv auf geschlechterspezifische Repression angelegt, sie sei notwendig in problematischer Weise exklusiv mit Bezug auf bestimmte Gruppen und Positionen (eine Behauptung, die in normativer Hinsicht so gerade nicht bei Habermas angelegt ist, dem es um die Vernünftigkeit des Verfahrens der Beratung geht; vgl. Badberg 2019), sie blende Asymmetrien und Herrschaftsverhältnisse in realen öffentlichen Kommunikationen aus, sie sei unplausibel da sie ein normatives Konzept darstelle, sie sei nicht auf die Komplexitäten und überlappenden Interdependenzen einer ‚Netzwerkgesellschaft‘ anwendbar oder sie sei schlichtweg nicht in dem vorgestellten Sinne existent (hierzu Hohendahl 2000; Peters 1994, 2001; Dahlberg 2005; Fraser 2009; Kreide 2016; Van Dijk und Hacker 2018). M.E., soviel sei an dieser Stelle angemerkt, zeigen aktuelle Debatten z. B. über die Überwachung von Kommunikationsmedien (z. B. Snowden 2019) und die Art und Weise, wie der Begriff der Öffentlichkeit in diesen gebraucht wird, recht eindrücklich, dass es durchaus Sinn macht Öffentlichkeit als normative Referenz ernst zu nehmen. Ohne die genannten normativen Funktionen von Öffentlichkeit lassen sich die entsprechenden Argumentationen (die sich an Öffentlichkeit richten) gegen Pathologien von öffentlicher Kommunikation kaum angemessen (normativ und empirisch) verstehen und rekonstruieren (ähnlich: Peters 1994). Abgesehen davon sollte man auch die potentiellen ‚dunklen‘ Seiten von einigen der gängigen Kritiken an Habermas berücksichtigen (Eurozentrismus, Überforderungsargumente, machttheoretische Argumente etc.), zu denen Martin treffend feststellt: „Even if such objections have critical bite, each one, if taken to an extreme can feed into the very counter-emancipatory impulses that the discourse ethical project was designed to address to begin with, where (1) deep skepticism about the rational capacities of citizens, (2) the conviction that normative claims are irredeemably laden with asymmetrical relations of power, and (3) a complete rejection of Enlightenment values together function to legitimate antidemocratic and other oppressive practices“ (Martin 2016a, S. 689). Im Folgenden steht in erster Linie die Frage nach der Begründung und der begründeten Aufrechterhaltung der tradierten normativen Funktionen von Öffentlichkeit im Vordergrund.
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Breitbart News ist zugleich ein gutes Beispiel daf, wie über massive Investitionen von politisch motivierten Akteuren in digitalen Öffentlichkeiten Einfluss auf Politik und Wahlen genommen wird.
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Hierfür sprechen auch die Ergebnisse der Studie der Knight Foundation (2019) zur (eher disparaten) politischen Orientierung und zum Verhalten von Twitternutzern.
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Vogelmann ist dahingehend recht zu geben, dass die entsprechenden Intentionen und Intentionszuschreibungen politisch umstritten sein dürften (Vogelmann 2019). Es dürfte jedoch auch relativ klare Fälle geben, in denen z. B. bestimmte Gruppen abgewertet und diskriminiert werden sollen. Bei aller Berechtigung einer gesellschaftstheoretischen Einbettung der Debatte über fake news, bleibt in der Regel häufig eher unklar, wie denn eine solche Gesellschaftstheorie genau aussehen könnte und was es dann daraus zu lernen gäbe.
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Die momentan festzustellenden Bemühungen, das Internet jeweils in digital abgeschlossene geopolitische Sphären aufzuteilen, gewissermaßen in geopolitische Echokammern (das ‚russische‘, ‚chinesische‘ Internet etc.), könnten sich als folgenreich für die Debatte, insbesondere auch über die Emergenz einer transnationalen bzw. globalen Öffentlichkeit erweisen.
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Hierzu gehören also auch Wissen darüber, wie man sich die entsprechenden Informationen in digitalen Umwelten verschaffen kann, und die Fähigkeit, angemessene von nicht angemessenen Quellen, epistemischen und politischen Autoritäten etc. zu unterscheiden. Die besondere Relevanz von so verstandener „information literacy“, die kaum ohne Beschäftigung mit Inhalten bzw. eine entsprechende angemessene Grundbildung entwickelt werden können, wird auch durch die Ergebnisse der Studie von Jones-Jang et al. (2019) nahegelegt.
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Mit Bezug auf die Begründung dieser Ziele von Erziehung und Bildung halte ich eine rein diskurstheoretische Legitimation für nicht sinnvoll. Ohne liberal-perfektionistische Elemente, so meine Annahme, die ich an anderer Stelle näher ausgeführt habe, lassen sich diese Ziele m. E. nicht plausibel rechtfertigen (Drerup 2013, 2019b). Für eine dezidiert diskursethische Begründung dieser Ziele vgl. die komplexe Konzeption von: Martin (2016b). Autonomie als Ziel von Erziehung und Bildung ist viel kritisiert worden (Pathosformel, Illusion etc.). Diese Kritiken nehmen in der Regel nicht die philosophische Autonomiedebatte zur Kenntnis und tendieren entsprechend dazu, von hochgradig vereinfachten Vorstellungen über die theoretische Konzeptualisierung und Begründung von Autonomie auszugehen.
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„But perhaps the most interesting, and most disconcerting, finding of the study is that youth who reported having been exposed more to online credibility evaluation training were also more likely to believe the hoax sites, even as they were more likely also to use analytic evaluation strategies. This suggests that although such explicit training does appear to lead kids to do the right things to evaluate online information (i.e., use more analytic evaluation strategies), doing so does not necessarily lead them to the right conclusions about digital information (i.e., disbelieving hoax sites)“ (Metzger et al. 2015, S. 339).
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Drerup, J. (2020). Demokratische Bildung in und für digitale Öffentlichkeiten. Zeitdiagnosen – Problemvorgaben – Herausforderungen. In: Binder, U., Drerup, J. (eds) Demokratieerziehung und die Bildung digitaler Öffentlichkeit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28169-4_3
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