Zusammenfassung
Obwohl das Thema ‚Lehre‘ in der Wahrnehmung und im Arbeitsalltag von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch wissenschaftspolitisch hohe Konjunktur besitzt, darf die Debatte darüber im Fach Musikwissenschaft noch als eher zurückhaltend gelten. Überlegungen zu den Methoden der musikwissenschaftlichen Lehre können sich noch nicht auf eine Aushandlung im Rahmen entwickelter Fachdiskussion oder einen explizierten Erfahrungshorizont stützen. Wie sich in diesem Beitrag zeigen soll, wird die Auseinandersetzung mit konkreten Beispielen oder Einzelmodellen für die musikwissenschaftliche Lehre durch den Stand der Diskussion über Erkenntnisinteressen und Arbeitsbereiche des Fachs, die Voraussetzung für eine Verständigung über Prinzipien der Lehre ist, erschwert. Für die künftige Diskussion scheint es fruchtbar, zunächst Rahmenbedingungen musikwissenschaftlicher Lehre zu fokussieren und damit Fragen zu stellen, auf die Lehrende aller musikwissenschaftlichen Teildisziplinen gemeinsam nach Antworten suchen können.
Für hilfreiche Kommentare und Diskussionen danken wir Maria Behrendt, Lisa Maria Brusius, Moritz Kelber, Avischag Müller, Daniel Siebert und Johanna Spangenberg.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Notes
- 1.
Enard (2016, S. 63).
- 2.
- 3.
Vgl. etwa Eggebrecht (1996).
- 4.
- 5.
- 6.
Cook (2002).
- 7.
Vgl. Hentschel (2012).
- 8.
Siehe z. B. Crawford und Gibson (2009).
- 9.
- 10.
- 11.
- 12.
- 13.
Als eines unter zahllosen Beispiele sei genannt Nünning und Nünning (2010).
- 14.
- 15.
Vgl. Sprick (2010).
- 16.
- 17.
Vgl. Müller und Osterhammel (2012).
- 18.
Nassehi (2011, S. 11).
- 19.
Diese spezifische Ausformung der Musikwissenschaft ist keinesfalls normativ gemeint, sondern stellt eine mögliche Spielart dar, die im Folgenden diskutiert werden soll und die sich aus den wissenschaftlichen Biografien der Autorin und des Autors dieses Beitrags ergibt.
- 20.
Kommunikationsmodell in seiner einfachsten Form zuerst bei Shannon und Weaver (1963).
- 21.
Vgl. für eine aktuelle philosophische Diskussion dieser Eingrenzung Kania (2011). Der Gegenstand kann ins Extreme gedacht auch durch seine akustische Absenz vertreten sein, wie beispielsweise in John Cages Komposition 4’33.
- 22.
Vgl. dazu etwa Pinch und Bijsterveld (2012).
- 23.
Werden kompositorisch diese Grenzen überschritten, und das passiert in der Musikgeschichte häufig, so vollziehen diese Grenzüberschreitungen keine Quantensprünge: Beethoven komponierte am Ende seines Lebens so modern, dass noch ein knappes Jahrhundert später Strawinsky darüber nur erstaunt den Kopf schütteln konnte (vgl. Strawinsky 1963, S. 24). Aber wie Rammstein oder Pink Floyd hätte er nicht schreiben können.
- 24.
Der Gegenstand ‚Musik‘ kann durchaus auch durch andere Gegenstände ersetzt werden – Theater beispielsweise, aber auch Bildende oder gegenständliche Kunstwerke, Architektur etc.
- 25.
Diese unterschiedlichen Gewichtungen entsprechen gleichermaßen den verschiedenen Schulen, Strömungen und Fachbereichen innerhalb der Musikwissenschaft, die oben kurz erwähnt wurden. Eine hilfreiche Übersicht über die unterschiedlichen Bereiche der Musikwissenschaft bieten Harper-Scott und Samson (2009).
- 26.
Vgl. dazu bspw. Sponheuer (2011); Thorau (2000). Um zu beantworten, warum dies so sein könnte, lohnt ein Blick auf zwei Besonderheiten des Sinnes, mit dem man Musik wahrnimmt (zumindest in erster Linie, freilich nimmt man auch körperlich wahr, tiefe, laute Bässe in der Disco zum Beispiel): das Hören. Erstens: Unsere Ohren vermitteln uns den Gegenstand Musik. Und diese Ohren kann man nie abschalten, wir haben keine „Ohrenlider“, die wir schließen könnten (Georgiades 1985, S. 54; Georgiades 1977, S. 107), wir können den „Blick“ unserer Ohren nicht abwenden. Möchte man den Gehörsinn ausschalten, muss man sich mechanischer Hilfsmittel bedienen. Das führt bekanntlich nur dazu, dass man den eigenen Herzschlag umso lauter wahrnimmt – hören kann man aber immer noch. Zweitens sind die Ohren das erste Sinnesorgan, das sehr früh in den ersten Wochen der Schwangerschaft im Mutterleib ausgebildet wird. Mit das Erste, was das sich noch zu entwickelnde Gehirn eines Fötus zu verarbeiten hat, sind demnach akustische Signale.
Die Welt als Geräusch oder Klang begleitet uns folglich von Beginn an und ununterbrochen. Etwas, das einem allerdings so nahe ist, kann nur sehr schwer in die nötige Distanz gebracht werden, um es analytisch zu betrachten und adäquat dem sezierenden Blick der Sprache zu unterwerfen.
- 27.
Vgl. als einen der prominentesten Beiträge zu dieser Frage Abbate (2004).
- 28.
Zum Zusammenhang zwischen Musikmachen und Musikwissenschaft-Machen, also zwischen musikwissenschaftlicher und musikpraktischer Herangehensweise siehe unten, S. 286 f.
- 29.
Die Grundlagen für die historische Form der Begriffskritik sind auch in der Musikwissenschaft im Wesentlichen in den 1970er-Jahren gelegt worden, in prominenter Weise etwa durch das im Geist der „Begriffsgeschichte“ entstandene Handwörterbuch der musikalischen Terminologie; vgl. Eggebrecht (1968, 1972), siehe auch Bandur (2016).
- 30.
Zur Problemstellung der „musikalischen Zeit“ siehe unten.
- 31.
- 32.
Abbate (2004).
- 33.
- 34.
Small (1998).
- 35.
- 36.
Für diese Information danken wir Bernd Edelmann.
- 37.
Goehr (2007).
Literatur
Abbate, Carolyn. 2004. Music – Drastic or gnostic? Critical Inquiry 30 (3): 505–536.
Bandur, Markus. 2016. Musikalisches Wissen und seine Geschichte als lexikographische Herausforderung: Das Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Fontes Artis Musicae 63 (3): 179–191.
Bolz, Sebastian. 2018. Akademische Lehre und Fachgeschichte: Historische und aktuelle Perspektiven aus der Musikwissenschaft. In Beitragsarchiv des Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung, Mainz 2016 – Wege der Musikwissenschaft, Hrsg. G. Buschmeier und K. Pietschmann. Mainz: Schott Campus.
Clayton, Martin, Trevor Herbert, und Richard Middleton, Hrsg. 2012. The cultural study of music. A critical introduction, 2. Aufl. New York: Routledge.
Cohen, Daniel J., und Tom Scheinfeldt, Hrsg. 2013. Hacking the academy. New approaches to scholarship and teaching from digital humanities. Ann Arbor: University of Michigan Press. https://doi.org/10.3998/dh.12172434.0001.001.
Cook, Nicholas. 2002. We are all ethnomusicologists now. In Musicology and Globalization, 52–59. Tokio.
Crawford, Tim, und Lorna Gibson, Hrsg. 2009. Modern methods for musicology. Prospects, proposals, and realities. Farnham: Ashgate.
Cusick, Suzanne G. 2006. On a lesbian relationship with music. A serious effort not to think straight. In Queering the pitch. The new gay and lesbian musicology, Hrsg. Philipp Brett et al., 67–83. New York: Routledge.
Eggebrecht, Hans Heinrich. 1968. Das Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Archiv für Begriffsgeschichte 12:114–125.
Eggebrecht, Hans Heinrich. 1972. Vorwort. In Handwörterbuch der musikalischen Terminologie, Bd. 1, Hrsg. Hans Heinrich Eggebrecht, 1–7. Stuttgart: Steiner.
Eggebrecht, Hans Heinrich. 1996. Musikwissenschaft in Forschung und Lehre. In Musikwissenschaft und Berufspraxis, Hrsg. Sabine Ehrmann-Herfort, 1–7. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Enard, Mathias. 2016. Kompass. Roman (Übers. Holger Fock und Sabine Müller). Berlin: Hanser.
Fuhrmann, Wolfgang. 2005. Kevin Korsyn, decentering music. A critique of contemporary musical research, Oxford, New York: Oxford University Press 2003. Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 2 (2–3): 279–287.
Fuhrmann, Wolfgang. 2011. Toward a theory of socio-musical systems: Reflections on Niklas Luhmann’s challenge to music sociology. Acta Musicologica 83 (1): 135–159.
Gardner, Matthew, und Sara Springfeld. 2014. Musikwissenschaftliches Arbeiten. Eine Einführung. Kassel: Bärenreiter.
Georgiades, Thrasybulos. 1977. Musik und Schrift. In Kleine Schriften, 107–120. Tutzing: Hans Schneider.
Georgiades, Thrasybulos. 1985. Nennen und Erklingen. Die Zeit als Logos. Hrsg. Irmgard Bengen. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht.
Goehr, Lydia. 2007. The imaginary museum of musical works. An essay in the philosophy of music. Oxford: Oxford University Press. Revised edition.
Harper-Scott, J.P.E., und Jim Samson, Hrsg. 2009. An introduction to music studies. Cambridge: Cambridge University Press.
Hentschel, Frank. 2012. Modularisierte Musikgeschichte. In Konstruktivität von Musikgeschichtsschreibung. Zur Formation musikbezogenen Wissens, Hrsg. Sandra Danielczyk et al., 241–260. Hildesheim: Olms.
Hirsch, Brett D., Hrsg. 2012. Digital humanities pedagogy. Practices, principles and politics. Cambridge: Open Book Publishers. https://doi.org/10.11647/obp.0024.
Hood, Mantle. 1960. The challenge of „bi-musicality“. Ethnomusicology 4 (2): 55–59.
Kania, Andrew. 2011. Definition. In The Routledge companion to philosophy and music, Hrsg. Theodore Gracyk und Andrew Kania, 3–13. London: Routledge.
Knaus, Kordula, und Andrea Zedler, Hrsg. 2012. Musikwissenschaft studieren. Arbeitstechnische und methodische Grundlagen. München: Utz.
Korsyn, Kevin. 2003. Decentering music. A critique of contemporary musical research. Oxford: Oxford University Press.
Lind, Gerald. 2016. „Vernunft ist nur selten vernünftig.“ Vom Umgang mit Gefühl und/oder/als Vernunft im Wissenschaftssystem. In Wissenskulturen der Musikwissenschaft. Generationen – Netzwerke – Denkstrukturen, Hrsg. Sebastian Bolz et al., 159–173. Bielefeld: transcript.
Mohr, Georg. 2012. Musik als erlebte Zeit. Philosophia naturalis 49 (2): 319–347.
Müller, Sven Oliver, und Jürgen Osterhammel. 2012. Geschichtswissenschaft und Musik. Geschichte und Gesellschaft 38 (1): 5–20.
Nassehi, Armin. 2011. Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen, 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag.
Nattiez, Jean-Jacques. 1990. Music and Discourse. Toward a Semiology of Music (Übers. Carolyn Abbate). Princeton: Princeton University Press.
Nünning, Vera, und Ansgar Nünning, Hrsg. 2010. Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse. Ansätze – Grundlagen – Modellanalysen. Stuttgart: Metzler.
Oberhaus, Lars, und Melanie Unseld. 2016. Musikpädagogik der Musikgeschichte. Eine Einleitung. In Musikpädagogik der Musikgeschichte. Schnittstellen und Wechselverhältnisse zwischen Historischer Musikwissenschaft und Musikpädagogik, Hrsg. Lars Oberhaus und Melanie Unseld, 7–13. Münster: Waxmann.
Pinch, Trevor, und Karen Bijsterveld. 2012. New keys to the world of sound. In The Oxford handbook of sound studies, Hrsg. Trevor Pinch und Karen Bijsterveld, 3–35. Oxford: Oxford University Press.
Rice, Timothy. 2017. Modeling ethnomusicology. New York: Oxford University Press.
Riethmüller, Albrecht. 1976. Die Musik als Abbild der Realität. Zur dialektischen Widerspiegelungstheorie in der Ästhetik. Wiesbaden: Steiner.
Rothkamm, Jörg, und Thomas Schipperges, Hrsg. 2015. Musikwissenschaft und Vergangenheitspolitik. Forschung und Lehre im frühen Nachkriegsdeutschland. Mit den Lehrveranstaltungen 1945 bis 1955. München: Edition text + kritik.
Shannon, Claude Elwood, und Warren Weaver. 1963. The mathematical theory of communication. Illinois: University of Illinois Press.
Small, Christopher. 1998. Musicking. The meanings of performing and listening. Middletown: Wesleyan University Press.
Sponheuer, Bernd. 2011. Schreiben über Musik. Theoretische Vorüberlegungen und eine These. In Ereignis und Exegese. Musikinterpretation, Interpretation der Musik, Hrsg. Camilla Bork et al., 183–190. Schliengen: Argus.
Sprick, Jan Philipp. 2010. Kann Musiktheorie ‚historisch‘ sein? Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie. Sonderausgabe „Musiktheorie | Musikwissenschaft. Geschichte – Methoden – Perspektiven“: 145–164.
Strawinsky, Igor. 1963. Thoughts of an octogenerian. In Dialogues and a diary, Hrsg. Igor Stawinsky und Robert Craft, 23–30. New York: Doubleday.
Thorau, Christian. 2000. Invasion der fremden Prädikate – Struktur und Metapher in der Musikbeschreibung (Beethoven, Klaviersonate op. 31, 2). In Klang – Struktur – Metapher. Musikalische Analyse zwischen Phänomen und Begriff, Hrsg. Michael Polth et al., 199–218. Stuttgart: Metzler.
Wiora, Walter. 1957. Musik als Zeitkunst. Die Musikforschung 10 (1): 15–28.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2019 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Bolz, S., Strigl, S. (2019). Theorie und Methode (in) der musikwissenschaftlichen Lehre. Wege zu einer Diskussion. In: Noller, J., Beitz-Radzio, C., Kugelmann, D., Sontheimer, S., Westerholz, S. (eds) Methoden in der Hochschullehre. Perspektiven der Hochschuldidaktik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26990-6_15
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-26990-6_15
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-26989-0
Online ISBN: 978-3-658-26990-6
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)