Mit diesem Kapitel wird an die Erläuterungen zum „regulatory state“ (Majone 1994) in Abschn. 7.4.2 angeschlossen. Dort wurde insbesondere die Liberalisierung als privatisierungsfördernde Regel betont. Häufig werden Privatisierung und Liberalisierung auch gemeinsam untersucht, weil davon ausgegangen wird, dass Eigentümerwechsel und Regulierung im engen Zusammenhang stehen (Levi-Faur 2003; Belloc et al. 2014; Engartner 2016a). Nachfolgend geht es hier nun um Regeln, die sich auf das Verhältnis zwischen Privatisierung, Wettbewerb, Preis- und Qualitätskontrolle oder aber auf die sozialen Folgen von Privatisierung beziehen. Sie können dabei einen komplementären, also Privatisierung ergänzenden Charakter haben. Sie können aber auch kompensatorisch festgelegt sein. Im Mittelpunkt stehen dann die antizipierten oder tatsächlichen Folgen der Privatisierung (vgl. Kap. 12).Footnote 1

In diesem Kapitel wird nach einer Definition von Regulierung ein Überblick über Regulierungen gegeben, die – wie gesagt komplementär und kompensatorisch – privatisierungsrelevant sind. Daran schließen sich Hinweise zur „Politics of Regulation“ (Wilson 1980; Baldwin et al. 2010, S. 40–67) im Rahmen der vergleichenden Policy-Analyse an. Maßgeblich ist dabei die Perspektive, dass mit einer Liberalisierung von Märkten und Privatisierung ein Wachstum von Regulierungen einhergehen kann. Diese Sichtweise findet sich in eingängiger Weise in dem Slogan „Freer markets, more rules“ (Vogel 1996; s. a. Schamis 2002) wieder.

11.1 Regulierung und Privatisierung – Definitionen

Bei Regulierung handelt es sich zunächst um einen Sammelbegriff für Regelsetzungen, die darauf abzielen, das Verhalten kollektiver und individueller Akteure in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen und/oder negative Effekte sozialer und wirtschaftlicher Tätigkeiten zu vermeiden oder zu minimieren. Regulierung wird von der direkten staatlichen Leistungserbringung, von der staatlich basierten Umverteilung (etwa durch Steuern) und der direkten staatlichen Intervention durch Gewalt abgegrenzt. Sie eröffnet und restringiert für kollektive und individuelle Akteure in unterschiedlichem Maße wirtschaftliche, soziale und kulturelle Handlungsspielräume. Regulierungen sind mit staatlicher Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten verbunden; bei der Definition von Zielen und Strafen wie auch bei möglichen Sanktionen steht der staatliche (Gewalt-)Apparat im Hintergrund. Auch wird durch bestimmte Regulierungen, die überdies mit finanziellen Anreizen gekoppelt sein können, die Umverteilung materieller Ressourcen angestrebt, etwa durch staatliche Entgeltfestsetzungen oder Zumutbarkeitsregeln auf dem Arbeitsmarkt. Regulierung steht also in einer relativen und variablen Distanz zur staatlichen Intervention (Jordana und Levi-Faur 2004; Baldwin et al. 2012; Paul et al. 2017). Für unser Thema ist zwischen allgemeinen Regulierungen und denjenigen zu unterscheiden, die im direkten Zusammenhang mit einem Eigentümerwechsel stehen. Allgemeine Regeln adressieren Risiken, etwa beim Arbeitsschutz, bei hygienisch-medizinischen Standards oder mit Blick auf negative Umweltexternalitäten, die mit jeglicher Tätigkeit in einem Bereich verbunden sind, unabhängig davon, ob die Leistungserbringung staatlich, privat oder gemeinnützig erfolgt (Döhler und Wegrich 2010; Black 2012). Bei den mittelbar und unmittelbar auf Privatisierungen, also die (Veränderung der) Eigentümerstruktur, bezogenen Regulierungen lässt sich – wie gesagt – zwischen komplementären und kompensatorischen Regelwerken unterscheiden: Eine zur Privatisierung komplementäre Regulierung zielt darauf ab, Monopol- und Rent Seeking-Effekte privater Eigentümerschaft zu kontrollieren und die angestrebten Ziele der Privatisierung, z. B. eine höhere Effizienz, auch tatsächlich zu realisieren. Zentral sind hier beispielsweise begleitende Wettbewerbs- und Kartellregulierungen. Eine zu Privatisierung kompensatorische Regulierung strebt an, etwaige Negativeffekte der Entstaatlichung, etwa in der Versorgung der Bevölkerung und in den Arbeitsbeziehungen, einzuhegen. Während die (Re-)Regulierung dabei die institutionelle Dimension erfasst (Veränderung der Regelwerke), geht es auf der organisatorischen Ebene um den Aufbau von Agenturen (z. B. der BNetzA) bzw. administrativen Einheiten (Beteiligungsmanagement in Finanz- und Fachministerien), welche die Implementation und Kontrolle der Regulierungen übernehmen (vgl. Tab. 11.1).

Tab. 11.1 Komplementäre und kompensatorische Regulierungen

11.2 Komplementäre Regulierungen

Über die europäischen Liberalisierungen mit ihrem wettbewerbs- und mittelbar privatisierungsfördernden Charakter ist bereits ausführlich in Abschn. 7.4.2 berichtet worden. Höpner et al. (2011) unterscheiden „Liberalisierungspolitik in fünf wirtschafts- und sozialpolitischen Sphären“. Das sind die „1) Liberalisierung der Produktmärkte in den staatsnahen Sektoren öffentlicher Daseinsvorsorge; 2) Rückführung direkter Staatseingriffe in die Privatwirtschaft durch Privatisierungspolitik und Subventionsabbau, 3) Liberalisierung der Arbeitsmärkte durch Abbau von Kündigungsschutz und Reformen bei der Gewährung von Lohnersatzleistungen; 4) Liberalisierungspolitik in den anderen beiden großen Säulen des Wohlfahrtsstaats, der Renten- und Gesundheitspolitik und 5) die marktschaffende Politik im Bereich der Beziehungen zwischen Unternehmen, zwischen Unternehmen und Investoren sowie in der Sphäre der Finanzmärkte“ (Höpner et al. 2011, S. 9). In dem Zusammenhang zwischen Regulierung und Privatisierung (Belloc et al. 2014; Koske et al. 2015, S. 9–10; Eckert 2017) sind folgende privatisierungsrelevante komplementäre Regulierungen zu thematisieren.

Ein erstes Bündel Regulierungen bezieht sich auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen. Es soll verhindert werden, dass Staatsunternehmen, die privatisiert worden sind, eine Monopolstellung am Markt einnehmen (private Monopole) und sich daraus Ineffizienzen und Rent Seeking-Effekte ergeben (Alemani et al. 2013). Zu derartigen Regulierungen gehören rechtliche Ermöglichungen und Grenzen des Markteintritts für neue Unternehmen und insbesondere das Kartellrecht, mit dem eine marktbeherrschende Stellung bestimmter Unternehmen verhindert werden soll. Im Fall der Privatisierung der Landeskliniken Hamburg (Abschn. 10.3.5), aber auch mit Blick auf die Fusionen im Wohnungsmarkt im Herbst 2015 (Handelsblatt 21.10.2015; Abschn. 8.1.7) nach erfolgter Privatisierung wurden und werden wettbewerbsrechtliche Prüfungen durchgeführt, um eine Monopolbildung zu verhindern. Das Wettbewerbsrecht zielt in seinem Kern darauf ab, Konkurrenz zwischen Unternehmen zu ermöglichen und auf diese Weise ökonomische Ineffizienz zu reduzieren und Innovation zu ermöglichen (Röber 2018b). Sofern das zuvor staatliche Unternehmen eine Monopolstellung hatte, ist es zentral, dass weitere neue Unternehmen (wie etwa im Telekommunikationssektor) ohne besondere rechtliche Hürden Zutritt zum Markt bekommen. Im Bereich der Infrastrukturen stellt sich hier das besondere Problem der ‚natürlichen Monopole‘ und der vertikalen Integration der Unternehmen, sodass sich Regulierungen hier auf das so genannte ‚Unbundling‘ beziehen, das ist die Trennung von Netz (etwa Schienen- oder Stromnetze) und Betrieb (Passiertransport oder Stromnutzung des Endkunden). Damit soll der Marktzugang neuer Anbieter ermöglicht werden (Höpner et al. 2011, S. 10–11). Zu diesem Bündel an Regulierungen ist auch das Vergaberecht zu zählen, mit dem ein diskriminierungsfreier Wettbewerb zwischen Unternehmen bei der öffentlichen Leistungserbringung gewährleistet werden soll (Thai 2009; Burgi und Dreher 2017).

Ebenfalls komplementär zum Wechsel der Eigentümerschaft sind Regulierungen, die sich auf die Gestaltung der Preise beziehen. Preiskontrolle und -regulierung soll verhindern, dass eine etwaig marktbeherrschende Stellung zum Nachteil der Verbraucher und Konsumentinnen ausgenutzt wird bzw. dass durch Preise, die erhebliche Margen zugunsten der Unternehmen erlauben, Leistungsvermögen und Innovationskraft in Mitleidenschaft gezogen werden. Reguliert wird deshalb die Ermittlung von Preisen und deren Genehmigung, ein Beispiel ist hier die sogenannte Anreizregulierung (siehe unten).

Weiterhin gibt es Regulierungen, die sich über das Preisniveau hinaus auf die Versorgung mit bestimmten Dienstleistungen für diejenige Bevölkerung beziehen, deren Versorgung mit relativ höheren Kosten verbunden ist. So ist beispielsweise die Verteilung von Post in städtischen Räumen zu relativ geringeren Kosten zu organisieren als in ländlichen Räumen. Mit dem Prinzip der Universaldienstleistungen soll garantiert werden, dass die infrastrukturelle Versorgung auf einem gleichen Preisniveau und zu gleicher Qualität in allen Regionen gewährleistet wird. Das deutsche Postgesetz beschreibt den Begriff und den Umfang von Universaldiensten wie folgt:

„Universaldienstleistungen sind ein Mindestangebot an Postdienstleistungen […], die flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu einem erschwinglichen Preis erbracht werden. [Der Universaldienst …] umfasst nur solche Dienstleistungen, die allgemein als unabdingbar angesehen werden. […] Die Festlegung der Universaldienstleistungen ist der technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nachfragegerecht anzupassen.“ (§ 11 Abs. 1-2 PostG; Eckert 2017, S. 2–3).Footnote 2

Regulierungen des Wettbewerbs (Marktzugang, Ausschreibungen, Monopolkontrolle), der Preise und des Umfangs der Dienstleistungen (Universaldienstleistungen) sind also komplementär darauf angelegt, den Eigentümerwechsel im Sinne der strategischen Zielsetzungen (effizientere und effektivere Leistungserbringung) zu ergänzen. In dem folgenden Beispiel wird deutlich, dass komplementäre Regulierungen zur Privatisierung auch mit dem Aufbau ‚neuer‘ Organisationen, nämlich entsprechender Agenturen verbunden sind (Thatcher 2011; Varone et al. 2013; Eckert 2015):

Beim Vergleich der Privatisierung im Bereich der Telekommunikation und der Wasserversorgung wurde darauf hingewiesen, dass die dortige Preisbildung der staatlichen Genehmigung unterliegt, also keineswegs ‚spontan und frei‘ erfolgt. Es handelt sich hier um eine „regulation-for-competition“ (Jordana und Levi-Faur 2004, S. 6), die darauf abzielt, in netzgebundenen Bereichen mit natürlichen Monopolen Wettbewerb zu fördern und zu sichern, und zugleich den Besonderheiten des Sektors Rechnung zu tragen. Ein interessantes Beispiel ist das Prinzip der Anreizregulierung.

Die Bundesnetzagentur wurde 1998 im Zuge der Privatisierung der Deutschen Bundespost als Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post gegründet. Sie ist als Regulierungsagentur zuständig für die Festlegung von angemessenen Preisen (Abschn. 7.4.2). In diesem Zusammenhang stellen sich nun folgende Fragen: Vor welchen grundsätzlichen Problemen steht diese Regulierung? An welchen Maßstäben und Kriterien orientieren sich Netzagenturen? Hier sind drei Gesichtspunkte maßgeblich (Baldwin et al. 2012, S. 443–502). Aus der Perspektive der Nutzer geht es um einen angemessenen Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Das beinhaltet insbesondere eine Preishöhe, die eben nicht prohibitiv wirkt. Dazu gehören aber auch Erwartungen hinsichtlich einer angemessenen Qualität der Dienstleistung, etwa eine durchgehende Netzabdeckung. Mit dem Konzept der Universaldienstleistung ist überdies die Anforderung verbunden, dass Dienstleistungen mit einer hinreichenden Qualität und zu einem erschwinglichen Preis auch in jenen (ländlichen) Räumen angeboten werden, die gering besiedelt und schwer erreichbar sind, und wo sich deshalb die Leistungserbringung finanziell kaum lohnt. Aus der Perspektive der privaten Anbieter und Investoren müssen jedoch (ab einem bestimmten Zeitpunkt, ‚break even‘Footnote 3) die Einkünfte über den jeweiligen Kapitalkosten liegen und die Renditen eine Höhe erreichen, die mit Investitionen in andere Geschäftsfelder vergleichbar ist. Es geht hier also nicht allein um den Ertrag aus der spezifischen Geschäftstätigkeit, sondern auch um die Rendite im Verhältnis zu anderen Investitionsmöglichkeiten, etwa am Finanzmarkt. Der dritte Gesichtspunkt wird von der öffentlichen Hand eingebracht. Hier geht es um einen Preis, der die Qualität von Netzen in der gesamten Fläche absichert, insofern nicht nur reine Erhaltungsinvestitionen getätigt, sondern auch Innovationen umgesetzt werden. Aktuell führt in diesem Zusammenhang die zunehmende informationstechnologische Vernetzung dazu, dass über den Schutz ‚kritischer Infrastrukturen‘ gegenüber Cyberattacken und die damit verbundenen Kosten debattiert wird. In den Preis muss aus dieser Perspektive auch der finanzielle Aufwand für die Aufrechterhaltung von Netzen und Innovationen eingehen. Eine Preisregulierung ist also mit unterschiedlichen Erwartungen verbunden. Hinter den konkreten Preiskontrollmechanismen und ihren mathematischen Formeln verbergen sich eminent politische Auseinandersetzungen darüber, welche Erwartungen und Interessen berücksichtigt werden sollen.

Wie werden unter den Bedingungen eines eingeschränkten Marktes in netzgebundenen Infrastrukturen die Preise so bestimmt, dass den unterschiedlichen Ansprüchen genüge getan werden kann? Hier hat sich das Prinzip der Anreizregulierung durchgesetzt. Hierbei handelt es sich um einen Mechanismus, mit dem in netzgebundenen Infrastrukturen Wettbewerb simuliert und Investitionen gesichert werden sollen. Das Instrument ist gesetzlich detailliert bestimmt (für Deutschland in der Anreizregulierungsverordnung, ARegV) und wird durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Konkreten genutzt. Mit der Anreizregulierung geht es darum, erstens grundlegende Prinzipien der Refinanzierung von Investitionen von Unternehmen in netzgebundene Infrastrukturen festzulegen und diese zweitens mit anderen Ansprüchen an die Leistungserbringung (z. B. angemessene Preise oder Qualität) zu vermitteln.

Grundsätzlich unterscheiden sich die Anreizsysteme darin, ob sie für einen bestimmten Zeitraum eine bestimmte Obergrenze des Preises für die Nutzer (price cap) oder eine für die Erlöse der Unternehmen (revenue cap) bestimmen. Das ist eine grundlegende Verteilungsentscheidung, da im erstgenannten Fall (price cap) etwaige Risiken bei Betrieb und Aufrechterhaltung der Netze nicht an die Verbraucher weitergegebenen werden, während eine Preissteigerung aufgrund von unerwarteten Ereignissen und Veränderungen im zweitgenannten Modell möglich ist. Es findet durch die Wahl der Anreizregulierung also eine Risikoverteilung zwischen den Anbietern und Nutzern statt (Baldwin et al. 2002, S. 446–450; Kleinwächter 2012, S. 44–50).

Eine im Auftrag der Bundesnetzagentur erstellte Studie, die unterschiedliche Anreizregulierungen in sechs Ländern vergleicht (E-bridge 2014), benennt fünf Maßstäbe für eine angemessene Regulierung, nämlich Effizienz, Investitionen, Qualität, Innovationen sowie Transparenz und Einfachheit (E-bridge 2014). Ohne hier zu sehr in die recht komplexen Details zu gehen, besteht die ‚Kunst‘ des Anreizsystems darin, gewinnmaximierende Unternehmen zur Kostensenkung zu motivieren und eine angemessene Leistungserbringung zu gewährleisten, obwohl es keinen Wettbewerb im (Teil-)Markt gibt. Für einen bestimmten Regulierungszeitraum (etwa zwischen drei und acht Jahren) werden Erlösgrenzen (revenue cap) nach vorheriger Ermittlung eines bestimmten Kostenanteils ermittelt und festgelegt. Durch eine Reduktion der Kosten (Effizienzgewinn) ist es Netzbetreibern dann möglich, zusätzliche Gewinne zu erwirtschaften. Von der Regulierungsbehörde können zudem Vorgaben zur Steigerung der Produktivität gemacht werden. Es handelt sich hier um Vorgaben, die neben den bereits einbezogenen Kosten ein Vergleichs- und Wettbewerbsmoment beinhalten: Es können die Kosten im Branchendurchschnitt als Standard herangezogen werden, oder diejenigen des effizientesten Unternehmens im Markt. Investitionsanreize werden durch die Verzinsung des eingesetzten Kapitals bestimmt. Qualitätsparameter sind z. B. Versorgungssicherheit und -zuverlässigkeit, gemessen etwa durch Unterbrechungsdauer, -häufigkeit und -wahrscheinlichkeit. Zwecks Innovationsförderung werden (neben den Vorgaben der Produktivitätssteigerung als impliziter Innovationsförderung) auch explizite Vorgaben gemacht (E-bridge 2014, S. 4–10). Im internationalen Vergleich sind die Details der Anreizsysteme durchaus unterschiedlich (E-bridge 2014, S. 96–114).

Auch in Deutschland wurde eine Anreizregulierung mit Erlösobergrenze (revenue cap) eingeführt; die Berechnungsformel ist in der Anlage der entsprechenden Verordnung festgehalten (Anlage 1 zu § 7 ARegV). Die Regulierungsperiode beträgt derzeit fünf Jahre. In die Regulierungsformel werden die allgemeine Geldwertentwicklung, der generelle sektorale Produktivitätsfaktor, ein (territorialer) Erweiterungs- und Verteilungsfaktor, nicht beeinflussbare Kostenanteile (etwa gesetzliche Abnahme- und Vergütungspflichten, Konzessionsabgaben, Betriebssteuern, gesetzlich definierte Ausgleichszahlungen) und beeinflussbare Kostenanteile einbezogen (§§ 7–11 ARegV). Ein Effizienzvergleich (als Instrument der Produktivitätssteigerung) orientiert sich an den Parametern der Versorgungsaufgabe (etwa Fläche, Erzeugungsanlagen und Leitungslänge im Versorgungsgebiet) und dem Aufwand (Gesamt- und Kapitalkosten) (§§ 13–14 ARegV). Die Verordnung enthält überdies Bestimmungen zu Qualitätsvorgaben (§§ 18–20 ARegV) und zum Investitionsverhalten der Netzbetreiber (§ 21 ARegV).

Es handelt sich also um sehr detaillierte Vorgaben. Die Nutzen- und Kostenverteilung ist in Formeln festgelegt. Vergegenwärtigt man sich die Politics der Regulierung (Wilson 1980; Abschn. 11.4), dann ist folgende Konstellation festzustellen: Mit der Festlegung auf die Erlösobergrenze (revenue cap) und mit zwei Problemen der Anreizregulierung ist die Konstellation einer Klientelpolitik gegeben. Das eine Problem liegt darin, dass es erhebliche methodische Schwierigkeiten und Datenprobleme bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen gibt. Um etwaige Finanzrisiken zu vermeiden, gibt es daher eine Tendenz, diese Grenze eher hoch anzusetzen (Beckers et al. 2014, S. 63–118). Das zweite Problem ist die Intransparenz bei der Identifizierung dieser Grenze; es handelt sich um eine komplexe, lediglich Expertenkreisen zugängliche Ermittlung. Die Kosten und die Risiken bei diesem Modell sind also insgesamt eher den Verbrauchern zugewiesen, der Nutzen liegt bei wenigen Netzbetreibern, die einen starken Anreiz haben, auf eine hohe Erlösobergrenze hinzuwirken. Dabei werden sie von der Öffentlichkeit kaum als Interessengruppe wahrgenommen und/oder beobachtet. In dieser Konstellation einer Klientelpolitik kommt der Expertise, Wissensproduktion und Entscheidungskompetenz der BNetzA eine zentrale Bedeutung als Wächterin über die Gestaltung und Umsetzung der Regulierung und der einhergehenden Verteilungseffekte zu.

11.3 Kompensatorische Regulierungen

Ein weiteres Bündel an Regulierungen bezieht sich darauf, negative Privatisierungsfolgen einzudämmen. Tatsächlich ist die Zuordnung (komplementär/kompensatorisch) nicht immer ganz eindeutig vorzunehmen und hängt auch von den Kriterien ab, die sich aus der jeweiligen Privatisierungsstrategie ergeben. Wenn man auf Effizienz und Effektivität abstellt (wie oben geschehen), dann gehört die Regulierung von Universaldienstleistungen zu den komplementären Regulierungen. Wenn man alleine Kommodifizierung und Effizienz anstrebt, dann wäre die gleiche Regulierung kompensatorisch. Zu den breit diskutierten Negativfolgen von Privatisierung zählen aber veränderte Arbeits- und Tarifbedingungen der Beschäftigten nach vollzogener Privatisierung wie auch geringere parlamentarische und exekutive Kontrollmöglichkeiten der Unternehmenstätigkeit.

11.3.1 Eigentümerwechsel und Personalüberleitung

Zu den Effekten von materiellen wie funktionalen Privatisierungen gehören veränderte Arbeits- und Tarifbedingungen der Beschäftigten (vgl. Abschn. 12.2). In diesem Zusammenhang bietet das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) den Anknüpfungspunkt für Beschäftigte bei einem Eigentümerwechsel (also der Privatisierung), den Bestand der Rechtsnormen des bisher geltenden Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung über den gesetzlichen Zeitraum von einem Jahr hinaus (§ 613a BGB) zu verhandeln und damit die bisherigen Beschäftigungsbedingungen für die bisher Beschäftigten zu sichern. Wie bereits am Beispiel der Krankenhausprivatisierung in Hamburg (Abschn. 10.3.5) und für die Deutsche Telekom (Abschn. 10.2.1) beschrieben wurde, und bei den Effekten von Privatisierung (Kap. 12) nochmal eingehend dargestellt wird, sind für das Personal bei formalen und materiellen Privatisierungen deutlich nachteilige Effekte zu erwarten (Flecker et al. 2014). Die Beispiele aus Kap. 9 zeigen auch, dass es für diejenigen, die bislang zur Belegschaft gehörten, häufig bestimmte Überleitungsbestimmungen und -vereinbarungen gibt, etwa ein Rückkehrrecht in die öffentliche Verwaltung oder Rationalisierungsschutzmaßnahmen. Für die allgemeine Regulierung des Betriebsübergangs (hier: die Privatisierung) gilt in Deutschland folgende Maxime: „Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.“ (§ 613a Abs. 1 BGB) Auch wird hier festgehalten: „Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam.“ (§ 613a Abs. 4) Überdies haben die betroffenen Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht (§ 613a Abs. 6). Es gilt also bei einer Privatisierung zunächst einmal der Bestandsschutz für diejenigen Arbeitnehmer, die bisher in dem jeweiligen Unternehmen beschäftigt waren. Allerdings gilt dieser Bestandsschutz unter bestimmten Umständen nur für ein Jahr, sofern seinem Auslaufen nicht tarifrechtliche Regelungen oder Betriebsvereinbarungen entgegenstehen (§ 613a Abs. 1). Die allgemeine Regulierung wird also häufig mit einer konkret auszuhandelnden Vereinbarung gekoppelt, das heißt einem Personalüberleitungsvertrag, der zwischen der Vertretung der Beschäftigten (Personal- oder Betriebsrat), dem Verkäufer (der öffentlichen Gebietskörperschaft) und dem Unternehmen, das Betriebsanteile kauft, verhandelt wird. Derartige Vereinbarungen beinhalten ganz zentral den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, aber auch Regelungen für die Umsetzung des Personals und die Zumutbarkeit neu zugeordneter Aufgaben (Gerstlberger 1999; Schneider 2002; Sack und Schneider 2005, S. 186–191; Lewalter 2015, S. 61–67).Footnote 4 Ähnliche bestandswahrende Regulierungen bei Eigentümerwechsel sind auch aus anderen Ländern bekannt, in Großbritannien etwa die Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulation (TUPE) aus dem Jahr 2006, die 2014 zuletzt ergänzt wurde. Derartige bestandswahrende Regulierungen sind zeitlich befristet, wobei die Geltungsdauer verhandelt werden kann und auch von der gewerkschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit abhängig ist. Sie erstrecken sich in der Regel nicht auf Beschäftigte, die nach einem Eigentümerwechsel eingestellt werden. In der Folge ist bei privatisierten Unternehmen häufig eine ‚Zweiteilung‘ der Belegschaft festzustellen (Brandt und Schulten 2008; Flecker et al. 2014), nämlich in diejenigen, die tarifgebunden und durch eine Bestandsvereinbarung geschützt sind, und diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt und zu schlechteren Tarifbedingungen bei einem privatisierten Unternehmen bzw. einer Ausgliederung desselben angefangen haben; das heißt, dass bestimmte Beschäftigungsgruppen zu (relativ gesehen) sehr niedrigen Löhnen arbeiten (Hamburger Abendblatt 22.09.2012; 22.10.2012).

Mit Blick auf mögliche gleichstellungspolitische Rückschritte (Lewalter 2015, S. 90) durch einen Eigentümerwechsel erfolgten weitere kompensatorische Regulierungen: Diese legen fest, dass im Zuge von (Organisations-)Privatisierung die Gleichstellung von Frauen und Männern in ähnlicher Weise zu verfolgen ist wie in der öffentlichen Verwaltung. 2015 wiesen neun Bundesländer entsprechende privatisierungsbezogene Gleichstellungsregelungen auf. Ähnlich wie im Vergaberecht (siehe unten) zeigt sich eine erhebliche Differenz zwischen den Bundesländern, die jedoch politikwissenschaftlich nicht in gleicher Weise wie das Vergaberecht untersucht ist (Lewalter 2015, S. 94–106).

Nachteilige Effekte für die Beschäftigten im öffentlichen Sektor haben sich auch im Bereich der funktionalen Privatisierung gezeigt, also der Auftragsvergabe an Unternehmen, die nur teilweise tarifungebunden sind oder aber Tarifverträge haben, die sich im Niveau deutlich von den Leistungen der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst unterscheiden. Ein Feld der Regulierung, mit dem Negativeffekte der funktionalen Privatisierung kompensiert werden sollen, ist das Vergaberecht.

11.3.2 Funktionale Privatisierung und Vergaberecht

Wie bereits skizziert, ist das VergaberechtFootnote 5 im Prinzip auf einen fairen, das heißt ganz wesentlich transparenten und korruptionsfreien Wettbewerb ausgerichtet, der es Anbietern ermöglicht, sich um öffentliche Aufträge zu bewerben. ‚Im Prinzip‘ ist hier einschränkend gemeint, da es Bereiche gibt, in denen aus politischen und technischen Gründen ein eingeschränkter Wettbewerb erfolgt. Politisch begründet wird ein eingeschränkter Wettbewerb, etwa im Bereich der Sicherheits- und Rüstungsproduktion, mit geo- und militärstrategischen Erwägungen, etwa um einen leistungsfähigen (und damit internationale Abhängigkeit reduzierenden) Rüstungssektor vorzuhalten. Aber auch andere Leistungen unterliegen nicht oder nicht im vollen Umfang dem Vergaberecht, so etwa der Bereich der Rettungstransporte aufgrund seiner besonderen Bedeutung für den Katastrophenschutz (Thai 2009; Caranta und Trybus 2010).

Das Vergaberecht ist in zweierlei Hinsicht privatisierungsrelevant. Erstens ist die Veräußerung von GmbH-Anteilen ab bestimmten Schwellenwerten, d. h. Finanzvolumina, die sich je Sektor unterscheiden, ausschreibepflichtig. Sie müssen öffentlich mit einer genauen Beschreibung bekannt gemacht werden (z. B. im Tenders Electronic Daily, TED, einem Online-Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union [European Tender]).Footnote 6 Dies ist zweitens nicht nur eine rechtliche Anforderung, sondern aus Sicht der öffentlichen Gebietskörperschaft auch rational, da sie auf diese Weise die Angebote unterschiedlicher Wettbewerber vergleichen kann. Das Vergaberecht legt also die wettbewerblichen Anforderungen an die materielle Organisationsprivatisierung fest (Gerstlberger und Schneider 2008, S. 42–48).

Es handelt sich beim Vergaberecht hierbei um Regulierungen, die auf vier Ebenen festgelegt werden: Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gelten das Government Procurement Agreement, das eine diskriminierungsfreie Vergabe anstrebt. Aber global gilt auch die Konvention 94 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die soziale Mindeststandards für die öffentliche Auftragsvergabe vorsieht. Sie legt fest, dass die Lohn- und Arbeitsbedingungen der im Rahmen öffentlicher Aufträge beschäftigten Arbeitnehmer sich mindestens am regionalen Tarifvertrag des jeweiligen Sektors zu orientieren haben. Die einschlägige Richtlinie 2004/18/EG ermöglichte ausdrücklich, soziale Aspekte und lohnbezogene Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe einzubeziehen. Das Bundesrecht hat mit seiner Reform 2008 diese Ermöglichung praktisch im gleichen Wortlaut umgesetzt: Lohnbezogene Kriterien gehören zu denjenigen Anforderungen, die bei einer Auftragsvergabe festgelegt werden können (nicht müssen!) und die „insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben“ (§ 97 Abs.4 GWB). Auf der Ebene der Bundesländer hat es seit Ende der 1990er Jahre Landesvergabegesetze gegeben, die bei der öffentlichen Auftragsvergabe (in unterschiedlichem Maße) lohnbezogene Kriterien (Einhaltung bestimmter Tarife, vergabespezifische Mindestlöhne, gleiche Bezahlung von Stammpersonal und Leiharbeitern) festgelegt haben (Schulten und Pawicki 2008; Fehling 2015; Sack und Sarter 2018). Dabei wurden nicht nur unterschiedliche Festlegungen getroffen, sondern im Zeitraum zwischen 1999 und 2017 gab es 48 parlamentarische Entscheidungen, mit denen soziale Kriterien bei der funktionalen Privatisierung beschlossen, grundsätzlich novelliert oder abgeschafft wurden. Es handelt sich also um eine Regulierungspolitik mit hohem Konfliktniveau. Ihr kompensatorischer Charakter wird beispielhaft in folgender Begründung für einen vergabespezifischen Mindestlohn deutlich:

„Die Festsetzung eines Mindeststundenentgelts [bei öffentlichen Aufträgen, DS] verhindert, dass sich im Wettbewerb um öffentliche Aufträge konkurrierende Unternehmen durch ein unbegrenztes Unterbieten bei den Arbeitskosten Vorteile verschaffen können, die letztlich durch Transferleistungen zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgeglichen werden müssen. Durch die Zahlung auskömmlicher Löhne werden die sozialen Sicherungssysteme folglich entlastet.“ (LT-Drs. NW 15/2379, S. 43–44)

Kompensiert werden hier die lohnbezogenen Nachteile, die Beschäftigten bei funktionaler Privatisierung entstehen; dies geschieht auch mit Blick darauf, dass diese nicht aufgrund geringen Entgelts ergänzende Sozialleistungen geltend machen können.

11.3.3 Privatisierung und Transparenz

Ein weiterer Bereich, in dem (mögliche) Negativeffekte der Privatisierung kompensatorisch reguliert werden, ist derjenige der Transparenz und Informationsfreiheit. Dabei ist die grundsätzliche Zielsetzung entsprechender Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetze darauf ausgerichtet, den Zugang zu administrativen Vorgängen im Allgemeinen für die Bürger zu gewährleisten (und damit die Legitimität des Verwaltungshandelns zu erhöhen) (Richter 2017). Privatisierungsrelevant sind jene Regulierungen, die sich auf Vorgänge der Privatisierung und auf jene Unternehmen beziehen, die an der öffentlichen Leistungserbringung beteiligt sind. Als Beispiele sind hier etwa die Veröffentlichung des Maut-Vertrages für den deutschen Bundesfernstraßenverkehr (FAZ 22.05.2006), die Privatisierung der Unternehmen Leuna/Minol durch die Treuhandanstalt (BVerwG 7 20.14), die Verträge der Berliner Wasserbetriebe (2007) oder die Unterlagen zum Verkauf der IKB Bank durch die Bundesregierung und die Finanzplanungen der Deutschen Bahn AG (Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/11 07.11.2017) zu nennen. Transparenzregulierungen beinhaltet also auch die Möglichkeit (oder eben nicht), kompensatorisch auf jenen Informationsverlust zu reagieren, der mit einem Eigentümerwechsel einhergehen kann.

Zu den allgemeinen Regulierungen, die auch privatisierungsrelevant sind, gehören die parlamentarischen Auskunftsrechte (z. B. Kleine und Große Anfragen). Krumm (2013) hat hier beispielsweise für den Zeitraum 2001–2012 99 Anfragen im Deutschen Bundestag identifiziert, die einen Bezug zu ÖPP haben (Krumm 2013, S. 400). Das Problem liegt hier grundsätzlich darin, zwischen dem öffentlichen Interesse an möglichst vollständiger Information und schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresse von privaten Unternehmen zu vermitteln. 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht (geklagt hatten Abgeordnete der Bündnisgrünen) über die Auskunftspflicht der Bundesregierung zu Vorgängen, die nicht im unmittelbaren Kernbereich der Exekutive liegen, sondern formal privatisiert sind. Hier ging es um die Investitions- und Finanzplanung der Deutschen Bahn AG. Im Ergebnis erweiterte das Bundesverfassungsgericht (BVerG) die Auskunftspflicht der Exekutive gegenüber der Legislative. Folgende Leitsätze des BVerg-Urteils vom 07.11.2017 (2 BvE 2/11) sind hier für die parlamentarischen Auskunftsrechte unter den Bedingungen von formaler und materieller Privatisierung relevant:

„[…] 2. Das verfassungsrechtlich garantierte parlamentarische Frage- und Informationsrecht unterliegt Grenzen, die, auch soweit sie einfachgesetzlich geregelt sind, ihren Grund im Verfassungsrecht haben müssen. Vertraglich vereinbarte oder einfachgesetzliche Verschwiegenheitsregelungen sind für sich nicht geeignet, das Frage und Informationsrecht zu beschränken.

3. Der Informationsanspruch des Parlaments kann sich als Ausdruck der aus dem Demokratieprinzip folgenden Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament nur auf Angelegenheiten beziehen, die in den Verantwortungsbereich der Regierung fallen. Die Verantwortlichkeit der Regierung im Kontext demokratischer Legitimation erstreckt sich auf alle Tätigkeiten von mehrheitlich oder vollständig in der Hand des Bundes befindlichen Unternehmen in Privatrechtsform. Dabei ist die Verantwortlichkeit der Regierung nicht auf die ihr gesetzlich eingeräumten Einwirkungs- und Kontrollrechte beschränkt.

4. Der Verantwortungsbereich der Bundesregierung für die Deutsche Bahn AG bezieht sich auf die Ausübung der Beteiligungsverwaltung sowie auf die Regulierungstätigkeit der Bundesbehörden und die sachgerechte Erfüllung des Gewährleistungsauftrages aus Art. 87e Abs. 4 GG. Darüber hinaus liegt auch die unternehmerische Tätigkeit der Deutschen Bahn AG im Verantwortungsbereich der Bundesregierung. […]“ (Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/11 7.11.2017)

Deutlich zeigt sich in diesen Leitsätzen, dass das Bundesverfassungsgericht die Auskunftspflicht der Regierung gegenüber den Parlamenten auch auf jene öffentliche Leistungserbringung ausgeweitet wissen möchte, die in privatrechtlicher Form erfolgt oder aufgrund der Besitzverhältnisse von der Exekutive kontrolliert wird.

Zur Transparenz der öffentlichen Verwaltung gehören zudem die Informationsfreiheitsgesetze. Auch hier gilt: Diese beziehen sich nicht exklusiv auf Privatisierung, aber eben auch auf sie und ihre Folgen. Neben dem Informationsfreiheitsgesetz auf der Ebene des Bundes weisen auch die Bundesländer entsprechende Regulierungen auf, die in unterschiedlicher Art und Weise die Transparenz der öffentlichen Verwaltung gewährleisten. Interessant und privatisierungsrelevant sind an dieser Stelle jene Paragrafen, die auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen privater Unternehmen abstellen. Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz weist hier seit 1999 eine besondere Regelung auf. Die Verträge und weiteren Informationen, die mit der vollständigen oder teilweisen, mittelbaren oder unmittelbaren Übertragung von Aufgaben auf Private einhergehen (genannt sind die Bereiche Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Abfallentsorgung, öffentlicher Nahverkehr, Energieversorgung, Krankenhauswesen oder die Verarbeitung von Daten, die im Zusammenhang mit hoheitlicher Tätigkeit stehen) unterliegen grundsätzlich dem Informationsrecht (§ 7a Berliner Informationsfreiheitsgesetz-IFG). Eine ähnliche Regelung weist das Informationsgesetz des Bundes nicht auf.

Mit der Feststellung der Reichweite parlamentarischer Auskunftsrechte und dem Beispiel der Ausweitung von Informationspflichten auf jene (privatisierten) Organisationen, die mit der öffentlichen Leistungserbringung betraut sind, wird kompensatorisch auf die tatsächlichen oder vermuteten Informationsasymmetrien reagiert, die einem Eigentümerwechsel nachfolgen können.

11.4 Gründe für Regulierung

Diese komplementären und kompensatorischen Regulierungen können nun ihrerseits in ihrem Entstehungszusammenhang betrachtet werden. Hier wiederholt sich die bereits in Kap. 7 vorgetragene Argumentation: Man kann funktional argumentieren und unterstellen, dass durch diese Art von Regulierung bestimmte Effekte von Privatisierung bearbeitet werden sollen. Eine solche ‚problemlösungsorientierte‘ Perspektive setzt dreierlei voraus: Erstens ein breites soziales Bewusstsein von Risiken, seien diese technischer, ökologischer, wirtschaftlicher oder sozialer Art, also eine allgemeine Betroffenheit. Zweitens wird in dieser funktionalen Perspektive angenommen, dass diejenigen, die Regulierungskompetenzen haben, sachangemessen reagieren, also vorwiegend daran interessiert sind, die etwaigen Defizite auch wirksam (also nicht nur symbolisch) zu beheben. Drittens unterstellt die funktionale Perspektive, dass sich über die Gründe für ein Problem nicht streiten ließe, es also einen Konsens in der Problemdiagnose gibt.

Dieser Perspektive, Regulierung als funktionale Notwendigkeit zu betrachten, steht eine Politics-Perspektive gegenüber: „[T]here is a politics of regulation.“ (Wilson 1980, S. 357)Footnote 7. Diese Sichtweise geht davon aus, dass Regulierungen (re-)distributive Konsequenzen haben, sich also ihr Nutzen und ihre Kosten in der Gesellschaft auf Nutzer und Produzenten ungleich verteilen. Zugleich agieren Gruppen und kollektive Akteure bei den Auseinandersetzungen und Entscheidungen über Regulierungen gemäß ihrer Präferenzen und Interessen. Regulierung ist damit „the outcome of interest-group constellations“ (Baldwin et al. 2012, S. 48). Hier kann man an die Beobachtung anschließen, dass Privatisierung ein Umverteilungsprogramm ist, das selbst bei deutlichen Ineffizienzen für einige Beteiligte einen erheblichen Nutzen und zusätzliche Gewinne bringen kann (Stiglitz 2008, S. XI). Es geht dann einmal mehr um Politics. Die Frage, warum bestimmte privatisierungsbezogene Regulierungen entschieden werden, beantwortet sich nicht funktional, sondern mit Blick auf bekannte Erklärungsfaktoren (Kap. 7).

Eine ‚klassische‘ Heuristik der Regulierungsforschung basiert auf einfachen Annahmen der Rational Choice-Theorie und fokussiert insbesondere auf akteursbezogene Erklärungsfaktoren (Abschn. 7.57.7); zu den Akteuren werden neben Parteien und Interessengruppen auch Agenturen und Behörden gezählt. Zentral sind die Nutzenerwartungen und Kostenkalkulationen von kollektiven Akteuren. Die Heuristik, mit der die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Konfliktsituation erklärt werden soll, unterscheidet zwischen zwei Merkmalen, nämlich den Kosten und dem Nutzen der jeweiligen Regulierung einerseits und dem jeweiligen Konzentrationsgrad andererseits. Zwei Fragen kommen hier ins Spiel, nämlich ob der Nutzen einer Regulierung wenigen oder vielen Akteuren zugutekommt und ob wenige oder viele die entsprechenden Kosten tragen müssen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine simple Vierfelder-Matrix, deren Feldern jeweils eine bestimmte Konstellation bei Regulierungsinitiativen zugeordnet wird (Wilson 1980, S. 367–372).

Nach James Q. Wilson ist in einer Situation, in der viele, wenn nicht alle sozialen Gruppen in der Gesellschaft von einer Regulierung sowohl einen Nutzen haben als auch deren Kosten tragen, eine Mehrheitspolitik zu erwarten. Kosten und Nutzen sind so diffus verteilt, dass die Initiative für und die Entscheidung über eine Regulierung bei den politischen Parteien und der Regierung liegen. Maßgeblich sind deren Strategien und die jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnisse. Interessengruppen werden sich hier kaum engagieren. Wenn die Kosten eher konzentriert sind, aber der Nutzen diffus, dann ist von einer anderen Konstellation auszugehen: Interessengruppen, die Nachteile befürchten, werden versuchen, gegen eine Regulierung zu opponieren, aber eine öffentliche Unterstützung wird aufgrund des breit verteilten Nutzens eher ausbleiben. Anzunehmen ist dann eine unternehmerische Politik, die von wenigen besonders engagierten und durchsetzungsstarken Akteuren (Unternehmern im Sinne von Entrepreneuren) geprägt ist. Die dritte Situation ist dadurch charakterisiert, dass sowohl Kosten als auch Nutzen einer Regulierung hoch konzentriert sind. In einem solchen Fall ist eine direkte Auseinandersetzung zwischen Interessengruppen anzunehmen. Es handelt sich hier um einen klaren Konflikt, der von einer überschaubaren Zahl gegeneinander agierender Verbände ausgetragen wird. Zuletzt ist dann auf die Konstellation des Nutzens für wenige mit Kosten für viele einzugehen. Diese wird durch eine Klientelpolitik geprägt, in der Interessengruppen „a powerful incentive to organize and lobby“ haben (Wilson 1980, S. 369). Sie versuchen auf Politik und Verwaltung einzuwirken, um für sie vorteilhafte Regulierungen durchzusetzen (Tab. 11.2).

Tab. 11.2 Varianten der akteursbezogenen Regulierungspolitik

Die vergleichende Policy-Forschung, die sich mit der Verbreitung von Regulierungen im internationalen Vergleich befasst hat, fokussierte auf zwei (interagierende) Phänomene, nämlich erstens die Verbreitung von Regulierungen (die Veränderung von Regeln steht dann für einen institutionellen Wandel) und zweitens die Verbreitung von Regulierungsagenturen (deren Einrichtung oder Umgestaltung markiert einen organisatorischen Wandel) (Levi-Faur 2011; Thatcher 2011): „Rule making and rule-making agencies are closely connected.“ (Levi-Faur 2011, S. 5) Die komparative Policy-Forschung konzeptualisierte die Politics der Regulierung in anderer Weise als die Forschung zur Regulierung (siehe oben). Ähnlich der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung arbeitete sie mit Konzepten, in denen sozioökonomische und technologische Bedingungen, institutioneller Kontext (Pfadabhängigkeit, Veto-Punkte) und kollektive Akteure (Veto-Spieler, Parteien, Verbände, Allianzen/Netzwerke) interagieren, sodass zu einem Policy-Output (der Regulierung) kommt. Wie unterschiedlich die entsprechenden Untersuchungsanlagen dann im Detail sein können, lässt sich an einigen Beispielen skizzieren: Héritier et al. (2001) erklären die Liberalisierung in Infrastrukturen durch a) institutionelle Pfadabhängigkeit, also den Bestand bisheriger Regulierung, durch b) institutionelle Veto-Spieler, wie in Deutschland etwa der Bundesrat oder das Bundesverfassungsgericht, und durch c) faktische Veto-Spieler, zu denen Allianzen von Parteien, Verbänden und auch Netzwerken gehören können (Héritier und Knill 2001). Auch Citi und Justesen (2014) beziehen als erklärende Variablen für die Regulierungspolitik die Anzahl und den Charakter der institutionellen Veto-Spieler, die Fähigkeit zur Bildung von „winning coalitions“ (Citi und Justesen 2014, S. 711) und die ideologische Ausrichtung und politische „Farbe“ der beteiligten Institutionen ein. Der letztgenannte Faktor hat jedoch in ihrer Untersuchung von 169 EU/EG-Regulierungen (1984–2012) keine Erklärungskraft (Citi und Justesen 2014, S. 719–723). Als weitere Erklärungsfaktoren werden die transnationale Diffusion von Regulierungsmustern über Ländergrenzen hinweg durch die Imitation bestimmter Regulierungsmodelle und eine internationale Standortkonkurrenz (Simmons und Elkins 2004, s. a. Belloc et al. 2014, S. 1046; Jahn 2015) sowie die Eigenarten des jeweiligen technologischen Entwicklungsstandes ins Feld geführt (Levi-Faur 2003).

Eine größere Bereitschaft, eher den Telekommunikations- als den Stromsektor zu liberalisieren, ergibt sich hier aus den geringeren Risiken, die für politische Agenten mit der Liberalisierung eines Sektors mit neuer Infrastruktur und erheblicher Innovationsdynamik verbunden sind (Levi-Faur 2003, S. 730). Für die Verbreitung von Liberalisierung (als Beispiel für Regulierung) sind darüber hinaus das Zusammenwirken von institutionellem Regelwerk und strategischen Akteuren erklärungskräftig (Levi-Faur 2003, S. 729–731). Belloc et al. (2014) ermitteln anhand von sechs Infrastruktursektoren in 30 OECD-Ländern (1975–2007) einen Effekt der Parteiendifferenz: Rechte Parteien bevorzugen deutlich Privatisierung, während Regulierung eher links geführten Regierungen zuzurechnen ist (Belloc 2014 et al., S. 1038–1046). Ennser-Jedenastik (2016) prüft anhand der Regulierungsagenturen (110 Agenturen, 1980–2009, 20 europäische Demokratien) den Einfluss von Parteien und kommt zu folgenden Ergebnissen: Extreme Parteien bzw. kleine Parteien sind eher geneigt, Agenturen zu gründen, da sie eher mit dem Verlust von politischem Einfluss (in der nächsten Legislaturperiode) rechnen müssen als große Parteien. Säkulare rechte Parteien gründen eher Agenturen mit einer ökonomischen als einer sozialen Aufgabenbestimmung (Ennser-Jedenastik 2016, S. 199–204), wobei die allgemeine Verbreitung von Agenturen auch stark auf einen Diffusionseffekt zurückzuführen ist. Linke Parteien, so eine andere Studie zum deutschen Wettbewerbsrecht, neigen unter bestimmten Bedingungen dazu, im stärkeren Maße soziale und ökologische Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (outsourcing) einzuführen und damit kompensatorisch auf funktionale Privatisierung zu reagieren (Sack und Sarter 2018).

Zusammenfassend ist festzuhalten: So wie es die Politics der Privatisierung gibt, so gibt es also auch eine der Regulierung. Regulierung ist nicht nur Problemlösung (sie ist es auch!), sondern das Ergebnis von Machtprozessen, die durch Institutionen ermöglicht und restringiert werden (Scharpf 2000). Wie auch bei der Entstaatlichung sind dabei Fragen nach der Parteiendifferenz relevant. So leuchtet es zunächst ein, dass wirtschaftsliberale Parteien eher auf ökonomische Liberalisierung und linke Parteien eher auf Verbraucherschutz setzen. Die Bedeutung der Parteiendifferenz wird in Teilen bestätigt (Ennser-Jedenastik 2016; Sack und Sarter 2018). Allerdings gibt es für Parteiendifferenz eben auch nur begrenzte Evidenz. Dies kann an zwei Phänomenen liegen: Die Literatur zur Regulierung betont, dass die Kosten der Regelsetzung nicht immer transparent sind: „One of the most important features of regulation is […] that it costs (and some suggest also its politics) are opaque“ (Levi-Faur 2011, S. 4). Die Literatur zur Regulierung weist aber auch darauf hin, dass mit neuen Regelwerken sowohl ökonomische als auch soziale Zielsetzungen verwirklicht werden, diese also eher kompromissorientiert sind (Eckert 2017). Regulierung ist dann programmatisch nicht eindeutig zu verorten.