Zusammenfassung
„Je niedriger die Wahlbeteiligung ausfällt, desto ungleicher ist sie“ (vgl. Tingsten 1975). Basierend auf dieser Annahme untersucht der Artikel die Besonderheiten bezüglich der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2017. Ziel ist es herauszufinden, welche Indikatoren für soziale Gleichheit einen Einfluss auf die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2017 haben. Zudem soll durch den Vergleich mit anderen Wahlen (Europawahl 2014, Landtagswahlen) untersucht werden, ob die Ergebnisse der Bundestagswahl eine Besonderheit in der Wahllandschaft darstellen. Zunächst wird die Wahlbeteiligung auf unterschiedlichen deutschen Ebenen (Bundes-, Landes- und Städteebene) in Bezug auf sozioökonomische Ressourcen (bspw. Arbeitslosigkeit und Haushaltseinkommen) analysiert. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die sozioökonomische Lage der Wahlkreise oder Stadtviertel einen erheblichen Einfluss auf die Wahlbeteiligung hat und die Arbeitslosenquote dabei ein starker Indikator ist, der stellvertretend für die soziale Lage insgesamt steht. Die europäische Kontextualisierung zeigt jedoch, dass dieses Phänomen kein rein deutsches, sondern ein ausgesprochen europäisches ist. Auch der Vergleich unterschiedlicher Wahlen zeigt, dass die soziale Schieflage nicht nur bei der Bundestagswahl 2017 vorzufinden ist, vielmehr liegt ein nahezu identischer Effekt auch bei der Europawahl 2014 vor. Der Effekt der sozioökonomischen Indikatoren auf die Wahlbeteiligung bleibt hingegen über alle Wahlen hinweg ähnlich stark. Die Befunde stehen zum Teil in Kontrast zu der Aussage von Herbert Tingsten und hinterfragen lang geglaubte Gesetzmäßigkeiten.
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Notes
- 1.
Die Arbeitslosenquoten sind hier die offiziellen, von der Bundesagentur für Arbeit herausgegebenen, Werte aus dem März 2017. Die Einkommenszahlen bezeichnen das Verfügbare Einkommen der privaten Haushalte in Euro pro Einwohner aus dem Jahr 2014. Es ist als der Betrag zu verstehen, der den privaten Haushalten für Konsumzwecke oder zu Ersparnisbildung zur Verfügung steht.
- 2.
Für Berlin und Hamburg liegt die Arbeitslosenquote nur für die gesamte Stadt vor und nicht für die einzelnen Wahlkreise. Daher liegen die einzelnen Punkte für die Stadtteile hier vertikal übereinander, da sie nur in der Wahlbeteiligung variieren.
- 3.
Auch hier liegen für Berlin und Hamburg die Daten zum Haushaltseinkommen nur für die gesamte Stadt vor (vergleiche mit Fußnote 2).
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Alle Grafiken sowie Analyseergebnisse wurden mit der statistischen Programmiersprache R erstellt. Die Autoren sind besonders den Autoren der Pakete ‚sp‘ (Bivand et al. 2013), ‚texreg‘ (Leifeld 2013) und ‚viridis‘ (Garnier 2017) sowie des ‚tidyverse‘ (Wickham 2017) – hier insbesondere ‚dplyr‘, ‚ggplot2‘ und ‚rvest‘ – dankbar.
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Haußner, S., Kaeding, M. (2019). Der erste Eindruck trügt. In: Korte, KR., Schoofs, J. (eds) Die Bundestagswahl 2017. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25050-8_8
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