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Ästhetisch Lernen und Lehren unter Gleichen: Warum ein unwissender Lehrmeister nicht genug ist

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Jacques Rancière: Pädagogische Lektüren

Zusammenfassung

Die Autorin nimmt die Auseinandersetzungen um den ‚unwissenden Lehrmeister‘ und den ‚emanzipierten Zuschauer‘ zum Anlass, um möglichen Grenzen in Rancières Bezugnahme auf den Gleichheitsbegriff nachzuspüren. Dabei betont sie die Komplementarität beider Figuren im Kontext von emanzipatorischen Theorieeinsätzen. Denn in beiden Figuren reflektiere sich die Bemühung, pädagogische oder andere Vereindeutigungs- und Beurteilungsstrategien, die über die Räume des (Nicht-)Wissens, der Interpretation und Intervention von vornherein verfügen, radikal zu problematisieren. Allerdings stehe Rancières Vorstellung der Artikulation eines Dissens über die Auszeichnung eines Gleichheitsmotivs in einem Missverhältnis zur Berücksichtigung der realen, von Herrschaft geprägten Bindungen der/s Sprechenden. Diesbezüglich greift Kleesattel auf Theorieangebote zurück, die die soziale Situiertheit sowie kollektive Formen der Auseinandersetzung mit Blick auf egalitär-emanzipatorische Lehr-/Lernprozesse stärker berücksichtigen. Die Autorin plädiert hier für die Aufnahme des Transversalitäts- und Intersubjektivitätskonzepts im Anschluss an Pierangelo Masets Verständnis ästhetischer Bildung.

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Notes

  1. 1.

    In anderer Konstellation sind einige der folgenden Überlegungen zuerst in Kleesattel (2016a) erschienen.

  2. 2.

    „Unter dem Stichwort der Relationalen Ästhetik beschreibt und propagiert [Nicolas] Bourriaud Strategien der 1990er-Jahre, die seiner Beobachtung nach soziale Beziehungen zum Inhalt und zum Material der künstlerischen Arbeiten werden lassen. Die relationale Kunst thematisiere das Soziale nicht mittelbar, auf der Ebene der Repräsentation, sondern sie schaffe mit der Ausstellungssituation Räume für menschliche Begegnungen und ‚soziale Experimente‘. […] [Claire Bishop] kritisiert, dass die Relationale Ästhetik zu reflektieren versäumt, welcher Art eigentlich die von ihr initiierten Begegnungen sind […]. Demokratie entsteht gerade nicht in der Einebnung gesellschaftlicher Widersprüche, sondern in ihrer Sichtbarmachung und Konfrontation sowie im ständigen Aushandeln unterschiedlicher Interessen.“ (Lochner 2014, S. 307, 309).

  3. 3.

    „Wenn mich jemand fragt, ob ich den Palast, den ich vor mir sehe, schön finde, so mag ich zwar sagen: ich liebe dergleichen Dinge nicht, die bloß für das Angaffen gemacht sind, oder, wie jener irokesische Sachem: ihm gefalle in Paris nichts besser als die Garküchen; ich kann noch überdem auf die Eitelkeit der Großen auf gut Rousseauisch schmählen, welche den Schweiß des Volks auf so entbehrliche Dinge verwenden; ich kann mich endlich gar leicht überzeugen, daß, wenn ich mich auf einem unbewohnten Eilande, ohne Hoffnung, jemals wieder zu Menschen zu kommen, befände, und ich durch meinen bloßen Wunsch ein solches Prachtgebäude hinzaubern könnte, ich mir auch nicht einmal diese Mühe darum geben würde, wenn ich schon eine Hütte hätte, die mir bequem genug wäre. Man kann mir alles dieses einräumen und gutheißen; nur davon ist jetzt nicht die Rede. Man will nur wissen: ob die bloße Vorstellung des Gegenstandes in mir mit Wohlgefallen begleitet sei, so gleichgültig ich auch immer in Ansehung der Existenz des Gegenstandes dieser Vorstellung sein mag“ (Kant 2009, § 2, S. 49).

  4. 4.

    „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ (Kant 1966, S. 711).

  5. 5.

    Die Ausübung physischer Gewalt sei blanker Zwang und wirke damit im Gegensatz zur verdummenden Belehrung – welche „die Bewegung der Vernunft auf[hält]“ und das Selbstvertrauen der Lernenden zerstört – nicht anti-emanzipatorisch. „Das Kind, das unter der Drohung von Schlägen stottert, gehorcht der Rute, das ist alles, und es wird seine Intelligenz auf etwas anderes verwenden. Aber der Kleine, dem erklärt worden ist, wird seine ganze Intelligenz in diese Trauerarbeit investieren: zu verstehen, das heißt, zu verstehen, dass er nicht versteht, wenn man ihm nicht erklärt. Er unterwirft sich nicht mehr der Rute, sondern der Hierarchie der Welt der Intelligenzen“ (Rancière 2009a, S. 18).

  6. 6.

    Bewusst spreche ich hier und im Folgenden von Wissen im Plural, auch wenn dies im Deutschen grammatikalisch inkorrekt sein mag. Ich halte die Verwendung dieses Plurals aber nicht nur angesichts von Rancières emanzipationspolitischem Plädoyer dafür, auch bislang nicht legitimierte Wissenspraktiken, -formen und -inhalte anzuerkennen, für notwendig. Aus wissenstheoretischer Warte ist zudem wiederholt auf die Umkämpftheit von Wissensansprüchen sowie auf die lebensweltliche, soziohistorische und materielle Verortung von „situated and embodied knowledges“ (Haraway 1988, S. 583) hingewiesen worden (vgl. Foucault 2003), womit die Neutralitätsansprüche, welche die universalisierende Rede vom Wissen im Singular impliziert, als problematisch erachtet werden müssen.

  7. 7.

    So pocht er etwa darauf, dass Intelligenz „unteilbar, ohne Gemeinschaft [und] nur in den Individuen“ sei (Rancière 2009a, S. 92, vgl. auch 2009b, S. 27).

  8. 8.

    Zu diesem spezifischen Beispiel siehe Kleesattel (2018).

  9. 9.

    Dass dies auch für als ‚Kunst‘ bezeichnete Gegenstände gilt, haben Bourdieu und die künstlerische Institutionskritik zur Genüge dargelegt (ausführlicher dazu Kleesattel 2016a, S. 315 ff.).

  10. 10.

    Insofern sind auch die unterrichtlichen Objekte als quasi-subjektive Akteure transversaler Lehr-Lern-Prozesse zu betrachten.

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Kleesattel, I. (2019). Ästhetisch Lernen und Lehren unter Gleichen: Warum ein unwissender Lehrmeister nicht genug ist. In: Mayer, R., Schäfer, A., Wittig, S. (eds) Jacques Rancière: Pädagogische Lektüren. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24783-6_11

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