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Part of the book series: Globale Politische Ökonomie ((GPÖ))

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Zusammenfassung

Wie im vorherigen Kapitel ausgeführt, ist das Verhältnis von Klassen und Staat in der Türkei bislang höchst unbefriedigend aufgearbeitet, vor allem fehlt zurzeit noch eine gesellschaftstheoretische und historische Grundierung, was nicht zuletzt die omnipräsente Rolle instrumentalistischer und orientalistischer Zugänge zum Staat, aber auch zur Hegemonie illustriert. Dies gilt zumindest für den deutschsprachigen Raum und blockiert dort (wie im ersten Kapitel gezeigt) die Entwicklung kritischer Ansätze zu den EU-Türkei-Beziehungen. Auch jene Kräfte, die den Staat in (West-)Europa als gesellschaftliches Verhältnis betrachten, neigen – entgegen ihrem eigenen Anspruch – zumindest implizit dazu, dem türkischen Staat diesen Charakter abzusprechen und tendieren dazu, ihn als quasi außergesellschaftlichen Apparat (orientalistisch) oder als beliebig manipulierbares Instrument im Dienste einer Gruppe oder Klasse (instrumentalistisch) zu betrachten.

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Notes

  1. 1.

    „Pläne und Handlungen, emotionale und rationale Regungen der einzelnen Menschen greifen beständig freundlich oder feindlich ineinander. Diese fundamentale Verflechtung der einzelnen, menschlichen Pläne und Handlungen kann Wandlungen und Gestaltungen herbeiführen, die kein einziger Mensch geplant oder geschaffen hat. Aus ihr, aus der Interdependenz der Menschen, ergibt sich eine Ordnung von ganz spezifischer Art, eine Ordnung, die zwingender und stärker ist, als Wille und Vernunft der einzelnen Menschen, die sie bilden“ (Elias, 1997b, 325).

  2. 2.

    „Der Einzelne wird gezwungen, sein Verhalten immer differenzierter, immer gleichmäßiger und stabiler zu regulieren“ (Elias, 1997b, 327). „(D)ie Richtung dieser Veränderung des Verhaltens im Sinne einer immer differenzierten Regelung der gesamten, psychischen Apparatur ist bestimmt durch die fortschreitende Funktionsteilung und die Ausweitung der Interdepenzketten, in die, mittelbar oder unmittelbar, jede Regung, jede Äußerung des Einzelnen unausweichlich eingegliedert ist“ (Elias, 1997b, 328).

  3. 3.

    Die von Norbert Elias 1939 als „Prozess der Zivilisation“ beschriebene Ausbildung von Staatlichkeit im Westeuropa des 9. bis 19. Jahrhunderts in Form eines Wechselspiels von Soziogenese und Psychogenese wird dabei im Kontext dieser Arbeit weniger als konkret historische Arbeit über die Konstitution des französischen Staates, sondern im Sinne der foucaultschen Elias-Rezeption als Ausgangspunkt einer herrschaftskritischen Soziologie der Macht und des Staates gelesen.

  4. 4.

    Althusser spricht im Kontext der Ideologie nicht von der Kohärenz der Verkehrsformen, sondern von der Reproduktion der Arbeitskraft.

  5. 5.

    Die Offenlegung des Systems der realen Verhältnisse die die Existenz der Individuen beherrschen, wäre hingegen eine Praxis der Emanzipation, d. h. einer herrschaftsüberwindenden Konstitution von Subjekten.

  6. 6.

    Laclau selbst sprach in seiner Studie zum Populismus vom „Feld des populardemokratischen Kampfes“ (Laclau, 1981, 145), wenn ich dieser Stelle stattdessen vom „National-Popularen“ spreche, so deshalb weil ich mich auf der höheren Abstraktionsebene bewege, die versucht, Staatlichkeit als solche zu ergründen. Die Konzeption des popular-demokratischen Feldes hingegen setzt die Existenz der Nation und des Staates bereits als gegeben voraus, da sie auf ein konkretes Problem hin operationalisiert ist.

  7. 7.

    Wer zum Beispiel an exponierter Stelle im Staatsapparat arbeitet, bildet nicht den Mehrarbeit aneignenden Pol einer Produktionsweise, gehört aber dennoch zu den Führenden, auf Grund einer vorteilhaften Position innerhalb der Interdepenzketten, die sich in einer entsprechenden Lebensweise manifestiert.

  8. 8.

    Die bürokratische Verwaltung des Klassenantagonismus in der realsozialistischen Staatenwelt und das Scheitern des Reformismus sozialdemokratischer Provenienz reihen sich bruchlos in diese Regelmäßigkeit ein. Das emanzipatorische Potential etatistischer Kapitalismuskritik scheint gering, da es die antagonistische Arbeitsteilung als solche nicht überwindet und zum Teil auch gar nicht überwinden will. Derweil mündet der Romantizismus antieatistischer Kapitalismuskritik regelmäßig in der Apologie des Marktes, der ohne Staat nicht existieren kann. Dies gilt – wie wir sehen werden – gerade auch für islamistische Kritiken kapitalistischer Vergesellschaftung und Normierung.

  9. 9.

    Auch sozialistische Hegemoniekonzeptionen wollen sozialistische Hegemonie herstellen, nicht aber Hegemonie überwinden – zumindest nicht in einem ersten Schritt. Dies wird auch von Gramsci sehr plastisch herausgearbeitet.

  10. 10.

    „Das Kapital (…), das in der Wohnung, den Handwerkszeugen und der naturwüchsigen, erblichen Kundschaft bestand und sich wegen des unentwickelten Verkehrs und der mangelnden Zirkulation als unrealisierbar vom Vater auf den Sohn forterben mußte. Dies Kapital war nicht, wie das moderne, ein in Geld abzuschätzendes, bei dem es gleichgültig ist, ob es in dieser oder jener Sache steckt, sondern unmittelbar mit der bestimmten Arbeit des Besitzers zusammenhängendes, von ihr gar nicht zu trennendes, und insofern ständisches Kapital“ (MEW 3, 52).

  11. 11.

    Geld ist insofern kein neutrales Tauschmittel, als das diesem eine besondere Rolle zukommt: Es kann im Gegensatz allen anderen Waren direkt in jede beliebige Waren verwandelt werden und braucht dazu kein besonderes Medium. In diesem Sinne ist es bereits durch seine Funktion als Tauschmittel nicht neutral, sondern gegenüber anderen Waren exponiert. Darüber kann es durch seine Funktion als Tauschmittel gegen Zinsen verliehen werden. In einem solchen Falle ist es zinstragend, der Zins ermöglicht die Akkumulation in Form von G-G-G`. Geld fungiert damit sowohl als Tauschmittel wie auch als Ware.

  12. 12.

    Verstanden als Abschöpfung der Mehrarbeit ist das Kapitalmoment ebenso im feudalen Frondienst oder der hierarchischen Arbeitsteilung der Geschlechter präsent; das Spezifische an der kapitalistischen Produktionsweise ist indes die Formalisierung des Kapitalmomentes in Form des Lohnverhältnisses und die von der kapitalistischen Konkurrenz getriebene Reinvestition der Mehrarbeit.

  13. 13.

    Auch im Falle eine finanzgetriebenen Akkumulation muss eine qua Zirkulation prozessierte Korrespondenz zwischen den unterschiedlichen Kapitalformen bestehen. Nur so kann die Realisierung von Bank- bzw. fiktiven Kapitalien sichergestellt werden. Stagnation der Expansion von Produktionskapital bei fortgesetzter Expansion der Bank- und fiktiven Kapitalien verweist in diesem Sinne auf eine latente Krise der Zirkulation. Es droht ihre Manifestwerdung in Form einer Entwertung der Kapitalien, die nicht mehr in den Zirkulationsprozess eingespeist werden können. Die 2007 ausgebrochene Weltwirtschaftskrise gibt ein gutes Beispiel dafür. Eine reine Expansion des Bankkapitals allein verweist noch nicht auf eine ökonomische Hegemonie, sie ist erst dann eine hegemoniale Praxis, wenn zugleich auch die dauerhafte Expansion der Produktionsmittel sicher gestellt ist.

  14. 14.

    Zum Beispiel ‚Kreation der gemeinsamen türkischen Nation‘ (Jungtürkische Bewegung), ‚Erreichen des Niveaus der kontemporären Zivilisation‘ (Atatürk), ‚Gerechte Ordnung‘ (Erbakan) oder ‚Schaffung einer Generation von Gläubigen‘ (Erdoğan).

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Gehring, A. (2019). Klassen- und Staatshandeln als artikulierende Praxen. In: Vom Mythos des starken Staates und der europäischen Integration der Türkei . Globale Politische Ökonomie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24572-6_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-24572-6_2

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-24571-9

  • Online ISBN: 978-3-658-24572-6

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