Zusammenfassung
Der Beitrag von Dominic Zimmermann und Gianluca Cavelti nimmt sich partizipatorischer Aspekte zweier bewegungs- und körperbezogener Praktiken an, die sich an der Schnittstelle zwischen Sport und Bewegungskunst verorten lassen: Parkour und Boogie-Woogie. Parkour steht für eine Bewegungsdisziplin, in der gebaute und natürliche Objekte (meistens) der Stadt zu Bestandteilen eines athletischen Hindernislaufes werden. Boogie-Woogie bezeichnet einen Paartanz, der sich häufig durch Schnelligkeit und anspruchsvolle Beinarbeit auszeichnet. In den jeweiligen Fallstudien sind zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene durch hohes Engagement, starke Gruppenkohäsion und nicht zuletzt intensive Arbeit am eigenen Körper aufgefallen. Beide Praxen werden zudem mit Selbstermächtigung, Erlebnis von Selbstwirksamkeit und hoher emotionaler Erlebnisqualität in Verbindung gebracht. Doch gehen diese Intensitäten auch mit ausgeprägten Partizipationsmöglichkeiten einher? Dieser Frage gehen die Autoren nach, indem sie Körper- und Bewegungspraxen insbesondere in Hinblick auf Potenziale für Teilhabe und Aspekte der Teilnahme, die darin aufscheinen, diskutieren. Dabei tragen die Autoren dem Umstand Rechnung, dass Partizipation immer auch verkörpert, das heißt leiblich wahrnehmbar und im Gewebe unterschiedlicher Körper stattfindet.
Ein großes Dankeschön geht an Nadine Kast, die einen Teil der Beobachtungen im Boogie-Woogie-Fall unternommen hat.
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Notes
- 1.
Im Folgenden soll die Form Traceure_sen verwendet werden, um Parkour-Praktizierende jeglichen Geschlechts zu bezeichnen.
- 2.
Schweizerdeutsch: Kollegen = Kumpel/Freunde.
- 3.
Die Bezeichnung Jitterbug ist vieldeutig. Hier wird darunter aus dem 1930er-LindyHop entstandener Swing-Tanz der 1940er- und 1950er verstanden.
- 4.
Für die Neupositionierung wird im inneren Vereinskreis häufig auch die körperliche Metapher der „Wiederbelebung“ gebraucht, welche an die sprachlichen Bilder der eigenen Lebendigkeit und einer Verjüngung der Szene anschliesst.
- 5.
Dass gerade die Wichtigkeit des eigenen Stils und von Emotionen über durch Wettkampfreglemente messbare Qualität gestellt wird, kann dabei als Ausdruck aktueller Entwicklungen im Sport (vgl. Gebauer 2004; Stern 2015) und gesamtgesellschaftlicher Tendenzen (vgl. Reckwitz 2018) gesehen werden, welche Stilkompetenz und Einzigartigkeit honorieren. Ein intensives körperliches Engagement beim Verein der Fallstudie erlaubt beides und macht es auch körperlich erfahrbar. Dies kulminiert in Wettbewerben und Shows, in denen Anerkennung sich ritualisiert, durch frenetischen Beifall des Publikums.
- 6.
Dies wird vielmehr als typisch für Freerunning, einer anderen Sportdisziplin, welche aus der Gruppe der Yamakazi hervorgegangen ist und bei der für die Bewegungseffizienz von Punkt A nach B nicht-funktionale Elemente eingebaut werden. Im Freerunning werden auch Wettbewerbe abgehalten (vgl. Lemhoefer 2008).
- 7.
Davon zeugt auch David Belles kurzer Flirt mit Olympia: Seine Ambitionen, aus Parkour einen olympischen Sport zu machen, führte in der Parkour-Szene zu starkem Widerstand (vgl. Schmidt 2017).
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Zimmermann, D., Cavelti, G. (2019). Parkour und Boogie-Woogie: Teilhabeansprüche in Bewegung. In: Pohl, A., Reutlinger, C., Walther, A., Wigger, A. (eds) Praktiken Jugendlicher im öffentlichen Raum – Zwischen Selbstdarstellung und Teilhabeansprüchen . Sozialraumforschung und Sozialraumarbeit, vol 19. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24219-0_3
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