Zusammenfassung
Im Geschichtsunterricht inklusiver Regelschulen, in denen taube, schwerhörige und hörende Kinder gemeinsam lernen, ist das Kapitel des Holokaust nur an die Hörenden gerichtet. Die Geschichte jüdischer und nicht-jüdischer tauber Menschen vor, während und nach dem Holokaust bleibt unerwähnt. Taube Schulkinder finden sich selbst in der Geschichte nicht wieder. Dabei gab es eine blühende taub-jüdische Gemeinschaft in Europa, auch in Deutschland. In der NS-Zeit wurden viele taube Menschen zwangssterilisiert, andere boten sich freiwillig dafür an. Manche taube Menschen wurden Euthanasieopfer, andere entbrannten für den Nationalsozialismus. Keine dieser Geschichten findet ihren Weg in den Schulunterricht. Wenn es keine Verbindung zwischen dem Unterrichtsstoff und den Schülerinnen und Schülern gibt, fällt Identifikation schwer und Empathie bleibt auf der Strecke. Von nachhaltigem Lernen kann man hier nicht sprechen. Auch die Sprachformen, die üblicherweise Verwendung finden, nämlich Schrift- und Lautsprache versperren tauben Schülerinnen und Schülern den emotionalen Zugang zu den Inhalten.
Im vorliegenden Beitrag wird eine DVD in Gebärdensprache vorgestellt, die der Autor als tauber jüdischer Historiker für inklusive Klassen zusammengestellt hat. Sie ist als Unterrichtsmaterial zum Holokaust in mehreren Jahrgängen erprobt worden und darüber hinaus für die Erwachsenenbildung geeignet. Taube Menschen haben zu selten persönliche Anknüpfungspunkte an die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, und daher sind Unwissenheit sowie Antisemitismus noch heute sehr verbreitet. Durch die Präsentation von Geschichte/n in Deutscher Gebärdensprache werden Schlüsselkompetenzen wie Empathie und Erzählkompetenz geweckt, die Verhandelbarkeit von Identitäten, sowohl über Generationen hinweg, als auch innerhalb einzelner Biografien wirkt sich unmittelbar auf eine bessere Fähigkeit zur Selbstreflexion aus.
Abstract
The 2006 UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities has made inclusion a subject of educational debate. In the inclusive schools deaf and hard-of-hearing children visit today, the history of the Holokaust is only addressed to their hearing classmates, if at all. If there is no connection between subject and deaf student, there is no incentive for identification, empathy and sustainable learning. In the stories told they cannot find their own: There was a vivid deaf Jewish community in Europe enmeshed in the German Deaf community, there were those forcibly sterilized, and those volunteering for sterilization, there were deaf victims of euthanasia, and ardent deaf National-Socialists. None of their stories appear in narrations of deaf or mainstream classrooms. Instead, a detached history is presented in written and spoken language. The emotional engagement of deaf children, however, presupposes the use of sign language. Mark Zaurov introduces a DVD, he compiled for deaf children of various age groups as well as for deaf adults and professionals involved in the deaf community, entirely narrated in German Sign Language. Since the deaf community has never had an anchor of identification in the process of coping with its NS-past, historical ignorance and Anti-Semitism prevail in deaf communities. Faculties of self-narration, empathy, the non-rigidity of identities through history and in lifetimes are among the profound lessons learned in the face of the involvement of our own ancestors in the Holokaust, on whichever side. The DVD has been used in class-rooms by deaf educators who have observed how the students started to develop their own narratives engaging in the new material, using their first language, how they identified and placed themselves as subjects in a narration of the Holokaust including themselves.
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Weiterführende Literatur
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Medien
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Anwendungsbeispiele
Anwendungsbeispiele
Anwendungsbeispiel zur Behandlung des Themas Deaf Holokaust in den Klassenstufen 8 bis 10 (G- und E-Niveau)
Nr. | Thema | Unterrichtsziel(e) | Methoden | Differenzierung(en) | Dauer | Filmmaterial |
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1 | Einführung in das Thema „Deaf Holokaust“ | • Schülerinnen und Schüler (SuS) lernen den Begriff „Deaf Holokaust“ kennen; es wird eine zeitliche Einordnung vorgenommen | • „Mind Map“ (Gruppenarbeit) • Vorstellung der Ergebnisse im Plenum • Internetrecherche, Geschichtsbücher recherchieren • DVD „Deaf Holokaust“: Einführungsfilme 00a, 00b | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratertisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 2 Unterrichtsstunden (US) | 00 Deaf Holokaust: zwei Einführungsfilme 00a, 00b, ca. 03:30 min |
2 | Gebärdenterme und Deaf Holokaust | • SuS lernen die Wörter in DGS richtig wiederzugeben • SuS lernen die Unterschiede zwischen „Holokaust“ und „Deaf Holokaust“ kennen | Mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren und in DGS wiedergeben: Lexikoneinträge auf der DVD | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratertisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 1 US | Gebärdenterme: fünf Einträge, ca. 1:30 min |
3 | Paul Kroner | • SuS lernen die Person Paul Kroner kennen | • Informationen beschaffen mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren, in dt. Stichworten aufschreiben und in DGS wiedergeben: Filme 03a, 03b • Vorstellung einer tauben Persönlichkeit (Paul Kroner) in DGS im Plenum (Referat) • abschließende Diskussion über diese Persönlichkeit | 2-3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratertisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 1 US | 03 Paul Kroner: zwei Filme 03a, 03b, ca. 03:00 min |
4 | Wladislaus Zeitlin und Willy Oppenheimer | • SuS lernen die Personen Wladislaus Zeitlin und Willy Oppenheimer kennen | • Informationen beschaffen mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren und in dt. Stichworten aufschreiben für das Erstellen eines Plakats: Filme 01a-c, 02a-f • Vorstellung zweier tauber Persönlichkeiten in DGS im Plenum (Referat) (Wladislaus Zeitlin und Willy Oppenheimer) • abschließende Diskussion über die beiden Persönlichkeiten | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratungstisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 2 US | 01 Willy Oppenheimer: drei Filme 01a, 01b, 01c, ca. 04:15 min 02 Wladislaus Zeitlin: sechs Filme 02a, 02b, 02c, 02d, 02e, 02 f, ca. 10:45 min |
5 | Deaf Holokaust, Zwangssterilisierung und Aktion T4 | • SuS erfahren, wie die Nazis jüdische Taube, nichtjüdische Taube und taube Mehrfachbehinderte zu den drei Bereichen zugeordnet haben und damit umgegangen sind | • Aufteilung in drei Gruppen • Deaf Holokaust • Zwangssterilisierung • Aktion T4 mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren, in dt. Stichworten aufschreiben und in DGS wiedergeben | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratungstisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 2 US | 00 Deaf Holokaust; zwei Filme 00a, 00b, ca. 03.34 min |
6 | Taube Nazis Taube Nichtjuden und Jüdinnen sowie Juden und Jüdinnen | • SuS lernen taube Nazis, taube Nichtjüdinnen und Juden sowie Jüdinnen und Juden kennen | • Aufteilung in drei Gruppen • Taube Nazis • Taube Nichtjuden und taube Nichtjüdinnen • Taube Juden und Jüdinnen mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren, in dt. Stichworten aufschreiben und in DGS wiedergeben: 04a | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratungstisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 4 US | 04 Taube Nazis: ein Film 04a I, 00:45 min |
7 | Josef Müller und Paul Hoppe | • SuS lernen die Personen Josef Müller und Paul Hoppe kennen | • Informationen beschaffen mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren und in dt. Stichworten aufschreiben für das Erstellen eines Plakats: 04a II, 04b I-II • Vorstellung einer tauben Persönlichkeit in DGS im Plenum (Referat) (Josef Müller und Paul Hoppe) • abschließende Diskussion über die beiden Persönlichkeiten | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratungstisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 4 US | 04 Taube Nazis: drei Filme 04a II, 04b I–II, ca. 06:30 min |
8 | ReGeDe (Verband) und Fritz Albreghs | • SuS lernen den Verband ReGeDe und den langjährigen Vorsitzenden Fritz Albreghs kennen | • Informationen beschaffen mittels DVD „Deaf Holokaust“ rezipieren und in dt. Stichworten aufschreiben für das Erstellen eines Plakates: 04c I-III • Vorstellung einer tauben Persönlichkeit (Fritz Albreghs) in DGS im Plenum (Referat) und eines Verbandes (ReGeDe) • abschließende Diskussion über eine Persönlichkeit (Fritz Albreghs) und der Verbandsarbeit (ReGeDe) | 2–3 Gruppen (je nach Klassengröße und Leistungen) gemischt • Beratungstisch (falls die Gruppe nicht mit ihren Arbeiten weiterkommt, kann sie sich von der Lehrkraft beraten lassen) | 2 US | 04 Taube Nazis: drei Filme 04c I–III, ca. 5:40 min |
9 | In Planung: Themenkomplex „Euthanasie, Mischlinge, Zwangssterilisierung, Unterscheidung Volljude bzw. -jüdin vs. Halbjude bzw. -jüdin“. In diesem Zusammenhang Vorstellung der Persönlichkeiten Martin Czempin, Wolfgang Czempin u. Hans-Hubert Czempin wie auch verschiedene Mitglieder der Familie Milet | |||||
10 | In Planung: Themenkomplex „Vereine u. Verbände, Infrastruktur tauber Menschen zur damaligen Zeit“. Vorstellung des „Vereins zur Förderung der Interessen der israelitischen Taubstummen in Deutschland 1896 e. V.“, des „Vereins ehemaliger Zöglinge der Israelitischen Taubstummenanstalten (ITA)“ (inkl. Zeitschrift „Das Band“), des „Weltbundes der taubstummen Juden“. Vorstellung der Persönlichkeiten Erwin Kaiser u. Martin Kaiser sowie Alphons Levy und David L. Bloch. Bzgl. Mischehe Felix London | |||||
TBC | TBC |
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Zaurov, M. (2019). Inklusiver Unterricht zum Holokaust für Nutzerinnen und Nutzer der Gebärdensprache. In: Ballis, A., Gloe, M. (eds) Holocaust Education Revisited. Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24205-3_9
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