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„…und es war wirklich stecknadelruhig.“ Zwischen Faktenwissen und Betroffenheit. Was meinen Lehrkräfte, wenn sie von gelingendem Unterricht zu Nationalsozialismus und Holocaust sprechen?

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Holocaust Education Revisited

Zusammenfassung

Der Lernort Schule stellt die zentrale Sozialisationsinstanz der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust dar, an dem Schülerinnen und Schüler zu mündigen und vergangenheitsbewussten Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden sollen. Jenseits dieser normativen Setzungen und erinnerungspolitischen Erwartungen an den Unterricht stellt sich die Frage nach der konkreten Praxis der Vermittlung im Klassenzimmer: Wie werden diese Erwartungen in einer ohnehin fragilen Interaktionssituation zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern ausgehandelt und anhand welcher Kriterien gelangen die Lehrkräfte zur Einschätzung eines gelungenen Unterrichts? Welche Lernziele formulieren Lehrerinnen und Lehrer und was verstehen sie unter gelungenem Unterricht zu NS und Holocaust?

Die im Rahmen eines qualitativ empirischen Forschungsprojekts erhobenen Interviewdaten mit Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen in Bayern zeigen diesbezüglich ein ambivalentes Bild. Denn auch wenn sich die Lernziele oftmals stark am Rahmen der Holocaust Education orientieren und eine „Erziehung zur Mündigkeit“ in den Mittelpunkt stellen, werden vor allen Dingen die Grenzen der pädagogischen Bemühungen dergestalt sichtbar, dass der gewünschte Lernfortschritt im Sinne einer Erziehung zur Mündigkeit oftmals nur über die Herstellung von Betroffenheit aufseiten der Schülerinnen und Schüler erreicht werden kann. Dabei besteht das nicht aufzulösende Dilemma für die Lehrkräfte genau darin, zwischen den eigenen notwendigerweise normativ aufgeladenen moralpädagogischen Ambitionen und den Rahmenbedingungen der auf Wissensvermittlung qua Konkurrenz und Vergabe von Teilhabemöglichkeiten ausgerichteten Institution Schule auszubalancieren.

Abstract

School is the key agent of socialization when it comes to the remembrance of National Socialism and the Holocaust. Thus, school is the place where pupils ought to be raised to responsible citizens, who are aware of the past. However, beyond these normative expectations, questions might be raised about how the topic is actually taught in the classroom. How are these expectations negotiated given the already fragile interaction between teachers and pupils? By means of which criteria do teachers judge Holocaust Education to be successful? Which educational objectives do teachers postulate and what do they actually mean when talking about successful Holocaust Education?

Regarding this matter, our qualitative interview-based study with teachers and pupils of secondary schools in Bavaria shows ambiguous results. Although the educational objectives are based on the framework of Holocaust Education with a focus on “Erziehung zur Mündigkeit”, the limitations of educational efforts and boundaries became all too visible and can be exemplified by the prevailing practice of achieving learning progress by means of consternation only.

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Knothe, H., Broll, M. (2019). „…und es war wirklich stecknadelruhig.“ Zwischen Faktenwissen und Betroffenheit. Was meinen Lehrkräfte, wenn sie von gelingendem Unterricht zu Nationalsozialismus und Holocaust sprechen?. In: Ballis, A., Gloe, M. (eds) Holocaust Education Revisited. Holocaust Education – Historisches Lernen – Menschenrechtsbildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24205-3_7

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