Zusammenfassung
Die Frage nach dem Subjekt der digital mediatisierten Gesellschaft stellt sich heute anders als nach dem Subjekt früherer bzw. nicht umfassend über Computernetze konstituierter Gesellschaften bzw. Formen des Zusammenlebens. Die Kommunikationswissenschaft braucht für die Antwort einen angemessenen Subjektbegriff und ein darauf bezogenes Subjektivierungsverständnis, ein brauchbares Konzept menschlichen Kommunizierens als Basis von Subjekt und Subjektivierung, und ein Verständnis von dessen Wandel im Kontext des Wandels der Medien. Gegenwärtige gesellschaftliche Bedingungen kann man so zusammenfassen, dass die Menschen ihr Sein zunehmend als ein Sein im Übergang verstehen (müssen), dass sie zunehmend an unterschiedliche und unterschiedlich vermachtete Diskurse angebunden bzw. umgekehrt subjektiv daran orientiert sind und dass sie zunehmend darum bemüht sind und sein müssen, gegen diese segmentierenden Druckverhältnisse eine Ganzheit des Subjekts oder zumindest einen gestaltbaren Zusammenhang ihrer Person zu behaupten.
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Notes
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Vgl. hierzu auch das Menschenbild des Symbolischen Interaktionismus (Goffman 1973; Helle 2001; Mead 1969, 1973) und die These von Shibutani: „The socialized person is a society in minature“ (Shibutani 1955, S. 564), die zugleich diese Abhängigkeit von Kultur und Gesellschaft und die mögliche Kreativität und Freiheit des Kommunizierens zum Ausdruck bringen.
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Ebenso wie zu Tieren kann man natürlich grundlegende Differenzen zu sogenannten künstlichen Intelligenzen feststellen.
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Wir verweisen hier einmal mehr darauf, dass hier vor allem die Arbeiten von Mead berücksichtigt werden müssen. Denn nur bei ihm findet sich der Hinweis darauf, dass die Bedingungen des menschlichen Kommunizierens den Menschen auch in seiner Struktur beeinflussen – die menschlichen Kommunikationsformen sind ohne ein inneres Selbstbild nicht möglich, das darüber entsteht (vgl. auch Krotz 2007).
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Es handelt sich dabei mangels anderer Literatur ausschließlich um im politischen Sinn westliche Konzepte, was dem folgenden Text dementsprechend einen eurozentrischen Bias verpasst.
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Derschka weist drauf hin, dass der Begriff des Individuums erst im 18. Jahrhundert für „Einzelmenschen“ verwendet wurde (Derschka 2014, S. 19).
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Heute würde man hier wohl vom Aufbrechen einer Gesellschaftsstruktur aus ‚Blasen‘ sprechen.
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Vgl hierzu auch Adorno 1968.
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Sie sollten auch zu Kenntnis nehmen, dass sich die Dialektiken, die sich im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ebenso wie im Verhältnis von Subjekt und Macht ausdrücken, eben Dialektiken sind und nicht einfach nur Paradoxien oder Ambivalenzen, die man nur hilflos konstatieren kann.
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Krotz, F. (2019). Wie konstituiert das Kommunizieren den Menschen? Zum Subjektkonzept der Kommunikationswissenschaft im Zeitalter digital mediatisierter Lebensweisen. In: Gentzel, P., Krotz, F., Wimmer, J., Winter, R. (eds) Das vergessene Subjekt. Medien • Kultur • Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23936-7_2
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