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Jugendgerichtsakten als Datengrundlage für wissenschaftliche Fragestellungen der Kinder- und Jugendhilfe

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Forschungsdaten für die Kinder- und Jugendhilfe

Zusammenfassung

Jugendgerichtsakten mögen auf den ersten Blick wenig Potenzial bieten für Forschung, die für die Kinder- und Jugendhilfe relevant ist. Der zweite Blick offenbart allerdings schnell, dass die Bedeutung von Justizakten aus Jugendstrafverfahren vielfältig sein kann: Die Kinder- und Jugendhilfe ist selbst Akteurin im Jugendstrafverfahren in ihrer Rolle als Jugendhilfe im Strafverfahren nach § 52 SGB VIII. Die von einem Strafverfahren betroffenen Jugendlichen und Heranwachsenden sind daher (und oft auch unabhängig davon) Zielgruppe der Kinder- und Jugendhilfe. Jugendgerichte sind allerdings nicht nur für Straftaten durch Jugendliche und Heranwachsende zuständig, sondern auch für sog. Jugendschutzsachen, also Delikte, zum Nachteil von Kindern oder Jugendlichen. Hier bestehen weitere wichtige Bezugspunkte zur Kinder- und Jugendhilfe insbesondere zu Fragen des Kinderschutzes. In diesem Beitrag werden die Durchführung sowie die Potenziale der Analyse von Jugendgerichtsakten – auch für die Kinder- und Jugendhilfe – vorgestellt. Dazu wird insbesondere auf die für die praktische Durchführung solcher Forschung relevanten Besonderheiten dieser Akten eingegangen.

Stephanie Ernst, Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e. V.

Prof. Dr. Theresia Höynck, Professorin für Recht der Kindheit und der Jugend an der Universität Kassel.

Fredericke Leuschner, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kriminologischen Zentralstelle e. V.

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Notes

  1. 1.

    Jugendgerichtshilfe und Jugendhilfe im Strafverfahren beschreiben dieselbe Funktion/Einheit des Jugendamtes, deren Aufgabe es ist, in Jugendstrafverfahren mitzuwirken. Zum Begriffsproblem siehe Höynck (2016, S. 969 f.). Im Folgenden wird die Bezeichnung Jugendhilfe im Strafverfahren verwendet.

  2. 2.

    Bei der Analyse von Gerichtsakten handelt es sich um eine Sekundäranalyse, weil eine „andere (nichtwissenschaftliche) Institution“ (Häder 2015, S. 128), nämlich das Gericht, diese Daten erzeugt hat.

  3. 3.

    Es existieren verschiedene Klassifizierungen von Evaluationstypen, siehe z. B. Kromrey (2005).

  4. 4.

    In der Handreichung der Zentralstelle Jugendsachen des Landeskriminalamtes Niedersachsen finden sich anschauliche Beispiele zur polizeilichen Vorgangsbearbeitung bis zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft (LKA Niedersachsen 2016).

  5. 5.

    Die allgemeinen Vorschriften – hier die StPO – gelten gem. § 2 II JGG auch im Jugendstrafrecht, soweit im JGG nichts anderes bestimmt ist.

  6. 6.

    Für die Forschung auf Grundlage von Vollzugsakten verweisen die Landesvollzugsgesetze auf § 476 StPO, siehe z. B. § 37 II Hessisches Jugendarrestvollzugsgesetz (HessJAVollzG). Demgegenüber ist der für die Jugendhilfe relevante § 75 SGB X deutlich restriktiver.

  7. 7.

    Theoretisch denkbar ist auch die Einwilligung der Person, über welche die Akte geführt wird, was sich in der Praxis allerdings kaum umsetzen lässt, siehe Leuschner und Hüneke (2016, S. 470).

  8. 8.

    In dem Fall eines Bundeslandes wurden die durch das LKA ermittelten Aktenzeichen an die Landesjustizverwaltung übermittelt, die diese an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiterleitete. Dort wurden dann die Anträge auf Akteneinsicht mit Verweis auf die vorliegenden Listen gestellt. Als Begründung für diese Vorgehensweise wurden rechtliche Gründe angeführt.

  9. 9.

    Zu den Ausfallraten, also von der Anzahl der recherchierten bis zu der Anzahl der tatsächlich ausgewerteten Fälle, vgl. Haug und Zähringer (2017, S. 35) und Höynck et al. (2015, S. 44).

  10. 10.

    Ähnlich führt auch Becker (2013, S. 207) aus, dass es in „der Kriminalpolitik […] ein zunehmendes Interesse an der Evaluation von Gesetzen“ gibt.

  11. 11.

    Einzelne Teile dieses Abschnitts sind bereits veröffentlicht (Höynck und Ernst 2017).

  12. 12.

    Zu weiteren Änderungen durch das „Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten“ siehe Höynck und Ernst (2015, S. 236 f).

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Ernst, S., Höynck, T., Leuschner, F. (2019). Jugendgerichtsakten als Datengrundlage für wissenschaftliche Fragestellungen der Kinder- und Jugendhilfe. In: Begemann, MC., Birkelbach, K. (eds) Forschungsdaten für die Kinder- und Jugendhilfe. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23143-9_17

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