Zusammenfassung
In diesem Artikel soll erörtert werden, welchen Beitrag die Analyse von Musik als Artefakt zu praxeologischen Studien leisten kann, und wie Werkzeuge aus dem methodischen Instrumentarium der Musikwissenschaft dazu sinnvoll eingesetzt werden können.
Es wird skizziert, wie sich eine praxeologische Perspektive in bestehende Zugänge zu populärer Musik einordnet. Dies führt zur geographischen wie metaphorischen Landkarte als Darstellung von Relationalität im popkulturellen Feld. Auch die Musik als Artefakt muss einer solchen relationalen Verortung unterzogen werden – spezifische Fragen der Musikanalyse in einem solchen Kontext werden anschließend diskutiert. Nachdem die sogenannte Neue Deutsche Welle im Feld deutscher und internationaler Musik verortet wird, wird auf dieser Grundlage der Diskurs um die stilistische Einordnung der Band Extrabreit dargestellt. Die Uneinigkeit, die diskursiv bezüglich der stilistischen Einordnung und Bewertung dieser Band herrscht, erweist sich als aufschlussreich hinsichtlich der Rolle der Klänge im Rahmen der Praxisformation der populären Musik. An einer Korpusanalyse des ersten Albums der Band wird genauer untersucht, welche Bezugspunkte die Musik als Artefakt diesen diskursiven Einordnungen bietet. Gleichzeitig soll die Analyse als Baustein einer sukzessiv zu ergänzenden Kartographie der Sounds rund um die NDW dienen.
musik beschreiben ist immer beschissen.
(Peter Hein, zit. nach Ott und Skai 1983, S. 173)
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Notes
- 1.
Hier und im Folgenden im engeren Sinn bezogen auf Klänger, nicht im weiteren Sinn auf die soziale Praxis Musik.
- 2.
Die Musik der Ramones erweist sich in Europa als sehr einflussreich (s. u.), obwohl die Band in den USA nicht auf Anhieb großen kommerziellen Erfolg hat (Covach und Flory 2012, S. 393). Der spezialisierte Schallplattenhandel kann also eine Kuratorenrolle übernehmen, die dazu führt, dass auf der Ebene medialer Distribution sehr effizient die Verbreitung und wirkmächtige Präsenz einer Band über große räumliche Entfernung hinweg gesichert ist, auch wenn der subkulturelle Kreis, der durch direkte Interaktion gebildet wird, sehr klein ist und vergleichsweise wenig Resonanz findet.
- 3.
Damit unterscheidet sich die Vorgehensweise von einer integrierten Form der Analyse, wie sie Christofer Jost (2017) oder Ole Petras (2011) vorschlagen. Dort wird davon ausgegangen, dass sich eine Bedeutung als Lesart aus dem Zusammenspiel mehrerer bedeutungstragender Elemente um die Klänge herum als Gesamtergebnis rekonstruieren lässt. Im hier dargestellten Verständnis ist es weniger das Zusammenspiel verschiedener Ebenen in Bezug auf den einen Song. Stattdessen beeinflussen die Relationen zwischen den Klängen verschiedener Songs Lesart und Bedeutung. Andere Aspekte wie die visuelle Gestaltung von Videos oder die diskursive Inszenierung von Stars entfalten ihrerseits ihre Wirkung durch Positionierung auf der jeweiligen Ebene (d. h. der „Video“-Ebene und der „Starsystem“-Ebene). Ein einzelner Song stellt dann eine Intensitätszone dar, innerhalb derer diese verschiedenen Ebenen miteinander verbunden werden. Methodisch heißt das: bei einer integrierten Analyse muss die Frage: „Welche Relation hat das Musikvideo zu anderen Videos?“ Vorrang gegenüber der Frage nach der Beziehung zwischen dem Video und dem Song haben.
- 4.
Auf Never Mind the Bollocks von den Sex Pistols dagegen sind zahlreiche Stücke über 3 min lang; das arithmetische Mittel beträgt hier 3:11, was sich auch in den komplexeren Formen der Songs widerspiegelt. Anarchy in the UK z. B. enthält einen separaten Gitarrensoloteil – es wird also nicht einfach über einen der vorherigen Teile soliert.
- 5.
Terminologisch folgt der vorliegende Artikel dem Vorschlag Ulrich Kaisers (2011): die englischen Begriffe Verse, Chorus und Bridge stehen für die musikalischen Abschnitte des etablierten dreiteiligen Formmodells; die Begriffe Refrain und Strophe (die im vorliegenden Text nicht verwendet werden) bezeichnen dagegen Abschnitte des Textes (vgl. Kaiser 2011, S. 55). Wiederkehrende Melodiephrasen mit gleichem Text wie „Hurra, hurra, die Schule brennt“ werden hier als Hookline bezeichnet.
- 6.
In der Tabelle sind der Übersichtlichkeit halber Details zu Intro bzw. Outro der Songs ausgespart.
- 7.
Ein Riff ist ein sich wiederholendes melodisch-harmonisches Motiv; es ist in der Regel nicht länger als zweitaktig und kann Begleitfunktion haben, aber auch instrumental als Hook fungieren; vgl. Wicke et al. 2007, S. 601, 326.
- 8.
Das ist nur scheinbar selbstverständlich: Ralf von Appen und Markus Frei-Hauenschild haben auf der Jahrestagung der GfPM 2017 in einem Vortrag demonstriert, wie bei aktuellen Popsongs unter dem Einfluss von EDM die Songs von der Rhythmik, den Sounds oder der Melodik (durch gezielten Einsatz von Hooklines) gegliedert werden, während harmonisch durchgehend dasselbe meist 4-taktige Loop zugrundeliegt (vgl. auch Seabrook 2016).
- 9.
Dazu wird mit Hilfe des Saitenziehens mit der linken Hand der gleiche Ton auf zwei benachbarten Saiten erzeugt; der Effekt ist ein deutlich hörbarer Verzerrungsanteil in der Klangfarbe des Tons besonders im Einschwingvorgang, während die Frequenz beider Saiten noch nicht ganz übereinstimmt.
- 10.
Eine ähnliche, aber von reinerer Intonation geprägte Spielweise existiert im Country, allerdings meist auf einer sogenannten Pedal Steel Guitar gespielt.
- 11.
Vgl. zu Rückgriffen auf Rock’n’Roll im Punk auch Jones 1978, S. 16.
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Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Music-Map zum Stichwort Extrabreit (Gibney 2018)
Abbildung 2: Extrabreit, 110, Überleitung zum instrumentalen Intermezzo in den letzten acht Takten des Verse, Synthesizer und Gitarre (Transkription: PK)
Abbildung 3: Fehlfarben, Grauschleier, Verse T. 1-8 (Transkription: PK)
Abbildung 4: Extrabreit, Hurra, hurra, die Schule brennt, wiederkehrende Hookline der Gitarre (Transkription: PK)
Abbildung 5: Extrabreit, Alptraumstadt, Gitarrenbegleitung (Transkription: PK)
Abbildung 6: The Ramones, Sheena is a Punk Rocker, Anfang Verse (Transkription: PK)
Abbildung 7: Extrabreit, 110, instrumentales Intermezzo, Gitarre (Transkription: PK)
Abbildung 8: Extrabreit, Bus Baby, Begleitpattern Gitarre (Transkription: PK)
Tabelle 1: Tempi und Länge der Stücke auf Ihre größten Erfolge
Tabelle 2: Übersicht über die Form der Stücke mit einfacher Reihungsform
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Klose, P. (2019). Mapping the Welle. In: Daniel, A., Hillebrandt, F. (eds) Die Praxis der Popmusik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22714-2_7
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