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Woodstock

Ein Schlüsselereignis der Erinnerungskultur der Popmusik im praxissoziologischen Blick

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Die Praxis der Popmusik

Zusammenfassung

Das Festival mit dem Titel: Woodstock Music and Art Fair findet zwischen dem 15. und 17. bzw. 18. August 1969 im ländlichen Teil des US-Bundesstaates New York statt. Es zieht insgesamt fast 500 000 Menschen als Zusehende und -hörende an und geschätzt etwa eine weitere Million, die das Festival-Gelände nicht erreicht haben. Es wird zum Symbol der Popkultur. Der Beitrag sucht Antworten auf die Fragen, wie diese Symbolwirkung entsteht und wie das Ereignis selbst soziologisch als eine durch Praktiken erzeugte Vollzugswirklichkeit analysiert werden kann.

It is nothing like you’re probably hearing about. It’s just a rock festival (Nach der Aussage von Alan Green, einem Woodstock-Besucher, aus einem Interview von 1989 ist dies der Satz, den er seiner Mutter telefonisch vom Festival durchgegeben hatte (zit. n. Makower 2009, S. 18)).

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Notes

  1. 1.

    Die Chronologie der Ereignisse während des Woodstock-Festivals wird am klarsten dokumentiert in Evans und Kingsbury (vgl. 2009). Ich spare es mir an dieser Stelle, alle Printmedien zum Woodstock-Ereignis bibliographisch aufzulisten. Besonders möchte ich nur die Publikation zur „Oral History“ des Ereignisses von Joel Makower (vgl. 2009) hervorheben, die bereits 1989 erstmals erscheint und diverse Interviewaussagen von teilnehmenden Musikfans, MusikerInnen, OrganisatorInnen, JournalistInnen, Filmenden etc. versammelt, thematisch ordnet und mit dem Effekt aneinanderreiht, dass ein völlig neuer Blick auf das Ereignis jenseits der bekannten Klischees entsteht. Eine gute wissenschaftliche Aufarbeitung der umfangreichen Erinnerungskultur um das Ereignis Woodstock leisten die Beiträge in Bennet (vgl. 2004a).

  2. 2.

    Deleuze gewinnt seine Theorie des Ereignisses (vgl. vor allem Deleuze 2000, S. 126–136), auf die ich mich hier beziehe, durch eine Bezugnahme unter anderem auf Spinoza, Leibniz, Nietzsche, Whitehead, Bergson und Foucault, wie er in einem Interview bestätigt (vgl. Deleuze 1993b, S. 233). Dort sagt er auch: „Es stimmt, ich habe meine Zeit damit zugebracht, über diesen Begriff des Ereignisses zu schreiben, denn ich glaube nicht an die Dinge.“ (Deleuze 1993b, S. 232). Die Dinge sind nämlich nur in Ereignissen relevant, ebenso wie die sozialisierten Körper – von Deleuze (vgl. Deleuze 1993b, S. 232) „Subjekte“ genannt –, die Symbole, die diskursiven Aussagen, die Artefakte, die Kunstwerke und andere Bestandteile der Praxis. Denn sie alle müssen sich im Zusammenwirken ereignen, um wirklich zu sein.

  3. 3.

    Die Begriffstriade Extension, Intension und Prehension zur Unterscheidung von Ereignissen entleiht sich Deleuze von Alfred North Whitehead, der die ersten beiden Begriffe in seinem 1920 erstmals erschienenen Buch Concept of Nature physikalisch verwendet (vgl. Whitehead 1990, v. a. S. 139 ff.) und den dritten Begriff in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Ideen (vgl. Whitehead 1967, S. 69 ff.). Mir ist sehr wohl klar, dass eine Adaption derartiger Begriffe für die Soziologie Probleme mit sich bringt, sodass ich eigene, soziologische Begriffe für die mit Extension, Intension und Prehension transportierten Sinngehalte vorschlagen werde: zeitlich unbestimmtes Aufschwingen, situative Verfestigung, nachhaltiges Greifen in der Sozialität. Mit diesem Begriffsvorschlag verändere ich ganz bewusst einige Vorgaben der Ereignistheorie von Deleuze, die ich als zu elaborierenden Ausgangspunkt meiner eigenen Überlegungen zum Begriff des Ereignisses verstehe.

  4. 4.

    Der „Directors Cut“ zum 25. Jubiläum des Festivals (1994) ist 215 min lang, nähert sich also der Vier-Stunden-Marke. Zum 40. Jahrestag erscheint im Jahr 2009 die „Ultimate Collector’s Edition“, die neben dem 215-Minutenfilm (DVD 1 und 2) mit reichlich (ca. 175 min lang) extra Aufnahmematerial von Auftritten während des Festivals (DVD 3) und einer vierten DVD zur Geschichte des Festivals sowie zur Entstehung des Dokumentarfilms ausgestattet ist. Für den hier vorliegenden Text wird diese letzte Version des Films verwendet. Alle Zeitangaben im Text beziehen sich auf diesen Film. Die Passagen, die den Dokumentarfilm auswerten, sind weitgehend identisch mit den entsprechenden Passagen in meinen kürzlich veröffentlichten Überlegungen zur Nutzung des Woodstock-Films als empirisches Material der soziologischen Praxisforschung (vgl. Hillebrandt 2019).

  5. 5.

    Er sagt am Ende der kurzen Sequenz wörtlich (DVD 2, 0:34:30): „They can’t be questioned as good American citizens.“ Und vorher artikuliert er bereits (DVD 2, 0:34:08): „We [sic!] think, the people of this country should be proud of these kids.“ Mit dem „Wir“ spricht er nun eigentlich für die ganze Polizei, was er auf Nachfrage dann aber wieder bestreitet. Hängen bleibt jedoch vor allem die klare Aussage, dass Amerika, also die Bürger dieses Landes, stolz auf die Woodstock-Besucher und -besucherinnen sein sollten. Auch hier wird im Übrigen die Bildteilung als Stilmittel eingesetzt: Auf der rechten Seite sehen wir das Interview, auf der linken Seite friedlich und nackt im See badende Festivalteilnehmende.

  6. 6.

    Auf der ersten Langspielplatte zum Festival, auf deren drei Tonträgern neben den Musikdarbietungen des Original-Films in der Reihenfolge, wie sie im Film gezeigt werden, auch die hier zitierte Rede von Max Yasgur vollständig zu hören ist, werden bereits seine letzten Worte mit Jimi Hendrix’ Gitarrenriffs zu Voodoo Child (slight return) unterlegt, was eine emotional sehr aufgeladene Klangwelt erzeugt.

  7. 7.

    Siehe hierzu unter anderen auch Bennet (2004b), der diese These mit weiteren Beispielen aus dem Film untermauert.

  8. 8.

    Diese weiße „Strat“, die Hendrix auf seinem Woodstock-Konzert kein einziges Mal wechselt und die zu seinen Lieblingsgitarren gehörte, wird im Wert heute auf zwei Millionen US$ geschätzt und kann im EMP-Museum in Seattle als eines der wichtigsten Ausstellungsstücke der Dauerausstellung dieses Rock und Pop Museums besichtigt werden. Sie ist bis heute das teuerste Musikinstrument der Geschichte, was sehr viel über die Symbolkraft des Hendrix-Konzerts auf Woodstock aussagt. Siehe zur Bedeutung der E-Gitarre für die Praxisformation des Rock und Pop Hillebrandt (2016).

  9. 9.

    Diese Einblendung geschieht bereits erstmals bei der Dokumentation der Darbietung von Purple Haze (DVD 2, 1:17:46), das Hendrix der Intonierung von Star-Spangled Banner folgen lässt (DVD 2, 1:15:46), und wechselt sich in der Folge immer wieder mit Bildern des musizierenden Jimi Hendrix ab, wobei die Sequenz im Original des Films deutlich kürzer ist als im hier zugrunde gelegten Director’s Cut von 2009. In den Aufnahmen vom Festival-Gelände nach dem Konzert – diese sind im Übrigen genau gleich lang wie im Original des Films – sehen wir vereinzelte Besucher und Besucherinnen, die noch übrig geblieben sind, viel Müll, der von einzelnen Menschen zusammengetragen und angezündet wird, und immer wieder große Bilder von einem verlassenen Festival-Ort, der mit den Hinterlassenschaften von etwa 400 000 Menschen aus drei bis vier Tagen übersät ist. Es entsteht in Kombination mit den Moll-Klängen von Villanova Junction ein sehr melancholischer Gesamteindruck, der den Betrachtenden so etwas wie Trauer über das Ende des Festivals vermittelt.

  10. 10.

    Im Übrigen ist Villanova Junction nicht die letzte Nummer, die Hendrix hier darbietet, er schließt, wie im später (2010) erscheinenden Konzertmitschnitt Jimi Hendrix plays Woodstock zu sehen ist, diesem Stück noch eine sehr lustlose Version von Hey Joe an, seinem ersten großen Hit in Großbritannien von 1966/67.

  11. 11.

    Gemeint ist „eine zusammenhängende, in sich selbst vibrierende Intensitätszone, die sich ohne jede Ausrichtung auf einen Höhepunkt oder äußeres Ziel ausbreitet“ (Deleuze und Guattari 1992, S. 37). Solche Zonen bestehen aus diversen Schichten und Plateaus, die sich wie ein Rhizom miteinander verflechten und durch immer wieder neu entstehende Ereignisse pulsieren.

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Hillebrandt, F. (2019). Woodstock. In: Daniel, A., Hillebrandt, F. (eds) Die Praxis der Popmusik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22714-2_3

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