Geschäftsprozesse helfen, Organisationen zu strukturieren und zu betreiben. Sie stellen den Bezugsgegenstand von Geschäftsprozessmanagement dar und integrieren alle wesentlichen Elemente, um Anforderungen, welche an Organisationen gestellt werden, nachvollziehbar und strukturiert zu bearbeiten. Alle Beteiligten wissen somit, in welcher Form ihre Aufgaben zu bewältigen sind. Jedoch ist seitens der Stakeholder grundsätzliches Verständnis zu den heutigen Rahmenbedingungen der Geschäftswelt sowie zu Unternehmensstrukturen und deren Repräsentation erforderlich.

1.1 Geschäftsprozesse und Geschäftsprozessmanagement

Es gibt keine Organisation ohne Prozesse. Wenn Menschen etwas gemeinsam tun wollen, benutzen sie dafür die notwendigen Hilfsmittel und stimmen entsprechend dem gewünschten Ergebnis ihre Tätigkeiten aufeinander ab. Da solche Tätigkeiten nicht nur von Menschen ausgeführt werden können, sondern auch von Automaten und Computern müssen deren Aktivitäten in die Abstimmung ebenfalls einbezogen werden. Insbesondere in zumindest teilweise automatisierte Prozesse sind also verschiedene Typen von Handelnden involviert.

Ausgelöst wird ein Prozess durch ein Ereignis , das seinen Ursprung innerhalb oder außerhalb der Organisation haben kann wie etwa ein Dienstreiseantrag oder eine Kundenbestellung. Das abgestimmte und zielgerichtete Handeln als Reaktion auf ein solches Ereignis wird als Prozess bezeichnet. Handelt es sich bei der Organisation um ein Unternehmen spricht man von Geschäftsprozessen.

Es gibt kein Unternehmen ohne Geschäftsprozesse. Es gibt nur Unterschiede welchen Reifegrad diese haben. Die Reaktionen einer Organisation auf bestimmte Geschäftsereignisse können bei ihrem Auftreten immer von neuem abgestimmt werden oder es wird eine Vorgehensweise festgelegt, die dann in solchen Fällen immer wieder ausgeführt wird. Ereignisse der gleichen Art wie beispielsweise Bestellungen werden als Ereignisklasse bezeichnet. Eine vorab festgelegte Vorgehensweise für eine Ereignisklasse wird als ein Prozessmodell bezeichnet. Bei der Ausführung der im Modell festgelegten Tätigkeitsfolgen als Reaktion auf ein identifiziertes konkretes Ereignis, z. B. die Buchbestellung des Kunden Huber vom 20. Mai, handelt es sich um eine Prozessinstanz .

Jedes Unternehmen hat unabhängig von seiner Art des Geschäfts bestimmte Standardprozesse, die aber unternehmensindividuell ausgestaltet und zugeschnitten sein können. So verfügt beispielsweise jedes Unternehmen über einen Order-to-Cash-Prozess, mit dem es auf Geschäftsereignisse vom Kundenauftrag bis zum Zahlungseingang reagiert und diese durch Buchungen dokumentiert. Umgekehrt wird ein Beschaffungsprozess existieren mit Bestellungen zur Befriedigung eigener Bedarfe, dem konkreten Bezug (z. B. Wareneingang und Einlagerung) sowie der Bezahlung der Kreditoren. Weitere Beispiele sind Prozesse für die Personalbeschaffung oder die Logistik. Eine gebräuchliche Klassifikation unterteilt Prozesse nach ihrem Charakter in Management-, Kern- und Supportprozesse. Die Einordnung ist unternehmensspezifisch und hängt u. a. von der Branche ab.

Je klarer ein Unternehmen seine Geschäftsprozesse definiert und je konsequenter es diese im täglichen Geschehen umsetzt, umso leistungsfähiger ist es. Bei viele Unternehmen gründet ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht (mehr) nur auf die Besonderheit ihrer Produkte, sondern auf die Güte der Geschäftsprozesse. Während beispielsweise das Geschäft eines Verlags in erster Linie durch seine Bücher bestimmt wird, bestimmt bei Amazon maßgeblich die Kundenerfahrung bei Suche, Auswahl, Kauf, Bezahlung, Lieferung und eventuelle Rückgabe von Produkten, also der reibungslose, kundenzentrierte Prozess den Erfolg.

Die Modelle für solche Prozesse sind laufend anzupassen oder komplett neu zu gestalten, weil sich die Reaktionen auf eine Ereignisklasse ändern können bzw. zusätzliche Reaktionen auf neue Ereignisklassen nötig werden. Die resultierenden Spezifikationen müssen außerdem in der Organisation und der IT-Infrastruktur umgesetzt werden, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Tagesgeschäft Instanzen der Prozesse abarbeiten können. Dabei sind Rahmenbedingungen zu beachten wie die Effektivität , Effizienz und Compliance , also die Anforderungen, das gewünschte Ergebnis mit dem geringsten möglichen Ressourcenaufwand und unter Einhaltung gültiger externer und interner Regularien (z. B. Gesetzen) zu liefern. Für die Erledigung dieser Aufgaben hat sich das Geschäftsprozessmanagement (Business Process Management, BPM ) etabliert. Es bezeichnet einen integrierten Managementansatz für Analyse, Design, Optimierung, Implementierung, Steuerung, Überwachung und Weiterentwicklung der Management-, Kern- und Supportprozesse im Unternehmen. In technischer Hinsicht schließt es auch die IT-Unterstützung dieser Teilaufgaben durch Werkzeuge z. B. für die Modellierung oder Ausführung (z. B. Process Engines) oder umfassendere Business-Process-Management-Systeme (BPMS ) ein.

Im Geschäftsprozessmanagement werden als Ausschnitt der Wirklichkeit ein Unternehmen und sein unmittelbares Umfeld betrachtet. In diesem Ausschnitt der Welt wünscht jemand eine Leistung von anderen in Form eines physischen Produkts, eines Service oder einer Kombination aus beidem. Die Leistung soll entsprechend den Anforderungen erbracht werden, der Wunsch nach ihr ist das Geschäftsereignis, auf das das Unternehmen nach seinen Vorstellungen im definierten Modell reagieren soll.

Beim Geschäftsprozessmanagement gilt es also ein Modell der Leistungserstellung zu definieren und auf die Abwicklung von Geschäftsfällen anzuwenden. Dies bedeutet die Wirklichkeit gemäß Modell anzupassen, also betroffene Ausschnitte der Wirklichkeit zu analysieren und diese Wirklichkeit zu verändern. Da diese Wirklichkeit und die angestrebten Veränderungen sehr komplex sind, werden im BPM mehrere Modellkonzepte aus der Sozialwissenschaften, der Betriebswirtschaft und der Informatik zusammengeführt und kombiniert.

In den folgenden Abschnitten umreißen wir eine Gesamtsicht auf das Prozessmanagement und erläutern diese dann in den weiteren Kapiteln im Detail. Ausgehend vom Blick der Beteiligten auf die Welt werden die vielfältigen Facetten des Geschäftsprozessmanagements dargestellt und eine Auswahl von Modellen vorgestellt, die sich dabei in unserer Praxis bewährt haben. Die Gestaltung solcher Modelle unterstützt den Weg von einer mehr oder weniger unstrukturierten oder unbefriedigenden Arbeitsweise zu einer Prozessabwicklung, die den Vorstellungen des Unternehmens und seiner Kunden entspricht.

Die überblicksartige Gesamtsicht entwickeln wir schrittweise, ausgehend von individuellen Perspektiven der Beteiligten auf ihre Arbeit in einem Prozess, deren Strukturierung und Harmonisierung über die Spezifikation in einem Modell und dessen Einbettung in die organisatorische und IT-Umgebung des Unternehmens bis hin zur gemeinsamen Bearbeitung von Prozessinstanzen in den dadurch entstehenden soziotechnischen Systemen . Eine entsprechend mitwachsende Abbildung zeigt am Ende unser umfassendes Verständnis des Geschäftsprozessmanagements.

1.2 Blick auf die Welt, Strukturierung und Modellbildung

Wie bereits erwähnt , gilt es für ein Unternehmen die interessierenden Geschäftsereignisse zu identifizieren und die dadurch ausgelösten Tätigkeiten zu definieren. Dazu ist der entsprechende Ausschnitt der Wirklichkeit zu identifizieren und genauer zu betrachten.

Der Ausschnitt wird bestimmt durch die Kunden, die eine Leistung fordern, und bildet für die an der Leistungserbringung beteiligte Gruppe von MitarbeiternFootnote 1 des Unternehmens die sie unmittelbar betreffende und umgebende Wirklichkeit. Zum Erbringen der gewünschten Leistung müssen die Beteiligten direkt oder indirekt zusammenwirken.

Jeder leistet dabei in Abstimmung mit den anderen seinen Beitrag. Basierend auf seinem persönlichen Hintergrund bezüglich Ausbildung, Wissen, Wollen (Motivation), Erfahrungen und Vorlieben hat jedes Gruppenmitglied eine eigene Wahrnehmung des Prozesses und seines Kontextes . Es entwickelt seine individuelle Vorstellung, was sein Beitrag sein soll, wie er erbracht wird, welche Ereignisse mit welchen Tätigkeiten und vom wem zu berücksichtigen sind, in welcher Reihenfolge Teilschritte stattfinden, von wem welche Vorleistungen erwartet und für wen welche Vorleistungen erbracht werden.

Folglich besitzen alle Betroffenen ihr eigenes mentales „Weltmodell“ des betrachteten Wirklichkeitsausschnitts (vgl. Abb. 1.1). Für die erfolgreiche Reaktion auf Geschäftsereignisse gilt es, die unterschiedlichen Wirklichkeiten der Beteiligten zu strukturieren und in ein konsistentes Prozessmodell für ein gemeinsames zielgerichtetes Tun zu überführen. Dies bedeutet, der Geschäftsprozess wird „verabredet“, in dem die einzelnen, mehr oder weniger gut zusammenpassenden mentalen Modelle der involvierten Personen harmonisiert werden.

Abb. 1.1
figure 1

Individuelle mentale Modelle der Beteiligten

Dieses Zusammenführen der individuellen Vorstellungen der von einem Geschäftsprozess Betroffenen und die wechselseitige Abstimmung der verschiedenen Aspekte eines Geschäftsprozesses (vgl. Abschn. 1.3) ist selbst ein komplexer Prozess und zentraler Aspekt des Geschäftsprozessmanagements.

1.3 Bestandteile einer Prozessbeschreibung

Wir teilen eine Geschäftsprozessbeschreibung gedanklich in drei Abschnitte (vgl. Abb. 1.2). Der erste als Prozessstrategie bezeichnete Teil macht Aussagen zu Zweck, Auslöser, Inputs, Ende und Outputs des Vorgangs. Auslöser ist das Ereignis , das die Leistungserbringung auf Basis der Erwartungen des Initiators in Gang setzt, also eine Prozessinstanz erzeugt. Mit diesem Anstoß geht einher, dass der Initiator Informationen oder Gegenstände bereitstellt, welche entsprechend seiner Erwartungen bearbeitet werden sollen. Diese Inputs gilt es in die erwarteten Ergebnisse zu transformieren und diese dem definierten Empfänger zur Verfügung zu stellen. Damit schafft der Geschäftsprozess einen Wert, für den ein Kunde bezahlt.

Abb. 1.2
figure 2

Bestandteile einer Prozessbeschreibung

Diese Außensicht eines Geschäftsprozesses wird ergänzt durch die Prozesslogik. Diese innere Perspektive beschreibt die involvierten Handelnden und deren abgestimmtes Zusammenwirken. Die Akteure führen Aktivitäten in einer sachlogisch und zeitlich sinnvollen Reihenfolge aus. Die Ergebnisse ihrer Aktionen übergeben sie zur Weiterbearbeitung an andere Handelnde bzw. am Ende an den vorgesehenen Empfänger.

Bei der Prozessrealisierung geht es um die Bereitstellung der Ressourcen für die Abarbeitung von Prozessinstanzen. Dies können Menschen , Maschinen und Softwaresysteme sein, welche als konkrete Realisierungen der involvierten Handelnden die diesen zugeordneten Aktivitäten übernehmen. Im Zeitalter der Digitalisierung synchronisieren Softwaresysteme (Process oder Workflow Engines ) die Aktionen der Handelnden durch Steuerung der zeitlichen und sachlogisch notwendigen Reihenfolge der Teilschritte gemäß dem Prozessmodell. Für die Erledigung ihrer einzelnen Aufgaben setzen die Handelnden gegebenenfalls Hilfsmittel ein, wie Informationen, Anwendungsprogramme oder Werkzeuge.

Im Rahmen der Prozessrealisierung ist dafür zu sorgen, dass auf Basis des als Muster definierten Modells durch entsprechende Ressourcenzuordnung mehrere Prozessinstanzen parallel und unabhängig voneinander ausgeführt werden können.

1.4 Rahmenbedingungen für Prozessmodelle und Prozessinstanzen

Das Geschäftsmodell beschreibt im Wesentlichen , wie ein Unternehmen in die Welt hineinwirkt und auf welche Art und Weise es dabei Erlöse erzielt und Gewinn erwirtschaftet. Von besonderer Bedeutung dabei sind das Kundenversprechen sowie die Ressourcen und Partner, mit denen dieses Versprechen eingelöst wird.

Die Unternehmensarchitektur beschreibt eine Maschinerie, mit der das Geschäftsmodell zum Leben erweckt werden soll. Als typisches Schichtenkonzept definiert sie fachliche und IT-Strukturen und verknüpft diese miteinander. Das Konzept des Business Engineering [1] sieht etwa auf einer strategischen Ebene die Geschäftsarchitektur mit der Definition von Zielen und Leistungen vor, die mit dem Geschäftsmodell verwoben ist. Auf der Ebene der Prozesse als Implementierungshilfsmittel der Strategie folgt die Prozessarchitektur mit Aufbau- und Ablauforganisation . Der Übergang zu den IT-Strukturen für die Unterstützung der Prozesse führt in die Ebene der Informationssysteme mit der Applikationsarchitektur und der IT-Architektur.

Die Geschäftsprozesse befinden sich also als zentraler Bestandteil der Unternehmensarchitektur in einer Art Sandwich-Position, welche ihre Beeinflussung durch andere Architekturelemente verdeutlicht. Beispielsweise kann eine gegebene und nur schwer änderbare Organisationsstruktur die Vorgehensweisen in Prozessen und die Art, wie mit externen Partnern zusammengearbeitet wird, mitbestimmen. Analog gilt dies für die Verfügbarkeit von Ressourcen. Aber auch horizontale Abhängigkeiten innerhalb der Ablauforganisation sind zu berücksichtigen, etwa wenn eine bestimmte Arbeitsweise im Bestellprozess Auswirkungen auf die Gestaltung der Zahlungsabwicklung hat.

Von „unten“ wirken Einflüsse nicht nur hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Prozessmodelle, sondern auch hinsichtlich Detailgrad und Genauigkeit. Für die Entwicklung von IT-Lösungen zur Prozessdigitalisierung gelten rigide Anforderungen an die Modelldefinition. Prozessteile, die mit IT-Unterstützung ausgeführt werden sollen, müssen genau und präzise spezifiziert sein.

Neben den exemplarisch erläuterten und in Abb. 1.3 ergänzten internen Rahmenbedingungen wirken auch noch externe Faktoren auf die Prozessgestaltung ein. Hier kann man als Beispiel Prüfschritte sehen, welche aufgrund von Compliance -Vorschriften in einen Ablauf aufgenommen werden müssen.

Abb. 1.3
figure 3

Ergänzung um Rahmenbedingungen für die Prozessdefinition

1.5 Prozesskennzahlen

Die zu entwickelnden oder zu ändernden Prozesse haben das allgemeine Ziel , die Umsetzung des Geschäftsmodells und der zugehörigen Strategie zu unterstützen. Die Beziehung zwischen den Kennzahlen aus dem Geschäftsmodell (Key Performance Indicators , KPIs ) und den Prozessen wird über Prozesskennzahlen (Process Performance Indicators , PPIs ) hergestellt. Diese Prozesskennzahlen sind Verfeinerungen von Zielen aus dem Geschäftsmodell (vgl. Abb. 1.4).

Abb. 1.4
figure 4

Definition von Prozesskennzahlen

Typische betriebswirtschaftliche Key Performance Indicators leiten sich aus Geschäftsmodell und -strategie ab und messen den Geschäftserfolg auf höheren Aggregationsebenen, z. B. Erlöse und Kosten auf Gesamtunternehmens-, Sparten-, Produktgruppenebene etc. Hier steht die Effektivitätsbetrachtung im Vordergrund („Doing the right things“). Mit den Geschäftsprozessen werden die Strategie umgesetzt und die Elemente der Unternehmensarchitektur zusammengeführt. Die damit verbundenen Process Performance Indicators zielen auf die Effizienz ab („Doing things right“). Sie stehen damit in engem Zusammenhang mit den Key Performance Indicators und leiten sich teilweise von diesen ab.

Beim Ableiten der Kennzahlen muss bereits geprüft werden, ob diese mit vertretbarem Aufwand in ausreichender Präzision gemessen werden können. Unter Umständen ergeben sich daraus auch Anforderungen an den zu entwickelnden Prozess , um die Kennzahlen direkt oder indirekt messen zu können. Ist unmittelbare Messung nicht möglich, können auch Ziele für Ersatzkennzahlen festgelegt und daraus Werte für den eigentlich gewünschten Performance Indicator abgeleitet werden.

Für die Prozesskennzahlen werden Zielwerte festgelegt, die es durch einen geänderten oder neu zu gestaltenden Prozess zu erreichen gilt. Während des ganzen Wegs von der Identifikation des Problems, bis hin zur Inbetriebnahme eines geänderten oder neuen Prozesses gilt es laufend zu plausibilisieren, ob mit dem entstehenden Prozess die angestrebten Ziele erreicht werden können.

1.6 Unterstützungskonzepte

Der Weg vom individuellen Wissen und Wollen, also von den mentalen Modellen der Beteiligten zu einem Prozessmodell , das auch zumindest in Teilen digitalisiert werden kann, ist komplex und aufwendig. Um Komplexität und Aufwand zu reduzieren, wurden Unterstützungskonzepte wie Frameworks, Vorgehensmodelle und Beschreibungssprachen entwickelt.

Die folgende Übersicht umfasst eine thematisch gruppierte Auswahl solcher Hilfsmittel , welche nach unseren Erfahrungen in der Praxis weit verbreitet sind. Sie sind in Abb. 1.5 eingefügt und werden in den Kapiteln zu Modellen (Kap. 2) und Modellierungssprachen (Kap. 3) genauer betrachtet.

Abb. 1.5
figure 5

Ergänzung um Konzepte zur Unterstützung der Prozessdefinition

Frameworks für das Qualitätsmanagement:

  • Total Quality Management (TQM ) TQM/PDCA,

  • Deming-Zyklus (PDCA , Plan-Do-Check-Act)

  • EN ISO 9001

  • European Foundation for Quality Management (EFQM )

Frameworks für das Unternehmensarchitekturmanagement (Enterprise Architecture Management , EAM ):

  • Zachman-Framework

  • The Open Group Architecture Framework (TOGAF )

  • Architecture-Animate (ArchiMate)

Frameworks für IT-Management und IT-Governance:

  • IT Infrastructure Library (ITIL®)

  • Control Objectives for Information and Related Technology (COBIT )

Beschreibungssprachen für die Prozesslogik:

  • Flussdiagramme

  • Ereignisgesteuerte Prozessketten mit Erweiterung (EPK , eEPK )

  • Business Process Model and Notation (BPMN )

  • Subject-oriented Business Process Management (S-BPM)

1.7 Digitalisierung

Heute ist Digitalisierung das Schlüsselwort bei der Transformation der Wertschöpfung . Digitalisierung in der Wirtschaft oder allgemein in Organisationen heißt Digitalisierung von Geschäftsmodellen, Produkten und Services sowie von ganzen Prozessen oder Teilen davon. Bei Prozessen bedeutet dies jedoch nicht notwendigerweise Vollautomatisierung ohne jeglichen menschlichen Eingriff. So kann es beispielsweise sein, dass ein Programm, das einen Prozess steuert, bei entsprechender Notwendigkeit Aktionen einbindet, die von Menschen oder auch Cyber Physical Systems ausgeführt werden. Letztere bestehen aus miteinander kommunizierenden Geräten mit Software sowie mechanischen und elektronischen Komponenten.

In der Initiative Industrie 4.0 wird diese umfassende Betrachtung von Prozessen, d. h. die Kommunikation zwischen Menschen, Maschinen und Werkstücken angestrebt. Diese Aspekte müssen zum einen in den Prozessmodellen ausgedrückt werden können und zum anderen muss die Überführung eines Geschäftsprozessmodells in die digitale Ausführung so weit wie möglich unterstützt werden. Insbesondere wenn man die Aspekte des Qualitätsmanagements, also die laufende Verbesserung der Prozesse, in die Betrachtung einbezieht, müssen Prozessänderungen, die eine Änderung der Digitalisierung nach sich ziehen, schnell und mit möglichst geringem Aufwand umgesetzt werden können.

Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Aspekte müssen bei der Modellbildung bereits mit einfließen, um die technische Implementierung von Prozessen zu erleichtern, ohne jedoch Implementierungsdetails vorweg zu nehmen (vgl. Abb. 1.6). Je präziser die Prozesse beschrieben sind, umso leichter fällt dies. Prozessabschnitte, deren Ablauflogik zum Zeitpunkt der Modellierung noch nicht präzise beschrieben werden können, sind entsprechend zu kennzeichnen. Diese Teile eines Prozesses können aber mit anderen geeigneten Methoden gemäß der gewünschten oder notwendigen Offenheit modelliert werden. Solche Prozessabschnitte können entweder mit Adaptive Case Management Methoden beschrieben werden oder, falls eine kommunikationsorientierte Beschreibungssprache verwendet wird, als Kommunikationsschleife. Letztere beendet einer der beteiligten Partner nach Erreichen eines entsprechenden Ergebnisses, ehe im Prozess fortgefahren wird.

Abb. 1.6
figure 6

Berücksichtigung von Digitalisierungsaspekten im Modell

Wichtig in diesem Kontext ist die Granularität, also der Detailgrad der Prozessbeschreibung. Aktivitäten sollten so fein geschnitten werden, dass man eindeutig festlegen kann, ob sie digitalisiert, teildigitalisiert (Mensch-IT, Physik-IT) oder manuell von Menschen ausgeführt werden. Der Zuschnitt sollte sich an den fachlichen Anforderungen orientieren und nicht an der Funktionalität eines möglicherweise schon vorhandenen IT-Systems . Notfalls muss ein derartiges System bei der Prozessumsetzung an dessen fachliche gewünschte Spezifikation angepasst werden.

1.8 Prozess zum Erstellen von Prozessen

Die Definition der Geschäftsprozesse kann nicht schematisch bzw. algorithmisch erfolgen, d. h., es gibt keine Software, die gefüttert mit dem Geschäftsmodell, der Unternehmensarchitektur , den Kennzahlen mit dazugehörigen Zielwerten und Unterstützungskonzepten, nach kurzer Zeit eine passende Prozessbeschreibung ausgibt.

Die Definition von Geschäftsprozessen ist ein intuitiver und kreativer Prozess. Deshalb werden v.a. zu Beginn von Geschäftsprozessmanagementaktivitäten auch Kreativitätstechniken und Methoden des Wissensmanagements wie Storytelling, World Café oder Value Networks eingesetzt.

So kann man sich beispielsweise des Design-Thinking-Ansatzes bedienen. Dabei handelt es sich um ein Konzept, bei dem interdisziplinäre Teams in einem die Kreativität fördernden Umfeld in einem iterativen Prozess zusammenarbeiten, um innovative Lösungen für eine Problemstellung zu entwickeln (vgl. Abschn. 4.3). Ein Kernpunkt ist dabei ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen der Zielgruppe zu entwickeln und zu berücksichtigen. Design Thinking bietet eine umfangreiche Methodensammlung für die Nutzung in den einzelnen Schritten seines Vorgehens. Mit diesen Eigenschaften lässt sich der Ansatz auch für die Überarbeitung bzw. Neudefinition eines Geschäftsprozesses einsetzen. Unter Umständen lassen sich dabei außergewöhnliche Lösungen finden, die beim üblichen BPM -Vorgehen nicht entstanden wären.

Allerdings muss ein kreatives, innovatives Prozesskonzept auch detailliert ausgearbeitet und umgesetzt werden. Die kreative Gestaltung ist deshalb eingebettet in Bündel von Aktivitäten , die den Prozess letztlich Teil der realen Welt werden lassen. Als solche Aktivitätsbündel identifizieren wir Analyse und Modellierung, Validierung , Optimierung, organisatorische Implementierung , IT-Implementierung sowie Betrieb und Monitoring . Diese Aktivitätsbündel sind eine Weiterentwicklung bzw. Verfeinerung des Plan-Do-Check-Act-Kreislaufs. Sie werden meist kreisförmig angeordnet, was einen entsprechenden Durchlauf impliziert. Dies entspricht nicht immer dem Vorgehen in der Realität, weshalb wir die Aktivitätsbündel in Abb. 1.7 als lose vernetzte Waben darstellen. Dort sind die Phasen des Design-Thinking-Prozesses und die Aktivitätsbündel ergänzt. Beide Konzepte werden in Kap. 4 ausführlicher vorgestellt und miteinander in Beziehung gesetzt.

Abb. 1.7
figure 7

Ergänzung um die Vorgehensstruktur und Planung für Prozessänderungen

Umfangreiche und komplexe Prozessänderungen bedürfen meist Tätigkeiten aus mehreren Aktivitätsbündeln und werden als Projekt durchgeführt. Ein solches Projekt kann deshalb als ein Durchlauf (Prozessinstanz) des Prozesses zum Erstellen von Geschäftsprozessen betrachtet werden. Dafür ist eine detaillierte Projektplanung zu erstellen mit den auszuführenden Tätigkeiten , Zuständigkeiten und Terminen (vgl. Abb. 1.7). Der Projektplan sollte dann entsprechend den Methoden des Projektmanagements abgearbeitet werden.

1.9 Organisatorische und technische Implementierung

Nach der Erstellung des Prozessmodells gilt es, das Modell in die Organisationsstruktur eines Unternehmens einzubetten. Es wird damit festgelegt, welche Tätigkeit von welcher Person oder Organisationseinheit ausgeführt wird. Diese Zuordnung muss nicht statisch sein, sondern kann von Instanz zu Instanz variieren. So kann beispielsweise der Einkaufsprozess für die Teile A und B die gleiche Ablauflogik haben, allerdings ist für den Einkauf der Teile A eine andere Einkaufsabteilung zuständig als für die Teile B. Prozessinstanzen für die Teile A tangieren also andere Organisationseinheiten (und ihnen zugeordnete Personen) als für Teile B. Diese Regeln sind so abzubilden, dass ein Prozess richtig mit der Aufbauorganisation verknüpft wird.

Neben Tätigkeiten, die durch Menschen ausgeübt werden, können im Prozess auch Aktivitäten vorkommen, welche Anwendungsprogramme oder IT-Services ausführen. Dazu sind solche Aktionen im Prozessmodell auf Funktionen von Softwarebausteinen abzubilden, welche diese dann zur Laufzeit ausführen. Wurde bei der Prozessmodellierung schon auf die mögliche Digitalisierung geachtet, so ist diese Abbildung mehr oder weniger unproblematisch.

Software kann auch die Abarbeitung von Vorgangsschritten steuern und dabei die im Modell spezifizierten Aufgaben den jeweils vorgesehenen Personen oder IT-Services als Akteur zuordnen. Softwaresysteme, die dies unterstützen, werden auch als Workflow-Systeme (Process Engine, Workflow Engine ) bezeichnet. Im Idealfall können Prozessbeschreibungen direkt in Workflow-Systeme übernommen werden.

Nach der Einbettung in die Organisation und in die IT-Umgebung kann ein Prozess für die Abwicklung von Instanzen, also echten Geschäftsfällen verwendet werden, das Ziel ist erreicht. Abb. 1.8 zeigt den nun vervollständigten Weg von den individuellen mentalen Modellen mit dem Wissen und Wollen der Beteiligten zur gemeinsamen Bearbeitung von Prozessinstanzen.

Abb. 1.8
figure 8

Ergänzung um die Einbettung in die Organisation und IT-Umgebung

1.10 Erfolgsmessung mit Kennzahlen

Bei der Ausführung von Instanzen eines Prozesses kann überprüft werden, ob die für die Prozesskennzahlen definierten Zielwerte erreicht werden. Dazu werden Istwerte für die festgelegten Key und Process Performance Indicators (KPIs und PPIs) gemessen, berechnet, gespeichert und mit den Zielwerten verglichen (vgl. Abb. 1.9). Dieser Vergleich kann in Realzeit oder über längere Zeitintervalle erfolgen. Eine Realzeitauswertung führt bei einer Zielabweichung zur sofortigen Einleitung geeigneter Gegenmaßnahmen. Eine Auswertung von Messwerten über längere Zeit zeigt dagegen mittel- bis langfristige Trends von Kennzahlen und kann entsprechende Änderungen auslösen. Auswertungsergebnisse werden u. a. in Prozesscockpits visualisiert.

Abb. 1.9
figure 9

Betrieb , Monitoring und Kennzahlen

1.11 Kontinuierliche Verbesserung

Prozesse sind nicht statisch, sondern unterliegen Veränderungen der in Abschn. 1.4 erläuterten internen und externen Rahmenbedingungen. Entwicklungen wie Geschäftsmodellmodifikationen, neue Wettbewerber, technischer Fortschritt oder Verschlechterungen bei gemessenen Prozesskennzahlen wie der Durchlaufzeit können Anpassungen eines Prozesses erfordern. Dazu sind passende Maßnahmen im Rahmen der in Abschn. 1.8 vorgestellten Aktivitätsbündel und Vorgehensweisen zu ergreifen.

Der Feedback-Pfeil in Abb. 1.10 deutet an, dass dazu die Beteiligten möglicherweise erneut divergierende Sichten des Realitätsausschnitts haben. Mit deren Harmonisierung in der beschriebenen Weise wird eine neue Instanz des Prozesses zur Erstellung von Prozessen gestartet.

Abb. 1.10
figure 10

Ergänzung um kontinuierliche Verbesserung

Die kontinuierliche Verbesserung ist ein sehr wesentlicher Aspekt des Prozessmanagements . Durch laufende Anpassungen nähert man sich dem gewünschten Prozess immer mehr an. Allerdings können Veränderungen im Umfeld diese Annäherung beeinflussen. Der angestrebte Zustand ist also ein bewegliches Ziel (‚moving target‘).

1.12 Unternehmensführung und Geschäftsprozessmanagement

Die Unternehmensführung als Institution gestaltet das Unternehmen . Sie bestimmt maßgeblich das Geschäftsmodell , die Unternehmensstrategie und die Organisation . Geschäftsmodell und Strategie sollen zukünftige Erfolgspotenziale erschließen und damit die nachhaltige Existenz des Unternehmens sichern. Mit der Unternehmensarchitektur wird die Infrastruktur zur Ausschöpfung der Erfolgspotenziale geschaffen. Die Geschäftsprozesse und die in ihnen bearbeiteten Geschäftsobjekte (Daten ) verknüpfen die fachliche mit der technischen Ebene der Unternehmensarchitektur.

Die Geschäftsprozesse sind Gegenstand der Digitalisierung , d. h. der informationstechnischen Unterstützung der Prozessausführung durch Menschen und Maschinen . In den letzten Jahren haben sich die diesbezüglichen Anforderungen deutlich vergrößert. So sollen in Geschäftsprozessen nicht nur Menschen und IT-Systeme, sondern auch „smarte“ Maschinen und Geräte interagieren können. Gemeint sind hochintegrierte Geschäftsprozesse im Kontext von Industrie 4.0 und Internet of Things , die sowohl menschliche Akteure , als auch einzelne Geräte und Maschinen zu einem gemeinsamen Ganzen integrieren. Die technischen Akteure werden dabei oftmals als „smart“ oder „intelligent“ bezeichnet.

Unternehmensführung als Prozess bezeichnet die Managementtätigkeiten bei der Schaffung und Ausschöpfung der Erfolgspotenziale. Im Kontext des Geschäftsprozessmanagements bedeutet sie das Management von soziotechnischen Systemen mit Menschen, die in Prozesse eingebunden sind, und mit Maschinen, die Menschen bei ihren Tätigkeiten unterstützen oder Folgen von Tätigkeiten autonom ausführen.

Trotz der zunehmenden Bedeutung der Digitalisierung steht der Mensch als Gestalter von soziotechnischen Systemen und Anwender der unterstützenden Technik im Mittelpunkt des Prozessmanagements . Nicht zuletzt aufgrund steigender Agilitätsanforderungen ist es heute Ziel, dass die Mitarbeiter, so weit wie möglich, autonom und selbstständig die operativen Prozesse gestalten (modellieren) können und diese danach ohne wesentliche Verzögerungen und zusätzlichen Aufwand direkt informationstechnisch unterstützt werden. Mit einem deutlichen Bekenntnis zur Prozessorientierung muss die Unternehmensleitung muss die Voraussetzungen dafür schaffen („Tone from the top“). Diese umfassen sowohl die notwendige Infrastruktur als auch ein Umfeld, das Menschen ermutigt, sich aktiv in die Prozessmanagementaktivitäten einzubringen.

Der Grad der Einbindung der Mitarbeiter ist geprägt vom Menschenbild und der damit verbundenen Führungsphilosophie der Unternehmensleitung („Tone at the top“). Bei einem klassischen, eher hierarchisch geprägten Ansatz werden die Menschen und ihre Fähigkeiten als Ressource betrachtet, die Gegenstand der Handlungen von Führungskräften sind und schließlich Anweisungen ausführen. Eine derartige Managementphilosophie ist gekennzeichnet durch direkte Intervention der Unternehmensführung und folgt der Theorie X. Gemäß dieser Theorie wird etwaiger fehlender Motivation durch Androhung von Sanktionierung seitens der Unternehmensführung begegnet.

Im mehr systemischen, d. h. ganzheitlichen Ansatz wie er dem St. Gallener Managementmodell zugrunde liegt, soll ein System geschaffen werden, das selbst und weitgehend selbstständig an der Gestaltung eines Geschäftsprozessmanagementsystems arbeitet. Alle Mitarbeiter sollen sich aktiv einbringen können. Dieser Managementstil folgt dem Menschenbild gemäß Theorie Y. Danach sind die wesentlichen Merkmale eines Menschen Freude an anspruchsvoller Arbeit, Selbstdisziplin, Verantwortung und Verstandeskraft.

Ergänzt wird dieses Menschenbild durch entsprechende Organisationstheorien. Diese haben den Zweck, das Entstehen, Bestehen und die Funktionsweise von Organisationen zu erklären. Organisationstheorien setzen implizit ein bestimmtes Menschenbild voraus. So geht der Taylorismus überwiegend von einem Menschenbild aus, das der Theorie X entspricht. Die systemische Organisationstheorie nach Luhmann macht hingegen keinerlei ethische Annahmen zu den Menschen in einer Organisation, sie nimmt nur an, dass diese miteinander kommunizieren. Der Schwerpunkt bei der Theorie des Kommunikativen Handelns liegt zwar auch auf der Kommunikation, aber durch Theorie und Vernunft soll die Welt verändert werden. Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch von Natur aus einsichtig und offen für Argumente ist.

Zu den verschiedenen Menschenbildern gibt es passende Managementphilosophien und Organisationstheorien. Art und Einsatz von Methoden, Techniken und Werkzeuge müssen damit in Einklang stehen. Beispielsweise passt es nicht zusammen, die Einbindung von Mitarbeitern zu propagieren, wenn die Unternehmensführung dann deren Vorschläge nicht ernst nimmt oder gar nicht wahrnimmt. Bevor es an die Gestaltung von Prozessen geht, sollte sich ein Unternehmen deshalb bewusst machen, welches Menschenbild seine Führungs- und Unternehmenskultur prägt.

Wir denken, dass es insbesondere für die mit der Digitalisierung verbundenen Herausforderungen einer Ausrichtung zu Theorie Y bedarf, welche in der Praxis häufig zu Kulturwandel führen wird (müssen).